Titel: Vergleich der Bahnsysteme für Wechselstrom.
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 333
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Vergleich der Bahnsysteme für Wechselstrom. Vergleich der Bahnsysteme für Wechselstrom. In No. 2 des „Electrical World and Engineer“ vom 14. 1. 05 stellt J. H. Hallberg einen Vergleich verschiedener Bahnsysteme bei Betrieb mit Wechselstrom an, aus dem folgendes entnommen sein soll: Die Verwendung von Elektrizität als treibende Kraft zum Ersatz von Dampflokomotiven bei schwerem Bahnbetrieb ist heute wohl eines der wichtigsten Probleme. In den letzten fünf Jahren ist hier schon viel geschaffen worden und das neue System und die Lokomotiven, die bei der „New York Central Railroad“ verwendet sind, stellen das grösste Unternehmen dieser Art dar, obgleich die Ausführung, wie sie hier gewählt wurde, nur bei kurzen Strecken mit dichtem Verkehr und vielen Haltestellen anwendbar ist. Für Vollbahnen sind wohl auch schon grosse Entwürfe gemacht worden, doch konnte bis jetzt noch keine elektrische Lokomotive gebaut werden, die allen Anforderungen genügte. Die elektrische Ausrüstung einer Bahnlinie besteht in der Hauptsache aus drei Teilen: 1. das Kraftwerk, 2. die Kraftverteilungsanlage, 3. die Lokomotiven. Die folgenden Eigenschaften dieser drei Teile sind wohl allgemein gebilligt. 1. Das Kraftwerk liefert hochgespannten Wechsel- oder Drehstrom. Für lange Linien ohne dichte Zugfolge ist Einphasenstrom vorzuziehen. 2. Die Kraftverteilungsanlage, bestehend aus den Speiseleitungen und den Fahrdrähten, muss einfach, betriebssicher und billig herzustellen und zu erhalten sein. Seitliche Oberleitungen sind solchen, die in der Mitte über dem Gleise angebracht sind, oder einer Stromzuführung mit dritter Schiene vorzuziehen. 3. Für die Konstruktion von elektrischen Lokomotiven sind folgende Bedingungen massgebend: a) Sie müssen hochgespannten Wechselstrom vom Fahrdraht abnehmen und entweder diesen direkt oder niedrig gespannten Wechsel- oder Drehstrom in den Motoren verwenden; b) sie müssen beim Bremsen Energie ins Netz zurückschicken; c) der hochgespannte Strom soll nicht Kontrollern und Widerständen zugeführt werden, und soll nicht abgeschaltet werden; d) das Anfahren darf nicht auf das Kraftwerk zurückwirken; e) die Kraft muss den Motoren beim Anfahren gleichmässig anwachsend und nicht sprungweise sich steigernd zugeführt werden; f) die Motoren müssen bis 100 v. H. überlastungsfähig sein, ohne Schaden zu nehmen, um Steigungen oder Schneeverwehungen zu überwinden; g) die Motoren sollen womöglich ohne Kommutator und Bürsten sein; h) die Motoren sollen ohne Vorgelege direkt auf die Achsen wirken; i) die Motoren müssen unabhängig voneinander sein, so dass das Versagen eines oder selbst mehrerer Motore den Betrieb nicht stört; k) die Lokomotive soll unter Umständen bei 0,5 m Wasser auf den Schienen arbeiten können, ohne dass die Motore Schaden nehmen; 1) die Lokomotive soll ein Gewicht von 100–200 t haben und 2000–4000 PS entwickeln; m) der gesamte elektrische Wirkungsgrad von Kraftstation, Fernleitung, Fahrdraht und Lokomotive darf nicht unter 0,65 gehen. Bis jetzt sind fünf verschiedene Systeme ausgearbeitet: I. Hochgespannter Drehstrom wird in Unterstationen durch rotierende Umformer in niedrig gespannten Gleichstrom verwandelt und den Lokomotiven zugeführt (Fig. 1). Dies System ist bei der „New Yorker Central Bahn“ zur Anwendung gekommen; II. hochgespannter Drehstrom wird direkt den Fahrdrähten und dadurch den Lokomotiven, die mit Drehstrominduktionsmotoren ausgerüstet sind, zugeleitet (Fig. 2). Dies System ist bei den Schnellbahnversuchen erprobt worden; III. hochgespannter Wechselstrom wird den Fahrdrähten zugeführt, und auf den Lokomotiven direkt oder unter Zwischenschaltung eines Transformators in Einphasenkommutatormotoren mit Zahnradvorgelege verwendet (Fig. 3). Dies System ist noch nicht auf grösseren Strecken versucht worden; IV. hochgespannter Wechselstrom wird auf den Lokomotiven durch einen Motorgenerator in Gleichstrom umgewandelt und damit die Motoren angetrieben (Fig. 4). Auch dieses System ist bereits ausgeführt; V. hochgespannter Wechselstrom wird auf der Lokomotive durch einen Motorgenerator in Drehstrom umgewandelt und als solcher Induktionsmotoren zugeführt (Fig. 5). Im nachstehenden mögen die einzelnen Systeme an Hand der Figuren noch etwas näher besprochen werden. Wie aus Fig. 1 zu entnehmen ist, braucht man beim System I drei Hochspannungsleitungen und zwei Niederspannungsleitungen längs der ganzen Bahnstrecke. In einem Abstand von höchstens 10 km müssen Unterstationen errichtet sein mit vollständiger Ausrüstung von Schalttafeln, Transformatoren, und für jeden Zug einen rotierenden Umformer von rund 2000 KW Leistung. Die Figur zeigt drei Abschnitte, von denen jeder durch einen solchen Umformer von 2000 KW mit Kraft versorgt wird, so dass auf jedem Abschnitt ein Zug verkehren kann. Nimmt eine Unterstation Schaden und wird aus irgend einem Grunde unfähig Kraft abzugeben, so treten auf der Bahn schwere Störungen auf, da es nicht möglich ist, den Abschnitt von weiter her mit Strom zu versorgen. Ein solches System mag daher auf einer Anlage wie die „New Yorker Central Bahn“, wo die einzelnen Unterstationen ungewöhnlich nahe beieinander liegen, die einzelnen Abschnitte nur kurz und vorzüglich überwacht sind, sich bewähren, kann aber kaum für Vollbahnen in Betracht kommen. Da die Gleichstromspannung 600 Volt beträgt, so muss die Lokomotive bei voller Leistung über 3000 Ampere bei einer Geschwindigkeit von rund 100 km in der Stunde durch schleifende Kontakte aufnehmen, was je nach den Witterungsverhältnissen auf offener Strecke auch nicht gerade leicht zu machen ist. Dabei ist ferner der ganze Strom den Schalt- und Kontrollapparaten zuzuführen, wodurch diese häufigen Beschädigungen durch Verbrennen der Kontakte ausgesetzt sind. Speziell bei der New-Yorker-Anlage befinden sich die Anker und Kommutatoren unmittelbar auf der Welle. Der Luftspalt zwischen Anker und Feld beträgt nahezu 2 cm, und das Feld ist gegenüber dem Anker etwas beweglich, so dass auch aus diesem Grunde die vorzüglichste Ueberwachung nötig ist. Die Beschädigung eines einzigen Motors setzt sofort die Geschwindigkeit des Zuges ganz bedeutend herab, da Motore mit Kommutator nicht lange stark überlastet werden können. Auch die Kosten der Kraftzuleitungen sind sehr hoch, so dass aus all diesen Gründen das System für Vollbahnen nicht in Betracht kommt. System II braucht nach Fig. 2 drei Hochspannungsleitungen und mindestens zwei Fahrleitungen mit hochgespanntem Strom. Die Lokomotive ermässigt den hochgespannten Drehstrom in einem Transformator und verwendet den Sekundärstrom, der auch noch verhältnismässig hohe Spannung besitzen kann, in den Induktionsmotoren, welche die Kraft durch Zahnräder den Achsen übermitteln. Im allgemeinen wird man die Stromregulierung erst im sekundären Stromkreis vornehmen. Bei den Schnellbahnversuchen hatten die Wagen etwa 1000 PS, bei dem bedeutend höheren Kraftbedarf von 2000–4000 PS, der für Vollbahnzwecke beim Anfahren nötig wäre, wird die Rückwirkung auf das Primärnetz so stark sein, dass auch andere Züge in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch die Verwendung von mindestens zwei Stromabnehmern ist mit Schwierigkeiten verbunden. Für System III sind nach Fig. 3 zwei Hochspannungsleitungen und ein Fahrdraht mit hochgespanntem Strom nötig, ausserdem hat natürlich jede Lokomotive nur einen Stromabnehmer. Der hochgespannte Wechselstrom wird auf dem Wagen heruntertransformiert, und nun den Einphasenkommutatormotoren, die mit Zahnradvorgelege arbeiten, zugeführt. Die sonstige Ausrüstung mit Kontrollern, Widerständen entspricht der gewöhnlichen für Gleichstrombetrieb. Der Einphasenwechselstromkommutatormotor ist in den grossen Typen praktisch noch nicht erprobt und der Einfluss, den eine Lokomotive von 2000–4000 PS mit solchen Motoren beim Anfahren auf die Primärstation ausübt, ist noch zu bestimmen. Vermutlich sind Primärleitungen, Fahrdrähte und ~ Speiseleitungen reichlich zu bemessen, da der Leistungsfaktor besonders beim Anfahren nicht allzuhoch sein dürfte. Auch wird man beachten müssen, den Luftspalt bei den Motoren sehr klein zu wählen, eben mit Rücksicht auf den Leistungsfaktor. Verglichen mit Mehrphaseninduktionsmotoren ist der Einphasenmotor grösser und schwerer, und der Wirkungsgrad des Serienkommutatormotors ist ziemlich niedrig, besonders wenn er mit Zahnradvorgelege arbeitet. Das Kraftverteilungssystem von System IV ist, wie Fig. 4 zeigt, das Gleiche wie bei III. Der vom Fahrdraht abgenommene hochgespannte Einphasenwechselstrom treibt auf der Lokomotive einen mit einer Gleichstromdynamo direkt gekuppelten Einphasensynchronmotor. Die Motorausrichtung ist die gewöhnliche für Gleichstrom. Die Schaltapparate führen nicht den Hauptstrom, sondern wirken auf die Erregung der Gleichstromdynamo und: gestatten den Motoren, jede gewünschte Spannung zuzuführen; die Rückwirkung auf die Primärleitung fällt damit weg, und da man den Leistungsfaktor immer gleich 1 machen kann, sind auch die Kraftleitungen nicht unnötig belastet. Die Lokomotive gibt jederzeit beim Bremsen Energie ins Netz zurück. Dies System ist in der Schweiz praktisch erprobt und hat seine Vorzüge glänzend bewährt. Die einzigen Nachteile sind, dass Gleichstromgenerator und Motore mit Kollektoren versehen sein müssen, und dass es nicht gut möglich ist, auf einer Lokomotive einen grösseren Umformer als 1000 PS unterzubringen. Auch beim Mallberg-Einphasen-Mehrphasen-Bahnsystem V (Fig. 5) braucht man nur zwei Hochspannungsleitungen einen Fahrdraht mit hochgespanntem Strom und einen Stromabnehmer. Dieser hochgespannte Wechselstrom treibt auf der Lokomotive einen Synchronen- oder Induktionseinphasenwechselstrommotor, mit dem ein Drehstromgenerator gekuppelt ist. Verwendet man für beide Maschinen Typen, wie sie sonst in Verbindung mit Dampfturbinen gebaut werden, so kann man ohne Schwierigkeit auf einer Lokomotive einen Maschinensatz von 2500 PS unterbringen. Der primäre Wechselstrom kann eine Spannung bis zu 15000 Volt haben und etwa 50 Wechsel in der Sekunde. Bei einem zweipoligen Einphasensynchronmotor beträgt die Tourenzahl 1500 in der Minute. Beim Drehstromgenerator wird man die Feldwicklung mit Vorteil umschaltbar machen, so dass die gewöhnlichen vier Pole der Maschine einmal Nord-Nord = Süd-Süd, also zweipolig und einmal Nord-Süd = Nord-Süd, also vierpolig verbunden sind, und man so grossen Einfluss auf die Umdrehungszahl der Motore gewinnt. Nimmt man noch die Feldregulierung der Drehstromdynamo und die Einführung von Widerständen in den Rotorstrom der Motore hinzu, so kann man die Umdrehungszahl der normalen Drehstrominduktionsmotoren für etwa 1000 Volt und 50 Perioden in weiten Grenzen regulieren. Textabbildung Bd. 320, S. 334 Kraftstation; Gleichstrommotors; Transformator; Drehstrominduktionsmotore; Drehstromgenerator; Kraftverteilungsleitungen; Einphasenmotor; Fahrdrähte mit Wechselstrom; Gleichstromgenerator; Unterstation; Fahrschalter; Fahrdrähte mit Gleichstrom; Schaltapparate; Speiseleitung; Widerstände; rotierende Umformer; Gleichstrommotore; Speiseleitung der Rückleitung; Drehstrominduktionsmotore; Kommutator; Einphasenserienmotore. Bei plötzlichem Mehrbedarf an Kraft, bei Steigungen braucht man nur die Drehstromdynamo stärker zu erregen. Ebenso kann man beim Bremsen sofort die Energie ins Netz zurückschicken, in dem die Dynamo zweipolig geschaltet wird und so von den Motoren Strom aufnimmt. Der Einphaseninduktionsmotor wird dann ebenfalls als Generator wirken und sendet die Kraft ins Netz zurück. Auf der Lokomotive fällt jeder Schalter, Kontroller usw. weg, und dieser Umstand trägt sehr zur Erhöhung der Betriebssicherheit bei und verbilligt ausserdem die Anlage und Unterhaltung. Da der Strom der treibenden Motoren völlig unabhängig von dem Primärnetz ist, so kann man bei den Motoren ruhig den Luftspalt aus Rücksicht auf die Betriebssicherheit gross wählen, der Leistungsfaktor der Primäranlage wird nicht gestört, und die Drehstromdynamo auf der Lokomotive kann ohne Gefahr zeitweise mit Strom überlastet werden. Eine Lokomotive für 3000 PS mit dieser Ausrüstung wiegt etwa 175 t und kann wegen der Abwesenheit von Kommutator, Bürsten und sonstigen empfindlichen Teilen auch einige Zeit mit über 4000 PS belastet werden. Auch die Kosten einer solchen Lokomotive sind geringer wie bei jeder anderen Ausführungsart, nicht zum wenigsten, da der Umformersatz wegen der schnelllaufenden Type billig ist. Der Wirkungsgrad der beschriebenen Systeme von der Achse der Kraftmaschine im Kraftwerk bis zu der an der Triebachse verfügbaren Kraft ergibt sich etwa folgendermassen: Bei System I : 56 v. H., II : 65 v. H., III : 61 v. H., IV: 62½ v. H., V : 65 v. H. Von den beschriebenen Systemen arbeitet nur das II. und V. ohne jeden Kommutator, und hat darum Aussicht auf Erfolg, da der Kommutator bei schwerem Vollbahndienst immer Schwierigkeiten im Gefolge hat.