Titel: Russlands Ingenieurbauten.
Autor: E. A.
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 387
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Russlands Ingenieurbauten. Russlands Ingenieurbauten. 1. Eisenbahnen. Die älteste russische Eisenbahn Zarskojeselo-Petersburg wurde April 1838 eröffnet; ihr folgte 1851 die Nikolausbahn Petersburg-Moskau in einer Länge von 609 Werst. Diese Linie wurde von Anbeginn an doppelgeleisig angelegt und mit sämtlichem Bedarf aufs vollkommenste ausgerüstet. Die Anlagekosten stellten sich auf 64664751 Rubel oder auf 107000 Rubel für 1 Werst. Im Jahre 1868 wurde sie von der grossrussischen Eisenbahngesellschaft zum geschätzten Wert von 80096324 Rubel oder zu 123000 Rubel für 1 Werst übernommen und ging 1894 mit einer Abfindungssumme von 217000 Rubel für 1 Werst an den Staat über. Der Verkehr war stets im Steigen. 1867 besass die Linie 162 Lokomotiven und wurden 780000 Reisende, sowie 10252000 Pud Güter befördert, 1890 betrug die Anzahl der Lokomotiven 522, die Jahresbeförderung 4252000 Reisende und 377098000 Pud Güter; es waren aber auch an die Nikolaus-Linie als Stammlinie eine ganze Anzahl Zweiglinien angeschlossen. Der Reingewinn bezifferte sich 1852 auf 1651000 Rubel, 1870 auf 9407000 Rubel, 1894 auf 15700000 Rubel, 1898 auf 16169000 Rubel, im letzteren Jahre betrug die Gesamteinnahme dieser Linie 32091000 Rubel. Im März 1891 wurde mit dem Bau der sibirischen Eisenbahn begonnen. In diesem Zeitpunkt besass Russland etwa 34625 km ausgebaute Bahnen (davon etwa 15200 km Privatbahnen). Im Laufe der Jahre 1891 bis 1900 einschliesslich wurden dann jährlich folgende Streckenlängen neu eröffnet: Jahr 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 km 126 522,5 1803 2257 2021 2422,5 2553 3055 3394 4722 Insgesamt wurden 22876 km innerhalb dieses Zeitraums dem Verkehr übergeben, davon entfallen 6034 km auf die sibirische Bahn. Die sibirische Bahn hat eine Gesamtlänge von 7783 Werst oder 8030 km und waren bis Mitte Februar d. J. 780000000 Rubel auf dieselbe verausgabt, während der endgültige Ausbau 850000000 Rubel kosten wird. Gegen Ende des Jahres 1900 besassen die Eisenbahngesellschaften im europäischen und asiatischen Russland 12187 Lokomotiven, von welchen 4760 oder 39 v. H. vom Ausland bezogen waren, alle übrigen waren in Russland gebaut. Für den Güterverkehr fanden 81 v. H. der Gesamtzahl Verwendung. Die übrigen 19 v. H. dienten dem Reiseverkehr. Die russische Staatseisenbahn besass 8690 Lokomotiven, von denen 3030 oder 35 v. H. im Ausland hergestellt waren, während 5660 in Russland selbst entstanden. Im Jahre 1901 beorderte die russische Staatsbahn 1233 neue Lokomotiven, 23474 neue Güterwagen und 20603572 Pud Bahnschienen. Die Lokomotiven wurden geliefert: 135 Stück von Briansk, 27 Stück von Wotkinsky, 144 Stück von Hartmann, 117 Stück von Newski, 212 Stück von Poutiloff, 161 Stück von Sormowo, 196 Stück von Kharkoff. Für das laufende Jahr sind an Neuanschaffungen geplant: 1150 Lokomotiven, 2250 Güterwagen, 19000000 Pud Bahnschienen. Der Durchschnittspreis für eine Lokomotive stellt sich in Russland auf etwa 37500 Rubel oder 81800 M., für einen Güterwagen auf etwa 1385 Rubel oder 3272 M. Die noch im Bau befindlichen Linien haben eine Länge von 5681 Werst oder 6060 km, deren Fertigstellung einen Geldaufwand von 420305000 Rubel erfordern wird. Auf der sibirischen Bahn hat sich bereits mit Eröffnung der Teilstrecken der Verkehr von Jahr zu Jahr gehoben. Das Gesamtgewicht der auf dieser Bahn geförderten Güter betrug im Jahre 1900 42800000 Pud, 1899 39660000 Pud. An Korn wurde im Jahre 1900 17500000 Pud befördert, namentlich die Strecken Tscheliabinsk und Petropawlowsk kommen hier in erster Linie in Betracht. Der Getreideverkehr wird sich voraussichtlich mächtig entwickeln. Die Güterbeförderung des Jahres 1900 umfasst ferner: 5647 Stück Pferde und 9705 Stück anderes Vieh, 320000 Pud Häute, 665000 Pud Butter, 2 492000 Pud Fleisch, 1594000 Pud Thee, 1139000 Pud Kohlen u.s.w. Von der Butter wird ein Teil bis nach England ausgeführt. Sibiriens Bevölkerung ist zur Zeit noch sehr dünn (etwa ein Einwohner auf 2 qkm) und weiss von den Bedürfnissen europäischer Bildung heute natürlich noch weniger wie die eigentlichen Russen. Für die Entwicklung des Bahnverkehrs kommen in erster Linie die Bezirke Tomsk und Irkutsk mit ihren gleichnamigen Hauptstädten in Betracht, die zur Zeit noch sehr auf europäische Erzeugnisse – wie landwirtschaftliche Maschinen, Mühleneinrichtungen für Getreide und Oel, Maschinen für Butterbereitung, Brennerei, Schlachthäuser, Lohgerberei, Bergbau (Gold, Eisen, Platinum, Kohle, Salz), Sägereien, Cementwerke, Ziegeleien u.s.w. – angewiesen sind. Ende des Jahres 1899 bestanden in Russland 36 Cementwerke, davon war eines im Stillstand; die meisten von ihnen liegen im alten Königreich Polen. – Das erste Cementwerk in Russland wurde im Jahre 1856 eingerichtet, während der folgenden 30 Jahre wurden verhältnismässig wenig Werke gegründet, erst in den Jahren 1890 his 1900 erfolgte eine grössere Unternehmungslust auf diesem Gebiet. – Die Auskehr von 21 Werken betrug im Jahre 1899 3500000 Fässer zu je 170 kg, also rund 595000 t. Die Höchstleistung von 24 Werken ist auf 5500000 Fässer oder 935000 t veranschlagt. Vier Werke stellen Romancement, ein Werk Sandcement, die übrigen meistens Portlandcement her. Es sollen also in den ungeheuren von der Bahn dem Verkehr eröffneten Länder strecken (Sibirien umfasst 12518500 qkm, Europa ausschliesslich des europäischen Russlands 4328525 qkm, das europäische Russland 5418526 qkm, das asiatische Russland ausschliesslich Sibirien etwa 4000000 qkm) nicht nur die Reichtümer des Bodens dem Weltverkehr erschlossen werden, es sollen auch die Menschen- und Maschinenkräfte zur Erfüllung dieser Aufgabe hierher geschafft werden. Nachdem durch die Wendung des chinesisch-japanischen Krieges im Jahre 1894 und die Besetzung von Wei-hai-Wei durch die Engländer den Russen die Gelegenheit geboten war, ihrerseits Port Arthur zu besetzen, ist jetzt Dalny, eine Aussenstadt zur Fewtung Port Arthur, als Endpunkt der sibirischen Bahn ausersehen. Es hat gegen Wladiwostock den Vorteil der Eisfreiheit, ausserdem ist es nicht so unmittelbar unter den Geschützen Japans, welches in der Strasse von Tsusima den Weg von und nach Wladiwostock beherrscht und damit auch den Schlüssel zur politischen Machtentfaltung Russlands im fernen Osten in der Hand hatte. Port Arthur, von Li-hung-tschang als Vizekönig zu einem Kriegshafen erster Klasse mit ungeheuren Kosten ausgebaut, hat eine enge Hafeneinfahrt und ein Hafenbecken von 420 m Länge bei 320 m Breite mit einer Wassertiefe von 8 m bei Ebbe, ein noch von China angelegtes Trockendock von 118 m Länge und 24 m Breite. Der Eingang zum Hafen kann durch das Versenken eines Schiffes gesperrt werden. Für eine Macht wie Russland war es daher ein schwacher Stützpunkt und ist seit der Besitzergreifung fortwährend ausgebaut, auch war es eine Notwendigkeit, einen Endpunkt für die Eisenbahn ausserhalb der Festung zu schaffen. Demzufolge wurde eine ganze Aussenstadt, Dalny, das Geschäftsviertel Port Arthurs, nach einem wohlüberlegten und grossartig aufgefassten Plan mit breiten, baumbepflanzten Strassen – die rechtwinklig zu einander laufen – angelegt. Heute schon hat die Stadt, deren Hafenanlagen am 25. Juli v. J. durch den Gouverneur von Port Arthur dem Verkehr übergeben wurden, 50000 Einwohner, darunter 23000 Arbeiter, und wird sich daher bei der Wichtigkeit, die es für den Handel hat, sehr bald und stark vergrössern, wie denn ja auch Russland selbst diesen östlichen Endpunkt seiner sibirischen Bahn zum bedeutendsten Mittelpunkte des Welthandels im fernen Osten, zu einem ostasiatischen Hamburg für Russland erheben möchte, dafür sprechen jedenfalls alle schon jetzt vorgesehenen Einrichtungen in Form von Verwaltungsgebäuden, Kirchen, Schulen, Theatern, Vereinsgebäuden u.s.w., ebenso sind Maschinenwerkstätten zur Instandhaltung von Lokomotiven wie Schiffsmaschinen angelegt, die allen Schiffen, welche im Hafen verkehren, zugänglich sind. Dalny soll Freihafen über den Begriff der Zollfreiheit hinaus sein. Jeder ohne Unterschied seiner Staatsangehörigkeit kann hier Landbesitz erwerben und in die Gemeindeverwaltung gewählt werden. Dieser Rat, der die Stadtangelegenheiten verwaltet, wird von den Steuerzahlern gewählt, es müssen aber mindestens zwei Mitglieder Russen sein und nicht mehr wie zwei dürfen Chinesen oder Japaner sein – um einer zu starken Vertretung der nächsten Nachbarn eine Grenze zu ziehen – und sonst ist jeder fremden Staatsangehörigkeit die Vertretung ermöglicht. Alle Staaten werden aufgefordert werden in Dalny Konsulate einzurichten. Während also Russland sonst bemüht ist, überall das Ausland auszuschliessen, und während die Regierung es bei Aufträgen zur Bedingung macht, dass die Herstellung in Russland erfolgt, – auch die Kriegsschiffe sollen von jetzt ab im Lande gebaut werden, bereits der letzte Geldbetrag in Höhe von 300000000 M. ist unter dieser Bedingung zur Verfügung gestellt – so wird hier jeder eingeladen, zur Hebung der russischen Weltmarktstellung beizutragen. Alle Zugeständnisse von heute lassen sich ja freilich später zurückziehen, wie sich bei Finnland und den Ostseeprovinzen zeigt. Schliesslich ist hier noch zu erwähnen, dass die Eisenbahn heute bereits Eigentümerin von 20 Dampfern ist, die Dalny mit den benachbarten japanischen, chinesischen und koreanischen Häfen verbindet und in Bälde sollen Schnelldampfer zwischen Dalny und Nagasaky die Verbindung mit den amerikanischen und europäischen Schnelldampfern herstellen und so die Eigenartigkeit der sibirischen Bahn für Reisen um die Welt zu Vergnügungs- und Geschäftszwecken vollendenVgl. auch 1900 315 496.. Die Reisedauer Moskau-Dalny ist bei derzeitiger Bahngeschwindigkeit auf 10 Tage berechnet und soll im Schlafwagen I. Klasse etwa 240 M. kosten. Die Entfernung London-Schanghai, für welche bisher mit Schnelldampfern 35 Tage mit Aufwendung von 1800 M. Fahrgeld nötig waren, wird unter jetzigen Verhältnissen 16 Tage und 640 M. Fahrgeld erfordern. Uebrigens werden auch hier durch den in Aussicht stehenden Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen noch manche Fortschritte zu erwarten sein. So ist denn mit nicht nachlassender und unendlicher Beharrlichkeit und Willenskraft eine Ingenieurarbeit beendigt, die nicht nur für ungeheure Landstriche neue Lebensbedingungen schuf, sondern auch dem Weltverkehr neue Wege eröffnete, deren Bedeutung und Ausbau sich heute kaum übersehen, sondern nur ahnen lässt, die aber jedenfalls für die Entwickelung Russlands in nächster Zukunft von unberechenbarer Tragweite und deren Rückwirkungen auf das deutsche Gewerbe hoffentlich ebenfalls günstige sein werden. Von den übrigen Eisenbahnbauten ist hier in erster Linie die Betriebs Verbesserung auf der russischen Südwestbahn zu erwähnen, welche die Verbindung der deutschen Städte Hamburg, Berlin, Leipzig, Breslau mit Odessa – Wagenwechsel in Wolotschisk – herstellt. Im Bau ist ferner die etwa 1850 km lange Bahn Orenburg-Taschkent. Eingeleisig und durch dünn bevölkerte Landstriche führend, folgt sie auf ihrer längsten Strecke dem Laufe des Sir Darja-Flusses und soll zum Beginn des Jahres 1905 betriebsfertig sein. Die Kosten sind auf 115000000 Rubel veranschlagt., die aber kaum ausreichen dürften. Diese Bahn hat vor allem militärische Bedeutung und dient dem Vorgehen Russlands auf Afghanistan mit Kabul und Herat. Die Vorarbeiten für die russisch-persische Bahn gehen ihrer nahen Vollendung entgegen. Dieselbe wird bei Rescht, westlich von der Mündung des Sefid-Rud ins Kaspische Meer beginnen und wird, soweit sich übersehen lässt, durch den westlichen Teil des persischen Reiches hindurchgeführt; sie berührt auf diesem Wege die am besten angebauten und fruchtbarsten Gebiete, welche sich ausserdem durch Wasserfälle auszeichnen, während der östliche Teilt mit seinen Salzsteppen und Einöden ausser Betracht bleibt. Die Bahn wird auf langen Strecken den Flussläufen folgen und an dem Fuss der Bergabhänge hinlaufen, bis sie sich von Teheran aus in südwestlicher Richtung fortsetzt, um durch das Thal des Karunflusses den persischen Golf zu erreichen. Die Bahn durchschneidet also Westpersien in einer nahezu geraden Linie in der Richtung von Nord nach Süd. Auf der Strecke bis Bender-Abbas wird die Bahn entlang der flachen Küste unterhalb der Gebirge fortgeführt. Die Bodenschwierigkeiten, auch Tunnel und Brücken, sind für die Legung der Bahn nach Möglichkeit vermieden, dagegen dürfte das ausserordentlich trockene Klima schon manche Unannehmlichkeiten im Gefolge haben. Die Länge der Bahnstrecke Rescht bis Bender-Abbas beträgt 1931 km. Eine Verbindung mit der von Deutschland zu bauenden Bagdadbahn über Kermanschah, der Hauptstadt des Bezirkes Ardilan, ist ebenfalls geplant und sind die dafür nötigen Durchforschungen und Vermessungen erledigt. Durch diese Bahn, die neben der Bedeutung für den Handel auch von grosser Wichtigkeit für die Entfaltung von Russlands Weltmachtstellung ist, sichert sich letzteres bis zu einem gewissen Grade die Unabhängigkeit vom Bosporus und Suezkanal. Die Entfernung von Bender-Abbas bis Karatschi beträgt 1126 km, bis Bombay 1690 km. Alle bisher behandelten Bahnbauten gelten dem Vorkampf der slavischen Völker gegenüber den anglosächsischen sowohl auf dem Gebiete des Handels als der politischen Führung, und werden früher oder später ihre umwälzenden Wirkungen im Gefolge haben. Aber auch sonst herrscht im Bahningenieurwesen in Russland eine grosse Rührigkeit vor, von welchem unter anderen Plänen vor allem zwei Pläne Zeugnis ablegen. Zuerst wird vom Staate die elektrische Schwebebahn Petersburg-Moskau, für welche sich die gestreckte Länge der Nikolausbahn ganz vorzugsweise eignet, in Erwägung gezogen. Die Kosten sind auf 90000000 Rubel, die jährlichen Betriebskosten auf 14000000 Rubel veranschlagt. Die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit ist mit 120 km/Std. angenommen, dürfte aber auf Grund der augenblicklich in Deutschland auf diesem Gebiete geführten Versuche noch bedeutend steigerungsfähig sein. Die Fahrkosten für 1 km sollen etwa 2 Kopeken oder 5 Pfennig betragen. Ein zweiter, vom russischen Verkehrsminister sehr befürworteter Entwurf ist eine Ringbahn für Petersburg, die als doppelgeleisige Hochbahn, 5,2 bis 10,05 m über Strassenhöhe, gedacht ist. Dieselbe soll im Zusammenhang mit dem Bau eines Hauptbahnhofs, für welchen das Obuchow-Krankenhaus als geeignetste Lage bezeichnet wurde, erbaut werden und erfordert nicht weniger wie elf Brücken über die Newa. Die Baukosten sind auf 190000000 Rubel berechnet. E. A.