Titel: Die Fortschritte im Eisenhüttenwesen in den letzten fünf Jahren.
Autor: Karl Brisker
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 664
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Die Fortschritte im Eisenhüttenwesen in den letzten fünf Jahren. Von Ingenieur Karl Brisker, Assistent an der k. k. Bergakademie in Leoben. (Fortsetzung von S. 450 d. Bd.) Die Fortschritte im Eisenhüttenwesen in den letzten fünf Jahren. 3. Die Fortschritte in Bezug auf die Produkte der Schmiedeeisen-Darstellung. Zwei Produkte liefert das Verfahren schmiedbares Eisen darzustellen: erstlich dieses selbst und zweitens Schlacke als Nebenprodukt. Die Schlacke der Schweisseisenprozesse ist als hochbasisches Zuschlagsmittel sehr brauchbar und findet daher im Eisenhüttenwesen volle Verwendung. Ein besonders wertvolles Nebenprodukt erhalten wir beim Thomasprozess in der hier gewonnenen Schlacke. Diese Thomasschlacke findet in feingemahlenem Zustande wegen ihres Phosphorgehaltes als Düngemittel Verwendung und behauptet sich neben anderen Phosphaten deshalb mit Erfolg, weil ihre Phosphorsäure in leichter Citratlöslichkeit vorhanden ist, zumal der Grad dieser Löslichkeit, und nicht so sehr der Gehalt an Phosphorsäure überhaupt, wie Prof. Wagner-Darmstadt nachgewiesen hat, für die Verwendbarkeit als Düngemittel ausschlaggebend ist. Man ist daher bestrebt gewesen, dieses wertvolle Nebenprodukt auch bei den basischen Herdprozessen zu gewinnen, und insbesondere rechnet sich das Bertrand-Thiel'sche Verfahren es als Vorzug an, eine was die Citratlöslichkeit der Phosphorsäure betrifft, höherwertige Schlacke zu erzielen als selbst der Thomasprozess (Stahl u. Eisen 1898 S. 750). Was nun das Schmiedeeisen anbelangt, so haben wir hier drei Sorten zu unterscheiden und bezüglich der Fortschritte ihrer Qualität zu besprechen. 1. Das Schweisseisen das Produkt des Puddelprozesses, hat im allgemeinen jedenfalls eine Verschlechterung seiner Qualität erfahren gegenüber früheren Zeiten. Bedenkt man, dass bei dem Streben nach einer grösseren und billigen Produktion eine rigorose Auswahl des Roheisens nicht mehr zulässig ist, dass durch das Grösserwerden der Oefen und ihres Einsatzes eine Beschleunigung der Reaktion herbeigeführt wird, so ist es erklärlich, dass damit das Wesen des Puddelprozesses untergraben wurde, und aus der „Handarbeit“ eine „Maschinenarbeit“ wurde mit all den Nachteilen, wie sie uns aus manchem Gebiete der Textilindustrie recht drastisch bekannt sind. Dazu kam noch, dass mit der Zeit der Sinn für die Erzeugung vorzüglichen Schweisseisens verloren gehen musste, da wir heute für die Erzeugung der edelsten Eisenqualitäten das an dritter Stelle zu besprechende Tiegelschmelzverfahren vorziehen. Heute ist Schweisseisen, falls es nicht als Zwischenprodukt für die Weiterverarbeitung im Tiegelofen als Qualitätseisen und dann nur in geringer Menge erzeugt wird, ein Material gleich oder minderwertig dem für gleiche Zwecke hergestellten Flusseisen. Nur in einer Beziehung steht es dem letzteren voran und zwar als Material für Kesselbleche. Es ist über allen Zweifeln feststehend, dass das sehnige Schweisseisen nicht zu plötzlichen Rissbildungen neigt, die beim körnigen Flusseisen, sei es bei der Herd Stellung, sei es im Laufe der Benutzung, sich dann undunr wann noch immer wieder zeigen, ohne dass die Ursache ihrer Entstehung völlig geklärt ist. 2. Das Flusseisen, das Produkt der verschiedenen Flusseisenprozesse, bildet heute das Hauptmaterial aller aus schmiedbarem Eisen herzustellenden Dinge. Sehen wir beim Schweisseisen das Streben nach grosser und billiger Erzeugung als einen Nachteil für die Qualität, so ist dies hier beim Flusseisen nicht so sehr der Fall. Die Flusseisenprozesse erzeugen als Mittelqualität stets ein Produkt, das den geforderten Ansprüchen immer gewachsen sein wird, falls nicht direkt ein Herstellungsfehler unterlaufen ist. Wird jedoch ein besseres Produkt verlangt, so ist dieses mit Hilfe der Flusseisenprozesse jederzeit erzeugbar, natürlich unter erhöhten Gestehungskosten, aber immer noch leichter und einfacher und stets in ganz bedeutend grösseren Quantitäten als etwa durch ein Schweisseisenverfahren. Aber auch die chemische Zusammensetzung des Eisens hat man mittels der Flusseisenprozesse besser in der Hand, da es hier ein leichtes ist, schädliche Beimengungen zu entfernen. Es könnte nun den Anschein erwecken, als seien die Flusseisenprozesse bereits vollkommen in ihrer Art. Allein wie so oft die Ausmerzung eines Fehlers einen zweiten mit sich bringt, werden auch hier neue, dem Schweisseisen unbekannte Fehlerquellen geöffnet. Nie entspringen dem geforderten raschen Verlauf des Prozesses und der hohen Temperatur, bei welcher er nur ausführbar ist. Wir meinen den Gasgehalt, insbesondere den an Sauerstoff, welcher imstande ist, die Qualität des Flusseisens arg zu gefährden. Wir sehen deshalb auch in der letzten Zeit alle Bestrebungen der Qualitätsverbesserung auf diesen Uebelstand gerichtet. Sehr richtig charakterisiert A. Rahfuhs (Stahl u. Eisen 1897 S. 42) dieses Verlangen: „Gäbe es ein Verfahren, den flüssigen Stahl nur eine Stunde lang in der Giesspfanne oder sonst einem geschlossenen Gefäss stehen lassen zu können, ohne eine Temperatur abnähme befürchten zu müssen, so würde man einen Stahl erhalten, der die Eigenschaften des Tiegelstahles besässe.“ – Durch dieses Stehenlassen bei gleichbleibender Temperatur würde dem Eisenbade die zur Aussaigerung des Gasgehaltes nötige Zeit und Ruhe geboten werden, allein Zeit und Temperatur sind für den Eisenhüttenmann gewöhnlich zu kostbare Mittel. Bisher erfolgte die Entfernung des Sauerstoffes aus dem flüssigen Eisenbad durch Zusatz von Ferromangan. Allein, selbst in überschüssiger Menge zugesetzt, ist es wegen der raschen Temperaturabnahme nicht möglich, auch die nötige Zeit für die Ausscheidung zu gewinnen. Verfahren, welche den Ruhfuhs'schen Gedanken ausführen, indem sie das flüssige Eisen des Herdes in Tiegel füllen und im Tiegelofen unter hoher Temperatur aussaigern lassen, dann natürlich das Produkt Tiegelstahl nennen, spielen für die Herstellung grosser Mengen keine Rolle. Für die Massenerzeugung guten Materiales ist nach heutigen Verhältnissen nur jenes Verfahren hinsichtlich dieser Verbesserung von Belang, welches man als „Dichten des Stahles“ bezeichnet, ein Verfahren, das an und für sich schon lange bekannt, in letzter Zeit jedoch eine wesentliche Umgestaltung erfahren hat. Unter „Dichten des Stahles“ versteht man ein Pressen der gegossenen Ingots während des Erstarrens. Dadurch erzielt man ausser der Verhinderung der Saigerungserscheinungen, eine Verbesserung der Oberfläche, sowie Vermeidung der Lunkerbildung, was eine Verminderung des Abfalles bedeutet. Ausserdem ist durch diese mechanische Beeinflussung des Materiales eine Verbesserung der molekularen Zusammensetzung erzielbar, wodurch wieder die Festigkeitseigenschaften gewinnen. Bisher übte man – aber nur vereinzelt – den Druck durch direktes Pressen des Ingots von oben her unter starken hydraulischen Apparaten aus. Ein neues bedeutend wirksameres Verfahren muss jenes in St. Etienne eingeführte genannt werden (Stahl und Eisen, 1901, S. 857), welches den Ingot in eine konische sehr stark gebaute Coquille Presst, wodurch gleichsam die Coquille die Wirkung eines Zieheisens erhält. Das flüssige Eisen wird nach oben hin gedrängt und eine Lunkerbildung dadurch unmöglich gemacht. Wichtig ist die Uebereinstimmung des Grades der Kompression mit dem des Erstarrungsstadiums, damit nicht etwa durch zu rasche Kompression das flüssige Eisen aus dem Ingot herausgepresst werden kann, was möglich ist, da die Coquille oben offen bleibt. Es ist notwendig, auf empirischem Wege die Schnelligkeit und den Grad der Kompression für ein bestimmtes Blockgewicht zu bestimmen, was man jedoch unschwer erreicht. 3. Tiegelflusseisen oder wie man es auch, der Gewohnheit edleres Eisenmaterial als Stahl zu bezeichnen folgend, Tiegelgussstahl nennt, ist jedes Eisen, das im Tiegel geschmolzen wurde, so zwar, dass bei diesem Schmelzen keine chemischen Veränderungen mehr erzielt werden sollen, sondern es sich bloss um ein Zusammenschmelzen eines ganz bestimmten Einsatzes handelt. Neben dieser idealen Herstellung des Tiegelstahls, wie sie thatsächlich bei der Erzeugung der Spezialstähle eingehalten wird, sind jedoch eine ganze Reihe von Verfahren in Anwendung, welche lediglich eine Verbesserung billig zu erhaltender Einsatzmaterialien erstreben. Zumal wenn es sich um ganz geringe Mengen handelt, wird das Einschmelzen im Tiegel dem im Herdofen vorgezogen werden. Andrerseits ist es auch im Herdofen Möglich, hervorragende Qualitätsstähle zu erzeugen, insbesondere wenn das schon erwähnte Aussaigernlassen im Tiegelofen hinzutritt. In wie weit auf solche Weise erzeugten Stählen die Qualitätsbezeichnung Tiegelstahl gebührt, ist eine strittige Frage gewesen. Meines Erachtens ist sie jedoch völlig belanglos, nachdem es sich doch nicht um die Art der Herstellung, sondern um die wirklichen Eigenschaften handelt. Qualitätsstähle, auf diese oder jene Art erzeugt, werden sich den Ruf ihrer Vorzüglichkeit doch nur in dem Grade erwerben, in welchem sie dem bestimmten Zwecke gerecht werden. Thatsächlich wird das beste Eisen im Tiegel fertig gestellt und der Grund hierfür ist ausschliesslich der, in der Verringerung des Einsatzquantums für jeden Tiegel, das kaum 40 kg überschreitet, eine bessere Gewähr für die Zusammensetzung des Produktes zu haben, als bei einem stets nach Tonnen zu zählenden Einsatze im Herdofen oder Konverter. Die auf diesem Gebiete bezüglich der Qualität erzielten Fortschritte sind in der genauen Kenntnis des Verhaltens und der Beschaffenheit der Eisenlegierungen gelegen. Es sind dies zumeist durch langjährige Experimente und Erfahrungen erzielte Erfolge, die als strengstes Geheimnis gehütet werden. Die Oeffentlichkeit wird nur über die erzielten Fortschritte, nicht aber über die Wege, auf welchen sie erreicht wurden, unterrichtet. (Vergleiche darüber eine sehr interessante Zusammenstellung v. Radinger's in dem amtlichen Bericht des k. k. Generalkommissariates der Weltausstellung in Paris 1900, Wien, oder auch O. Thalner's Buch über Werkzeugstahl.) Um so wertvoller erscheint es uns, einige Aufschlüsse über das Wesen der naturharten Stahlsorten geben zu können, die in letzter Zeit so berechtigtes Aufsehen erregten. Sie haben sich unter verschiedenen Bezeichnungen wie Schnelldrehstahl, Taylor-, White-, Betlehemstahl, Böhler Rapid, Poldi Extra Diamand etc. in der Werkstättenpraxis eingeführt. Dem Wesen nach sind alle diese Schnelldrehstähle Eisensorten mit einem geringen Kohlenstoffgehalt, dafür aber hohem Wolfram und Chromgehalte, und zwar stehen die letzteren Beimengungen in folgendem Verhältnisse: Wo zu Cr wie 2 : 1, 3 : 1, 4 : 1. Die Herstellung erfolgt im Tiegelofen. Nach dem Fertigstellen des Messers auf dem gewöhnlichen Wege (Walzen und Schmieden), und der Anbringung der Schneide, gilt es, die letztere besonders zu präparieren. Sie wird, mit Asche bedeckt, in einem Glühofen durch längere Zeit bei einer Temperatur von 1250° geglüht, dann herausgenommen und an der Luft abkühlen gelassen. Damit erhält sie ihre Härtung. Mit einem Schleifstein wird dann die Schneide geschliffen. Der chemische Vorgang dabei ist ungefähr folgender. Bei dem Glühen des Stahls, durch längere Zeit, bei einer Temperatur von 1250°, verwandelt sich der Gehalt an Chrom und Wolfram in Karbide, indem das Wolfram und das Chrom den gesamten Kohlenstoff des Eisens aufnehmen. Und hierin liegt die Schwierigkeit und das Geheimnis der einzelnen Erzeuger. Es ist also nach erfolgter Abkühlung an der Luft, die gegenüber der langen Dauer des Glühens eine sehr rasche genannt werden muss, eine Masse von völlig entkohltem Eisen mit intermolekular verteilten, sich durch hervorragende Harte auszeichnenden Wolfram- und Chromkarbiden vorhanden. Die Rückbildung dieser Karbide erfolgt erst ganz wenig bei einer Temperatur von 650°. Wenn nun solche Stähle bei dieser Temperatur anfangen unbrauchbar zu werden, so ist dies trotzdem mehr auf Rechnung der bei dieser Temperatur bereits mechanisch geänderten Eisenmasse zu setzen. Die bereits plastisch werdende Eisenmasse bietet den immer noch harten Karbiden keinen genügenden Halt mehr. Messer aus solchem Stahl nehmen bekanntlich sehr starke Spähne, ohne eine andere als Luftkühlung zu benötigen. Sie behalten ihre Härte und Schneidkraft selbst bei Temperaturen, die jene der Anlauffarben überschreiten und werden erst dann völlig unbrauchbar, wenn sie selbst sichtlich rotglühend geworden sind. Sie stellen den jüngsten Triumph der Eisenhüttentechnik dar und sind berufen, durch Verkürzung des grossen, kostspieligen Zeitaufwandes bei der kalten Bearbeitung des Eisens auf dem Gebiete der mechanischen Bearbeitung eine grosse Umwälzung zu bewirken. (Fortsetzung folgt.)