Titel: Die Kraftstation II der Grossen Leipziger Strassenbahn.
Autor: Kurt Bräuer
Fundstelle: Band 318, Jahrgang 1903, S. 149
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Die Kraftstation II der Grossen Leipziger Strassenbahn. Von Ingenieur Kurt Bräuer, Lehrer am Technikum Mittweida. (Fortsetzung von S. 142 d. Bd.) Die Kraftstation II der Grossen Leipziger Strassenbahn. Die Dampfkessel. Den Dampf für sämtliche Maschinen liefern fünf von der Sächsischen Maschinenfabrik vorm. Richard Hartmann in Chemnitz erbaute Wasserrohrkessel, System Gehre (Fig. 7 bis 10), von je 241 qm Heizfläche und 10 Atm. Ueberdruck. Der Gehre-Kessel unterscheidet sich von den üblichen Zweikammer-Wasserrohrkesseln in der Hauptsache durch die eigenartig eingerichtete vordere Wasserkammer. Da die Wasserrohrkessel allgemein der Natur ihrer Heizfläche nach schnell Dampf entwickeln, dieser Dampf jedoch am freien Austritt aus den Röhren durch die sich ihm in der vorderenWasserkammer bezw. den Oberkesseln entgegenstellende Wassersäule gehindert ist, so wird hierdurch, steigend mit der Beanspruchung des Kessels, die Erzeugung sehr feuchten Dampfes begünstigt. Dieser Uebelstand ist beim Gehre-Kessel dadurch überwunden worden, dass die vordere Wasserkammer durch dampfdicht eingenietete ⊏ Eisen in so viele Einzelkammern geteilt ist, als Rohrreihen übereinander liegen, so dass jede dieser gewissermassen eine besondere Kammer besitzt. Die Einzelkammern stehen durch kleine Rohrstutzen derart miteinander in Verbindung, dass der in den Rohren entwickelte Textabbildung Bd. 318, S. 150 Fig. 7. Textabbildung Bd. 318, S. 150 Fig. 10. Dampf sich zunächst in der Einzelkammer fängt und nach Herabdrücken des Wässerspiegels bis unter die Unterkante der Rohrstutzen durch diese in die nächst höhere Kammer und schliesslich durch weite Rohre von der obersten Einzelkammer in den Dampfraum des Oberkessels entweicht. In der geneigt angeordneten Wasserkammer stellen sich die Wasserspiegel der Einzelkammern wagerecht ein, somit bieten die schrägen Rohrstutzen auch bei ganz geringer Dampfentwicklung am unteren Ende bereits einen kleinen freien Querschnitt zum Entweichen des Dampfes. Mit zunehmender Beanspruchung des Kessels vergrössert sich dieser Querschnitt und stellt sich bei gleichmässiger Dampfentnahme konstant ein. Textabbildung Bd. 318, S. 151 Fig. 7–10. Wasserrohrkessel, System Gehre, der Sächsischen Maschinenfabrik vorm. Richard Hartmann. Somit ist die belastende Wassersäule, die sich dem Dampfaustritt hemmend entgegenstellt, vollständig beseitigt und ein durch sämtliche Einzelkammern bis in den Oberkessel kommunizierender Dampfraum geschaffen. Die verdampfende Oberfläche ist durch diese Anordnung bedeutend vergrössert, der erzeugte Dampf wird demnach verhältnismässig trocken sein. Die Erzielung einer vollständig rauchfreien Verbrennung ist besonders bei Wasserröhrenkesseln sehr schwierig, weil die Heizgase vor Eintritt der vollständigen Verbrennung bereits an und zwischen die relativ kalten Rohrreihen gelangenund hier so schnell abgekühlt werden, dass eine rauchfreie Verbrennung unmöglich ist. Um diesem Uebelstande vorzubeugen, ist der Verbrennungsraum möglichst hoch gewählt, und die Heizgase werden gezwungen, vor Erreichung der Rohre glühende Chamottegewölbe zu bestreichen, an denen sie verbrennen. Der Treppenrost ist für erdige Braunkohle eingerichtet nach den Patenten von Keilmann und Völkers in Bernburg. Die Kessel sind mit querliegenden Dampfsammlern ausgerüstet, aus denen der Dampf in die Rohrleitung zu den Maschinen oder in den Ueberhitzer gelangt. Das Material der Kessel ist bestes Siemens-Martin-Flusseisen. Das Rohrsystem jedes Kessels besteht aus sieben geneigt angeordneten Rohrreihen von je 18 Röhren, die den in ihnen entwickelten Dampf an zwei Oberkessel abgeben. Die Verbindung der obersten Einzelkammer mit den Oberkesseln wird durch 20 weite Steigrohre vermittelt. Die Kessel weisen folgende Hauptabmessungen auf: Rohrlänge in den Feuerzügen 5000 mm Durchmesser der 126 Mannesmann-Wasserröhren    aussen 108 Wandstärke derselben 3,75 Länge der Dampfsammler 2500 Textabbildung Bd. 318, S. 152 Fig. 11. Textabbildung Bd. 318, S. 152 Fig. 12. Durchmesser der Dampfsammler 600 mm Wandstärke    „             „ 10/15         „             „  Verbindungsstutzen 10/16 Breite der vorderen Wasserkammer 3520 Höhe    „        „                „ 1650 Tiefe    „        „                „ 260 Blechstärke der vorderen Wasserkammer 20 mm Breite der hinteren Wasserkammer 3120 Höhe    „       „                 „ 1400 Tiefe    „       „                 „ 150 Blechstärke der hinteren Wasserkammer 20 Länge der Oberkessel im Mantel 6840 Textabbildung Bd. 318, S. 153 Fig. 11–15. Dampfüberhitzer mit Feuerung, System Keilmann und Völkers, der Oberschlesischen Kesselwerke B. Meyer. Durchmesser der Oberkessel 1400 mm Blechstärke im Mantel 15       „           der Böden 18 Gesamtquerschnitt der Wasserrohre 1 qm Querschnitt der hinteren Verbindungsstutzen 0,4 Querschnitt der vorderen Verbindungsstutzen 0,6 Da die Braunkohlen grosse Mengen von Flugasche erzeugen, so sind besondere grosse Aschekammern und doppelteFüchse eingebaut, von denen immer nur einer im Betriebe ist, während der andere gereinigt werden kann. Unmittelbar vor dem Schornstein ist in den Hauptfuchs ein Generalrauchschieber eingebaut. Der Ueberhitzer. Für den normalen Betrieb der Anlage ist überhitzter Dampf vorgesehen. Dieser wird erzeugt in einem zwischen den Kesseln eingebauten für sich gefeuerten Schlangenrohrüberhitzer der Oberschlesischen Kesselwerke B. Meyer in Gleiwitz. Derselbe vermag stündlich eine Dampfmenge von 11000 kg um 60–70° C. zu überhitzen, wobei eine Kohlenersparnis von 10–12 v. H. nach Abzug der für den Ueberhitzer verbrauchten Kohle gewährleistet worden ist. Nach dem Ausfall der Abnahmeversuche wurden diese garantierten Ersparnisse noch wesentlich übertroffen. Der Ueberhitzer hat eine Heizfläche von 175 qm und ist ebenfalls mit Treppenrostfeuerung, System Keilmann und Völkers, ausgerüstet. Die Konstruktion des Apparates ist aus den Fig. 1115 ersichtlich. Eigenartig sind die Heizrohre; sie sind aus bestem weichem Flusseisen hergestellt und endlos geschweisst. Der Querschnitt ist aus Fig. 16 zu ersehen. Die dickwandigen Rohre sind aussen vollständig glatt. Die vier Stege übertragen die Wärme sehr gut von der Rohroberfläche in das Innere des viergeteilten Rohres. Die Kanäle sind schraubenartig verwunden, so dass der durchströmende Dampf in rasch drehende Bewegung gebracht wird. Dadurch werden die im Dampf schwebenden Wasserteilchen an die heisseste äussere Rohrwand geschleudert, wo sie die zur Verdampfung nötige Wärme vorfinden und das Rohr genügend kühlen. Textabbildung Bd. 318, S. 154 Fig. 16. Querschnitt der Heizrohre zum Ueberhitzer. Die Anordnung der drei Schaltventile ermöglicht ein rasches Ein- und Ausschalten des Ueberhitzers, ohne dass der Dampfstrom zur Verbrauchsstelle unterbrochen zu werden braucht. Das mittlere Ventil ist ein Mischventil, durch welches eine bequeme Regelung der Dampftemperatur ermöglicht wird. Je nach dem Grade der Ueberhitzung wird dieses Ventil mehr oder weniger geöffnet oder ganz geschlossen. Der gesättigte Dampf tritt in das obere Sammelrohr, gelangt von hier aus in die in zehn Reihen angeordneten Heizschlangen, die er in der Richtung von oben nach unten durchströmt, und tritt überhitzt in das untere Sammelrohr ein, von dem aus er in die Rohrleitung nach den Maschinen gelangt. Der Ueberhitzer ist nach dem Gegenstromprinzip gebaut, so dass die heissesten Gase die Rohre bespülen, in denen der heisseste Dampf sich befindet. Durch Anwendung der Schrägrostfeuerung ist Zeitaufwand und Bedienung wie auch bei den Kesseln auf das kleinste Mass beschränkt, ausserdem bleibt die Temperaturziemlich konstant. Die untersten, der höchsten Heiztemperatur ausgesetzten Rohr schlangen sind durch ein Schutzgewölbe und Einbettung in Chamotte gegen die unmittelbare Berührung mit den Heizgasen geschützt. Zeichenerklärung zu Fig. 14: a: Mischventil. b: Eintritt des gesättigten Dampfes. c: Austritt des überhitzten Dampfes. d: Sicherheitsventil. e: Thermometer. Der Kohlen- und Aschetransport. Von der Königl. Sächsischen Staatsbahn geht vom Bahnhof Plagwitz ein Verladegeleis nach der Station. Die mit der Bahn ankommenden Kohlen werden von den Lowrys in eine neben dem Kesselhause befindliche Elevatorgrube geschüttet, von wo aus sie durch einen elektrisch angetriebenen Elevator von 25 t Leistungsfähigkeit dem über dem Schürraum des Kesselhauses liegenden Kohlenbunker zugeführt werden. Auch die Verteilung der Kohlen im Bunker geschieht selbsttätig durch ein sich über die ganze Bunkerlänge erstreckendes Transportband. Von hier aus fallen die Kohlen durch schräge Ablaufrohre von rechteckigem Querschnitt, die am unteren Ende durch Drehschieber mit Zahnsegment verschliessbar sind, in die Trichter der Treppenrostfeuerungen von Kesseln und Ueberhitzer. Auch die Abfuhr der Asche und Schlacke erfolgt selbsttätig durch einen Elevator, der die Stoffe aus einer Grube in die zur Abfuhr bereit stehenden Wagen ladet. Von den verschiedenen Kesseln muss allerdings die Asche mittels Karren bis an die Elevatorgrube geschafft werden. Die Bedienung der gesamten Feuerungsanlage ist sehr einfach, sie beschränkt sich auf Abschlacken der Feuer, gelegentliches Kontrollieren der Manometer und Thermometer, sowie zeitweiliges Ueberholen der ganzen Anlage. Die Transporteinrichtung ist von der Peniger Maschinenfabrik, Abt. Unruh & Liebig in Leipzig gebaut. (Schluss folgt.)