Titel: Die auf den Nebenbahnlinien der französischen Staatsbahnen angewendete Zugstabeinrichtung.
Fundstelle: Band 316, Jahrgang 1901, S. 409
Download: XML
Die auf den Nebenbahnlinien der französischen Staatsbahnen angewendete Zugstabeinrichtung. Die auf den Nebenbahnlinien der französischen Staatsbahnen angewendete Zugstabeinrichtung. Unter den auf der vorigjährigen Pariser Weltausstellung seitens der Französischen Staatsbahnen zur Ansicht gebrachten Betriebseinrichtungen zählte auch eine auf einigen ihrer Nebenlinien in Verwendung stehende Zugstabanordnung, welche es ermöglicht, von einer Station mehrere Züge – im äussersten Falle vier – hintereinander in gleicher Richtung abgehen zu lassen. Die elektrische Gesamteinrichtung der in Frage kommenden Stationen der französischen Staatsbahnen besteht aus einer für sich abgeschlossenen gewöhnlichen Fernsprechanlage und der Zugstabsicherung S1 und S2, wie sie in Fig. 1 ersichtlich gemacht ist. Bei der Durchführung des Zugverkehrs auf eingeleisigen Bahnen mit Hilfe des „Zugstabes“ gilt bekanntlich der Grundsatz, dass für jede einzelne Strecke von Station zu Station ein besonderer Gegenstand – in der Regel ein Stab oder ein Fähnchen von bestimmter Form und Farbe, der „Zugstab“ (Trainstaff) – festgesetzt, und nur jenem Zuge die Fahrt, gleichgültig in welcher Richtung, erlaubt ist, dessen Führer sich im Besitze des gedachten Zugstabes befindet. Auf diesem einfachen Wege sind sowohl Begegnungen durch Gegenzüge als Einholungen durch Folgezüge auf den Strecken durchaus unmöglich gemacht; allein die Anwendung des einfachen Zugstabes besitzt dafür die Schattenseite, dass sie Folgezüge überhaupt ganz ausschliesst, aus welcher Beschränkung stets grosse Schwerfälligkeiten in der Abwickelung des Verkehrs erwachsen, sobald in den gewöhnlichen Fahrplan Sonderzüge eingelegt werden sollen, oder wenn die regelmässigen Kreuzungen aus irgend einer Ursache nicht eingehalten werden können. Zu den mancherlei Auskunftsmitteln, welche zur Bekämpfung dieser Schwierigkeit erdacht und eingeführt worden sind (vgl. D. p. J. 1893 288 197), gehört nun auch die in Rede stehende Zugstabsicherung der französischen Staatsbahnen. Die Aufgabe dieser von Charrin angegebenen Vorrichtung besteht darin, die Nachfolge von drei oder selbst vier Zügen in derselben Fahrtrichtung zu ermöglichen und dabei doch auch die Einhaltung des Stationsabstandes zuverbürgen, sowie die Absendung von Gegenzügen hintanzuhalten. Zu diesem Ende sind für jede Strecke statt nur eines Zugstabes deren vier vorhanden, von denen jedoch vermöge der zugehörigen elektrischen Einrichtung stets nur ein einziger in Benutzung genommen werden kann. In den beiden die zu sichernde Strecke abschliessenden Stationen I und II befindet sich je ein mit einer polierten Holzverschalung umgebener Eisenblechkasten K1 bezw. K2, der in Fig. 1 – um daselbst gleich auch den Lauf der elektrischen Drahtleitungen ersichtlich machen zu können – sowohl in der Ansicht als im Querschnitte dargestellt erscheint. Jeder dieser Kasten hat in seiner Mitte, senkrecht übereinander, vier Schlüssellöcher, in welche die vier nach Art von Schlüsseln gestalteten Zugstäbe c, d, e und f, von denen ein jeder einen von den übrigen abweichend geformten Bart besitzt, hineinpassen, derart, dass sich in das oberste Loch J1 in K1 wie in K2 nur der Zugstab f, in das nächsttiefere nur c, in das dritte nur d und ins unterste nur c einführen lässt. Textabbildung Bd. 316, S. 409 Hinter jedem Schlüsselloche befindet sich ein Federnkontakt, nach Art der Umschalter an Fernsprechstellen, der für gewöhnlich geschlossen ist, beim Einstecken des betreffenden Zugstabes jedoch durch das kegelförmige, aus Hörn oder Elfenbein bestehende Stabende i auseinandergepresst, d.h. unterbrochen wird. Gleich vor diesen Kontakten c1, c2, c3 und c4, die auf einer Ebonitleiste befestigt sind, befindet sich ein senkrechtes, dünnes stählernes Verschlusslineal g1 bezw. g2, das in Führungen läuft und zu unterst mit dem Ankerhebel eines Elektromagnetes M1 bezw. M2 durch ein Gelenk in Verbindung steht. Die Lineale g1 und g2 haben in den Profilen der gegenüberliegenden vier Schlüssellöchern einen kreisrunden Ausschnitt, durch welchen das Stabende i beim Einstecken des Stabes ungehindert seinen Weg nehmen kann, selbst dann, wenn der Mittelpunkt des Linealausschnittes mit der Schlüssellochachse nicht genau zusammenfällt, weil ja das beinerne Ende i der Stäbe das Lineal zwingt nach Erfordernis auszuweichen. Die Mittelpunkte der besprochenen Linealausschnitte fallen jedoch mit den Mittelachsen der Schlüssellöcher nur dann thatsächlich zusammen, wenn der Elektromagnet M1 bezw. M2 stromlos, sein Anker sonach abgerissen und das Lineal g1 bezw. g2 entsprechend hochgehoben ist. Gelangen die Elektromagnete jedoch zur Wirksamkeit, so dass sie ihren Anker anziehen, dann rücken die Lineale g1 bezw. g2 ein wenig nach abwärts, wobei sich die oberen Ränder der Linealausschnitte in die Halseinkerbungen p sämtlicher Zugstäbe, die sich in den beiden Kasten befinden, einlegen und ein Herausziehen der Stäbe verhindern. Diese Verriegelung der Zugstäbe besteht ersichtlichermassen so lange, als ein Strom in den Verschlusselektromagneten M1 und M2 vorhanden ist, und es kann umgekehrt die Entnahme eines Zugstabes aus den Kasten einzig und allein nur unter der Bedingung erfolgen, dass die Elektromagnetanker von M1 und M2 abgerissen bezw. die Verschlusslineale g1 und g2 entsprechend hochgehoben sind. Vermöge der Stromlaufanordnung und der weiter oben erwähnten acht Kontakte c1, c2, c3 und c4 tritt die Entriegelungsbedingung nur dann ein, wenn alle vier Stäbe in den Kästen eingestellt sind, gleichgültig ob in K1 oder in K2, und in welcher Kombination immer. Vom Zinkpol der Batterie B1 in I geht der stromleitende Weg zum Elektromagneten M1, dann durch die die Rückleitung oder Erdleitung vertretende Fernleitung B nach II, hier durch die Spulen des Elektromagnetes M2, ferner zum Pluspol der Batterie B2, vom Zinkpol weiter zu sämtlichen Kontakten c1, c2, c3 und c4 des Kastens K2, während die zweiten Federn dieser Stromschliesser durch die Fernleitungen L1, L2, L3 und L4 mit den bezüglichen Federn der Kontakte c1, c2, c3 und c4 des Kastens K1 verbunden sind, deren zweite Federanschlüsse wieder gemeinsam mit dem Pluspol der Batterie B1 in Verbindung stehen. Gemäss dieser Anordnung wird mithin der Stromkreis der im gleichen Sinne wirkenden Batterien B1 und B2, angenommen, dass in keinem der beiden Kästen ein Zugstab eingesteckt wäre, über jede der vier Leitungen L1, L2, L3 und L4 geschlossen sein; der entgegengesetzte Fall, das ist derjenige, welcher der Entriegelung entspricht, und bei welchem die sämtlichen Leitungen stromleer sind, kann sonach unter regelrechten Verhältnissen nur dann eintreten, wenn die vier Leitungen L1, L2, L3 und L4, sei es in I, sei es in II in einem der Kastenkontakte c1, c2, c3 und c4 durch einen eingesteckten Zugstab unterbrochen sind. Hierbei übt es keinerlei Einfluss aus, ob sich in der einen Station nur einer und in der anderen drei, ob in beiden zwei oder ob in einer gar kein Zugstab und in der zweiten Station alle vier sich befinden. Für gewöhnlich werden allerdings nur die zwei zuerst angeführten Kombinationen vorkommen. Nach den bezüglichen Dienstbestimmungen der französischen Staatsbahnen ist bei der Absendung jedes Zuges die Vormeldung mittels des Fernsprechers vorzunehmen und, wenn nötig, die Freigabe eines Zugstabes anzufordern. Die Entnahme eines dem Zugführer mitzugebenden Zugstabes kann dann eben nur erfolgen, wenn kein Zug mehr aufder Strecke ist und nachdem der Zugstab für den zuletzt verkehrten Zug bereits seitens der Ankunftsstation an seinen richtigen Kastenplatz gebracht wurde. In Erkenntnis der leidigen Thatsache, dass die oben geschilderte Verriegelung zwar an sich ganz richtig, aber für die rauhe Praxis doch recht zart und wenig widerstandskräftig ist, brachte der Konstrukteur noch eine zweite Stab Versicherung mit Hilfe von Schlüssellochplättchen an, welche kräftiger sind als das Verriegelungslineal g1 bezw. g2. Diese Plättchen legen sich, wenn die Zugstäbe richtig eingesteckt sind, in den Absatz q ein und bilden dadurch, wenn sie die z.B. bei J3 dargestellte Lage einnehmen, eine zweite Sperre. Diese letztere liegt in der Hand des Stationsbeamten, insofern derselbe mittels eines ausschliesslich nur ihm vorbehaltenen kleinen Schlüssels das betreffende Schlossplättchen erst genügend weit herumdrehen muss, wenn der Zugführer einen Stab in Empfang nehmen soll. So lange ein Schlüsselloch unbesetzt bleibt, soll das Plättchen eine Stellung haben, bei welcher, wie es z.B. bei J4 dargestellt erscheint, das Loch vollständig bedeckt ist, so dass das Eindringen von Staub in das Kasteninnere verhindert wird. So oft sich die vollständige elektrische Entriegelung vollzieht, erfolgt auch ein Schluss der Ortsbatterien b1 und b2, wodurch die Wecker W1 und W2 in Thätigkeit gelangen; die Rückstellung der Wecker erfolgt später entweder selbstthätig bei der Entnahme des freigegebenen Zugstabes oder mit der Hand durch Anziehen einer Schnur. Prüft man endlich die geschilderte Einrichtung bezüglich ihrer Zuverlässigkeit etwas näher, so findet man, dass es bei ungehöriger aber geschickter Handhabung möglich sein würde, nicht bloss einen, sondern auch zwei oder mehrere Zugstäbe gleichzeitig aus dem Kasten zu nehmen, wenn die elektrische Sperrung überhaupt freigegeben ist. Jeder regelrecht dem Kasten zu entnehmende Zugstab muss nämlich auf seinem Wege selbstverständlich einen Punkt passieren, auf welchem ihm das verriegelnde Lineal g nicht mehr bei p fassen kann, während sich im betreffenden Kastenkontakt die Federn noch ausser Berührung befinden. Andernfalls würde ja niemals ein Zugstab aus dem Kasten gezogen werden können. Wenn man nun den ersten erlaubten Stab vorsichtig bloss so weit herauszieht, als es möglich ist, ohne den blockierenden Stromschluss zu bewirken, was sich übrigens mit Hilfe des Weckers ganz enge und bequem eingrenzen lässt, so kann auch jeder weiterer, im Kasten vorhandener Stab in ähnlicher Weise auf den kritischen Punkt vorgezogen werden. Es unterliegt dann keiner Schwierigkeit mehr, zwei oder mehrere Stäbe gleichzeitig aus dem Kasten zu entnehmen. Die Verriegelung versagt ferner in dem Falle, wenn eine der Batterien B1 oder B2 untauglich wird, oder wenn die Leitung B eine Unterbrechung erleidet; desgleichen kann sie fälschlich behoben werden, wenn etwa zufällig gerade diejenige der Leitungen L1, L2, L3 und L4 reissen würde, deren zugehöriger Zugstab sich im Dienstgebrauche ausserhalb des Kastens befindet. In Anbetracht dieser Schwächen besitzt also die Charrin'sche Einrichtung, mag sie immerhin die Ausnutzung der Zugstäbe wesentlich erleichtern und bis zu einem gewissen Masse auch sichern, doch wohl nicht den strengen Charakter eines richtigen Blockverschlusswerkes, wie etwa die Webb und Thomson'sche elektrische Trainstaffsicherung (vgl. 1893 288 197), welche von mehreren englischen Bahnen zweiter Ordnung und namentlich auf den Nebenlinien der London- and Northwestern-Railway mit ausserordentlich befriedigendem Erfolge Verwendung findet und zu ihrem Betriebe bloss zwei Fernleitungen erfordert.