Titel: Die Steuerungen der Ventildampfmaschinen.
Autor: Straube
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 132
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Die Steuerungen der Ventildampfmaschinen. Von Prof. Straube in Karlsruhe. (Fortsetzung von S. 117 d. Bd.) Die Steuerungen der Ventildampfmaschinen. Auslösende Steuerungen. Da nach Obigem die auslösenden Steuerungen sich von den zwangläufigen im wesentlichen nur durch die Besonderheiten der Triebwerke der Einlassventile unterscheiden, genügt es auch, in nachstehendem nur letztere eingehender zu behandeln. Auf die Auslassteuerungen wäre allenfalls nur da Bezug zu nehmen, wo sie, wie z.B. bei Benutzung desselben Exzenters, in unmittelbarem Zusammenhang mit den Einlassteuerungen stehen. Textabbildung Bd. 320, S. 132 Fig. 4. Auslösende Steuerung ohne Eigenbewegung der Klinke (von der Corlissteuerung entlehnt), gezeichnet im Augenblick der Ausklinkung. a. Gemeinsame Bahn von Klinke und Rast; b. Klinke; c. Rast; k. Auslöser; l. Exzenterstange Man unterscheidet auslösende Steuerungen ohne und mit Eigenbewegung der Klinke. Bei den ersteren beschreiben Klinke b und Rast c dieselben oder parallele Bahnen a. Dann muss noch ein besonderer Knaggen k, der sogenannte Auslöser, angeordnet werden, an den die Klinke zum Zweck der Auslösung anstösst (Fig. 4). Bei der Füllungsänderung besteht die Arbeit des Regulators lediglich darin, den Auslöser zu verstellen. Diese Einrichtung, von der bekannten Corlisssteuerung übernommen, zeichnet sich durch grosse Einfachheit aus und wird bei auslösenden Ventilsteuerungen gern benutzt. Bei den Steuerungen mit Eigenbewegung der Klinke kommt die Auslösung dadurch zustande, dass Klinke b und Rast c sich schneidende Bahnen beschreiben. Der Auslöser ist dann überflüssig, das Triebwerk wird aber wesentlich umständlicher, wie Fig. 5 und 6 veranschaulichen. Textabbildung Bd. 320, S. 132 Fig. 5. Auslösende Steuerung mit Eigenbewegung der Klinke (alte Sulzersteuerung), gezeichnet im Augenblick der Ausklinkung. b. Klinke; c. Rast; b1. Unveränderliche Bahn der Klinke; c1. Veränderliche Bahn der Rast; d. Stange zum Regulator; l. Exzenterstange. Im Schnittpunkt F der beiden Bahnen erfolgt die Auslösung und ergibt sich daraus die Füllung. Behufs Aenderung der letzteren muss eine der Bahnen verlegt werden. Bei Fig. 5 geschieht das mit der Bahn der Rast (ältere Sulzersteuerung), bei Fig. 6 mit der Bahn der Klinke (neuere Sulzersteuerung). Nullfüllung ergibt sich, wenn beide Bahnen im Punkte F0 einander nur berühren. Bei Fig. 6 entsteht die Bahn der Klinke durch folgende Einrichtung, welche wir später ähnlich bei den zwangläufigen Steuerungen wieder finden werden. Die Stange L ist entweder die Exzenterstange selber, oder sie wird von deren Führungspunkt betrieben, U ist jedoch an einem beliebigen anderen, also nicht mit jenem zusammenfallenden Punkt der Exzenterstange, annähernd senkrecht zur mittleren Richtung der letzteren, seitlich angelenkt, so dass beide Stangen ihre Endlagen zu verschiedenen Zeiten einnehmen, und so die gewünschte Bahn der Klinkenspitze entsteht. Textabbildung Bd. 320, S. 133 Fig. 6. Auslösende Steuerung mit Eigenbewegung der Klinke (neuere Sulzersteuerung), gezeichnet im Augenblick der Ausklinkung. b. Klinke; c. Rast; b1. Veränderliche Bahn der Klinke; c1. Unveränderliche Bahn der Rast; i. Die Mittellage dieses Gelenkes wird vom Regulator verstellt; LL'. Beide Stangen werden vom selben Exzenter betrieben, aber mit verschiedener Ableitungsrichtung. Rückdruck auf den Regulator zu erzeugen, ist bei den auslösenden Steuerungen allein die geringe Reibung zwischen Klinke und Rast imstande. Derselbe ist demnach in allen Fällen sehr unbedeutend. Die Ventilerhebungsverhältnisse sind sehr günstige und für eine Steuerung mit Auslösung nach Fig. 4 in Fig. 7 dargestellt. Die dem jeweiligen Ventilschluss (Füllung) entsprechenden Punkte auf dem Kolbenweg sind mit S, die auf dem Kurbelweg mit F bezeichnet. T bedeutet die Exzenterstellung im Augenblick, wo die Kurbel ihren Totpunkt durcheilt. Die Indexe d und k bedeuten Deckelseite und Kurbelseite der Maschine, Diese Bezeichnungen werden auch in den späteren Figuren in gleicher Weise durchgeführt werden und sei daher hier ein für allemal darauf hingewiesen. Der Anhub des Ventils beginnt in VE (Voreintritt), bald nachdem der Exzenter seine in die Ableitungsrichtung fallende Endlage durchlaufen hat. Reichlich der halbe Exzenterhub wird bei der normalen Füllung (Sd norm. = 0,25 angenommen) zur Ventilerhebung hnorm. ausgenutzt und der Ueberhub \frac{h_{\mbox{max.}}}{h_{\mbox{norm.}}} ist für Sd max. = 0,7 gering, nämlich etwa = 1,75. Derselbe lässt sich bei Fig. 5 und 6 sogar noch günstiger gestalten, da hier bei grossen Füllungen die Auslösung noch möglich ist, nachdem die Klinke bereits ihre Endlage überschritten hat. Infolgedessen erhält auch bei den auslösenden Steuerungen der von der Ventilstange betätigte Ventilhebel meist keine den Hub derselben vergrössernde Uebersetzung, sondern es sind Hub der Ventilstange und Ventilhub nahezu gleichgross. Mit Bezug auf das Steuerschema (Fig. 7) sei noch bemerkt, dass man die Füllung am besten an einem Masstab abliest, welchen man nach den den Füllungen auf Deckel- bezw. Kurbelseite entsprechenden Sehnenlängen T F eines Kurbelkreises von bestimmtem Durchmesser für die gewöhnliche Pleuelstangenlänge gleich dem fünffachen Kurbelradius einteilt. Die Einzeichnung eines solchen dem betreffenden Masstab entsprechenden Kurbelkreises empfiehlt sich bei allen Steuerschemas von Ventilsteuerungen, um schnell die Einzelheiten der Dampfverteilung feststellen zu können. Die wirkliche Füllung fällt aber bei den auslösenden Steuerungen nicht unwesentlich grösser aus, als der Punkt der Auslösung sie nach dem Steuerschema ergibt, und leider ist diese Verspätung des Ventilschlusses nicht einmal immer dieselbe, sondern hängt von den Reibungswiderständen ab, welche je nach dem Betriebszustand der Maschine verschieden sein können. Dies führt dazu, dass die auslösenden Steuerungen im Bereich der kleinsten Füllungen öfters eine mangelhafte Regulierung zeigen, eine Erscheinung, welche beim Parallelschalten solcher Maschinen in Elektrizitätswerken schon unangenehm empfunden wurde. Der Hauptvorzug der auslösenden Steuerungen ist der schnelle Schluss des frei fallenden Ventils, welcher jeden Verlust durch Drosselung ausschliesst. Gerade dieser Vorzug birgt aber in anderer Richtung den Grund zu Mängeln in sich, denn er bedingt die Notwendigkeit von Puffern, welche das Ventil auffangen und es dann sanft auf seinen Sitz führen. Von der Instandhaltung und Einstellung dieser Puffer hängt also wesentlich der ruhige Gang der Maschine ab, und deshalb machen die auslösenden Steuerungen häufig so viel Geräusch, dass der Maschinist dadurch verhindert wird auf ordnungswidrige Stösse im Triebwerk der Maschine acht zu geben, deren Beseitigung ihm obläge. Eine Steuerung, welche in dieser Beziehung Abhilfe zu schaffen sucht, ist die neuere Collmannsteuerung. Sie verdankt ihren ruhigen Gang der guten Wirkung ihrer Oelpuffer, deren Konstruktion sehr sinnreich ist, aber in Bezug auf Feinheit der einzelnen Teile sich dem im Dampfmaschinenbau Erlaubten nähert, so dass diese Puffer immerhin auch hier eine für die Wartung der Maschine nicht angenehme Beigabe bilden. Zwangläufige Steuerungen. Die oben erwähnten Uebelstände der auslösenden Steuerungen und das Bedürfnis nach höheren Umdrehungszahlen, welche naturgemäss die freifallenden Ventile bei jenen nicht gestatten, haben zur Konstruktion der sogen. zwangläufigen Ventilsteuerungen geführt, bei welchen also Einlass- und Auslassventile beide in der oben näher bezeichneten Weise zwangläufig bewegt werden. Die weiteste Verbreitung hat von diesen Steuerungen wohl die von der Görlitzer Maschinenbau-Akt.-Ges. ausgeführte ältere Colmannsteuerung gefunden. Dem Beispiele Collmanns sind dann eine grosse Anzahl Konstrukteure mit mehr oder weniger Geschick gefolgt. Jedoch ist von I den vielen aufgetauchten und meist auch patentierten Konstruktionen nur einer verhältnismässig geringen Anzahl ausgedehntere Anwendung zu teil geworden. Da die zwangläufigen Steuerungen die Geschwindigkeit der Schlussbewegung des Ventils durch Aufrechterhaltung des Zusammenhangs des Triebwerks genau regeln, so ermöglichen sie ohne Puffer im allgemeinen einen ruhigeren Gang als die auslösenden Steuerungen. Aber ihre Triebwerke vollziehen den Ventilschluss I meist nicht ohne eine gewisse Drosselung und üben in der Regel einen grösseren Rückdruck auf den Regulator aus, weil hier der letztere in viel engerem Zusammenhang mit dem Triebwerk steht. Auch ist bei den zwangläufigen Steuerungen der Ueberhub nicht so günstig als bei den auslösenden. Letzteres fällt besonders bei grossen Maschinen in die Wagschale und ist der Grund, weshalb bei den zum Zweck der elektrischen Licht- und Kraftübertragung benötigten sehr grossen Dampfmaschinen mit ihren verhältnismässig geringen Umdrehungszahlen noch bis vor kurzem mit Vorliebe auslösende Steuerungen angewandt wurden. Um auch für diese ganz grossen Dampfmaschinen ihre zwangläufigen Steuerungen einwandfrei zu machen, sind die betreffenden Konstrukteure besonders in neuerer Zeit bemüht gewesen, deren Ventilerhebungsverhältnisse zu verbessern. Je nach den Mitteln, welche zur Verstellung des Triebwerks zwecks Aenderung der Füllung angewandt werden, unterscheidet man zwei Gattungen von zwangläufigen Ventilsteuerungen, von denen die zweite wieder in drei Gruppen zerfällt. Die erste Gattung bilden die Steuerungen mit veränderlicher Ableitungsrichtung bei unveränderlichem Exzenter, die zweite die mit veränderlichem Exzenter bei gleichbleibender Ableitungsrichtung. Für die Vergleichung der Ventilerhebungsverhältnisse der einzelnen Steuerungssysteme, welche hier in Betracht kommen, diene zunächst die Fig. 8. Textabbildung Bd. 320, S. 134 Fig. 7. Steuerschema für Ventilsteuerungen mit Ausklinkung ohne Eigenbewegung der Klinke. e1. Kurbel bei VE Deckelseite bei Rechtslauf; l. Exzenterstange; e2. Kurbel bei VE Deckelseite bei Linkslauf; T. Exzenter bei Kurbeltotlage; f. Ableitungsrichtung In derselben ist, wie auch vorhin bei Fig. 7, die normale Füllung auf der Deckelseite = 0,25 und die maximale = 0,7 angenommen, was für die Praxis meist zutrifft, und für diese beiden Füllungen sind dann die in der Ableitungsrichtung vollführten, für die Ventilerhebung nutzbaren Hübe (h) der Exzenterstange l eingezeichnet. Das Verhältnis derselben zur Exzentrizität r und untereinander ist grundlegend für die weitere Ausbildung des Triebwerks und die schliesslich sich ergebenden wirklichen Ventilhübe, über welche man sich gewöhnlich noch in den sogen. Ventilerhebungsdiagrammen besondere Rechenschaft gibt (s. ein solches später bei Fig. 22). Textabbildung Bd. 320, S. 135 Fig. 8. Zwangläufige Ventilsteuerungen mit veränderlicher Ableitungsrichtung. Kurbel bei VE Deckelseite bei Rechtslauf; Exzenter bei Kurbeltotlage; Kurbel bei VE Deckelseite bei Linkslauf; Schlitzlage für Max.-Füllung; Ableitungsrichtungen bei Max.-Füllung; Schlitzlage für Norm.-Füllung; Führung der Ventilstange bei Eisner; Mittlere Schlitzlage; bei Eisner; Zum Ventilhebel bei Hunger; Schlitzlage für Null-Füllung; Exzenterstange; End-Schlitzlagen Im Gegensatz zu den auslösenden Steuerungen sind die Ventilhübe hübe hier stets grösser als die entsprechenden nutzbaren Hübe der Exzenterstange. Man ist genötigt in diesem Sinne wirkende Hebelübersetzungen einzuschalten, weil hier nur ein kleiner Teil des Exzenterhubes zur Ventilerhebung nutzbar gemacht werden kann und sich demnach ohne diese Hebelübersetzungen viel zu grosse Exzenter ergeben würden. Bei Anwendung von Wälzhebeln sind dabei die Ventilhübe den Hüben der Exzenterstangen ziemlich proportional, so dass in diesem Falle letztere einen direkten Vergleich gestatten. Aus dieser Proportionalität folgt dann, dass der Ueberhub \frac{h_{\mbox{max.}}}{h_{\mbox{norm.}}} bei Wälz hebeln nicht zu gross ausfallen darf, da sich sonst für die grossen Füllungen ein zu grosser Ventilhub ergibt. Im gegenteiligen Falle muss zwecks Begrenzung des letzteren die Anwendung von Daumenhebeln Platz greifen (Lentzsteuerung). (Fortsetzung folgt.)