Titel: Der Simplontunnel.
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 422
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Der Simplontunnel. Der Simplontunnel. Als vor einigen Monaten die Nachricht in die Oeffentlichkeit drang, dass die Bauarbeiten am Simplontunnel infolge einer Ueberschwemmung im Bergesinnern zu zeitweiligem Stillstand gekommen seien, dürfte bei vielen der Wunsch laut geworden sein, etwas Näheres von diesem grossartigen Ingenieurwerk zu hören, das an der schweizerisch-italienischen Grenze in der Ausführung begriffen ist. Zwar haben wir am Bau des Simplontunnels kein politisches Interesse wie seiner Zeit am Bau des Gotthardtunnels. Letzterer ist bekanntlich von Deutschland subventioniert worden, weil die Herstellung einer Bahnverbindung zwischen Deutschland und Italien durch die neutrale Schweiz im Gegensatz zu der durch Oesterreich führenden Brennerbahn für uns von grösstem Wert war. Aber dieser Tunnel übertrifft die seither erbauten Alpentunnels nicht nur an Länge, sondern auch an Kühnheit des Planes bei weitem. Bei seinem Bau sind ungleich grössere Schwierigkeiten zu überwinden. Dies hat dazu geführt, eine ganz neue, originelle Baumethode anzuwenden, mit deren Hilfe man den Tunnel in erstaunlich kurzer Zeit vollenden will. Der Simplontunnel bedeutet deshalb einen gewaltigen Fortschritt in der Geschichte des Tunnelbaus und verdient in technischer Hinsicht das grösste Interesse. Der erste der grossen Alpentunnel, der 12 km lange Mont-Cenistunnel, ist von italienischen Ingenieuren im Jahre 1871 nach 13jähriger Bauzeit vollendet worden. Der 15 km lange Gotthardtunnel, dessen Bau dem Genfer Ingenieur Favre übertragen war, konnte schon nach 9½-jähriger Bauzeit im Jahre 1882 dem Betrieb übergeben werden. Der Bau des Simplontunnels ist von der Jura-Simplonbahngesellschaft, der Eigentümerin des Bahnnetzes der Westschweiz, einer besonders zu diesem Zweck gegründeten Kommanditgesellschaft übertragen worden, welche die Firma fuhrt Baugesellschaft für den Simplontunnel, Brandt, Brandau und Co. in Winterthur. Neben dem genialen Ingenieur Alfred Brandt, dem berühmten Erfinder der Brandt'schen Gesteinsbohrmaschine und dem hervorragenden Tunnelingenieur Brandau, die der Firma den Namen gegeben haben, sind Kommanditäre die Firma Locher und Co. in Zürich, die sich auf dem Gebiet des Bahnbaus in der Schweiz sehr hervorgethan hat, ferner die weltberühmte Maschinenfabrik von Gebr. Sulzer in Winterthur, deren Teilhaber Sulzer-Ziegler Prokura für die Tunnelbaugesellschaft hat, schliesslich die Bank in Winterthur. Nach dem Bauvertrag muss der 20 km lange Tunnel für die feste Summe von 70 Millionen Franken in 5½ Jahren Vollendet werden. Für jeden Tag Terminüberschreitung Werden 5000 Franken als Strafe von der Bausumme in Abzug gebracht, falls nicht höhere Gewalt, wie Streiks ohne Verschulden der Unternehmung, Epidemien, Krieg o. dgl. die Verzögerung veranlasst hat, für jeden Tag früherer Vollendung sollen andererseits 5000 Franken Prämie gezahlt werden, doch dürfte dieser Fall kaum eintreten. Der erste Spatenstich ist am 1. August 1898 auf der schweizerischen Seite gemacht worden, einige Tage später haben die Arbeiten auf der italienischen Seite begonnen. Der Bauvertrag wurde am 13. November 1898 unterzeichnet, danach soll der Tunnel am 13. Mai 1904 vollendet sein. Wie einst Favre lange vor dem Durchschlag des Gotthardtunnels seine rege Seele aushauchte, so ist inzwischen auch Alfred Brandt bereits von dem Werk abberufen worden, das unzertrennlich mit seinem Namen verbunden ist. Der Simplontunnel soll die Westschweiz mit Oberitalien verbinden, das Nordportal oberhalb des Städtchens Brig im Rhonethal, das Südportal unterhalb des Dörfchens Iselle im Diveriathal. Schon Napoleon I. erkannte die Wichtigkeit einer guten Verbindung an dieser Stelle; er befahl nach der Schlacht bei Marengo den Bau einer Heerstrasse über den Simplonpass, noch heute ein ruhmvolles Zeugnis für die Tüchtigkeit seiner Ingenieure, und kürzte dadurch den damaligen Weg von Paris nach Mailand um 50 Meilen ab. Der Bahnverkehr geht heute noch auf einem Umweg, entweder durch den mehr südlich gelegenen Mont-Cenistunnel oder durch den mehr nördlich gelegenen Gotthardtunnel. Nach Vollendung des Simplontunnels wird die Länge des Schienenwegs von Paris nach Mailand um 80 km abgekürzt. Aber nicht nur aus diesem Grunde hofft die Jura-Simplonbahn den Verkehr von Frankreich, Belgien und England nach Italien an sich zu ziehen. Um im Konkurrenzkampf mit den anderen Bahnlinien des Erfolges noch sicherer zu sein, lässt sie den Tunnel als sogen. Basistunnel bauen, d.h. die Alpenkette wird am Fusse durchbohrt, an einer Stelle, die 450 m tiefer liegt als der Gotthardtunnel und 600 m tiefer als der Mont-Cenistunnel. Natürlich ist das Gebirge am Fusse viel breiter, der Tunnel wird deshalb länger, sein Bau kostspieliger, der Bahnbetrieb durch denselben wird jedoch billiger und vor allem viel schneller vor sich gehen, weil es nicht mehr nötig ist, die Züge so hoch hinauf zu fördern. Dem Beginn aller Bauarbeiten ist eine genaue Untersuchung der geologischen Verhältnisse des Simplongebiets vorausgegangen. Dieselbe ergab, dass die Reihenfolge des Gebirgsalters ununterbrochen von Süden nach Norden durchgeht. Das älteste Gestein ist Kalkglimmerschiefer, diesem ist Antigoriogneiss überlagert. Im Zentralmassiv bilden die Gneisse die Hauptmasse; nördlich schliesst sich an die kompakte Gneissmasse die ganze Reihe der krystallinischen Schiefer. Die jüngste Formation wird im Norden durch die Glanzschiefer und Gipse der Rhone gebildet. Letztere sind für den Fortschritt der Arbeiten am gefährlichsten. Für den Tunnelbau am günstigsten ist nämlich ein homogenes festes Gestein, das mechanische Bohrung zulässt, mit Dynamit gesprengt werden kann und keine oder fast keine Unterstützung braucht. Am schwierigsten sind die Arbeiten in einem Gebirge, das fast keine Konsistenz hat, bei der kleinsten Entblössung massenweise in Bewegung gerät oder mit Wasser geschwängert zu rinnen beginnt. Dann kann kein Centimeter Fortschritt ohne Verpfählung und Unterstützung gewonnen werden. Das Streichen der zu durchfahrenden Schichten ist am Simplon fast senkrecht zur Tunnelachse, das Fallen schwankt zwischen N. W. und S. O. Die Tunnelachse wurde auf Grund einer sehr exakten topographischen Terrainaufnahme festgelegt. Nachdem man sich für einen Basistunnel entschieden hatte, war die Lage des Nordportals durch geologische Verhältnisse, seine Höhe durch den Stand des Rhonehochwassers bestimmt. Die Lage des Südportals ergab sich aus klimatischen Verhältnissen bei der sogen. Strassengalerie von Iselle. Es ist dies eine Stelle des engen Diveriathals, an der zu beiden Seiten des Baches Felswände mehrere hundert Meter hoch aufsteigen, so dass die Strasse ganz in den Felsen eingehauen werden musste. Hier ist eine scharf ausgeprägte klimatische Grenze; thalaufwärts bleibt der Schnee im Winter mehrere Monate liegen, thalabwärts, über diese Stelle hinaus, fahren die Schlitten in zehn Wintern vielleicht einmal. Man wählte nun die Lage des Tunnelportals so, dass es vor dem Zuschneien geschützt ist, damit nicht später der Bahnbetrieb durch Schneefall gestört wird. Um während des Baues die Zufuhr zu den Installationen zu erleichtern, hat man das Portal in Höhe der Simplonstrasse gelegt. Nachdem die Lage der Tunnelportale auf diese Weise bestimmt war, ergab sich das Südportal 53 m tiefer liegend als das Nordportal. Um die einmal angenommene Lage der Tunnelmittellinie unverrückbar festzuhalten und stets kontrollieren zu können, ob die Arbeiten auch in der vorgeschriebenen Richtung fortschreiten, sind an jedem Portal in der Verlängerung der Tunnelachse kleine Observatorien errichtet, die mit vorzüglichen Fernrohren und Messinstrumenten ausgerüstet sind. Da der Tunnel, der ungefähr 19 km lang geradlinig verläuft, an seinen beiden Enden in Kurven an die freie Bahnstrecke anschliesst, so sind in direkter Verlängerung des geradlinigen Teils besondere Richtstollen nur zu dem Zweck hergestellt worden, um geradlinig von den Observatorien in den Tunnel hinein visieren zu können. Das Messen in gerader Linie ergibt nämlich genauere Resultate als das Messen in Kurven. Dass die Arbeiten, die gleichzeitig von den 20 km voneinander entfernten Portalen vorgetrieben werden, sich im Innern des Berges auch wirklich treffen, ist bei der Genauigkeit der Instrumente und Messmethoden ausser Zweifel. Uebrigens steigt der Tunnel von beiden Seiten nach der Mitte hin etwas an, damit während des Baues das dem Felsen entströmende Wasser bequem ablaufen kann. Von der Nordseite geht man mit dem Minimalgefälle für Wasserablauf 2‰ vor, in der Mitte wird eine Strecke von 500 m horizontal hergestellt, für die Südseite ergibt sich dann ein Gefälle von 7‰. Die grösste Schwierigkeit für den Bau des Tunnels ergibt sich aus seiner tiefen Lage. Je grösser die Ueberlagerung, d.h. je tiefer ein Tunnel unter dem Gipfel des Berges, um so höhere Temperaturen sind während des Baues zu erwarten. Am Simplontunnel dürfte die Temperatur auf 40° C. steigen. Beim Bau des Gotthardtunnels hat die übermässig feuchte Hitze, obwohl die Gesteinstemperatur nur auf 30° 0. stieg, bewirkt, dass mehr als die Hälfte aller Arbeiter erkranktenh und dass deshalb die Arbeiten zeitweilig nicht weiter geführt werden konnten. Die Bewältigung der hohen Temperatur bildet daher den Kernpunkt des ganzen Simplonprojektes. Von der befriedigenden Lösung dieser Frage hing die technische Ausführbarkeit ab. Nach eingehenden Studien kam man zu der Ueberzeugung, dieser Schwierigkeit am besten durch den Bau eines Doppeltunnels begegnen zu können. Im Gegensatz zu den anderen Alpentunnels baut man nicht einen zweigeleisigen Tunnel, sondern zwei, zu einander parallele, eingeleisige Tunnels, deren Mittellinien einen Abstand von 17 m haben, nur die 500 m lange, horizontale Strecke in der Mitte wird von vornherein zweigeleisig gebaut (Fig. 1 und 2). Man treibt zwar gleichzeitig von jeder Seite zwei zu einander parallele Stollen vor, aber vorerst wird nur der eine, nämlich der östlich gelegene, zum Tunnel ausgebaut, erst wenn dieser eingeleisige Tunnel für den Bahnbetrieb nicht mehr genügt, erfolgt der Ausbau des zweiten Stollens. Da nun in der Mitte des Tunnels eine zweigeleisige Strecke vorhanden ist, können dort Züge kreuzen. Eine kleine Station mit einem Stationsbeamten wird daselbst ihren Platz finden. So wird es möglich, die Züge schneller aufeinander folgen zu lassen und länger mit einem eingeleisigen Tunnel auszukommen. Man spart für einige Jahre die Zinsen des grossen Kapitals, das für den Ausbau des zweiten Stollens erforderlich ist. Ausschlaggebend für den Bau eines Doppeltunnels, bei dem die Menge der Ausbruchsmassen grösser ist als bei dem Bau eines einzigen zweigeleisigen Tunnels, war die Möglichkeit, die hohe Gesteinstemperatur besser bekämpfen zu können. Während des Baues benutzt man den einen Stollen als mächtiges Luftzuführungsrohr für den zuerst fertig zu stellenden Tunnel. Letzterer sei der Kürze halber als Stollen bezw. Tunnel I bezeichnet, der Parallelstollen als Stollen II. In diesen werden durch Ventilatoren sekundlich 50 cbm Luft eingeblasen; da der Stollen 2,4 m hoch und 3,2 m breit ist, ist sein Querschnitt 8 m2, die Luftgeschwindigkeit also über 6 m/Sek. Durch den jeweils letzten Querstollen, wie ein solcher alle 200 m zur Verbindung der Stollen I und II hergestellt wird, tritt die Luft in Stollen I über und gelangt durch Tunnel I ins Freie. An jedem Tunnelportal sind zwei Ventilatoren, direkt mit Turbinen gekuppelt, aufgestellt, die einzeln 50 cbm Luft von 243 mm Wassersäule liefern können. Dieselben können entweder hintereinander auf Druck oder nebeneinander auf Quantität gekuppelt werden, sie können entweder saugen oder drücken und sollen später auch für die Ventilation des fertigen Tunnels dienen. Auf diese Weise wird einmal den Arbeitsstellen im Tunnel frische Luft zugeführt, wozu auch schon ein viel kleineres Quantum ausreichen würde, ausserdem wird da, wo dieser Luftstrom durchgeht, eine rasche und bedeutende Abkühlung des Gebirges erzielt. Zu den Stollenorten, die ausserhalb des grossen Luftstromes liegen, wird die Luft mittels Wasserstrahlgebläsen getrieben, wobei sie gleichzeitig auf die Temperatur des Wassers abgekühlt wird. Textabbildung Bd. 317, S. 422 Fig. 1. Profil des eingeleisigen Tunnels bei starkem Seitendruck. In dem Bauvertrag ist festgesetzt, dass die Temperatur an den Arbeitsstellen höchstens 25 °C. betragen soll. Einmal ist den Ausbruchsmassen Wärme zu entziehen, ferner sind die Wände des fertig ausgebrochenen Tunnels abzukühlen. Nachdem eingehende Versuche über das Wärmeleitungsvermögen der am Simplon hauptsächlich vertretenen Gesteinsart, des Gneiss an gestellt worden waren, hat man berechnet, dass stündlich rund 1500000 Kalorien abzuführen sind. Im Winter wird die Ventilationsluft hiervon etwa 1000000 Kalorien aufnehmen, im Sommer kommt dieselbe jedoch gar nicht dafür in Betracht. Dann muss die ganze Wärme durch das Bohr- und Kühlwasser abgeführt werden, indem die Sprengstücke, die Stollen- und Tunnelwände damit bespritzt und die Luft durch Brausen und Strahlgebläse gekühlt wird. In Stollen II ist eine Kühlwaswerleitung verlegt, die durch Sulzer'sche Hochdruckzentrifugalpumpen von den Tunnelportalen aus gespeist wird. Um die Kühlwasserleitung im Innern des Tunnels den Wärmeeinwirkungen zu entziehen, muss dieselbe vorzüglich isoliert werden, wozu man anfangs sehr teure Blätterkohle, jetzt billigere Holzkohle verwendet. Von dem Mittel Luft durch Zerstäuben von Wasser abzukühlen, kann man aber nur bis zu einer gewissen Grenze Gebrauch machen, da ein zu starker Feuchtigkeitsgehalt der Luft das Transpirieren unmöglich macht und dadurch leicht Unwohlsein der Arbeiter hervorruft. Um Luft auf trockenem Wege abzukühlen, lässt man sie an Rippenkörpern vorbeistreichen, in deren Innerem Kühlwasser zirkuliert; wenn nötig, will man eventuell Eiskästen in die Stollen bringen und die Luft an diesen vorbeiführen. Textabbildung Bd. 317, S. 423 Fig. 2. Profil der zweigeleisigen Strecke in der Mitte des Tunnels. Ausmauerung entsprechend der Beschaffenheit des Felsens. Selbst wenn die Temperatur im Inneren des Simplontunnels noch höher ausfallen sollte, wie erwartet, so kann bei der angewandten Methode der Bau vielleicht verzögert, nie aber zum Stillstand gebracht werden; bei der starken Ventilation kann die Arbeit auch bei höherer Temperatur, allerdings mit etwas verminderter Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeiters fortgeführt werden. Voraussichtlich wird aber stets die volle Ausnutzung menschlicher Arbeitskraft möglich sein. Da die Erhaltung eines ständigen, geschulten Arbeiterkorps für das schnelle Fortschreiten des Unternehmens äusserst wichtig ist, ist auch sonst in sanitärer Hinsicht alles geschehen, um den Organismus der Arbeiter vor Schädlichkeiten zu schützen. Alle Arbeiter werden bei ihrer Aufnahme gründlich ärztlich untersucht. Die Schlafstellen werden ständig kontrolliert, damit nicht bei dem mehrmaligen Schichtwechsel innerhalb 24 Stunden ein und dieselbe Schlafstelle von mehr als einem Arbeiter benutzt Wird, auch die in den Tunnel mitgenommenen Lebensmittel unterliegen einer Kontrolle. Die Unternehmung stellt den Arbeitern besondere Arbeitskleider. Beim Verlassen des Tunnels gelangen die Arbeiter durch eine überdeckte Galerie nach der Badeanstalt, hier müssen sie die nassen und schmutzigen Arbeitskleider ablegen, die auf Kosten der Unternehmung gereinigt und getrocknet werden. Bevor sie ihre eigenen Kleider erhalten, sollen sie sich zum Schutz gegen Erkältung kalt abduschen. Wer sich entgegen der Vorschrift in den Arbeitskleidern nach Hause begibt, hat im Falle einer Erkrankung keinen Anspruch auf Krankengeld. Betrachten wir nun einmal näher den eigentlichen Tunnelbau. Wie erwähnt, treibt man einen Stollen vor, der viel kleineren Querschnitt hat als der fertige Tunnel. Dieser Stollen muss also nachher auf das durch die Grösse der Eisenbahnfahrzeuge bedingte Tunnelprofil erweitert, und um das Tunnelprofil stets in der vorgeschriebenen Ausdehnung zu erhalten, ausgemauert werden. Auch in festem Gestein, das sich selbst trägt, mauert man aus, Um das Gestein vor dem Einfluss der Witterung, der Lokomotivrauchgase und des Lokomotivdampfes zu schützen. Letzterer würde sonst in die Fugen eindringen, im Winter gefrieren und das Gestein losbröckeln. Beim Vortreiben des Stollens können wegen des beschränkten Raums gleichzeitig nur wenig Arbeiter thätig sein; was versäumt worden ist, kann also nicht etwa durch Anstellen einer grösseren Anzahl Arbeiter wieder eingeholt werden, wie dies bei den Erweiterungs- und Ausmauerungsarbeiten möglich ist. Die Schnelligkeit, mit der der ganze Tunnel vollendet werden kann, hängt deshalb in erster Linie von einem raschen Fortschreiten des Sohlstollens ab. Um den grösstmöglichen Stollenfortschritt zu erreichen, wird Tag und Nacht, Sonntag und Werktag mit 8stündigem Schichtwechsel weiter gearbeitet, nur an dem ersten Feiertag zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, sowie am Tage der heiligen Barbara, der Schutzheiligen der mit Sprengmitteln arbeitenden Bergleute, ruht hier die Arbeit. Es muss das Tunnelbausystem als das beste celten, welches den grössten Stollenfortschritt gewährleistet und bei welchem das Schritthalten der übrigen Ausweitungs- und Mauerungsarbeiten mit den geringsten Opfern möglich ist. Es ist nun die Frage, soll man den Stollen in die obere oder in die untere Hälfte des Tunnelprofils legen, d.h. soll man mit Firststollen oder mit Sohlstollen vorgehen? Ferner in welcher Weise nimmt man die Erweiterung des Stollens bis zum normalen Profil vor, wobei stets Rücksicht auf den leichten Transport der Ausbruchsmassen zu nehmen ist? Dass man einen Alpentunnel nur von den beiden Mundlöchern aus vortreiben kann, ist selbstverständlich. Das Mittel, welches man sonst häufig beim Bau längerer Tunnels zur Verkürzung der Bauzeit angewendet hat, nämlich durch einen seitlichen Stollen oder einen vertikalen Schacht die Zahl der Angriffspunkte zu vermehren, ist in dem Hochgebirge ausgeschlossen. Um die Vorzüge der am Simplon benutzten Methode zu erkennen, ist ein Vergleich mit dem Bauvorgang am Gotthardtunnel (Fig. 3) am zweckmässigsten. Dort wurde die sogen. belgische Methode angewandt, bei der mit Firststollen vorgegangen wird. Dieser wird dann rechts und links erweitert, bis der ganze obere Raum ausgehoben ist. Dann wird sogleich das obere Gewölbemauerwerk hergestellt, danach der Sohlenschlitz, schliesslich die Strosse ausgebrochen. Dann erst kann das Widerlagsmauerwerk und zum Schluss das Sohlengewölbe, wo ein solches nötig ist, hergestellt werden. Man sieht sofort, dass beim Abteufen der Widerlager und Unterfangen des oberen Gewölbes grosse Vorsicht nötig ist, damit nicht Senkung oder Trennung desselben eintritt. In dem Sohlenschlitz sammelt sich leicht Wasser an und stört die Arbeiten. Das Sohlengewölbe kann erst nachträglich eingezogen werden (vgl. Fig. 1). Die Fundamente der Widerlager müssen hierzu stark blossgelegt werden und bewegen sich bei seitlichem Druck gegeneinander. Dieser seitliche Druck ist aber in weichem Gebirge stets vorhanden, somit dort das belgisghe System unbrauchbar. Wo Druckstellen verhältnismässig selten vorkommen, bei meist festem Gebirge wie am Gotthard, geht es noch, dort ergibt sich aber der fernere Missstand, dass das Ausheben des Sohlenschlitzes nur von Hand vorgenommen werden kann, weil bei hartem Gestein beim Schiessen die herumfliegenden Sprengstücke das Firstgewölbe beschädigen. Textabbildung Bd. 317, S. 423 Fig. 3. Bauvorgang am Gotthardtunnel. 1 Firststollen; 2 Calotte; 3 und 4 Sohlenschlitz; 5 Strosse; 6 Kanal. Die Vorteile des belgischen Systems, die Favre einst zur Anwendung desselben bestimmten, sind einmal die Holzersparnis bei den Zimmerungsarbeiten infolge der sofortigen Herstellung des Firstgewölbes, ferner die erleichterte Ventilation, denn ein Stollen im obersten Teil des Tunnelprofils ist der natürlichste Kanal für die Ableitung der schlechten Luft. Im Gegensatz zur belgischen steht die englische Methode, die am Simplon angewendet wird. Bei dieser geht man mit Sohlstollen vor. In gewissen Abständen (vgl. Fig. 4) werden Aufbrüche nach dem oberen Profilteil hergestellt und von jedem Aufbruch nach beiden Seiten ein Firststollen vorgetrieben. Die Aufbrüche werden erst begonnen, nachdem der vorwärts liegende Querstollen durchgeschlagen ist. Man hat dann aber auch ziemlich schnell einen durchgehenden Firststollen hergestellt, so dass die beim Schiessen entstehenden schädlichen Gase sich nicht mehr in den Aufbrüchen festsetzen können und wieder eine leichte Ventilation möglich ist. Dann wird der Firststollen seitlich erweitert, also die Kalotte ausgebrochen, wobei die Ausbruchsmassen bequem durch die Aufbrüche in darunter stehende Wagen verladen werden können. Schliesslich wird die Scheidewand zwischen First- und Sohlstollen, sowie das Gestein rechts und links von dem Sohlstollen entfernt. Jetzt erst, nachdem das ganze Profil ausgebrochen ist, wird mit der Mauerung begonnen und zwar zuerst mit dem Sohlengewölbe, wo ein solches nötig ist. Die Methode bleibt deshalb auch im schlechtesten Gestein anwendbar. Ein Vorteil ist der, dass das Gestein durch den an der tiefsten Stelle des Profils gelegenen Stollen schnell entwässert wird. Vom Sohlstollen aus kann man leicht zu jedem beliebigen Punkt des Profils gelangen. Die Ventilation ist zwar etwas schwieriger als bei der belgischen Methode, aber die schnell erfolgende Herstellung eines Firststollens lässt diesen Nachteil kaum ins Gewicht fallen. Textabbildung Bd. 317, S. 424 Fig. 4. Baumethode am Simplontunnel. Die Arbeitslänge im Tunnel, d.h. die Strecke von „vor Ort“ bis zu der Stelle, die gerade fertig ausgemauert ist, muss möglichst kurz gehalten werden. Einmal wegen der leichteren Aufsicht, ferner weil eine kürzere Strecke leichter gut ventiliert werden kann. Am Simplon beträgt die Arbeitslänge rund 800 m, am Gotthard betrug sie seiner Zeit 2000 m. Dass es heute gelingt, einen Stollen weit schneller vorzutreiben als früher, dieser grösste Fortschritt des Tunnelbaus beruht auf der stärkeren Wirkung unserer heutigen Sprengmittel und auf der Vervollkommnung der Gesteinsbohrmaschinen. Die Erfindung des Dynamits war seiner Zeit für die Tunnelbautechnik ein grosser Gewinn, weil damit viel grössere Sprengwirkungen erzielbar sind, als mit dem früher verwandten Schwarzpulver. Man braucht für gleiche Felsmassen weniger Löcher zu bohren, spart also an Bohrzeit. Die Versuche mit flüssiger Luft als Sprengmittel, die am Simplon angestellt wurden, sind wieder eingestellt worden, nachdem ein günstiges Resultat innerhalb kurzer Zeit nicht erreichbar schien. Jede Verzögerung dieses Tunnelbaus ist mit grossen Geldverlusten verbunden, deshalb ist am Simplon nicht der Ort für längeres Probieren. Ebenfalls um die Bohrzeit abzukürzen ist von Ingenieuren unablässig an der Vervollkommnung der Bohrmaschinen gearbeitet worden. Bei dem Bau der ersten grossen Alpentunnels hatte man für die mechanische Bohrung Druckluft angewandt. Diese sollte in den Bohrmaschinen durch Expansion Arbeit leisten und dann noch zur Ventilation dienen. Nun stehen aber die Bohrmaschinen i. der Zeit nach dem Abschiessen, wo infolge des Dynamitrauchs die Ventilation am nötigsten ist, still, so dass doch in den meisten Fällen besondere Vorrichtungen für die Ventilation getroffen werden mussten. Die Kraftübertragung mit Druckluft hat an sich keinen guten Wirkungsgrad. Die Maschinen selbst waren als Stossbohrmaschinen konstruiert. Die lebendige Kraft des vorgeworfenen Bohrers mit meisselförmiger Schneide wurde mitbenutzt, um die Festigkeit des Gesteins zu überwinden, da der direkte Druck hierzu nicht ausreichte. In diesem System sind grosse Arbeitsverluste, sowie eine übermässige Reparaturbedürftigkeit begründet. Diese Uebelstände veranlassten seiner Zeit Brandt eine hydraulische Gesteinsbohrmaschine zu konstruieren. Er wandte ruhig wirkenden hydraulischen Druck an. Da es kein Gestein gibt, das eine grössere Festigkeit als Stahl besitzt, so vermögen die Kanten eines Stahlbohrers in jedes Gestein einzudringen und dasselbe zu zermalmen, wenn sie nur mit genügendem Druck angepresst werden. Zur Herstellung des Bohrlochs wandte Brandt Drehung des Bohrers an, die ebenfalls durch Wasserkraft bewirkt wird. Der Brandt'sche Bohrer ist ein ringförmiger Kronenbohrer, der einen möglichst grossen zentralen Kern stehen lässt und nur eine kleine, den Kern umgehende Ringfläche abbohrt. Dieser Kern, der dann von selbst abbröckelt, bedeutet eine bedeutende Ersparnis an mechanischer Arbeit. Auch wird durch die zentrale Bohrung des Bohrers das Abflusswasser geleitet, dieses wäscht den Bohrsand aus und kühlt den Bohrer. Die Vorteile der Brandt'schen Methode sind folgende: Der Wirkungsgrad von Presspumpen ist höher als der von Luftkompressoren; die Druckverluste in der Leitung sind gering, die Bohrmaschinen selbst arbeiten ruhig, stetig, ohne Stösse, fast geräuschlos und mit gutem Wirkungsgrad; die Abnutzung von Maschine und Bohrer ist gering. Infolge des hohen Wasserdruckes, am Simplon 100 at, fallen die Dimensionen klein aus, daraus folgt eine leichte Handhabung. Die Brandt'sche Gesteinsbohrmaschine ist im Laufe der Jahre durch die Firma Gebrüder Sulzer sehr vervollkommnet worden; die Konstruktion ist vereinfacht, die Zahl der beweglichen Teile verringert. Bei den Arbeiten im Stollen werden gleichzeitig mehrere solche Bohrmaschinen auf einer Spreize in Röhrenform befestigt, der sogen. Spannsäule, aus der ebenfalls ein hydraulischer Presskolben vorkriecht, der sich mit zermalmender Kraft gegen die Stollenwände klemmt. In Verbindung mit den Gesteinsbohrmaschinen ist von einem interessanten Detail des Bauprojektes zu berichten. Man wollte von dem Dorfe Bérisal, das senkrecht über der Tunnelröhre, 5 km vom Nordportal aus gerechnet, in einer Höhe von 700 m über der Tunnelachse liegt, ein Bohrloch nach der Tunnelsohle abteufen. Am Steinenbach, in einer Höhe von 1800 m ü. M. (das Nordportal liegt 687 m ü. M.), sollten 100 l Wasser per Sekunde gefasst und in geschlossenen Röhren zum Bohrloch und durch dasselbe in den Tunnel geleitet werden. Dieses Wasser hätte dann von selbst die nötige Pressung zum Bohrmaschinenbetrieb gehabt und wäre wegen seiner niedrigen Temperatur auch zu Kühlzwecken verwendbar gewesen. Man hat diesen kühnen Gedanken aufgeben müssen, weil kein Tiefbohrunternehmer die Garantie für das Gelingen des Bohrlochs übernehmen wollte. Die Tunnelbaugesellschaft selbst wollte in dieser Hinsicht kein Risiko tragen. Bei dem Vortreiben der Sohlstollen arbeiten gleichzeitig drei bis vier Bohrmaschinen, wobei ein Ingenieur der Bedienungsmannschaft angibt, wo und in welcher Richtung gebohrt werden soll. In etwa zwei Stunden ist eine hinreichende Anzahl Bohrlöcher hergestellt, die zur Aufnahme der Dynamitladungen bestimmt sind. Dann müssen die Bohrmaschinen soweit nach rückwärts transportiert werden, dass sie nicht durch die losgeschossenen Felsstücke Beschädigung erleiden. Die Arbeiter begeben sich in eine schützende, seitliche Nische. Nachdem die Schüsse gelöst sind, dauert es etwa eine Stunde bis der Dynamitrauch sich soweit verzogen hat, dass die Arbeitsstelle wieder zugänglich ist. Mit dem Wegräumen der losgeschossenen Felsstücke vergehen etwa drei Stunden, bevor es möglich ist, die Bohrmaschinen wieder „vor Ort“ in Thätigkeit zu bringen. Das Ganze nennt man sehr bezeichnend eine Attacke; sie dauert, Bohrzeit und Abräumezeit zusammen, etwa sechs Stunden und man kommt mit ihr 1¼ bis 1½ m im Felsen vorwärts. Dem Projekt des Simplontunnels liegt ein mittlerer täglicher Stollenfortschritt von 5,85 m zu Grunde, während der erzielte mittlere tägliche Fortschritt am Gotthardtunnel im günstigsten Monat nur 4,4 m betrug. Nachdem die Bohrzeit durch die Verbesserungen der Bohrmaschinen im Laufe der Zeit so erheblich abgekürzt worden ist, wäre es natürlich sehr erwünscht, wenn es gelänge auch die Abräumezeit zu verkürzen. Nach dem Schuss liegt das meiste Gestein gerade da, wo Platz für eine neue Bohrmaschinenaufstellung geschaffen werden muss. Gelingt es beim Sprengen die Schuttermassen auf eine viel grössere Länge zu verteilen, so ist das Geleise bis vor Ort schneller wieder fahrbar zu machen und die Bohrmaschinen können rascher wieder aufgestellt werden. Dies alles wollte Brandt mit seiner sogen. Schutterkanone erreichen. Im Augenblick des Schusses sollte aus einem Presskopf ein Gemisch von Presswasser und Pressluft austreten und die losgeschossenen Gesteinsmassen auf eine grössere Strecke verteilen. Die von Brandt getroffene Anordnung hat sich leider nicht bewährt; falls es den fortgesetzten Bemühungen der Ingenieure in Bälde noch gelingt, eine befriedigende konstruktive Lösung zu finden, so würde der Unternehmung daraus ein enormer Vorteil erwachsen und der Tunnel vielleicht noch vor dem kontraktlich festgesetzten Termin vollendet werden. Auch für die Förderung hat sich das Prinzip des Doppeltunnels vorteilhaft erwiesen. Die Aufgabe, die Ausbruchsmassen zum Tunnel hinaus, die Zimmerungshölzer, Mauerungsmaterialien, Werkzeuge u.s.w. in den Tunnel hinein zu transportieren, wird dadurch sehr erleichtert, dass man in Stollen II ein Rangiergeleise legen kann. Zum Bewegen der Wagen sind nur wenig Zugtiere vorhanden; hauptsächlich wird dies innerhalb der Arbeitsstrecke durch zwei kleine Lokomotiven bewerkstelligt, die mit Druckluft betrieben werden und vier bis fünf Wagen ziehen können. Aus einer Pressluftleitung füllen diese Lokomotiven ihre Luftbehälter mit Luft, die für 1½ bis 2 Stunden ausreicht, von Zeit zu Zeit abwechselnd nach. Damit die Luft, deren Spannung vor Eintritt in den Motor durch ein Reduktionsventil auf 14 at erniedrigt wird, sich bei der Expansion nicht so stark abkühlen kann, dass infolge der Kälte die Maschine entzwei geht, wird ihr Dampf von 14 at beigemischt. Am Beginn der Arbeitsstrecke steht ein kleiner fahrbarer Dampfkessel, aus dem die kleinen Lokomotiven ihre Dampfbehälter auffüllen. Neben dem fahrbaren Dampfkessel steht ein fahrbarer Apparat zur Acetylenerzeugung, der für 600 Flammen a 60 Kerzen ausreicht. Beide Wagen rücken beim Fortschreiten der Arbeiten mit vor. Der Transport der Wagen in und aus dem Tunnel erfolgt durch Dampflokomotiven, die so abnorm grosse Kessel haben, dass sie eine Stunde fahren können, ohne dass nachgeheizt wird. Dadurch wird also die Verschlechterung der Tunnelluft vermieden. Die Ein- und Ausfahrt erfolgt nur durch Tunnel I; bei der reichlichen Ventilation hat es keine Bedenken, dass die einfahrenden Personen dem Strom der verbrauchten Tunnelluft entgegenfahren. Der Verkehr erfolgt nach einem bestimmten Fahrplan, der streng innegehalten wird. Die Dampflokomotiven fahren bis zum Beginn der Arbeitsstrecke. Dort befindet sich eine kleine Station, die zur Regelung des Zugverkehrs mit einer ebensolchen am Portal telephonische Verbindung hat. Infolge der tiefen Lage der Tunnelportale ist die Kraftversorgung eine leichte. Der Kraftbedarf berechnet sich aus der Zahl der Bohrmaschinen, dem Kraftbedarf der Ventilatoren, der elektrischen Beleuchtung, Werkstätten u.s.w. Man stand nun vor der Wahl, entweder die an dem Portal vorbeifliessende Rhone bezw. Diveria zu benutzen oder Gebirgsbäche 2000 bis 2500 m hoch ü. M. zu fassen und zu den Installationsplätzen zu leiten, also entweder mit grossen Wassermengen und kleinem Gefälle, oder mit kleineren Wassermengen und grossem Gefälle zu arbeiten. Man entschied sich für das erstere, weil dabei der Bau und die Aufsicht der Anlagen während des Betriebs durch die bequemen Zufahrtstrassen sehr erleichtert wird. Im Hochgebirge hätte man, so lange Schnee liegt, gar keine Reparaturen ausführen können, wodurch der Tunnelbau grossen Störungen ausgesetzt gewesen wäre. Die Wasserkraftanlage ist in der Schweizerischen Bauzeitung, Jahrgang 1901 und 1902, ausführlich beschrieben. Hier sei in Kürze folgendes bemerkt. Die Entnahme des Wassers aus der Rhone erfolgt 4 km oberhalb des Tunnelportals, aus der Diveria 3200 m oberhalb Iselle. Beiderseits wird das Wasser zunächst in Ablagerungsbassins geklärt, um Geschiebe, Sand und Eis zurückzuhalten. Auf der Nordseite schliesst sich hieran ein quadratischer Zuleitungskanal von 1,9 × 1,9 m, der in armiertem Beton, System Hennebique, ausgeführt ist. Derselbe hat 1,2 ‰ Gefälle. Alle 5 m ist er durch Mauerklötze oder Betonpfeiler unterstützt. Um den durch Temperaturänderung bewirkten Längsverschiebungen Rechnung zu tragen, haben die Kanalwände über jeder Unterstützung Fugen, der halbkreisförmige Vorsprung eines Stückes passt in die entsprechende Vertiefung des nächsten. Die Fugen sind mit Cement ausgegossen; gehen sie soweit auseinander, dass Wasser durchsickert, so kann mit frischem Cement leicht nachgeholfen werden. Thatsächlich geht sehr wenig Wasser verloren. Der Zuleitungskanal endigt in dem „Wasserschloss“, an das sich einmal die Leerlaufleitung, andererseits die 1497 km lange Druckleitung von 1,6 m Durchmesser anschliesst. Auf der Südseite war die Anlage eines Zuleitungskanals mit geringem Gefälle wegen qngünstigen Geländes unmöglich. Dort schliesst sich die Druckleitung direkt an das Klärbassin an. Es beträgt das Bruttogefälle: Nordseite Südseite 52,15 m 176 m Bei einemWasserdurchfluss von beträgt daseffektive Gefälle entsprechend        5 cbm/Sek.       3      „          44,6 m         49     „ 2230 PS1470   „ Nord-seite        1,4   „       1      „        139    „       158    „ 1950   „1580   „ Süd-seite Nach der Vollendung des Tunnels sind diese Anlagen vielleicht dazu bestimmt, elektrische Energie zu erzeugen für elektrischen Bahnbetrieb durch den Tunnel, vorausgesetzt, dass diese Betriebsart für Vollbahnen bis dahin noch so verbessert wird, dass sie als hinreichend betriebssicher erscheint. Der elektrische Betrieb hätte den Vorzug, dass der Tunnel nicht ventiliert zu werden braucht. Bei Verwendung von Dampflokomotiven darf ein 20 km langer Tunnel nicht mehr den wechselnden atmosphärischen Druckverhältnissen überlassen bleiben. Die aerostatische Ventilation versagt unter sehr vielen Verhältnissen den Dienst. Aller Rauch der durchfahrenden Lokomotiven würde sich im Tunnel ansammeln. Bei der Verbrennung der Kohle entstehen aber irrespirable Gase. Der entwickelten Menge nach steht Kohlensäure obenan. Die moderne Hygiene (Pettenkofer) hat nun festgestellt, dass gute Atemluft höchstens 10‰ Kohlensäure enthalten darf, vorausgesetzt, dass nicht der Mensch die Quelle der Kohlensäure ist, weil bei der Atmung und Ausdünstung von Menschen Stoffe entstehen, die ihrer chemischen Natur und ihrer Menge nach unbekannt, sich nur durch ihre Giftigkeit bemerkbar machen. Während der Gehalt an Kohlensäure in Wohnräumen deshalb höchstens 1‰ betragen darf, wäre für einen Tunnel immerhin 10 ‰ zulässig. Dieses Maximum wäre ohne Ventilation sehr bald überschritten. Das Lokomotivpersonal, das in dieser Luft atmen muss, würde bewusstlos werden, was leicht schwere Unglücksfälle veranlassen könnte. Beider Anordnung der Installationen musste der Grundsatz festgehalten werden, dass die zukünftige Bahnanlage nicht von den Installationen berührt werden darf, weil letztere noch später für den Ausbau des Stollens II dienen müssen. Die Terrainverhältnisse lagen auf der Nordseite viel günstiger als in dem engen Diveriathal; auch konnte dort der Installationsplatz durch ein Anschlussgeleise mit der Station Brig, der Endstation der Rhonethalbahn verbunden werden, während auf der Südseite die Bahn heute nur bis Domo d'Ossola geht. Die Zufahrtstrecke zum Tunnel Domo d'Ossola-Iselle ist erst im Bau begriffen. Auf den Installationsplätzen mussten untergebracht werden die Turbinen (Pelton-Räder mit horizontaler Achse), die Presspumpen und Akkumulatoren, die Luftkompressoren und Ventilatoren, die Zentrifugalpumpen für die Kühlwasserleitung, die Dynamos für elektrische Beleuchtung, die Reservedampfanlage, um bei einem Versagen der Wasserkraftanlage den Bohrbetrieb vor Ort aufrecht erhalten zu können, die Reparaturwerkstatt und Schmiede, Lagerräume für Cement, Holz, Sand, Dynamit und Kohle, die Lokomotiv- und Wagenschuppen, Badeeinrichtungen, Wäscherei und Trocknerei, Wohnhäuser und Wirtschaftslokalitäten für Angestellte und Arbeiter u. dgl. Die Aufgabe, diese Installationen bei dem beschränkten Raum zweckmässig unterzubringen, ist von dem schweizerischen Oberst Locher glänzend gelöst worden. Ueber das seitherige Fortschreiten der Richtstollen gibt die graphische Darstellung Auskunft (Fig. 5), die auf Grund der Monatsausweise der Jura-Simplonbahn angefertigt ist. Wird es nun gelingen, den Tunnel rechtzeitig zu vollenden? Diese Frage kann mit Gewissheit heute noch niemand beantworten. Es sind unangenehme Ueberraschungen der Unternehmung nicht erspart geblieben. Das Gestein auf der italienischen Seite hat sich als viel härter erwiesen als angenommen. Mehrfach wurden nutzlose Streiks von gewissenlosen Agitatoren in Scene gesetzt und werden sich vielleicht auch in Zukunft noch wiederholen. Die grösste Störung ist aber durch einen ausserordentlichen Wasserzufluss auf der italienischen Seite entstanden, der den ganzen Tunnel in einen reissenden Gebirgsfluss verwandelte. An einer Stelle, die 4500 m von der Tunnelmündung entfernt ist, entströmten dem Felsen riesige Wassermengen, die wohl von einem im Inneren des Berges gelegenen See herrührten. Dieselben haben längere Zeit die Arbeiten fast vollständig zum Stillstand gebracht. Man hat die Schwierigkeit dadurch überwunden, dass man alle Bergwasser in Stollen II geleitet hat, so dass die Erweiterung und Ausmauerung von Stollen I ganz im Trockenen erfolgt. Textabbildung Bd. 317, S. 426 Fig. 5. Fortschritte der Sohlstollen in den Jahren 1899 bis 1901.Massstab: ½ cm = 2½ Monate. ½ cm = 500 m. Da im grossen ganzen auf der Nordseite das Bauprogramm innegehalten worden ist, während man auf der Südseite infolge der erwähnten Schwierigkeiten erheblich zurückgeblieben ist, so wird man voraussichtlich dort früher bis zur Mitte gelangen und dann gezwungen sein, den Stollen nach der italienischen Seite bergab zu treiben. Dies ist für Entwässerung des Stollens sehr unangenehm. Da für den Weiterbau grossartige Vorbereitungen getroffen sind, gelingt es vielleicht doch, den Tunnel ohne zu grosse Verspätung zu vollenden. Die Leitung der Bauarbeiten in Iselle lag von Anfang an in den bewährten Händen Brandau's, in Brig stehen seit Brandt's Tode Oberst Locher und Oberingenieur v. Kager an der Spitze. Die Bearbeitung der maschinentechnischen Aufgaben liegt in der Hand des Oberingenieurs Huber der Firma Gebrüder Sulzer. Wünschen wir dem kühnen Riesenwerk ein glückliches Gelingen!