Titel: Russlands Kriegsflotte zu Anfang des Jahres 1902.
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 175
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Russlands Kriegsflotte zu Anfang des Jahres 1902. Russlands Kriegsflotte zu Anfang des Jahres 1902. Der gewaltige Aufschwung des grossen Ostreiches datiert wenig länger als zwei Jahrzehnte. Libau oder vielmehr der bei Libau gelegene Kaiser Alexander III.-Hafen wird ein Seeplatz ersten Ranges, trotz der früheren Versicherungen, Russland beabsichtige dort nur die Anlage eines Zufluchtshafens für KreuzerDeutsche Heeres-Zeitung,„Libau und Danzig, zwei Kriegshäfen in der Ostsee“, Jahrgang 1892.. Katerinenhafen im Weissen Meer, Port Arthur im Japanermeer sind hinzugekommen, und der einst chinesische Platz wird nicht wie das deutsche Tsintau ohne Befestigung gelassen, sondern stark ausgebaut. Bereits Januar 1899 erfolgte die Einweihung der Batterien am Goldberg, woran sich sofort ein scharfes Uebungsschiessen schlossRusski Invalide, Nr. 49 1899.. Die von den Japanern zerstörten Batterien sind wiederhergestellt, Material zum Häuserbau, zusammensetzbare Häuser, Möbel u.s.w. wurden von San Francisco beschafft, ein grosses Dock ist fertig, eine Werft, vorläufig für den Bau von Torpedofahrzeugen eingerichtet, die später erweitert werden soll, ist in Betrieb; auf ihr lief als erstes Fahrzeug am 12. August 1901 der 240 t grosse Torpedobootzerstörer „Baklan“ vom StapelMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, I. 1901.. Ein auf den Howaldtswerken zu Kiel 1899 erbauter Saugbagger bringt die Hafentiefe auf 10 m, die Erfolge des grossen Eisbrechers „Jermak“ im Freihalten des Kronstadter Hafens führten zum Bau ähnlicher Fahrzeuge und im Budget 1901 sind für Port Arthur 3,18 Millionen Rubel enthaltenDeutsche Marine-Rundsch., 2. 1901. Rubel zu 2,2 Mark gerechnet. Im Budget 1897 fungierten 15,5 Millionen Rubel für Wladywostock, das 1901 mit nur 2,2 Millionen bedacht wurde.. Zu Windau, dessen Hafen nahezu eisfrei ist, werden grosse Etablissements errichtet, auch soll bereits Auftrag für Inbaulegung eines 6370 t grossen, geschützten Kreuzers gegeben sein, der Normand-Wasserrohrkessel, drei Schrauben, drei Maschinen von zusammen 20000 PS erhalten und 23 Meilen laufen wirdBerliner Neueste Nachrichten, 8. 10. 1898. Army and Navy Gazette, 19. 11. 1898. Royal United Serv. Instit., 12. 1898.. Im Budget 1901 sind 3 Millionen Rubel für Windau ausgeworfen, dessen Hafen auf 7,5 m Tiefe zu bringen ist, jedoch soll sich der Ausbau verzögern, da sigh das Privatkapital von Gründungen bisher zurückgehalten hat. Zu Reval ist ein Dock für Torpedoboote fertig und durch Ukas vom 15. Juli 1897 wurden zur Anlage von Hellingen 530000 Rubel ausgeworfen. Sebastopol ist ein stärkerer Platz als jemals, der Handelshafen wurde von dort nach Feodosia verlegt. Nijolajew soll Hauptplatz des Schwarzen Meeres werden, auch ist davon die Rede, dass Kerksch zu einem Kriegsplatz ausgebaut wird. März 1899 ist zu St. Petersburg die Marineakademie eröffnet wordenMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, IV. 1899.. Man erwarb das Krupp'sche Patent auf Härteverfahren für Panzerplatten. Das Igorwerk zu Kolpino, welches Platten herstellt, hat neue Maschinen beschafft, und sehr viel geschah zur Hebung und Unterstützung der heimischen Industrie, um dieselbe auf eine Höhe zu bringen, welche es unnötig macht, das Ausland zu grossen Lieferungen für die Marine heranzuziehen, wie es bisher in grossem Umfange geschehen musste. In Russlands gewaltigem Landheer sind viele Verbesserungen wünschenswert und unterbleiben aus pekuniären Gründen; für die Marine sind stets die Mittel bereitgestellt gewesen, Zahlungen haben nie gestockt, und die sehr bedeutenden Beträge an das Ausland sind stets prompt erledigt worden. Und dieser grosse Betrieb spielt sich völlig lautlos ab. Man erfährt nur Thatsachen, ohne dass vorher ein Laut in die Oeffentlichkeit gedrungen war, oder dass gar die Oeffentlichkeit zur Kritik herangezogen wäre. Russland baut zielbewusst eine starke Offensivflotte, in der Ostsee sowohl wie im Schwarzen Meer, und wird auch voraussichtlich noch lange weiter bauen, denn obwohl an vier Meeren gelegen, ist das Riesenreich faktisch nur Herr im Schwarzen und Weissen Meer und aus dem Schwarzen kann es nicht heraus. Es verlautet, dass dort grosse Neubauten nur in beschränktem Masse in Angriff genommen werden sollen, bevor nicht die Frage der freien Durchfahrt durch Bosporus und Dardanellen gelöst istMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, 3. 1899., und dass man alle verfügbaren Mittel auf den Ausbau der baltischen Motte verwenden wolle. Das mag wohl zutreffend sein. Wenn aber erwähnt wird, dass die Bauten deshalb nicht in gleicher Weise fortgeführt werden, weil Russlands Motte im Schwarzen Meer zur Verteidigung nunmehr für ausreichend erachtet werde, so ist darauf hinzuweisen, dass die Schwarze Meerflotte, wie sie heute schwimmt, niemals zur „Verteidigung“ gebaut wurde, am allerwenigsten gegen Angriffe der Türkei, deren Flotte überhaupt nicht bewegungsfähig ist – bis auf ein Schiff, den 1874 in England abgelaufenen alten Panzer „Messudieh“, welcher im Umbau Ende 1901 bei Ansaldo, Sestriponente bei Genua, vollendet warSchiffbau, 8. 11. 1901.. Die Schwarze Meerflotte zählt gegenwärtig sieben fertige Linienschiffe aus den Jahren 1886 bis 1896, die alle noch als modern anzusprechen sind und zusammen fast 80000 t deplazieren (78583 t). Ein achtes, „Knjaz Potemkin Tawricewski“ von 12585 t, begonnen zu Nicolajew am 27. Dezember 1897, ist am 29. Oktober 1900 abgelaufenSchiffbau, 8. 11. 1901. Nach Mitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, VIII. 1898, erfolgte die Kielstreckung erst in der letzten Oktoberwoche 1898.. Ein 13000 t grosses Linienschiff ist projektiert. An Kreuzern ist die Flotte naturgemäss schwach, da für diese Schiffe kein Verwendungsgebiet vorhanden ist. Zwei von 6250 t, „Kagul“ zu Nicolajew und „Otschakoff“ zu Port Lazareff befinden sich in Bau und Ausrüstung. – An verwendbaren kleinen Kreuzern, jedoch nur für Stationw- und Friedensdienst, sind sechs Typ „Donec“ von 1224 t vorhanden; die Torpedoflotte ist zahlreich und modern. Drei Torpedokreuzer, 22 grosse Torpedoboote sind vorhanden, sechs 350 t grosse Torpedobootzerstörer befinden sich zu Nicolajew im Bau und müssen bald fertig gestellt sein. – Die Erweiterung des grossen Docks zu Nicolajew hat eine französisch-belgische Gesellschaft übernommen und zwar angeblich für 4 Millionen Pfd. St. (soll wohl Rubel heissen. D. V.), die Ausbaggerung der Bugbarre – Nicolajew liegt vier Meilen oberhalb der Mündung des Bug – und auch die gewünschten Baggerungen an der Barre bei Otschakoff besorgt eine amerikanische GesellschaftMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, IX. 1898.. Man darf bei Betrachtung der russischen Schwarzen Meerflotte die Freiwillige Flotte nicht übergehen, welche, unter der Marine stehend, unter Kriegsflagge fahrend, den Verkehr zwischen Odessa-Port-Arthur-Wladywostock regelmässig besorgt, deren Schiffe von Seeoffizieren befehligt werden und zur Aufnahme einer Armierung eingerichtet sind. Diese Schiffe dürfen die Engen um Konstantinopel passieren. Sie sind es, welche vor Fertigstellung der sibirischen Eisenbahn hauptsächlich Material und Personal nach den russiwchen Häfen in Ostasien zu bringen haben. Die Flotte zählt gegenwärtig 16 Dampfer von 147984 t DeplacementBerechnet nach Almanach, Pola 1902, der die Namen und Daten angibt. La Marine française, 1. 1. 1902, gibt an nach Novosti 15 Dampfer von 49000 t; offenbar fehlt die Eins. und bezieht eine jährliche Subvention von 1,59 Millionen Rubel. Von den Dampfern ist einer, „Poltawa“, noch im Bau bei der Fairfield Comp., Glasgow, welche alle neuen Schiffe der Freiwilligen Flotte geliefert hat. Von den fertigen können sechs („Smolensk“, „Mosqua“, „Kherson“, „Petersburg“, „Orel“, „Saratow“) 19 Meilen und darüber laufen, elf sind Doppelschrauber. Bei der Betrachtung der Neubauten der russischen Flotte ist wohl zu beachten, dass nach einem festen Plane zwar gebaut wird, dass aber kein gesetzliches oder ähnliches Hemmnis eintreten kann, falls es notwendig erscheint, das Programm zu erweitern und den Bedürfnissen oder Wünschen anzupassen. Von grosser Ueberlegenheit des ausländischen Materials kann auch nicht mehr gross die Rede sein, zudem wird zu Bauzwecken viel des besten Materials fremder Firmen herangezogen. Allerdings muss das Mannschaftspersonal zum grossen Teil aus Binnenländern ergänzt werden – der Russe ist kein Seemann –, aber das geschieht in anderen Marinen ebenfalls, ohne dass sich gefährdende Nachteile zeigen. Das Offizierkorps gilt für gut – auf sensationelle Zeitungsnachrichten von russischen Lokalkorrespondenten ist selbstverständlich nichts zu geben. Jedenfalls muss man in der russischen Flotte Personal wie Material als vollwertig annehmen. Das russische Marinebudget für 1900/1901 stellte sich auf 87564700 Rubel, das von 1902 dagegen auf 98318484 Rubel oder 213350700 MarkMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, 1. 1901, für 1900/1901. D Marine-Rundschau, 11. 1901. Schiffbau, 23. 10. 1901, für 1902.. Die Abrüstungsvorschläge Zar Nikolaus II. seiner Zeit können sehr wohl aufrichtig gemeint gewesen und einem tiefen Hintergrund entsprungen sein. Es ist vom pekuniären Standpunkt schwierig, die gewaltige Armee schlagfertig zu halten, alle Verbesserungen mitzumachen, die Beträge für die endlich aufgebesserten Gehälter zu beschaffen. Russland aber kann eine Verminderung seiner Armee sehr gut vertragen, denn einen Angriffskrieg hat es nicht zu befürchten, der kann dem Gegner wohl Siege bringen, aber kaum nennenswerte Endvorteile. Das an der Armee ersparte Geld würde dann aber der Flotte zu gute kommen, denn dass bei ihr Abrüstungen irgend welcher Art geschehen könnten, davon ist niemals ein Wort verlautet, und die Massnahmen zu ihrer Verstärkung haben gelegentlich der Anregung des Zaren zur Friedenskonferenz nicht einen Moment geruht. Es soll in Russland ein „Etwas“ geben, aus dem heraus sich ab und zu jemand gewisse Massnahmen erklären will – das „Testament Peter des Grossen!“ In Preussen spricht man analog von einem „Testament Friedrich des Grossen“. Solche Testamente grosser Männer – wenn sie überhaupt vorhanden sind und als Testamente durchaus aufgefasst werden sollen – sind im besten Falle in allgemeinen, grossen Zügen gehalten, schliessen grosse Gedanken in sich, aber berühren die Politik der kommenden Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte höchstens in Umrissen, schon aus dem Grunde, weil der grosse Mensch wohl die Verhältnisse allgemein zutreffend beurteilen kann, niemals aber die kommenden Menschen sieht, welche in die Verhältnisse einschneidend hineingreifen. Solche Testamente könnten, wenn sie ins Detail gehen, nach Ablauf der fixierten Zeitläufe dem Fluch der Lächerlichkeit verfallen, und grosse Menschen thun nichts Lächerliches. Peter des Grossen Blick war von Anfang seiner Regierung an auf ein Ziel gelenkt, dessen Erreichung er mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit verfolgte: Anschluss an das Meer, Beteiligung Russlands am Weltverkehr! Sein Hauptmeer aber war die Ostsee, von der man kürzlich in russischen Blättern als von der „Preussischen Pfütze“ sprach, die aber trotzdem auch heute noch für Russland den wichtigsten Meeresteil an seinen Küsten bildet und die Mutter seiner Seemacht ist. Möglicherweise hat Peter der Grosse in Ansehung des bereits zu seiner Zeit stark bemerkbaren Rückganges der Türkenherrschaft schon an die Besitzergreifung der Position am Goldenen Hörn gedacht, aber wenn das auch zutreffen und in seinem angeblichen Testament niedergelegt sein sollte, so hat er sicher von dem Umfang der Expansion der Russen nach Asien hinein, nach Osten und Südosten hin nichts geahnt. Mit der Amurfrage, dem Japanermeer, mit der Besitzergreifung der Mandschurei (mit dem Blick auf Korea), mit dem Stillen Ozean, mit Indien und Persien hat Peter des Grossen Testament ganz sicher nichts zu thun, wenn auch verlautete, der Zar hätte die Amurmündung als einen für die Entwickelung Russlands wichtigen Punkt bezeichnet. Die Amurmündungen waren zu seiner Zeit so unbekannt, wie sie es noch mehr als ein Jahrhundert später der ersten seefahrenden Nation, den Engländern, war, welche glaubten, Sachalin sei eine Insel. Am 1. August 1850 lief Kapitänleutnant Newelski. – sein Name ist heute fast vergessen – in die Amurmündung ein, nachdem er am 15. September 1849 seinem Chef Muraview im Hafen von Ajan durch das Sprachrohr von Bord des „Baikal“ zugerufen hatte: „Sachalin ist eine Insel! Der Eingang in den Amur-Liman von Norden und Süden für Seeschiffe möglich“ Russland im Stillen Ozean, Tilo v. Trotha. Felix' Militärverlag.. Peter der Grosse war damals längst tot, sein Haus im Mannsstamm erloschen, und kaum kann behauptet werden, dass er diese Verhältnisse gekannt hat. Als Zar Nikolaus I. gemeldet wurde, Leutnant Newelski habe an der Amurmündung die russische Flagge gehisst und von der Flussmündung Besitz ergriffen „im Namen des Zaren“, schrieb Nikolaus die für seinen Charakter bezeichnenden, den Offizier ehrenden Worte: „Wo die russische Flagge einmal aufgepflanzt ist, soll sie nie wieder sinken!“ – Diesen Ausspruch haben nach langer Zeit bei der Besetzung von Port Arthur und Talienwan der St. Petersburgkija Wjedomosti aufgegriffen und zur Würdigung gebracht, er erinnert an die thatkräftigen Worte, welche Kaiser Wilhelm II. zu Lübeck 1899 im Ratskeller sprach; Der sagte: „Das Fähnlein ist wohl leicht an die Stange gebunden, aber es kostet viel, es mit Ehren wieder abzunehmen.“ Er knüpfte – frei sprechend – an einen Spruch an, der ihm gegenüber auf die Wand das alten hansischen Ratskellers geschrieben war: „Latet uns dagen: Dat Fänlin is licht an de stang gebunden, awer et kostet veel et mit ehren aff to nehmen.“ – Die Aeusserung des Zaren ist um so bemerkenswerter, als Nikolaus I. ganz und gar kein Freund von weit ausgreifenden Marineoperationen war. Es hat thatsächlich den Anschein, als ob Russland fast alle seine Mittel, die es auf die Marine verwendet, in die Ostseeflotte zu stecken beabsichtigt. Welche Zwecke damit verfolgt werden, gehört nicht hierher, entzieht sich zur Zeit auch der Beurteilung, bis auf den natürlichsten und klarsten Punkt: So stark als möglich überhaupt sein zu wollen. Es sind aber die kriegsmässig verfügbaren Kräfte der baltischen Flotte in ihren Hauptgefechtseinheiten keineswegs in der Ostsee, sondern in Ostasien, im Mittelmeer oder in Fahrt von und zu diesen Stationen. Die eigentliche in der Ostsee verwendbare Flotte unter dem blauen Georgskreuz ist nur sehr gering mit Linienschiffen und starken Kreuzern dotiert, wohl aber mit einigen neuen, einer ganzen Anzahl alten Küstenverteidigern, und diejenigen, welche nur eine „Verteidigung“ der deutschen Küsten erstreben, können, was Russland anbelangt, ruhig schlafen; zur Abwehr von Angriffen dorther genügt die deutsche Flotte schon längst. Die russische baltische Flotte zählt fertig zehn moderne Linienschiffe, drei Typ „Sebastopol“ („Poltawa“, „Petropawlowsk“), 10960 t gross, bald nach den vier Schiffen der deutschen „Brandenburg“-Klasse begonnen, den 8880 t grossen „Ssissoy Velicki“, abgelaufen am 1. Juni 1894 auf der Admiralitätswerft St. Petersburg; „Navarin“, 9475 t, abgelaufen 15. Oktober 1891; „Oslablja“ und „Pereswjet“, 12674 t gross, 1898 vom Stapel gegangen; „Pobjeda“, ein Schwesterschiff, abgelaufen auf der Baltischen Werft am 24. Mai 1900; „Retwisan“, 12700 t gross, abgelaufen bei Cramp and Sons, Philadelphia, am 16. Oktober 1900, und „Cäsarewitsch“, 13100 t, am 23. Februar 1901 auf der Werft La Sayne bei ToulonWird September 1902 abgeliefert.. In Ausrüstung befinden sich zwei von 13516 t, „Borodino“ und „Imperator Alexander III.“, abgelaufen in St. Petersburg am 9. September bezw. am 2. August 1901. In Bau liegen drei gleiche, „Slawa“, „Orel“, „Knjaz Suwaroff“, alle drei in St. Petersburg. „Pobjeda“, „Pereswjet“, „Oslablja“ und „Cäsarewitsch“ haben drei Schrauben erhalten und es hatte eine Zeit lang den Anschein, als ob Russland wie Deutschland das Dreischraubensystem bei seinen Linienschiffen einführen wolle; die meisten jedoch erhalten zwei Schrauben. Zwei weitere Linienschiffe von 8440 t, „Imperator Nicolaj I.“ und „Imperator Alexander II.“, sind etwas über 12 Jahre alt und modernisiert, das alte Turmschiff „Peter der Grosse“ ist trotz Umbaus als veraltet zu betrachten. Sieht man von diesem Schiff ab, so besitzt Russland fertig, in Bau und Ausrüstung in der baltischen Flotte 17 Linienschiffe von 199509 t Deplacement. Die Schwarze Meerflotte mit acht Linienschiffen von 91168 t hinzugerechnet, ergibt 25 Linienschiffe von 290677 t, wovon 19 von 210512 t Wasserverdrängung fertig sind. Panzerkreuzer zählt Russland fertig 13, wovon jedoch fünf („General Admiral“, „Herzog von Edinbourg“, „Minin“, „Wladimir Monomach“, „Dimitri Donskoi“) als veraltet angesehen werden müssen, was auch noch für den 17 Jahre alten, 8500 t grossen „Admiral Nachimoff“ zutrifft, der jedoch in den vorigen Jahren modernisiert wurde. Die übrigen sieben – „Pamjat Azowa“, 6600 t, Stapellauf 1888; „Rurik“, 10933 t, Stapellauf 5. Oktober 1892; „Rossija“, 12 200 t, 12. Mai 1896; „Gromoboi“, 12385 t, abgelaufen 20. Mai 1899; „Bajan“, 7800 t, abgelaufen 12. Juni 1900 zu La Sayne bei Toulon; „Warjak“, 6500 t, abgelaufen 31. Oktober 1899 bei Cramp and Sons, Philadelphia, und „Ascold“, 6500 t, vom Stapel März 1900 auf der Germania-Werft, Kiel. In Bau liegt noch „Witjaz“ von 6350 t auf der Werft der neuen Admiralität zu St. Petersburg. Grosse geschützte Kreuzer sind nur zwei fertig, „Admiral Korniloff“, 5800 t gross, 15 Jahre alt, und „Swjetlana“, 3862 t gross, 1898 von Frankreich bezogen, wo sie am 6. Dezember 1896 zu Havre zu Wasser kam. Drei weitere von 6630 t, „Pallada“, „Diana“, „Aurora“, haben ihre Probefahrten beendet und sind Frühjahr 1902 ebenfalls seeklar. Drei, über deren Abmessungen noch Näheres nicht bekannt ist, „Oleg“, „Jemischny“, „Izumrud“, kommen Frühjahr 1902 in Bau zu St. Petersburg. Das wären an modernen Panzer- und grossen geschützten Kreuzern fertig, in Bau oder in Ausrüstung, einschliesslich „Nachimoff“, ausschliesslich der in Bau kommenden, 14 von 107320 t der baltischen Flotte, wozu in der Schwarzen Meerflotte noch zwei mit 13000 t treten. Russland hat sich vom Bau gepanzerter Küstenverteidiger nicht frei gemacht, es baut solche heute noch, während man in allen grossen Marinen, mit alleiniger Ausnahme der Vereinigten Staaten, sie seit längerer Zeit nicht mehr in Bau nimmt. Drei von je 4126 t, „Admiral Uschakoff“, „Admiral Senjavin“, „Admiral Apraxin“, wurden in den Jahren 1893 bis 1896 gebaut, ein vierter, „Admiral Butakow“, der 6000 t gross wird, ist April 1900 auf der Neuen Admiralität begonnen worden. An neuem Material sind noch vier gepanzerte, 1492 t grosse Kanonenboote, „Grosjaschi“, „Gremjaschi“, „Otwaschni“ und „Chrabri“, aus den Jahren 1890 bis 1895 vorhanden. Sonst ist für die Küstenverteidigung eine Menge von Schiffen und Fahrzeugen in den Listen, doch hat dieses Material, obwohl teilweise in Dienst gehalten, höchst zweifelhaften Wert, weil es gänzlich veraltet ist und bildet eigentlich einen Ballast für die Marine. Sieben 3000 bis 4000 t grosse Panzer von 1863 bis 1868, zwölf Monitors von 1560 t, davon elf vom Jahre 1864, einer von 1867, sind da; dazu zehn Kanonenboote Typ „Staunch“, die sogen. schwimmenden Lafetten. Kleine geschützte Kreuzer sind in geringer Zahl vertreten. „Rynda“, 3500 t gross vom Jahre 1885, nur 14 Meilen schnell, ist veraltet. Im Jahre 1900 lief „Novic“ am 15. August auf der Werft von F. Schichau (jetzt im Alleinbesitz von Ziese und Frau), ab, ein 3000 t grosses Dreischraubenschiff, das bei der Probefahrt am 18. Juli 1901 zwischen Hela und Brüsterort hin 25,03, zurück 25,4 Meilen im Maximum gelaufen ist. Am 8. Juni 1901 lief auf der Werft von Burmeister und Wein, Kopenhagen, der gleich grosse „Bojarin“ ab, welcher an Schnelligkeit „Novic“ erreichen soll. Ein drittes Schwesterschiff „Alias“ wird auf der Baltischen Werft, St. Petersburg, gebaut. Hinzuzurechnen ist noch das Schulschiff „Othean“. Für die Torpedoflotte wird viel gethan. Es gibt sechs Torpedokreuzer, von denen jedoch zwei der sibirischen Flotte zugeteilt wurden, 36 Torpedobootzerstörer sind teils fertig, teils im Bau. Zwei, „Sokol“ und „Som“, stammen aus England, zwei lieferte Normand, Havre, drei La Sayne, Toulon, vier F. Schichau, Elbing, die anderen sind russischer Provenienz und zwar teilen sich darin die Werften von Ochta, Izora, Neva, Creighton und die Admiralitätswerft. Es gibt 65 Torpedoboote erster Klasse, wovon zwölf der Flotte Sibiriens überwiesen wurden, für welche auch neun der angeführten Torpedobootzerstörer bestimmt sind. Weitere zwölf Torpedobootzerstörer sind vorgesehen. Was die eigentliche sibirische Flotte anbelangt, so besteht sie, ausser den angeführten zwei Torpedokreuzern und neun Torpedobooten, aus vier Kanonenbooten, sechs Transportschiffen und hat keinen eigentlichen Gefechtswert. Von den Streitkräften, über welche die baltische Flotte verfügt, befinden sich nun, wie vorn gesagt, die besten fertigen Schiffe nicht in der Ostsee, sondern in Ostasien und im Mittelmeer. Das Ostasiatische Geschwader, das bis zur Fertigstellung von Port Arthur seinen eigentlichen Stützpunkt noch immer in Wladywostock hat, sollte Ende 1901 folgende Schiffe zählen: Linienschiffe „Poltawa“, „Petropawlowsk“, „Sebastopol“, „Pereswjet“, „Retwisan“, „Navarin“, „Ssissoy Velicki“. Panzerkreuzer „Gromoboi“, „Rossia“, „Ruric“, „Bajan“, „Admiral Nachimoff“, „Wladimir Monomach“, „Dimitri Donskoi“. Geschützte Kreuzer „Bogatyr“, „Warjac“, „Ascold“, „Admiral Korniloff“ und „Novic“, abgesehen von leichten Schiffen und Torpedofahrzeugen. Alle diese Kräfte sind jedoch nicht angelangt, „Novic“ beispielsweise überwintert zu Danzig, „Retwisan“ hat erst September 1901 seine Probefahrten begonnen. Diese 19 Schiffe haben rund 168000 t Deplacement. – Es ist interessant, Englands Chinageschwader zum Vergleich heranzuziehen. Dasselbe besteht zur ZeitNavy Litt. der Unit. Serv. Gaz., 4. 1. 1902. aus: Linienschiffe „Glory“, „Goliath“, „Albion“, „Ocean“ und „Victorious“. Panzerkreuzer „Cressy“ und „Orlando“, geschützte Kreuzer von 30001 und darüber „Terrible“, „Argonaut“, „Blenheim“, „Endymion“, „Pique“, „Arethusa“ und „Talbot“, zusammen 14 Schiffe von 141000 t. Das absolute Uebergewicht über Russland in Ostasien besitzt danach England allein nicht, doch muss man bedenken, dass hinter Englands Chinageschwader mächtige Reserven stehen, hinter Russlands dort versammelter Flotte – nichts. Das Mittelmeergeschwader Russlands hat den schon etwas veralteten „Imperator Nicolaj I.“ als Flaggschiff, dazu den kleinen Kreuzer „Rubanez“, Kanonenboot „Chrabry“ und den Torpedokreuzer „Abrec“ nebst zwei Torpedobooten, bildet also eine sehr schwache Reserve. In nächster Zeit wird Russland noch nicht in der Lage sein, den Bedarf seiner Marine an Neubauten selbst zu decken, aber der Aufschwung ist ein ganz enormer und bei der Unangreifbarkeit des Riesenreiches und seiner fortschreitenden inneren Entwicklung wird auch der Zeitpunkt kommen, an welchem Russland auch im Schiffbau selbständig dastehen wird. Die neue russische Flotte ist eine ausgesprochene Offensivflotte, eine Hochsee-Kampfflotte, nur mit dem allernotwendigsten Kreuzermaterial ausgestattet. Die Küstenverteidigung, die sich für Russland in Anbetracht der Küstenbildung in der Ostsee sehr günstig stellt, wird alten oder minderwertigen Schiffen und der Torpedoflotte überlassen. Eine Kreuzerflotte ist unnötig, denn ausser Sachalin besitzt Russland keine Kolonien und die Handelsflotte ist so gering und so schwer zu fassen, da sich ⅔ im Schwarzen und Kaspischen Meer befindet, dass man auf ihren Schutz verzichten kann. Die Herrschaft über die Ostsee ist anscheinend für Russland nicht mehr von Wert; im Weissen und Schwarzen Meer ist kein Gegner vorhanden, den Russland ernstlich zu fürchten braucht, und so baut man – für die Herrschaft an den Küsten Ostasiens. –––––––––– Anmerkung. Dezember 1901 traten die Heimreise von Ostasien an: „Ssissoy Velicki“, „Navarin“, „Wladimir Monomach“, „Dimitri Donskoi“, „Admiral Korniloff“. – Das Stille-Ozeangeschwader setzt sich nach Abrechnung dieser Schiffe folgendermassen zusammen: Linienschiffe „Petropawlowsk“, „Poltawa“, „Ssewastopol“, „Pereswjet“. Panzerkreuzer „Admiral Nachimoff“, „Rurik“, „Rossija“, „Gromoboi“. Geschützter Kreuzer „Warjac“. Zusammen neun grosse Schiffe von 96386 t. Dazu kommen zwei Panzerkanonenboote, vier kleine Kreuzer, zwei Torpedokreuzer, zwei Min en dampf er, zwei Kanonenboote, sechs Torpedobootzerstörer, zusammen 18 Schiffe und Fahrzeuge von 17659 t. Zwölf Torpedoboote von 220 t werden in Port Arthur zusammengesetzt, zwölf von 100 bis 185 t sind fertig, vier von 312 t, „Kefal“, „Losos“, „Ossetr“, „Forel“, in Havre gebaut, treten demnächst den Marsch nach Ostasien an. Mit Ausnahme der beiden Panzerkanonenboote werden die leichten Schiffe und Fahrzeuge zur „sibirischen“ Flotte gerechnet. Die Veröffentlichung des japanisch-britischen Bündnisses scheint in Russland schon vorher bekannt gewesen zu sein, wenigstens lassen sich die Verminderungen des Schiffsmaterials auf diese Weise erklären. Der leidende Teil wird auf die Dauer zweifellos der Japaner sein müssen, denn Russland in der Verfolgung seiner Absichten auf dem Festland hindern zu wollen, hat die englisch-japanische Koalition nicht die Macht. Der künstliche, krankhafte Hochdruck, unter dem Japan der europäischen Kultur sich anzuschliessen bemüht, ist schon im Schwinden begriffen. Es fehlt Japan, wie allen asiatischen Reichen, die Stetigkeit, der zähe Erhaltungstrieb des Errungenen und der Gedanke, eine Grossmacht werden zu wollen, ist eine asiatische Naivität. Durch das Bündnis glaubt England sich in Ostasien eine auf dem Festland gegen Russland verwendbare Macht für seine Interessen gesichert zu haben, aber die Armee Japans hat erst noch die Feuerprobe gegen einen ernsthaften Gegner zu bestehen. Die zwar sehr imposante moderne Flotte Japans schwimmt fertig, aber kein einziges grosses, gefechtsstarkes Schiff befindet sich in Bau oder Ausrüstung und die, fertige Flotte, mit verschwindenden Ausnahmen, sowie die meisten grossen Handelsdampfer hat – England geliefert.