Titel: Zur philosophischen Begründung der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 373
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Zur philosophischen Begründung der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. Zur philosophischen Begründung der Technik. Der Mensch in der Natur. Im nachstehenden soll mein eigener Standpunkt zum Ausdruck kommen und ein zusammenhängendes Bild des Menschenlebens gegeben werden. Es ist selbstverständlich, dass viele Einzelgedanken anderen entnommen sind. Soll nun jedesmal der betreffende Name genannt werden? Dies wäre vor allem für den Leser ermüdend, sehr schwer für mich und nur unvollkommen ausführbar, weil man ja nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst entnimmt. Teilweise glaube ich mich dieser Aufgabe dadurch entledigt zu haben, dass ich die meisten Denker namentlich angeführt habe, die mir von besonderem Interesse schienen. Kritik sei dem Leser überlassen. Als gegeben betrachten wir den gesellschaftlich lebenden Menschen und die Natur. Mensch und Natur sind zwei Mächte, die sich gegenseitig begrenzen und bedingen. Der Mensch übt auf die Natur eine Einwirkung aus, um seinen Willen in die Naturkräfte hineinzuflechten. Der Wille allein kann aber nicht auf die Natur einwirken. Hinzutreten muss das Wissen der natürlichen Verkettungen der Dinge. Aber auch das Wissen genügt noch nicht: der Mensch muss noch Können, sein Wissen sachgemäss und geschickt praktisch anzuwenden. Wollen, Wissen und Können muss der Mensch, um eine (zielbewusste) That zu vollbringen. Wollen, Wissen und Können sind also die drei Elemente der That. Erforderlich sind sie und zureichend. Das Wollen bestimmt die That teleologisch, das Wissen logisch, das Können sachlich. Die That ist eine Dreifaltigkeit und tritt in Erscheinung als Dreiakt: Der erste Akt ist die Funktion des Wollens, der zweite die des Wissens, der dritte die des Könnens. Wir wollen nun uns die drei Elemente etwas näher ansehen. Das Wollen geht voran. Jede That muss zweckmässig und zielbewusst sein. Der Zweck bestimmt die That; alles übrige ist nur Mittel. Die vom Menschen angestrebten Zwecke sind zwar unendlich verschieden, ihre Unendlichkeit verwandelt sich aber in eine Vierfältigkeit, wenn wir sie nach unseren Grundtrieben ordnen: nach den Trieben zum Guten, zum Wahren, zum Schönen und zum Nützlichen. Gerne möchte jedermann stets derart handeln, dass seine Handlung gut, wahr, schön und nützlich zugleich wäre. Aeussere Umstände bewirken indes gewöhnlich, dass nicht allen Grund trieben zugleich Folge geleistet wird. Aber die allgemeine Tendenz ist beim Menschen nicht zu verleugnen. Darum sind die Triebe nach dem Guten, dem Wahren, dem Schönen und dem Nützlichen die vier Elemente des Willens. Befolgen wir eine Denkmethode, welche der des Chemikers ähnlich ist, so gelangen wir, ohne Mystik zu treiben, zu einer Formel des Willens, wie wir gleich sehen werden. Unendlich verschieden sind die organischen Stoffe, in denen der Chemiker bloss vier Elemente nachweist: Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Stickstoff (N). Mit: m, n, p, q bezeichnet er ferner Koeffiziente, welcheverschiedene positive Zahlenwerte (mitunter auch 0) erlangen können, und fasst jenes kaum ermessliche faktische Feld in einer Formel zusammen: A = Cm Hn Op Nq Der menschliche Wille erscheint uns ebenfalls aus vier Elementen derart zusammengesetzt, dass die einzelnen Elemente in verschiedenen Grössenwerten jedesmal auftreten. Bezeichnen wir mit m, n, p, q diese Grössenwerte, so sind unsere Koeffizienten von denen des Chemikers nur insofern verschieden, als sie bei uns alle positiven und negativen Werte von + ∞ bis – ∞ erhalten können, weil die chemischen Elemente notwendig nur positiv sind, die Willenstriebe dagegen positiv und negativ sein können, denn dem Guten, Wahren, Schönen und Nützlichen steht als Gegensatz das Böse, Falsche, Hässliche und Schädliche. Bezeichnen wir nun den Willen mit \frakfamily{W}, das ± Gute mit G, das ± Wahre mit W, das ± Schöne mit S, das ± Nützliche mit N, so gelangen wir zu einer Formel des Willens, welche zwei unendliche Grenzwerte besitzt. Die positive Grenze, die uns den göttlichen Willen darstelle, ist: \frakfamily{W}_{max}=G+\sim\,W+\sim\,S+\sim\,N+\sim Der böse Wille ist dargestellt durch die negative Grenze: \frakfamily{W}_{min}=G-\sim\,W-\sim\,S-\sim\,N-\sim Zwischen den beiden ideellen Grenzen bewegt sich der reelle menschliche Wille, dessen allgemeine Formel ist: \frakfamily{W}=G_m\,W_n\,S_p\,N_q So lange der Mensch lebt, haben die Koeffizienten positive oder negative Werte, wenigstens einer derselben. Sind n = p = q = 0, so ist der Wille nur auf das Gute gerichtet, d.h. nur durch den Trieb nach dem Guten bedingt. Diesen Fall bezeichnen wir mit: \frakfamily{W}_1=G Sind m = p = q = 0, so haben wir das Suchen nach dem Wahren, dessen Formel ist: \frakfamily{W}_2=W Sind m = n = q = 0, so ist das das Streben nach dem Schönen, und seine Formel ist: W_3=S Sind m = n = p = 0, so ist das Anstreben des Nützlichen, das zur Formel hat: \frakfamily{W}_4=N So viel über die Beschaffenheit des Willens. Wer Lust hat, kann die bezeichnete Analyse weiter verfolgen. Wie wird nun die menschliche That durch den Willen bestimmt? Eingedenk des Vorhergesagten, meinen wir hier nur die teleologische Bestimmung. Die dadurch bedingten vier Richtungen verzweigen sich noch je nach den Einzelfächern des Wissens und des Könnens. So entstehen all die unzähligen Handlungen des Menschen, die man gewöhnlich wieder in Spezialitäten, Berufe oder Stände zusammenfasst, welche die Verteilung der Arbeit in der Gesellschaft darstellen. Suchen wir eine erschöpfende Klassifikation der Stände, so teilen wir die Gesellschaft in folgende Ingredienzien ein: Regierung und Geistlichkeit, Rechtsvertretung, Aerzte und Militär, Lehrer und Gelehrte, Künstler, Techniker, Geschäftsleute und Arbeiter. Diese Mannigfaltigkeit verwandelt sich abermals zu einer Vierfältigkeit, unter Berücksichtigung der Zusammensetzung des Willens aus G, W, S und N. Regierung, Geistlichkeit, Rechtsvertretung, Aerzte und Militär besorgen das Wohl der Gesellschaft. Darum reihen wir sie alle zu \frakfamily{W}_1=G. Lehrer und Gelehrte suchen unser Wissen zu vermehren und zu verbreiten. Wir rechnen sie deshalb zu \frakfamily{W}_2=W. Künstler verschönern uns das Leben, warum wir sie unter \frakfamily{W}_3=S einreihen. Techniker, Geschäftsleute und Arbeiter erzielen das Nützliche und stellen sich unter \frakfamily{W}_4=N ein. Alle die Abstufungen, die man in der Wirklichkeit sieht, deuten darauf hin, dass die Koeffizienten m, n, p, q unter verschiedenen Grössen vorhanden sind. Die vierteilige Gruppierung der Stände lässt erkennen, dass sie vier Funktionen in der Gesellschaft erfüllen, die sich in G, W, S und N kennzeichnen. Eine jede dieser Funktionen zerfällt wieder in zwei Erscheinungsformen, von denen die erste eine Grundform, die zweite ihre praktische Verwirklichung ist. So ist das Gute in der Gesellschaft vertreten durch: Ethik und Recht (Grundform) und durch Gesellschaftsleitung (Ausführungsform); das Wahre durch Wissenschaft (Grundform) und durch Unterricht (Ausführungsform); das Schöne durch die schaffende Kunst (Grundform) und durch ausführende Kunst (Ausführungsform); das Nützliche durch Technik (Grundform) und Wirtschaft (Ausführungsform). Das sind die machenden Kräfte der Gesellschaft. Natürlich wirken sie alle insgesamt und beeinflussen sich stets gegenseitig. Haben wir aber in der entwickelten Ansicht festen Fuss gefasst, so erkennen wir die verwickeltsten gesellschaftlichen Erscheinungen als eine Kundgebung der vier machenden Kräfte. Das Wollen ist nun genug aufgeklärt. Wir wenden uns nun dem zweiten Element der That, dem Wissen zu. Worin besteht das Wissen (Kennen)? Ich kenne einen, wenn ich seine Handlungen voraussagen kann. Dasselbe gilt von jedem Wissen. Heinrich Hertz sagt (Prinzipien der Mechanik, Einleitung 1894): „Es ist die nächste und in gewissem Sinne wichtigste Aufgabe unserer bewussten Naturerkenntnis, dass sie uns befähige, zukünftige Erfahrungen vorauszusehen, um nach dieser Voraussicht unser gegenwärtiges Handeln einrichten zu können“. Das Wissen befähigt uns zu einer doppelten Prophezeiung: nach vorwärts und rückwärts (Ernst Mach), indem wir von einer gegebenen Sachlage auf die folgenden oder auf die vorhergegangenen richtig schliessen können. Das Ziel alles Wissens ist dieses. Was wir aber überhaupt mit dem Worte Wissen bezeichnen, ist eigentlich die Befähigung, Erscheinungen in Gedanken derart zu verfolgen, dass die denknotwendige Verkettung dieser Bilder mit der naturnotwendigen Verkettung der Erscheinungen parallel ablaufen. Diese Sachlage wird unter dem Ausdrucke „Beherrschung der Thatsachen in Gedanken“ verstanden. Das ist die Beschaffenheit des Wissens, wie es auch herangebildet werden und heissen mag: Empirismus, gesunder Menschenverstand, Wissenschaft. Nun wenden wir uns dem dritten Elemente der That, dem Können zu. „Ich weiss, wie das zu machen ist“ und „Ich kann das machen“, sind zwei verschiedene Dinge. Unter „Können“ verstehen wir alles, was genannt wird: Geschicklichkeit, Gewandtheit, Handfertigkeit, Gepflogenheit, Tradition, Routine, Gewerbe, alles, was angeeignet wird durch Uebung, Nachahmung, was sich in rein mechanische Kunstgriffe auflöst, was feste Regeln und Rezeptebefolgt und in seiner höchsten Entwickelung bloss zur Virtuosität führt. In jedem Beruf unterscheiden wir Leute, die sich bei der Ausübung desselben geistig beteiligen und solche, die nicht über die Vorschriften hinauskommen. Letztere nennen wir mit gutem Grund blosse Handwerker. Desgleichen ist die überwiegende Menschenzahl, die Masse. Nur in der Form eines Kodex versteht sie Ethik, Religion und Recht; das Wahre begreift sie nur als Formel; das Schöne nur als Mode; das Nützliche nur als Rezept. Sie hat keine Selbständigkeit, ausser Herdeninstinkte, keine Persönlichkeit, ausser der des Durchschnittsmenschen, keine Triebe, ausser erlaubten. Sie wünscht beherrscht und geleitet zu werden, weil sie des inneren Herrschers ledig ist, der Intuition, des Schaffungsvermögens, des psychologischen Kernes des Wollens. So viel über das Können allgemein. Das sind die drei Elemente der menschlichen That, welche dieselbe zu einem Dreiakt gestalten: das Wollen (dessen Funktion der erste Akt ist), das Wissen (der zweite Akt) und das Können (der dritte Akt). Das Tier erhebt sich nicht über den dritten Akt: der Instinkt selbst der höheren Tiere ist nur ein Können. So geschickt auch manche Tiere ihre Wohnungen bauen, so finden wir hier doch nichts ausser vererbter Routine. Der Mensch ist aber mit einer höheren Gabe versehen. Das ist die Intuition. Sie verleiht dem Wollen seine konkrete Form, die man Ziel und Zweck nennt. Sie entschleiert auch die Wege zum Ziele und die Mittel zum Zweck. Hat man ein Ziel, einen Zweck vor, so liegen die Wege und Mittel in der Regel nicht offen. Man muss sie erst erschauen. Das tierische Dasein und das Leben des Menschen bieten uns noch eine Verschiedenheit dar: das Tier ist der Natur unterthänig, der Mensch ist der Natur überlegen. Indem wir uns aber zu dieser wichtigen Frage wenden, wollen wir nicht jene Allgemeinheiten wiederholen, bei deren Missbrauch mit Hochmut ohne weiteres ausgerufen wird: „Der Mensch ist Herr über die Natur!“ und damit Punktum. Denn so unbedingt beherrschen wir die Natur nicht. Ein sonderbares Benehmen zeichnet den Allbeherrscher aus bei Schiffbruch, Kesselexplosion, Ueberschwemmung, Brand u. dgl. Unsere Beherrschung der Natur ist somit nicht unbedingt: es ist hier ein Ja und ein Nein vorhanden. Wir werden versuchen, die Grenze zwischen beiden zu ziehen. Die machenden Kräfte des tierischen Daseins sind ergründet worden von den Biologen: Lamarek, Wallace, Darwin, Spencer, Häckel, Weissmann u.a. Ihre Forschung ergab das biologische Prinzip des Lebens, welches bei Spencer in die Formel gekleidet wird: „Das Organische passt sich dem Anorganischen an“. Spencer sieht in allem Leben, in aller Evolution, nichts mehr, als „die Anpassung der inneren Verhältnisse an die äusseren“. Betrachtet man das Menschenleben, so erscheint, nach unserer Ansicht, das biologische Prinzip wohl notwendig, aber nicht zureichend: der Mensch passt sich zwar den Naturverhältnissen an, aber in einem noch grösseren Masse übt er auf die Natur in entgegengesetzter Richtung eine Einwirkung aus, seine Umgebung seinen Forderungen gemäss anpassend. Dem biologischen Prinzip stellt der Mensch das technologische zur Seite und schwächt vermöge dieses Prinzips die Wirkung des ersteren sehr bedeutend ab. Mit dieser Aussage lehne ich mich an Lester Word an, nur nimmt er das biologische Prinzip nicht in der allgemeinen Fassung und stellt ihm das psychologische Prinzip zur Seite. Ich nenne das zweite Prinzip des Menschenlebens „das technologische Prinzip“ auch dann, wenn man die Bethätigung desselben nicht nur in der Technik als solchen betrachtet, indem ich mich dem allgemeinen Sprachgebrauch füge, der in jeder Thätigkeit eine spezielle Technik hervorhebt. Im letzteren Sinne spricht man bekanntlich von einer Technik des Gesetzgebers, des Richters, des Arztes, des Pädagogen, des Forschers, des Künstlers, des Geschäftsmannes u.s.w. Technik in diesem Sinne fasst die Gesamtheit der Kunstgriffe zusammen, die das Können einer speziellen Thätigkeit ausmachen, oder, in anderen Worten, umfasst alles, was die Routine für die zweckmässige Ausübung einer Thätigkeit empirisch ergibt. Mit einem Wort, das Können in einer jeden Thätigkeit wird im allgemeinen Sprachgebrauch wieder mit Technik benannt. Auf diesen doppelten Gebrauch des Wortes Technik haben wir a. a. O. (D. p. J. 312 97) bereits hingewiesen. Verschwindet er, so wird man dies nicht bereuen, solange er aber dauert, kann man sich seiner bedienen, die nötige Vorsicht vorausgesetzt, dass man durch den Doppelsinn nicht irregeführt werde. Unter dieser Voraussetzung nennen wir das zweite Prinzip des Menschenlebens „das technologische Prinzip“. Das biologische Prinzip nimmt als gegeben die äusseren Naturverhältnisse auf und will nach diesen die inneren Menschenverhältnisse modifiziert und angepasst wissen. Das technologische Prinzip dagegen, nimmt als gegeben die inneren Verhältnisse auf und lehrt, der Mensch passe die äusseren diesen an. Diese zwei Prinzipien erscheinen notwendig und zureichend, um das Menschenleben zu verstehen. Ob uns dieser Weg zu einem Monismus führt, oder von einem solchen entfernt, bleibe hier unerörtert. Wir wenden uns dem technologischen Prinzipe zu. Unzählig sind die Beispiele, wo der Mensch seine Umgebung gemäss seinen Bedürfnissen umgestaltet. Was Erziehung heisst, ist nichts anderes, als die zweckmässige Umgestaltung des menschlichen Geistes, gerichtet auf Aneignung des Guten, des Wahren, des Schönen und des Nützlichen. Das Gute anstrebend, bekämpft der Mensch mühevoll das Böse. Dem Wahren nachjagend, wartet er nicht, bis die erwünschte Erscheinung von selbst eintrete: er macht Experimente, d.h. greift planmässig in die Erscheinungen ein und ruft künstlich diejenigen hervor, die seinen Zwecken entsprechen. Nach dem Schönen ringend, beseitigt er thatsächlich das Unschöne und reiht natürliche Sachen so aneinander, wie es ihm sein ästhetisches Gefühl gebeut. Desgleichen im Nützlichen: er entreisst dem Erdenschoss die ihm nötigen Stoffe. Er zeugt Kunstwälder, Nutzpflanzen, Haustiere, und aus denselben wieder Kunstprodukte aller Art. Er ebnet seine Wege, überspannt die Wässer, durchbohrt die Berge und durchkreuzt die Seen mit aller Zuversicht und Bequemlichkeit. Er schickt sein Wort über den Erdball herum und verewigt es zu Gunsten der Nachkommenschaft. Alle Klimata, alle Regionen sind dem Menschen wohnbar. Warum? Weil er sich mit einem künstlichen Mikrokosmos umgibt, der ihm die zweite Natur geworden und weil er, wie die Schnecke, seinen Mikrokosmos überall mit sich trägt. Aber weder die Schnecke, noch irgend eines von den Tieren kann es ihm nachmachen, weil eben das Tier dem Makrokosmos ausgesetzt ist und sich diesem anpassen muss, der Mensch dagegen diesen in einen Mikrokosmos künstlich verarbeitet, der seinen Bedürfnissen angepasst ist. So ist der Mensch nicht nur ζῶον πολιτικόν, nicht nur sapiens, nicht a tool making animal, sondern er ist noch mehr: ein ζῶον εχνικόν, ein technisches Wesen, d. i. ein solches, welches Willenskonzepte erzeugt, intuitiv die Zwecke und Mittel erschaut, die seinem Willen entsprechen, und sie auch erreicht, auf Grund der erkannten Naturnotwendigkeit, indem er die ihn umgebende Natur plan- und zweckmässig umgestaltet. Eine Beherrschung der Natur darf sich der Mensch nicht anrühmen, wohl aber eine Ausnutzung. Er vermag nur das eine: der Natur verhelfen, sich nach einer von ihm angeplanten Richtung zu bethätigen. Jedesmal muss er sich aber der Naturnotwendigkeit unterwerfen. Seine Zwecke kann er nur erreichen, indem er die Bedingungen der Natur auf das peinlichste erfüllt. Die scheinbare Beherrschung der Natur beruht nur auf der Wahrnehmung, dass die Natur sozusagen blind vor sich geht und dass sie latente Kräfte im Schosse birgt, deren Auslösung geringere Kraft erfordert, als sie selbst entwickeln. Immerhin ist indessen die Kraft des Menschen unendlich klein, im Verhältnis zu den Kräften der Natur. Wie man sich das Eingreifen des Menschen in die Natur vorzustellen hat, wissen wir schon (D. p. J. 312 129). Zuden zwei vorgeführten Beispielen wollen wir nun noch ein drittes beifügen: Natürliche Kohlen- und Torflager geraten zuweilen in Brand durch Selbstentzündung. Dieselbe Erscheinung ruft der Mensch auch künstlich hervor, indem er alles, was sie natürlich bedingt, örtlich und zeitlich zusammenbringt. Er fördert die im Erdenschoss ruhende Kohle ans Tageslicht und schafft sie in seinen Ofen. Er entnimmt der Natur Holz, Phosphor und andere Stoffe und bearbeitet sie zweckmässig, um Zündzeug herzustellen. Ist alles am Platz, so bleibt ihm ein leicht zu verrichtender Kunstgriff übrig, um die Energie der Kohle auszulösen. Vergleichen wir die Energie, welche das Streichen eines Zündhölzchens erfordert, mit der von der Kohle abgegebenen, so gelangen wir auf diesem Wege nicht zur Lösung unserer Frage. Wir werden auch nicht glücklicher sein, wenn wir die Summe aller aufgewendeten Energie in Betracht ziehen, welche das Ausgraben, der Transport, die mechanische und chemische Bearbeitung verschlungen. Es bleibt immer ein Rest, und ein bedeutender, der in keiner konstanten Beziehung zu ihr steht. Auch das hilft uns nichts, wenn wir nacheinander alle technischen Kunstgriffe einer solchen Analyse unterziehen. Mitunter bemerken wir gar, dass der Mensch mehr Energie aufwendet, als ihm zurückerstattet wird. So in der Verarbeitung der Faserstoffe, im Spinnen, Weben, Färben. Bessere Einsicht aber erlangen wir, wenn wir unser Augenmerk von der quantitativen Schätzung ab-, der qualitativen zuwenden. Das entflammte Kohlenlager und das angemachte Rostfeuer sind gleiche physikalische Vorgänge, für den Menschen sind sie jedoch grundsätzlich verschieden. Dem ersteren will er vorbeugen, das zweite will er hervorrufen. Aber wie? Die natürlichen Bedingungen der Erscheinung ergründend, macht er eine Entdeckung, dass in der Natur latente Kräfte vorhanden, d.h. solche Kräfte, die, so lange sie latent sind, keine Wirkung ausüben, und zu deren Auslösung eine verschwindend kleinere Kraft anzuwenden ist. Das Prinzip der Auslösung (D. p. J. 1899 312 98 und 99) bietet somit dem Menschen die Möglichkeit, mit seiner geringen Kraft die ungeheueren Kräfte der Natur so einzuleiten, wie er es will. Alles Eingreifen des Menschen in die Natur erklärt sich aus diesem Prinzip. Noch ein paar Worte über das technologische Prinzip der menschlichen Existenz. Wie gesagt, stehen ihm die Biologen fern. Sie sprechen nur von dem biologischen. Dieses deckt indes nur die animalen Bedürfnisse des Menschen, die ihn nie über dem Tiere erhoben hätten. Alles das, was das Menschenleben der Wissenschaft, der Kunst und der Technik verdankt, was somit den Menschen erst zum Menschen macht, bleibt dann unerklärt. Darum hören wir aufrichtige Evolutionisten ausrufen: ein Rafael, ein Newton sind nach ihrem Prinzip unbegreiflich. So ist es auch. Solch eine Intelligenz kann sich unmöglich ausbilden bloss unter dem Zwange, „ihre inneren Verhältnisse den äusseren anzupassen“, weil ihre inneren Verhältnisse turmhoch über die äusseren hinausgewachsen sind. Wären Rafael und Newton für die Menschheit überflüssig, dann hätten doch die Evolutionisten recht. Derweil solche Genien aber zu den grössten Wohlthätern der Menschheit zählen, so ist die moderne Evolutionstheorie, da sie über diese Kernfrage schweigt, schon aus diesem Grunde unzureichend und will ergänzt werden, um auf das Menschenleben Anwendung zu finden. Die Anpassung der äusseren Verhältnisse an die inneren, was wir mit dem Namen „technologisches Prinzip“ nennen, verleiht die erwünschte Ergänzung. Es ist selbstredend, dass das neue Prinzip ebenso wie das alte bis ins Detail ausgearbeitet werden will. Ein dankbares Forschungsgebiet für kommende geniale Köpfe! Derweil sich der Mensch dem Zwange entzieht, seinen Organismus den Naturverhältnissen anzupassen, wird es sich wahrscheinlich erweisen, dass das Menschengeschlecht bedeutend älter ist, als die uns jetzt umgebende Tierwelt. (Fortsetzung folgt.)