Titel: Ueber die Bestimmung der variablen Stabkräfte von Fachwerken mit bewegten Lasten.
Autor: A. Böttcher
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 679
Download: XML
Ueber die Bestimmung der variablen Stabkräfte von Fachwerken mit bewegten Lasten. (Dem Manuskript einer Spezial-Abhandlung über Kranträger-BerechnungBöttcher, Krane, ihr allgemeiner Aufbau nebst maschineller Ausrüstung, die Eigenschaften ihrer Betriebsmittel und die Berechnung und Ausführung ihrer Tragekonstruktionen. München. Verlag von R. Oldenbourg. entnommen und mit Erweiterungen für Allgemeinen Eisenkonstruktionsbau versehen). Von A. Böttcher, Ingenieur in Hamburg. Ueber die Bestimmung der variablen Stabkräfte von Fachwerken mit bewegten Lasten. Es ist üblich, bei Untersuchungen von Fachwerken für die einzelnen Systemstäbe nur die grössten Kräfte entsprechend der ungünstigsten Laststellung zu ermitteln und dieselben der Festigkeitsrechnung zugrunde zu legen. Für die Berechnung von Kranträgern (insbesondere Laufkranträgern) und der Unterstützung von Laufkranbahnen ist es vielfach sehr wünschenswert, den Verlauf der Stabbeanspruchungen mit der Laststellung zu kennen, besonders jener Stäbe, die abwechselnd auf Zug und auf Druck beansprucht werden. Es ist der Zweck der folgenden Ausführungen, eine Methode bekannt zu geben, welche gestattet, in einfacher Weise ohne besondere theoretische Kompliziertheiten die beabsichtigten Stabkraftdiagramme zu entwickeln, und die vielleicht für manchen Konstrukteur willkommen ist, dessen Tätigkeit verhältnismässig selten das Gebiet der Eisenkonstruktionen streift, der aber doch bisweilen vor der Aufgabe steht, Untersuchungen von Fachwerken auszuführen. Die moderne Entwicklung des Kranbaues führt in vielen Werken zur Neubeschaffung von Kranen erhöhter Leistung, die auf vorhandenen Kranbahnen laufen sollen, und hier liegt häufig die Frage vor, ob die Konstruktion den gesteigerten Ansprüchen genügt; die nachstehend erläuterte Methode dürfte besonders auch für derartige Untersuchungen von Wert sein. Es sei noch besonders darauf hingewiesen, dass sie sich aus ganz bekannten Einzelheiten zusammensetzt und mit einfachsten Mitteln vollständig zu beherrschen ist. Für die Untersuchung ist es ganz gleich, ob der Träger gerade oder geschwungene Gurtungen (Fig. 1) hat, auch die Art des Fachwerksystems (Fig. 2A) bedingt bei der Untersuchung keine besonderen Hilfsmittel. Textabbildung Bd. 320, S. 678 Fig. 1. Die Methode soll zunächst an einem einfachen Beispiel erläutert und die Erläuterung durch einige, der Praxis entnommenen Beispiele später ergänzt werden. Ein Fachwerkträger nach System Fig. 2A sei durch eine bewegte Einzellast P belastet (Fig. 3). Die Einzellast werde nach der Reihe über die Knotenpunkte a–e gestellt, und für jede Laststellung in bekannter Weise nach Feststellung der Auflagerreaktion der Kräfteplan entwickelt, indem man, von der Auflagerreaktion ausgehend, schrittweise die Zerlegung nach den Stabrichtungen vornimmt. Die letzte Linie des Kräftezuges muss durch den Anfangspunkt hindurchgehen, die Erfüllung dieser Bedingung liefert eine scharfe Kontrolle für die Genauigkeit der Zeichnung. Nach Fertigstellung der Kräftepläne stellt man eine graphische Tabelle zusammen (Fig. 4), welche getrennt die Stäbe der Unter- und Obergurtung und die Zwischenglieder enthält. Für jeden Stab zeichnet man eine Abszissenachse ein, von welcher ab man den Laststellungen entsprechend die denselben zugeordneten Stabkräfte, welche den Kräfteplänen entnommen werden, in geeignetem Massstab aufträgt, und zwar Druckbeanspruchung nach abwärts, Zugbeanspruchung nach aufwärts. In Fig. 4 ist die punktierte Linie die Abszissenachse für die variablen Stabkräfte. Zu bemerken ist, dass infolge der Symmetrie des angenommenen Trägers zur Trägermitte nur die Kräftepläne für die Hälfte der Laststellungen erforderlich sind. Denselben sind alle Stabkräfte, für sämtliche Knotenpunkte als Laststellung, zu entnehmen. Textabbildung Bd. 320, S. 679 Fig. 2A. Textabbildung Bd. 320, S. 679 Fig. 2B. Wenn man die so gefundenen Stabkräfte (die ja einstweilen nur für die Knotenpunktsstellungen der Last bestimmt sind) in den Diagrammen sich genauer ansieht, so findet man, dass die Endpunkte sämtlicher Ordinaten auf geraden Linien liegen, die für jeden Stab sich zu einem gebrochenen Linienzug vereinigen lassen. Es scheint hiernach, als ob die Stabkräfte auch für die Zwischenstellungen der Last nach geraden Linien verlaufen. Das ist tatsächlich der Fall und darin liegen die vielseitige Anwendbarkeit und die ausserordentliche Einfachheit der vorliegenden Methode begründet. Der geradlinige Verlauf der Diagrammlinie lässt sich wie folgt beweisen: In Fig. 5 seien die Stabkräfte eines Systemgliedes für Stellung der Last in den Knotenpunkten a bis i bestimmt, die Endpunkte liegen auf dem gestrichelten Linienzug a m i, für Stellung der bewegten Last P in f sei die Stabkraft Kf, für Stellung in g, Kg. Nach der allgemein üblichen Vorstellung der Fachwerksysteme, welche die einzelnen Systemglieder durch Gelenke miteinander verbindet, wird bei Stellung von P zwischen f und g, z.B. in n, im Knotenpunkt f ein Druck P_f=P\cdot \frac{\overline{n\,g}}{\overline{f\,g}} und im Knotenpunkt g ein Druck P_g=P\cdot \frac{\overline{n\,f}}{\overline{f\,g}} ausgeübt; beide Drucke haben auf das System die gleiche Wirkung wie die Kraft P bei Stellung in n. Nach den Entwicklungen der Kräftepläne der Fig. 3 erzeugt Pf in dem betrachteten Stab eine Stabkraft K'_f=K_f\cdot \frac{P_f}{P} und Pg gleichzeitig eine Kraft K'_g=K_g\cdot \frac{P_g}{P} Die resultierende Stabkraft, die durch P bei Stellung in n erzeugt wird, ist gleich der Summe beider Werte, d.h. \begin{array}{rcl}K_n&=&K'_f+K'_g=K_f\cdot \frac{P_f}{P}+K_g\cdot \frac{P_g}{P}\\ &=&K_f\cdot \frac{\overline{n\,g}}{\overline{f\,g}}+K_g\cdot \frac{\overline{n\,f}}{\overline{f\,g}} \end{array} Wenn man die Endpunkte von Kf und Kg durch eine Gerade miteinander verbindet, wie in Fig. 6 geschehen ist, und eine Diagonale, z.B. f' g zieht, so ist in dem unteren Dreieck n\,x=K_f\cdot \frac{\overline{n\,g}}{\overline{f\,g}} und in dem oberen Dreieck n'\,x=K_g\cdot \frac{\overline{n'\,f'}}{\overline{f'\,g'}} oder, was dasselbe ist \overline{n'\,x}=K_g\cdot \frac{\overline{n\,f}}{\overline{f\,g}} Da nun durch Addition von n x und n' x folgt, dass \overline{n\,x}+\overline{n'\,x}=K_f\cdot \frac{\overline{n\,g}}{\overline{f\,g}}+K\,g\cdot \frac{\overline{n\,f}}{\overline{f\,g}}=K_n, so muss der Endpunkt von Kn unabhängig von der Wahl der Vertikale n stets auf der Verbindungslinie von Kf und Kg liegen. Aehnliches lässt sich für sämtliche Diagramme nachweisen, und gilt auch, wenn Kf oder Kg verschiedenes Vorzeichen haben. Textabbildung Bd. 320, S. 680 Fig. 3. Textabbildung Bd. 320, S. 680 Fig. 4. Aus dem geradlinigen Verlauf der Diagrammkurven geht hervor, dass die zum Entwurf derselben erforderliche Anzahl Kräftepläne stark beschränkt werden kann; bei einiger Uebung genügen für Träger mit sechzehn Feldern im ganzen zwei bis vier Kräftepläne. In Fig. 3 sind der Vollständigkeit halber die Kräftepläne für alle Knotenpunkte einer Trägerhälfte ausgeführt. Die Stäbe links von Trägermitte sind mit einfachen Ziffern bezeichnet, die entsprechenden Glieder der anderen Trägerhälfte tragen gleiche Nummer mit Strich. In den Diagrammen sind die Linienzüge für die Glieder der linken Hälfte ausgezogen, für die symmetrisch gelegenen Glieder der rechten Hälfte gestrichelt. Als Nullinien der Ordinaten sind in jedem Diagramm, wie schon oben erwähnt, die gestrichelten Achsen anzusehen, die ausgezogenen Horizontalen beziehen sich auf Eigengewicht, das für die vorliegende Untersuchung ausser Acht bleibt. Es sei nur der Vollständigkeit halber hier erwähnt, dass für die Berücksichtigung des in den Knotenpunkten konzentriert gedachten Eigengewichtes es nicht gleichgültig ist, ob diese Konzentration in den Knotenpunkten der Ober- oder Untergurtung vorgenommen wird. Es empfiehlt sich häufig, nachdem das Fachwerksystem festliegt, den Kräfteplan für Eigengewicht einmal für Konzentration im Obergurt, das andere Mal für Konzentration im Untergurt zu entwerfen (Fig. 2B) und aus den Kräfteplänen jeweils die grössten Stabkräfte für die Zwecke der Festigkeitsrechnung zu entnehmen. Laufkatzen von Kranträgern bilden ein System von meistens zwei Kräften, welche mit unveränderlichem gegenseitigen Abstand über den Träger hin bewegt werden. Jede dieser Kräfte ruft unabhängig von der anderen Stabkräfte hervor, welche in ihrem Verlauf durch die Diagramme der Fig. 4 dargestellt werden. Für jeden Stab addieren sich in jedem Moment die Einflüsse beider Lasten zu einer resultierenden Stabkraft. Textabbildung Bd. 320, S. 681 Fig. 5. Textabbildung Bd. 320, S. 681 Fig. 6. Es ist zweckmässig, dieselbe in Abhängigkeit von der Stellung eines Laufkatzenrades darzustellen, und zwar soll für die folgenden Entwicklungen das linke Rad genommen werden. Nimmt man vorläufig beide Raddrücke als einander gleich an, so kann man für eine bestimmte Stellung des linken Rades die Gesamtbeanspruchung eines Stabes finden, wenn man berücksichtigt, dass die Stabkraft, welche das andere Rad erzeugt, an einer Stelle aus dem Diagramm (Fig. 4) zu entnehmen ist, welche um den Radstand weiter nach rechts liegt. Um Irrtümer in der graphischen Addition beider Raddrücke zu verhüten, rückt man zweckmässig das Diagramm des rechten Rades soweit nach links, bis der dem linken Rad zugeordnete Wert in die gleiche Ordinate fällt, d.h. man zeichnet ein zweites Diagramm, welches gegen das erste um den Radstand nach links verschoben ist, und erhält alsdann durch einfache Addition der in derselben Ordinate liegenden Einzelwerte beider Diagramme die resultierende Stabkraft, erzeugt durch die beiden Raddrücke, in Abhängigkeit der Stellung vom linken Rad. Das ist in Fig. 7 geschehen; die Einzeldiagramme entsprechen den Diagrammen der Fig. 4, nur sind die Ordinaten hier in halbem Masstab aufgetragen. Der Radstand der Katze ist der Einfachheit halber gleich der Feldweite des Fachwerks angenommen, doch besteht kein Zweifel, dass die Addition in ebenso einfacher Weise auszuführen ist, wenn Radstand und Fachwerkweite voneinander abweichen, denn es brauchen ja nur die charakteristischen Ordinaten (Ecken und Nullwerte) des zweiten Einzeldiagramms gezeichnet zu werden. Ebenfalls wird der Gang der Entwicklung des resultierenden Diagramms durchaus nicht erschwert, wenn beide Raddrücke der Laufkatze voneinander verschieden sind. Die Kräftepläne werden für einen abgerundeten Wert von P, etwa 1000 kg oder 10000 kg, entworfen. Die für jedes Rad dann in das Diagramm einzutragenden Werte der Stabkräfte werden aus den Kräfteplänen entnommen und in die Einzeldiagramme in dem Verhältnis eingetragen, in dem der betreffende Raddruck zu der angenommenen Kraft P steht. Textabbildung Bd. 320, S. 681 Fig. 7. Zu Fig. 7 ist noch zu bemerken, dass hier keine Abszissenachse für Eigengewicht, wie in Fig. 4, angedeutet ist. (Schluss folgt.)