Titel: Der mechanische Flug einst und jetzt (Leonardo da Vinci und Karl Buttenstedt).
Autor: Rudolf Mewes
Fundstelle: Band 316, Jahrgang 1901, S. 29
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Der mechanische Flug einst und jetzt (Leonardo da Vinci und Karl Buttenstedt). Von Rudolf Mewes, Ingenieur und Physiker. Der mechanische Flug einst und jetzt (Leonardo da Vinci und Karl Buttenstedt). I. Allgemeine Bemerkungen über den künstlichen und natürlichen Flug. Obwohl durch die neueren Arbeiten auf diesem Gebiete im einzelnen viel geleistet worden ist, so bin ich der Ansicht, dass durch die Arbeiten und Aufklärungen, welche schon Leonardo da Vinci und in den letzten Jahrzehnten in ähnlicher Weise Karl Buttenstedt aus Rüdersdorf über den künstlichen und natürlichen Flug veröffentlicht haben, der Kern des Flugproblems gelöst und daher nunmehr zu methodischen Versuchen mit rationell gebauten Flugmaschinen geschritten werden muss. Bevor ich jedoch auf die Arbeiten dieser beiden zeitlich so weit voneinander geschiedenen, in der Sache aber miteinander übereinstimmenden Flugtechniker eingehe, möchte ich zunächst zur Einführung an der Hand meiner früheren Arbeiten in der Zeitschrift des deutschen Vereins zur Beförderung der Luftschiffahrt einige Bemerkungen über die Ermöglichung des künstlichen und natürlichen Segelfluges vorausschicken. Die Erfüllung des sehnsuchtsvollen Wunsches Goethe's: „O dass kein Flügel mich vom Boden hebt, Ihr nach und immer nachzustreben!“ erscheint infolge der eifrigen Bemühungen der modernen Flugtechniker und Forscher, die rein dynamische Luftschiffahrt zu verwirklichen, nicht mehr als ein blosser,schöner Traum, sondern vielmehr als in nicht zu langer Zeit erreichbar und bevorstehend. Da indessen über den Weg, welcher bei der Lösung des so hochwichtigen Flugproblems einzuschlagen ist, selbst bei denjenigen Forschern, welche sich eingehend damit beschäftigt haben, auch heute noch nicht eine allseitige und völlige Uebereinstimmung herrscht, so dürfte eine kritisch sichtende Behandlung dieses Gegenstandes und der wichtigsten einschlägigen Fragen wohl gerade jetzt mit Rücksicht auf die Aufsehen erregenden Versuche von v. Zeppelin am Platze sein. – Hierfür enthält die Zeitschrift des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt, welche sich seit ihrem fast 20jährigen Bestehen unter den Fachjournalen einen ehrenvollen Platz errungen hat, reichhaltiges geschichtliches Material. Entgegen der früher vorherrschenden Ansicht hat sich in dem letzten Jahrzehnt in den mannigfaltigen Arbeiten, welche die Lösung des Flugrätsels zum Thema haben, die Ueberzeugung immer mehr und mehr Bahn gebrochen, dass nur die rein mechanische Lösung desselben einen weiteren Fortschritt für die Luftschiffahrt bedingen könne, da die bloss in beschränktem Masse praktisch verwertbaren Resultate, welche Kapitän Renard und Direktor Krebs in Frankreich und jüngst Graf v. Zeppelin am Bodensee mit lenkbaren Ballons erreicht haben, der Grenze des thatsächlich überhaupt Möglichen schon ziemlich nahe gekommen sein dürften. Auch ich halte mich zu der Ansicht berechtigt, dass nicht der statischen Luftschiffahrt mit ihren unförmlichen Ballons, sondern der dynamischen, den ruhigen Segelflug nachahmenden Schiffahrt die Zukunft gehört. Die diesbezüglichen Versuche scheiden sich in zwei grosse Gruppen, deren eine auf mechanischem Wege nur mit Hilfe ausreichender Maschinenkraft die Möglichkeit des künstlichen Fluges schaffen will, deren andere hingegen zu diesem Zwecke auch noch die Kraft des Windes und die Schwere des ganzen Apparates selbst gemäss den Gesetzen des Pendels und der schiefen Ebene auszunutzen gedenkt. Die ersten Lösungsversuche, für welche der Flug der Insekten und kleineren Vögel vorbildlich ist, werden vorläufig noch stets scheitern müssen, weil die Technik noch nicht im stande ist, eine solche Kraftmaschine zu liefern, wie zu jenem Zwecke nötig ist. Da die als Spielzeug dienenden mechanischen Vögel des Franzosen Penaud in praktischer Hinsicht nicht in Betracht kommen können, so ist als das günstigste Resultat, das sich auf diesem Wege bis jetzt hat erreichen lassen, unstreitig dasjenige des Italieners Forlanini zu bezeichnen, welcher mittels einer kleinen Dampfmaschine von ⅓ bis 1/4 PS die schon Leonardo da Vinci bekannte Luftschraube in Rotation versetzte und dadurch den ganzen, etwa 3 kg schweren Apparat in die Luft erhob. Die Dampfspannung in dem kleinen, kugelförmigen Generator betrug dabei 8 Atmosphären. Indessen hat dieser Versuch nur insofern einigen praktischen Wert erlangt, als dadurch wenigstens sicher festgestellt worden ist, dass 1 PS unter normalen Verhältnissen durch Luftschrauben ein Gewicht von etwa 9 bis 12 kg in die Luft erheben kann. Mit einem derartigen Flugapparat wird demnach der Mensch, der ja nur 1/7 PS zu leisten vermag, den persönlichen Kunstflug niemals ausführen können. Die grossen Schrauben, welche Prof. Wellner bei seinem Flugapparat benutzt hat, hielten pro geleistete Pferdekraft ein Gewicht von 16 kg in Schwebe, wie von Baimund Nimführ in seiner Arbeit Flugtechnische Betrachtungen (1899) erwähnt wird; das Wellner'sche Ergebnis stimmt demnach gut mit dem von Forlanini erhaltenen Resultate überein. Auch Leonardo da Vinci hat bereits darüber nachgedacht, ob man die Luftschraube zur Luftschiffahrt verwenden könne. Nach der Uebersetzung von Th. Beck (Beiträge zur Geschichte des Maschinenbaues) sagt Leonardo hierüber in dem unten ausführlicher zu besprechenden Bande seiner Manuskripte (B. 83 u.): „Der äussere Rand sei von Eisendraht, so dick wie eine Schnur, und vom Umfange bis zur Mitte seien es 8 Ellen. – Ich finde, wenn dieser Apparat, wie eine Schraube geformt, gut, nämlich aus mit Stärke gedichteter Leinwand, hergestellt und schnell herumgedreht wird, dass genannte Schraube sich ihre Mutter in der Luft macht und in die Höhe steigt. Ich nehme als Beispiel ein breites und dünnes Lineal, das mit rasender Schnelligkeit (con furia) durch die Luft geführt wird. Du wirst alsdann sehen, dass dein Arm in der Richtung des Schnittes mit der genannten Achse geführt wird. Die Versteifung (armatura) der obengenannten Leinwand bestehe aus dünnen, langen Rohren. Man kann sich ein kleines Modell davon aus Papier machen. Sein Stift bestehe aus dünnem Eisenblech (vermutlich einer schraubenförmigen Feder), das mit Gewalt gewunden wird und, wenn es losgelassen wird, die Schraube in Drehung versetzt.“ Forlanini's Apparat stimmt mit der von Leonardo da Vinci beschriebenen und hier (Fig. 1) abgebildeten Luftschraube vollkommen überein; an die Stelle der gespannten Feder ist nur ein kleines Dampfmaschinchen getreten. Textabbildung Bd. 316, S. 30 Fig. 1. Günstiger hingegen gestalten sich die Aussichten für die zweite Klasse der dynamischen Luftschiffe, bei denen als Vorbild der Segel- oder Schwebeflug der grossen Raubvögel gewählt wird. Als die erste derartige künstliche Flugmaschine verdient jene vortreffliche und technischwohl durchdachte Flügelkonstruktion eines alten ägyptischen Künstlers erwähnt zu werden, welche man noch heute, auf den goldenen Armbändern der Königin Meroë abgebildet, im historischen Saal des ägyptischen Museums in Berlin sehen kann (Nr. 156, 157, 158). (Vergl.: Alte Darstellungen fliegender Menschen. Von Hermann Mödebeck. Zeitschrift des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt. Jahrg. 1887, S. 24.) Obwohl Mödebeck jener mit vier Flügeln und einer Königskrone versehenen weiblichen Figur vielleicht mit Recht bloss eine symbolische Bedeutung beimisst, so muss man doch gestehen, dass gerade diese Flügelkonstruktion von hoher technischer Durcharbeitung und Harmonie zeugt, so dass dieselbe verdiente, von den modernen Flugtechnikern zum Vorbild genommen zu werden; denn dieselbe vereinigt die Eigenschaften des Fallschirmes mit denen der Flügel in wirklich originaler Weise und scheint auch durch Benutzung von elastisch auslaufenden, biegsamen Flügelrändern ebenfalls darauf hingearbeitet zu haben, einen gewissen Teil der vertikal wirkenden Schwerkraft in horizontale Massengeschwindigkeit umzusetzen (siehe Fig. 2). Textabbildung Bd. 316, S. 30 Fig. 2. Aegypten ist vor allen übrigen Ländern des Altertums nicht bloss ausgezeichnet durch seine gewaltigen und wunderbaren Bauten, deren grossartige Ruinen noch jetzt das Staunen der Nachwelt erregen, sondern seine Bewohner haben auch, weil nach ägyptischer Sitte die Beschäftigung des Vaters sich stets auf den Sohn und so von Generation zu Generation vererbte, im Kunsthandwerk und in technischen Fertigkeiten teilweise eine solche Vollkommenheit erreicht, dass manche ihrer Leistungen noch heute unübertroffen dastehen. Darum möchte ich beinahe glauben, dass es sich in der erwähnten geflügelten Figur nicht allein um eine symbolische Darstellung der Göttin Mut, sondern um die Wiedergabe eines wirklich konstruierten und versuchten technischen Flugapparats handelt. In dieser Ansicht bestärkt mich noch mehr einerseits die auffällige Thatsache, dass derselbe von allen Flügelkonstruktionen, welche die symbolischen Göttergestalten der Aegypter zeigen, dadurch wesentlich abweicht, dass er statt zweier Flügel, wie jene sie haben, vier fallschirmartig zu einem harmonischen Ganzen vereinigte Fittige besitzt, andererseits aber auch der Umstand, dass die alten Aegypter in ihren grossartigen Bauwerken sowohl wie in ihren sonstigen Kunstprodukten neben religiösen auch praktische Zwecke zu verfolgen pflegten. Im Berliner Museum habe ich trotz eifrigen Suchens nur ein einziges Analogon zu jener eigenartigen Flügelkonstruktion gefunden, nämlich eine mit ähnlichen Flügeln versehene, kleine weibliche Statue unter den griechischen Gipsabgüssen (Nr. 894, siehe hier Fig. 3). Diese Uebereinstimmung dürfte nicht auf einem blossen Zufall beruhen, sondern auf einen inneren Zusammenhang der ägyptischen Flugvorstellung mit derjenigen des entsprechenden griechischen Mythus hindeuten. Nun spricht aber die aus dem Orient stammende, bekannte griechische Sage vom Dädalus und seinem Sohne Ikarus gerade für die von mir vertretene Ansicht, dass wir es hier mit einem künstlichen Flugapparat zu thun haben; denn Dädalus, der Erbauer des Labyrinths auf Kreta, ist die Personifikation der ägyptischen Technik, welche durch die Vermittelung der Phönizier den Hellenen überliefert worden ist. Der in allen technischen Künsten erfahrene Baumeister vermochte, indem er die ererbten Kenntnisse benutzte, gar leicht sich und dem Sohne, wie die Sage berichtet, Flügel zu verfertigen und damit der Gefangenschaft zu entfliehen, in welcher ihn Minos, der mächtige Beherrscher von Kreta, festhalten wollte. Textabbildung Bd. 316, S. 31 Fig. 3. Da jedoch derartige Kombinationen allein nicht beweisend sind, so dürfte eine Diskussion über jenen Apparat von flugtechnischen Gesichtspunkten aus vielleicht zu demselben und darum um so sichereren Ergebnisse führen. Die Aegypter erstrebten bei der Darstellung menschlicher Figuren Porträtähnlichkeit und bei der Abbildung anderer Dinge möglichste Genauigkeit; sie berücksichtigten demgemäss auch die räumlichen Verhältnisse der einzelnen Gegenstände völlig sachgemäss; daher hat der Schluss von den bekannten Dimensionen irgend eines Teiles der anbei dargestellten Figur auf diejenigen aller übrigen seine volle Berechtigung. Nun liegen die vier Flügelenden und die Ferse der fliegenden Göttin sämtlich auf der Peripherie eines Kreises, welcher um den Vereinigungspunkt des obersten Rippenpaares und des Brustbeins mit der Entfernung dieses Punktes von der Ferse als Radius geschlagen werden kann, wie Fig. 2 und 3 zeigen. Bei normaler Grösse der weiblichen Figur beträgt die Länge dieser Strecke 1,3 m, der Flächeninhalt des beschriebenen Kreises also 5,3 qm. Durch Messung mit Millimeterpapier oder durch Berechnung findet man, dass das Segelareal des ganzen Apparates etwa 2 qm, also wenig mehr als ein Drittel der Kreisfläche einnimmt. Die Wahl dieser Grössenverhältnisse legt ein glänzendes Zeugnis für die scharfe Naturbeobachtung des Künstlers ab, denn bei den Vögeln liegen die Flügelenden und die Zehen- oder Schwanzspitzen ebenfalls auf der Peripherie eines solchen Kreises, und zwischen dessen Flächeninhalt und dem Segelareal besteht ein ähnliches und zwar für die Vögel desselben Typus wahrscheinlich ein gleiches Zahlenverhältnis. Ausserdem verdient noch hervorgehoben zu werden, dass nach der Abbildung die beiden schräg aufwärts gegeneinander geneigten Flügelebenen einen Winkel von etwa 135 ° bilden, also dieselbe Neigung besitzen, welche Tauben und andere Vögel ihren Flügeln bei sanftem, fallschirmartigem Herabsinken annähernd geben und welche auch Hengler, der Erfinder des Horizontalpendels, für die diametral gegenüberliegenden Seiten seines kegelförmigen, unten näher beschriebenen Fallschirmes gewählt hat. (D. p. J., 1832 43 * 102.) Nimmt man das Gewicht der fliegenden Figur und des Apparates, um auch diesen nicht unwesentlichen Punkt zu berühren, zu 70 kg an, so würde sich beim Fall durch die Luft eine Fallschirmgeschwindigkeit von ungefähr 15 m ergeben, also eine doppelt so grosse, als ein 12,7 kgschwerer Albatros bei einem Segelareal von 1,78 qm erlangt. Weil jedoch nach den Berechnungen, welche Gerlach auf Grund der von Dr. Müllenhoff gemachten Messungen ausgeführt hat, bei wachsender Fallschirmgeschwindigkeit die Segelfertigkeit der Vögel zunimmt, sofern überhaupt noch die Möglichkeit dafür vorhanden ist, so liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass es dem alten ägyptischen Künstler mit dem besprochenen Apparate wohl hat gelingen können, durch die Lüfte in ähnlicher Weise über das Aegäische Meer zu segeln, wie der Albatros bald in ruhig schwimmendem, bald in eilendem Fluge über das Weltmeer dahinfährt. Ob nun die betreffende Erzählung mehr als ein blosser Mythus ist oder nicht, ändert sicherlich wenig oder gar nichts an dem aus Vorstehendem folgenden Resultate, dass die beschriebene Flugmaschine in flugtechnischer Hinsicht höchst rationell konstruiert ist. In den historischen Zeiten gebührt zwei italienischen Physikern das Verdienst, die Flugversuche des ägyptischen Flugtechnikers mit nach dem Prinzip des Segelfluges erbauten Apparaten zuerst wieder aufgenommen zu haben, nämlich dem als Maler und Physiker hochberühmten Leonardo da Vinci und dem Mechaniker Dante aus Perugia. Die Experimente beider Forscher sind nicht ohne Erfolg geblieben, denn Dante soll von einem erhöhten Abflugsorte aus mit seinem Apparate über den trasimenischen See und Leonardo mit dem seinigen über den Po geflogen sein. Ein zweiter Versuch, bei dem Dante von einem Kirchturm in Perugia abflog, nahm ein unglückliches Ende, weil der kühne Flieger das Dach eines Hauses streifte und mit dem lädierten Flugapparate auf das Steinpflaster des Marktplatzes hinabstürzte, wobei er sich ein Bein brach. Dante kam also glimpflicher davon als sein moderner Nacheiferer Otto Lilienthal, der bei seinen methodischen Flugversuchen das Leben einbüsste. Die jetzt von Leonardo's Hand noch vorhandenen Federzeichnungen und Manuskripte beweisen, dass Leonardo's Flügelkonstruktion eine sehr originale und kunstvolle und sein Wissen über den künstlichen und natürlichen Flug ein sehr genaues und zutreffendes war. Im zweiten Abschnitt soll daher auf die Arbeiten Leonardo's besonders eingegangen werden. Die späteren Experimente, welche der Uhrmacher Degen aus Wien anstellte, können mit den vorerwähnten Flugversuchen ebensowenig konkurrieren, als die grossartigen dynamischen Fahrzeuge, welche die neueren Flugtechniker wie Wellner, Maxim u.a. auf Grund der verbesserten Gesetze des Segelfluges zu bauen beabsichtigen, bezw. wirklich ausgeführt haben. Denn wenn auch von den jetzigen Konstrukteuren die Flugprinzipien klarer als früher erkannt werden könnten und auch im allgemeinen bei der Konstruktion ihrer Apparate benutzt werden, so stehen diese gleichwohl in praktischer Hinsicht denjenigen der älteren Experimentatoren nach, weil deren Apparate kleiner und nur für den direkten Flug des Menschen bestimmt und darum leichter zu bauen und zu regieren waren, jene aber gleich für den Massentransport berechnet und projektiert werden und darum Dimensionen erhalten, welche der technischen Ausführung sowohl als auch der nachherigen Lenkung und Handhabung unnütze Schwierigkeiten bereiten. Die Veranlassung zum Bau solcher gleich dem Uebermass verfallenden Projekte scheint meiner Meinung nach in der Absicht zu liegen, mit der Hebekraft der Luftballons wetteifern zu wollen. Der freilich für die Ballonschiffahrt gültige, von Prof. v. Helmholtz aufgestellte Satz, dass ein etwaiger Erfolg nur noch durch die Vergrösserung der Ballons selbst erzielt werden könne, darf schon aus technischen und praktischen Gründen nicht als Norm für die Konstruktion mechanischer Flugapparate eingeführt, bezw. angenommen werden, denn grosse Apparate kosten erstlich mehr Geld als kleinere, und vergrössern bei den ersten, durchaus notwendigen Vorversuchen und Vorübungen wegen ihrer Schwerfälligkeit die Gefahr für den Experimentator. Denn der Mensch muss das Luftsegeln, ebenso wie der Vogel das Fliegen, erst durch beharrliche und fleissige Uebung erlernen. Am gefahrlosesten und bequemsten dürfte sich der direkte Flug des Menschen ermöglichen lassen, wenn man mit Fallschirmversuchen aus mässiger Höhe beginnt und allmählich den sogen. Hengler'schen oder Cocking'schen, kegelförmigen Fallschirm zu einem dynamischen Flugapparat nach Art des oben beschriebenen ägyptischen umgestaltet. Die rein dynamische Luftschiffahrt muss eben, wie ich bereits 1887 betonte, wenn sie schliesslich zu einem praktisch brauchbaren Resultate gelangen soll, damit beginnen, den Fallschirm mehr und mehr zu verbessern; denn wie die Natur stets von den einfacheren Gebilden aus in regelrechtem Stufengange sich zu verwickelteren Gestaltungen und Formen entwickelt, ebenso muss auch der Mensch in seinem Streben, das weite Luftmeer seinem Willen zu unterwerfen, in der Nachahmung des von der Natur ihm im Vogel gelieferten kunstvollen Modells erst das leichtere und einfachere Problem des Schwebens mittels eines Fallschirmes nach allen Seiten hin zu lösen sich bemühen. Aus dem vervollkommneten Fallschirm wird sich schliesslich das dynamische Luftschiff, ein von Menschenhand geschaffener, gewaltiger künstlicher Vogel, als natürliche Frucht in folgerechtem Stufengange allmählich von selbst herausbilden. Freilich sind die jetzigen Fallschirme noch sehr unvollkommen und stehen, so zu sagen, noch in den Kinderschuhen. Textabbildung Bd. 316, S. 32 Fig. 4. Die bisher am häufigsten konstruierten und auch praktisch versuchten Fallschirme, von Leonardo in Pyramidenform (Fig. 4) gebaut und Padiglione (Zeltdach) genannt, leiden sämtlich an einem sehr verhängnisvollen Fehler, der schon mannigfach gerügt worden ist. Dieselben pendeln nämlich, da in der nach unten gekehrten konkaven Höhlung des Schirmes die Luft sich wie in einem Sacke fängt, sehr stark hin und her und zwingen darum den Konstrukteur, den Schwerpunkt, d.h. die Gondel, in welcher der Insasse Platz nimmt, ausserordentlich tief unter dem Schirm anzubringen, um die Gefahr des gänzlichen Umkippens zu vermeiden. Bei dieser Art und Weise, die Gondel mit dem tragenden Fallschirm zu befestigen, lässt sich der Schirm von der Gondel aus ebenso wenig oder ebenso schwer lenken und steuern, wie von der tief unter dem voluminösen Ballonkörper hängenden Gondel aus sich dies in praktischer und wirklich rationeller Weise erreichen lässt. Um diese beiden hauptsächlichsten Fehler des regenschirmartig konstruierten Fallschirmes zu umgehen, kehrten Cocking und vor ihm schon Hengler, wie man sich durch Nachlesen der Hengler'schen Arbeit in D. p. J. 1832 43 * 102, überzeugen kann, das Verhältnis völlig um (Hengler hat a. a. O. auch das von ihm erfundene Horizontalpendel beschrieben). Sie kehrten die konvexe Kegelfläche des Schirmes nach unten und erreichten dadurch in der That, dass das Pendeln vermieden wurde, da bei dieser Konstruktionsweise die Luft nach allen Seiten hin gleichmässig in die Höhe entweichen kann. Wenn sie auch, um die gleiche Tragfähigkeit als vorher zu erreichen, die Dimensionen des Schirmes etwas vergrössern mussten, so bezahlten sie den erlangten Vorteil, dass das Pendeln vermieden wurde, doch nicht zu teuer damit. Leider hatte Cocking gleich bei seinem ersten diesbezüglichen Versuche das Unglück, sein Leben einzubüssen. Soviel ich weiss, hat Cocking auch bei seiner Fallschirmkonstruktion die Gondel, in welche er von dem Ballon Green's aus hinabkletterte, noch verhältnismässig sehr tief unter dem tragenden Schirme angebracht. Hengler hingegen hatte auch diese Vorsichtsmassregel, welche Cocking von der älteren Fallschirmkonstruktion mit überkommen hatte, schon vor ihm als unbrauchbar aufgegeben und zwar mit Fug und Recht, denn gerade beim allzu tiefen Aufhängen der Gondel lässt sich nur eine sogen. lose Verbindung derselben mit dem Schirm mittels starker Seile und Taue herstellen, so dass der flächengrössere Schirm durch einen seitlichen Luftstrom schneller und leichter aus seiner Lage zur Seite hin gedrückt werden kann, als die kleinere und schwerere Gondel, und so der erste Anlass zu einem nach und nach wachsenden Pendeln gegeben wird. Verbindet man hingegen die Gondel nach dem Vorgang Hengler's direkt unter dem Schirm mit demselben in stabiler Weise, so kann der Schirm selbst für sich alleinkeine Schwingungen ausführen, sondern der ganze Fallschirmapparat vermag sich höchstens als ein Ganzes nur um einige Grade über oder unter die durch den Schwerpunkt gelegte Horizontalebene zu neigen. Wie übrigens die Gondeln der Kugelballons, welche nur Schauzwecken oder Lustfahrten dienen, im Verhältnis zu den Gondeln der cylinderförmigen Ballons, welche durch Maschinenkraft gegen den Wind gesteuert und gelenkt werden sollen, aussergewöhnlich klein sind, so war auch die Gondel, welche Hengler bei seinen Fallschirmversuchen benutzte, im Vergleich mit denjenigen, deren sich Luftschiffer wie Garnerin, Blanchard und Cocking bei ihren Fahrten bedienten, unverhältnismässig gross gebaut. Hengler selbst betont, dass er die Gondel mit Absicht darum so gross gemacht habe, damit er den Fallschirm beim Fallen durch das Neigen seines Oberkörpers nach der einen oder der anderen Seite in gewissen Grenzen lenken könne. Mit einer kleinen, tief unten hängenden Gondel würde er dies Ziel nicht haben erreichen können, wohl aber ist dies mit einer direkt unter dem Schirm befindlichen und mit demselben überall fest verbundenen langen und breiten Gondel ohne Schwierigkeit zu bewirken. Hengler hat also schon bei seinem Fallschirm aus denselben Gründen, wie später Haenlein, Baumgarten, Renard, Krebs und Zeppelin bei ihren lenkbaren Luftschiffen, aus technischen Rücksichten die enge Verbindung der Gondel mit der tragenden Fläche behufs teilweiser Lenkung derselben für rationell und notwendig gehalten. Der von ihm selbst angestellte Versuch hat die Richtigkeit seiner Ansicht dargethan. Indessen infolge des Unglückes, das Cocking mit seinem Fallschirm hatte, gab man es auf, den Fallschirm noch weiter zu verbessern, zumal die glücklicheren Versuche Hengler's in Deutschland vorher keine Beachtung gefunden hatten. Man hat daher bis heute der Fallschirme nur als praktisch unbrauchbarer Apparate gedacht, welche höchstens zur Befriedigung der Schaulust des Publikums dienen könnten, denen aber neben den Ballonschiffen kein selbständiger Wert zugestanden werden dürfe. Und doch ist nach meiner Ansicht der Fallschirm entwickelungsfähiger als ein Luftschiff mit seinen gewaltigen Dimensionen, abgesehen davon, dass die lenkbaren Luftschiffe bereits auf die höchste Stufe ihrer Vollkommenheit gebracht sind. Wie mir wenigstens scheint, sind bei der Konstruktion der von Renard und Krebs, sowie von Zeppelin erbauten Luftschiffe alle Vorteile und Hilfsmittel, welche die so vorzüglich entwickelte Technik des vergangenen Jahrhunderts gewährt, im höchsten Masse verwertet worden, während bei den Fallschirmkonstruktionen bisher gerade das Gegenteil stets Geltung gehabt hat; denn mit Ausnahme des von Hengler gebauten Fallschirmes sind fast sämtliche Fallschirmkonstruktionen von mathematisch und technisch ungeschulten Luftschiffern ausgeführt worden. Aber die Konstruktion eines Fallschirmes ist ja so einfach, dürfte man vielleicht entgegenhalten, dass zur Herstellung eines solchen die Dienste eines Technikers durchaus nicht erforderlich seien; freilich für den Fallschirm älterer Konstruktion mag dies in gewissem Sinne gelten, jedoch schon nicht mehr für einen rationell verbesserten Fallschirm, der zur Lösung des Flugrätsels führen soll, oder gar für den bisher unerreichten natürlichen Fallschirm, den die Natur im kunstvoll gebauten Vogelflügel als stetes Vorbild geschaffen hat. Der Zweck und die Aufgabe eines Fallschirmes ist in erster Linie, den vertikalen Fall des Menschen zu mildern oder zu verlangsamen; erst in zweiter Linie, wenn man sich die Lenkbarmachung desselben zum Ziel setzt, kommt noch die fernere Aufgabe hinzu, eine Horizontalbewegung mittels desselben auf irgend eine Weise zu bewirken. Die letzte Aufgabe lässt sich nun durch Verstellung der Ebene des Fallschirmes gegen die Horizontalebene lösen, während die Mässigung der Fallgeschwindigkeit nur durch den Druck der Schirmfläche auf die unter ihr befindliche Luftsäule, also durch den Luftwiderstand, möglich wird. Vergrössert man jedoch die Horizontalgeschwindigkeit des Flugapparates, so vermindert man dadurch gleichzeitig auch den vertikalen Zug nach unten, da sich die nach unten ziehende Schwerkraft mit der seitlich treibenden Horizontalkraft zu einer Resultante vereinigen muss. Nun kann der Mensch schon eine ziemlich bedeutende horizontale Geschwindigkeit vertragen, ohne dass er, wenn er, wie dies den über die Erde dahinjagenden Reitern häufig genug passiert ist, plötzlich in einiger Höhe über dem Erdboden, sozusagen aus dem Sattel fliegt, sich erheblichen Schaden zuzufügen pflegt. Durch eine gleich grosse vertikale Geschwindigkeit würde der Mensch jedoch einen solch unsanften Stoss beim Anprall auf die Erde erhalten, dass ihm thatsächlich Hören und Sehen verginge. Schon die Rücksicht auf die Selbsterhaltung fordert demnach, dass man die horizontale Geschwindigkeit des Fallschirmes auf Kosten der vertikalen Geschwindigkeit möglichst zu vergrössern sich bestreben muss. Dieses Ziel kann man auf zwei von einander sehr verschiedenen Wegen erreichen, welche übrigens bei einem guten Fallschirm bezw. Flugapparat gleichzeitig in Anwendung kommen müssen, nämlich erstlich durch mechanische (maschinelle) Kraft und zweitens durch die Einstellung der Fallschirmebene in dem geeigneten Winkel zur Horizontalebene. Gehen wir zunächst auf den letzten Punkt näher ein. Würde man in der Luft durch Verlegung seines Körpergewichtes die erforderliche Neigung der Gesamtebene des Apparates gegen die Horizontale hervorbringen, so würde man sich bei einigermassen bewegter Luft sehr leicht der Gefahr aussetzen, dass der ganze Apparat, statt in der gewünschten schrägen Richtung abwärts zu schiessen, infolge des Winddruckes vollständig umkippen und in rapider Eile in die Tiefe stürzen könnte. Dieser Unglücksfall kann sogar bei fast normaler Stellung der Tragfläche eintreten, wenn der Wind in etwas schräger Richtung gegen dieselbe von unten oder von oben her in plötzlichem Stosse trifft. Es bilden sich nämlich, wie ja auch schon bei völlig normaler Stellung der Ebene gegen die Windrichtung, ganz besonders dann längs der Ebene parallel laufende Abluftströme, wodurch der Angriffspunkt der Resultante des Luftwiderstandes gegen den ankommenden Wind hin vorgeschoben und schliesslich ein teilweises Auf- oder Umkippen veranlasst, bezw. eingeleitet wird. Auf dem hier erwähnten, längs der Druckfläche fliessenden Luftstrom, der seitwärts und hauptsächlich nach hinten auszuweichen gezwungen ist, beruht ja auch die anderweitig vielfach beobachtete Thatsache, dass der Wind breite Flächen nicht leiden kann und nur scharfe Kanten liebt, wie Buttenstedt in seinen Arbeiten zur Erklärung des Vogelfluges sagt. Aus den Versuchen, welche Prof. Kummer über die diesbezügliche Wirkung des Winddruckes in seiner Abhandlung Ueber die Wirkung des Luftwiderstandes auf Körper von verschiedener Gestalt u. s tu. veröffentlicht hat, folgt, dass die Resultante des Luftwiderstandes einer mit der Richtung der Luftströmung einen beliebigen Winkel bildenden Ebene nicht durch den Schwerpunkt dieser Ebene hindurchgeht, wie dies nach den Newton'schen Prinzipien der Fall sein müsste, sondern dass der Luftwiderstand gegen eine schiefe, ebene Fläche auf die weiter nach vorn liegenden Teile derselben bei weitem stärker wirkt, als auf die hinteren. Bei einem dieser Versuche war die tangentiale Komponente des Luftwiderstandes so gross, dass die vordere, dreimal so kleine Fläche eines durch eine Querachse in zwei Teile geteilten Quadrates einen Widerstand erfuhr, der demjenigen der dreimal grösseren hinteren Quadratsfläche das Gleichgewicht zu halten vermochte. Bei einem Fallschirm bezw. Flugapparat kann mander aufkippenden Wirkung der tangentialen Komponente des Winddruckes in einfacher Weise dadurch begegnen, dass man wie beim Vogelflügel statt einer einzigen grossen, zusammenhängenden Fläche viele fest miteinander verbundene kleinere Flächen wählt, deren Gesamttragfähigkeit derjenigen der vollen Fläche gleichkommt; denn dann heben sich die Drehungsmomente, welche die tangentialen Komponenten des Winddruckes auf die einzelnen Flächen vor und hinter der Drehungsachse ausüben, zum grössten Teil gegenseitig auf, wie auch die diesbezüglichen Versuche Kummer's bestätigt haben. Durch die Verwendung zahlreicher kleiner Flächen ergeben sich zunächst zwei wesentliche Vorteile; erstens vermeidet oder verringert man nämlich dadurch die grosse, Lilienthal so verhängnisvoll gewordene Gefahr des Umkippens, zweitens bewirkt man aber auch, dass bei geneigter Stellung der kleinen Teilflächen der ganze Fallschirm eine beständige Horizontalkomponente erhält, und drittens der Bau des Flugapparates haltbarer und fester wird. Infolge der schiefen Flächenstellung kann nämlich, wie schon Leonardo da Vinci und Karl Buttenstedt in ihren Arbeiten andeuten bezw. klar aussprechen, die vertikal gerichtete Schwerkraft nicht senkrecht nach unten wirken, sondern muss sich in eine horizontale und vertikale Komponente zerlegen und, da diese beiden Teilkräfte gleichzeitig wirken, einen schräg abwärts geneigten Fall des Schirmes hervorbringen. Da die Einstellung starrer Flächen Schwierigkeiten bereiten würde, so wird man entsprechend der elastischen Fahnenschraube bezw. den Federn des Vogelflügels elastische, sich dem Winddrucke gemäss selbstthätig einstellende Lamellen wählen. Auf diese Weise bewirkt man zugleich, dass der Fallschirm in Ruhestellung eine vollständig geschlossene oder bei geringerem Druck eine weniger weit als sonst geöffnete Nutzfläche darbietet, welche sich eben erst bei genügend starkem Luftwiderstand an den Endkanten der einzelnen elastischen Stahllamellen öffnen kann und dann der von unten her drückenden Luft an diesen Stellen einen Durchgang gestattet. Die Reibung der daselbst durchströmenden Luft ergibt ausserdem noch eine nach oben wirkende Kraft, welche ebenso wie der Widerstand der Tragfläche den vertikalen Fall in der Grösse nach bestimmtem Grade mässigt. Es dürfte aus diesem Grunde nicht unvorteilhaft sein, wenn man die einzelnen Lamellen statt in eine geschlossene, dünne, elastische Kante in unzählige, feine, elastische Härchen auslaufen lässt. Auf die Grösse des Luftwiderstandes derartig bewegter Flächen bei verschiedenen Geschwindigkeiten kann ich hier nicht eingehen, da dies zu weit führen würde. Ich bemerke, dass bei der Aufstellung des diesbezüglichen Gesetzes erstlich auf das Doppler'sche Prinzip Rücksicht zu nehmen ist, wodurch sich eine mechanisch unanfechtbare Begründung der ein wenig umgeformten Luftwiderstandsformel von v. Lössl ergibt; zweitens ist der Einfluss des Stosses der elastischen Luft auf die elastischen Lamellen in Rechnung zu stellen, wozu die bei den Dampfturbinen über den Stoss des elastischen Dampfes gemachten experimentellen und theoretischen Ergebnisse zu benutzen sind. Soweit ich die Litteratur über künstliche Flugapparate kenne, sind ausser den auf scharfer Naturbeobachtung beruhenden Angaben Leonardo's und Buttenstedt's keine mechanisch und wissenschaftlich zutreffenden Aufschlüsse über diesen Gegenstand bis jetzt gegeben worden. (Schluss folgt.)