Titel: Allgemeine Untersuchung des elastischen Bogens zwischen zwei festen Kämpfergelenken und ohne Zwischengelenken.
Autor: G. Ramisch
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 645
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Allgemeine Untersuchung des elastischen Bogens zwischen zwei festen Kämpfergelenken und ohne Zwischengelenken. Von Prof. G. Ramisch in Breslau. (Schluss von S. 636 d. Bd.) Allgem. Untersuchung des elastischen Bogens zwischen zwei festen Kämpfergelenken u. ohne Zwischengelenken. III. 1.) Wenn der Bogen sehr flach gekrümmt ist, so kann man z' = y nehmen, ohne einen grossen Fehler dabei zu machen, namentlich dann, wenn \overline{A\,B} horizontal liegt. Ist noch an allen Stellen sowohl E als auch J konstant, nämlich gleich E0 und J0, so darf die Fläche, welche vom Bogen und von \overline{A\,B} begrenzt wird, als Belastungsfläche aufgefasst Werden. Dieser Fall ist, wenn auch auf anderem Wege schon von vielen Ingenieuren, weil für die Praxis sehr wichtig, bearbeitet worden, so z.B. von Müller-Breslau S. 170–172 in dem Buche „Die neuere Methode der Festigkeitslehre“. Dann ergiebt sich nach Gleichung 12.) T=\int_A^G\,{y_a}^2\,d\,s+\int_B^G\,{y_b}^2\,d\,s oder auch: T=\int_A^B\,y^2\,d\,s Wie wir sehen, ist T das Trägheitsmoment der elastischen Linie in Bezug auf \overline{A\,B} als Basis. Diese Bedeutung behält übrigens T auch dann, wenn die elastische Linie eine beliebige Gestalt hat. Uebrigens kann man T selbst in der allgemeinen Form leicht zeichnerisch darstellen, sodass man es als bekannt voraussetzen muss. Textabbildung Bd. 317, S. 645 Fig. 5. 2.) Wenn die elastische Linie die Gestalt, wie in Fig. 5 abgegeben worden ist, hat, so ergiebt sich für sämtliche Punkte von \overline{A\,C} und \overline{D\,B} die Strecke z unendlich lang. Für alle Punkte von \overline{C\,D} ist jedoch z' konstant, nämlich gleich \overline{A\,B} oder \overline{C\,D}. Ist nun an allen Stellen sowohl E als auch J konstant, nämlich gleich E0 bezw. J 0, so besteht die Belastungsfläche aus dem Rechtecke ACDB und den beiden unendlich langen Geraden, welche mit \overline{A\,C} und \overline{B\,D} zusammenfallen und diese müssen als unendlich hohe und unendlich schmale Rechtecke aufgefasst werden. Ihre Inhalte haben daher unbestimmte Werte, und wir haben es dann mit einem ähnlichen Falle zu thun, wie ihn die Zerknickungsfestigkeit bietet. Auch dieser Fall ist, weil sehr wichtig, in der Literatur viel untersucht worden. Textabbildung Bd. 317, S. 645 Fig. 6. 3.) In Fig. 6 besteht die elastische Linie aus drei Kreisbögen, deren Mittelpunkte sämtlich auf der Horizontalen \overline{A\,B} liegen. Die Halbmesser der Kreise sind r1, r2 und r3. Wenn nun wiederum an allen Stellen E und J konstant, also E0 bezw. J0 sind, so besteht die Belastungsfläche aus drei Rechtecken, welche r1, r2 und r3 zu Höhen haben. In Fig. 6 ist die Belastungsfläche unter \overline{a\,b} als Grundlinie gezeichnet worden, wie es geschah, braucht wohl nicht besonders mitgeteilt zu werden. Es ist gleichgiltig, wie gross die Anzahl der Bögen ist, wenn nur die Mittelpunkte derselben auf \overline{A\,B} zu liegen kommen, ist die Belastungsfläche aus Rechtecken zusammengesetzt. Für die Praxis werden die Fälle wohl von Bedeutung sein, wenn nur zwei Bögen vorhanden sind, und hat man es dann mit Spitzbögen zu thun. 4.) Bemerkenswert ist noch der Fall, wenn die elastische Linie aus geraden Strecken zusammengesetzt ist, also eine gebrochene Linie bildet. Wenn nun auch E und J an allen Stellen konstant sind, so besteht die Begrenzungslinie der Belastungsfläche ausser aus \overline{a\,b} aus geraden Strecken, wie in Fig. 7 gezeichnet worden ist. Man findet den Teil der Belastungsfläche, welcher zur Strecke \overline{U_4\,U_5} gehört, wie folgt: Zunächst fälle man von U4 und U5 Senkrechte auf \overline{a\,b} und erhält darauf die Punkte m4 bezw. m5 und auf \overline{A\,B} die Punkte v4 und v5. In diesen Punkten errichte man auf \overline{U_4\,v_4} und \overline{U_5\,v_5} Senkrechte und ferner auf \overline{U_4\,U_5} in den Punkten U4 und U5. Hierdurch erhält man die Punkte w4 bezw. w5. Nunmehr mache man \overline{m_4\,u_4}=\overline{U_4\,w_4} und \overline{m_5\,u'_5}=\overline{U_5\,m_5}. Verbindet man nun u4 und u5' mit einander, so erhält man ein Trapez u4 u5' m5 m4, welches der Teil der Belastungsfläche zur Strecke \overline{U_4\,U_5} b ist. Einfacher kann man verfahren, wenn man nur w4 und u4 zeichnet, hierauf den Schnittpunkt C von \overline{U_4\,U_5} und \overline{A\,B} bildet, von C auf \overline{a\,b} die Senkrechte fällt und den Schnittpunkt c damit mit u4 verbindet. Es schneidet sodann diese Verbindungslinie die Gerade U5 m5 im Punkte u5'; andernfalls kann die Benutzung des Punktes c als Probe dienen. Wir haben hier \overline{U_4\,U_3} senkrecht zu \overline{a\,b} angenommen. Es ist daher die Belastungsfläche hierzu die unendlich lange Gerade, die mit m4 u4 zusammenfällt und als unendlich schmales Rechteck aufgefasst werden muss. Weil der Inhalt der Fläche unbestimmt ist, so kann zur Zeichnung der Einflussfläche für H nichts geschehen; nur das eine ist bemerkenswert, dass ein solches unendlich langes und unendlich schmales Rechteck einer Einzellast entspricht, während der übrige Teil der Belastungsfläche einer kontinuierlichen Belastung entsprechen würde. Textabbildung Bd. 317, S. 646 Fig. 7. IV. Textabbildung Bd. 317, S. 646 Fig. 8. Die elastische Linie möge nun, wie Fig. 8 zeigt, zu beiden Seiten von \overline{A\,B} liegen und diese Gerade in den Punkten V1, V2, V3 und V4 schneiden. C1 ist ein Punkt derselben über \overline{A\,B}. Zeichnet man K1 als Schnittpunkt von \overline{A\,C_1} mit dem Lote auf \overline{m\,n} in B, so erhält man hiermit den momentanen Drehpol, um welchen das Bogenstück zwischen C1 und B drehbar ist. Wirkt weiter die Belastung von oben nach unten, so erkennt man, dass sich B in der Richtung von w nach n bewegen muss. Ferner sei C2 ein Punkt der elastischen Linie unter AB. Der Drehpol, um welchen sich das Bogenstück zwischen C2 und B drehen kann, ist jetzt der Schnittpunkt K2 von \overline{A\,C_2} mit \overline{K_1\,B}. Wirkt wiederum die Belastung von oben nach unten, so sehen wir, dass sich nunmehr B von n nach m bewegen muss. Für jeden Punkt V1, V2, V3 und V4 der elastischen Linie auf \overline{A\,B} ist B unbeweglich. Für alle Punkte über \overline{A\,B} bewegt sich also B in Richtung von m nach n, für alle Punkte unter \overline{A\,B} bewegt sich B umgekehrt in Richtung von n nach m. Soll also die Bewegung von einer Kraft H in B angreifend und parallel zu \overline{m\,n} verhindert werden, so muss für alle Punkte der elastischen Linie über AB diese Kraft die Richtung von n nach m und für alle Punkte unter \overline{A\,B} die Richtung von m nach n haben. Für alle Punkte auf AB ist eine Kraft H nicht notwendig. Wir werden deshalb den zu zeichnenden Strecken z' und z verschiedene Vorzeichen geben müssen; ferner werden wir sie deswegen zu beiden Seiten einer horizontalen Linie a b zeichnen und ihre Endpunkte mit einander verbinden, wodurch die Belastungsfläche des Balkens \overline{a\,b} ermittelt wird. Die Belastungsfläche, welche auch in Fig. 8 dargestellt ist, besteht also aus positiven und negativen Teilen, je nachdem sie auf der einen oder der anderen Seite von \overline{a\,b} liegen. Wir haben die unterhalb \overline{a\,b} liegenden Teile positiv genommen und können sie als wirkliche Belastungen auffassen, die oberhalb \overline{a\,b} liegenden Teile haben wir negativ genommen und sie bedeuten Entlastungen im eigentlichen Sinne. Nunmehr ist mit einem beliebigen Polabstande h, welcher als Fläche aufzufassen ist, die Momentenfläche mit der Schlusslinie \overline{a_1\,b_1} in Fig. 8 zu der darüber liegenden Belastungsfläche entworfen worden. Hier liegt die Momentenfläche, welche also die Einflussfläche für die Horizontalkraft H ist unter \overline{a_1\,b_1} was zu bedeuten hat, dass durch die gegebenen Belastungen eine Kraft H in Richtung von n nach m wirkend hervorgebracht wird. Es kann aber vorkommen, dass die Einflussfläche auch über \overline{a_1\,b_1} zu liegen kommt. Die Belastungen darüber würden nun eine Horizontalkraft hervorbringen, welche die Richtung von m nach n haben müsste. Heisst also die Ordinate für die Last P in der Einflussfläche p, und q für die Last Q, so wird davon die Horizontalkraft H=P\,\cdot\,\frac{h}{T}\,\cdot\,p beziehungsweise H=Q\,\cdot\,\frac{h}{T}\,\cdot\,q hervorgebracht. Beide Kräfte erzeugen also die Horizontalkraft H=\frac{h}{T}\,\{Q\,\cdot\,q+P\,\cdot\,p\} Hierbei hat T die Bedeutung wie vorher, ist also nach Formel T=\int\limits_A^B\,\frac{E_0\,\cdot\,J_0}{E\,\cdot\,J}\,y^2\,d\,s zu berechnen und es sind sämtliche Summanden in diesem Integral positiv zu nehmen. Es können also auch die Ordinaten z. B; p und q der Einflussfläche positiv oder negativ sein und danach ist die Wirkungsweise der Kraft H von n nach m oder umgekehrt. Ht hat den entsprechenden Wert von Formel 14.) Nachdem wir so die Einflussfläche der Kraft K ermittelt haben, bleibt uns nunmehr noch übrig, das Biegungsmoment für irgend einen Punkt der elastischen Linie festzustellen. Wir wollen es auch mittels einer Einflussfläche machen und bedienen uns dazu der vorhin gezeichneten. Es sei C1 dieser Punkt und habe x1 zum Abstand vom linken Auflager. Ist ferner pb der Abstand der Kraft P vom rechten Auflager und l die Spannweite des Bogens, d.h. der Abstand der beiden Auflagerdrucke, so ist das Biegungsmoment M, welches hervorgebracht wird, wenn beide Auflager festliegen: M=P\,\cdot\,\frac{p_b}{l}\,\cdot\,x_1-H\,\cdot\,y Hierin ist noch y die Strecke zwischen C1 auf der Parallelen durch C1 zu \overline{K_1\,B} bis zum Schnittpunkte G mit \overline{A\,B}. Da H=\frac{h}{T}\,\cdot\,P\,\cdot\,p ist, so hat man auch: M=P\,\{\frac{p_b}{l}\,\cdot\,x_1\,\cdot\,\frac{h}{T}\,\cdot\,p\,\cdot\,y\} oder auch: M=P\,\cdot\,\frac{h}{T}\,\cdot\,y\,{\frac{p_b}{l}\,\cdot\,x_1\,\cdot\,\frac{T}{h\,\cdot\,y}-p\} Man mache auf \overline{A_{a_1}} die Strecke \overline{a_1\,d_1}=g_1 sodass: g_1=\frac{x_1}{y}\,\cdot\,\frac{T}{h} . . . . . . 15.) Hierauf ziehe man \overline{b_1\,d_1} und nenne R den Schnittpunkt davon mit JK gleich p, so ist, weil Δb1 JRΔb1 a1 d1 ist: \frac{p_b}{J\,R}=\frac{l}{g_1} d.h. \overline{J\,R}=g_1\,\cdot\,\frac{p_b}{l}=\frac{x_1\,\cdot\,T}{y\,\cdot\,h}\,\cdot\,\frac{p_b}{l} . . . . . . 15.) und nun hat man: M=P\,\cdot\,\frac{h}{T}\,\cdot\,y\,\cdot\,(\overline{J\,R}-p) und da \overline{J\,R}-p=\overline{R\,K} ist, so ergiebt sich mit Rücksicht auf Gleichung 15.): M=P\,\cdot\,\frac{x_1}{g_1}\,\cdot\,\overline{R\,K} Man ziehe durch C1 die Parallele zu \overline{K_1\,B} bis zum Schnittpunkte c2 mit \overline{d_1\,b_1} dann nenne man noch c1 den gemeinsamen Punkt von \overline{a_1\,b_1} und C1 c2 so erkennt man aus dieser Gleichung, dass die Fläche von b1 bis c1 c2, welche von der Einflussfläche für H und \overline{b_1\,c_2} begrenzt wird, Einflussfläche für das Biegungsmoment von C1 ist, wenn irgend eine Last zwischen C1 und B sich befindet. Liegt die Last aber zwischen A und C1, so wird die Einflussfläche von \overline{a_1\,c_2} und der Einflussfläche für H zwischen a1 und c1 begrenzt. – Die Einflussfläche für dieses Biegungsmoment wird also von der gebrochenen Linie a1 c2 b1 und der Einflussfläche für H begrenzt und hat \frac{x_1}{g_1} zum Multiplikator. Verlängert man \overline{a_1\,c_2} bis zum Schnittpunkte d2 mit \overline{b\,b_1} und nennt g2 die Strecke \overline{b_1\,d_2}, so ist, wie man leicht erblicken kann: g_2=\frac{l-x_1}{y}\,\cdot\,\frac{T}{h} Die Einflussfläche hat Ordinaten von verschiedenen Vorzeichen, was die Bedeutung hat, dass, wenn die Last über der Ordinate von dem einen Vorzeichen liegt, die oberen Fasern des Querschnittes von C1 gezogen und die unteren Fasern gedrückt werden. Befindet sich also die Last über einer Ordinate von dem anderen Vorzeichen, so werden umgekehrt die oberen Fasern gedrückt und die unteren Fasern gezogen. Befinden sich die Lasten über o1 und o2, wofür die Ordinaten den Wert Null haben, so entsteht kein Biegungsmoment in C2. Um nun das Maximalbiegungsmoment für mobile Belastung festzustellen, wird man Lasten entweder nur zwischen den Punkten a1 und o2 oder nur zwischen den Punkten a1 und o1 und zugleich zwischen den Punkten o2 und b2 stellen. So wird man für verschiedene Stellen des Bogens die Einflussfläche der Biegungsmomente zeichnen und prüfen, ob dort für die vorausgesetzten Querschnitte die zulässigen Beanspruchungen nicht überschritten sind. Die Aufgabe ist durchaus nicht langwierig im Vergleich zu einem Fachwerkträger; denn bei diesem muss für jeden Stab die Einflussfläche zur Querschnittsbestimmung gezeichnet und benutzt werden, also dieselbe Arbeit. – Hiermit haben wir die vollständige Theorie des Bogens zwischen zwei festen Kämpfergelenken ohne Zwischengelenk gegeben. Es bleibt uns nunmehr noch übrig für einen Spezialfall die Belastungsfläche zur Ermittelung von H darzustellen. Die elastische Linie ist aus drei Kreisbögen \overline{A\,U_1}, \overline{U_1\,U_2}, und \overline{U_2\,B} zusammengesetzt, deren bezügliche Radien rl, r2 und r3 sind und deren Mittelpunkte auf der horizontalen Geraden \overline{A\,B} liegen. Die Belastungsfläche hat die Gerade \overline{a\,b} zur Grundlinie und ist dann aus Rechtecken zusammengesetzt, wenn für alle Querschnitte des Bogens E und J konstant, nämlich E0 bezw. J0 sind. Zwischen a und u1 hat das Rechteck die Höhe r1, von u1 bis z die Höhe r2r1, zwischen z und z1, die Höhe r2, zwischen z1 und u2 die Höhe r2 – r3 und zwischen u2 und b die Höhe r3. Die Rechtecke zwischen a und u1 und zwischen b und u2 liegen über und die übrigen Rechtecke unter der Grundlinie \overline{a\,b}. Die Fig. 9 enthält die Belastungsfläche mit \overline{a\,b} als Grundlinie unter dem Bogen AU1 U2 B dargestellt. Wären z.B. die Bögen \overline{V_1\,U_1} und \overline{V_2\,U_2} unelastisch, so würde die Belastungsfläche zusammengesetzt sein aus den Rechtecken axyz und bx1 y1 z1 auf der einen Seite und dem Rechteck zz1 y1 'y' auf der anderen Seite der Grundlinie \overline{a\,b}. Textabbildung Bd. 317, S. 647 Fig. 9. Ist der Bogen \overline{A\,V_1} eine beliebige Kurve, hat aber in A die Strecke r1 zum Krümmungsradius und liegt der Mittelpunkt M1 auf der Horizontalen \overline{A\,B}, so ist die Höhe \overline{x\,a} der Belastungsfläche stets gleich \frac{r_1\,\cdot\,E_0\,J_0}{E\,\cdot\,J}, wenn auch der Punkt A nicht am Ende, sondern an einer beliebigen Stelle auf AB liegt, z.B. an der Stelle von V1. Weil nun das Bogenelement bei A unendlich klein ist, so erhält man in der Belastungsfläche eine endliche Höhe r 1, andernfalls ist sie unendlich, und wie wir gefunden haben, ist das Element der Belastungsfläche an dieser Stelle unbestimmt.