Titel: Die neuen Strecken der Berliner Hoch- und Untergrundbahn in Charlottenburg.
Autor: A. Br.
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 129
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Die neuen Strecken der Berliner Hoch- und Untergrundbahn in Charlottenburg. Die neuen Strecken der Berliner Hoch- und Untergrundbahn in Charlottenburg. Vor einem Kreise von Fachleuten fand kürzlich eine Besichtigung der Erweiterungsstrecken der Berliner Hoch- und Untergrundbahn in Charlottenburg statt. Dem bei dieser Gelegenheit Gesehenen und Gehörten sind nachstehende Angaben über den äusserst interessanten Bau entnommen, die in der Voraussetzung mitgeteilt seien, dass jeder weitere Ausbau einer Verkehrseinrichtung, wie der Berliner Hoch- und Untergrundbahn, in Hinsicht auf die heutzutage so oft erörterten Berliner Verkehrsfragen für Laien und Fachleute sowohl ein allgemein-technisches wie auch verkehrstechnisches Interesse haben dürfte. Textabbildung Bd. 321, S. 129 Fig. 1. Wenn die neue Strecke – wie wir weiter unten sehen werden – in teilweise noch wenig bebaute Gegenden Charlottenburgs und Westends führt und somit mangels eines ausreichenden Verkehrs eine Ertragsfähigkeit dieser Teile der neuen Bahn zunächst nicht sicher ist und wohl auch nicht erwartet wird, so muss für die Gesellschaft für Hoch- und Untergrundbahnen eine bestimmte Veranlassung vorgelegen haben, die Strecke dennoch so weit auszubauen. Und in der Tat ist hierbei die Gesellschaft einem ihr von drei Seiten nahegelegten Wunsche gefolgt. Zunächst ist es der preussische Fiskus, der eine Verbindung der in Frage stehenden Gebiete mit dem Innern der Reichshauptstadt – und zwar in Anlehnung an die vom Kaiser angeregte und teilweise schon ausgeführte sogen. Heerstrasse Berlin – Döberitz – wünscht; sodann muss die Gemeinde Charlottenburg ein lebhaftes Interesse an einer Verkehrsverbindung der bisher nur wenig oder garnicht vom Verkehr berührten Gegenden von Witzleben, des Königsweges usw. haben, wodurch eine weitere Möglichkeit der Ausdehnung der in letzter Zeit mächtig emporgeblühten Stadt Charlottenburg gegeben ist; und schliesslich ist es die Neu-Westend-Terrain-Gesellschaft, die eine schnelle und billige Verbindung Westends mit Berlin herbeisehnt und die daher ebenfalls eifrig für die Fortsetzung der Untergrundbahn wirkte. Diesen drei Faktoren, deren Hilfe sowohl in materieller Unterstützung, wie auch in einer Förderung der Vertrags-, Konzessions-, Uebergabegeschäfte usw. bestand, ist die unverzügliche Inangriffnahme und die teilweise schnelle Vollendung der neuen Strecke neben den beteiligten ausführenden Gesellschaften – der Gesellschaft für Hoch- und Untergrundbahnen und den Siemens-Schuckert-Werken – zu verdanken. Der Erweiterungsbau der Hoch- und Untergrundbahn zerfällt in eine Hauptstrecke Knie–Westend und eine Nebenstrecke Krummestrasse–Wilhelmplatz (vgl. den Plan Fig. 1). Von Station Knie aus wendet sich die Bahn in einem scharfen Bogen nach links zur Bismarckstrasse und verläuft in deren Zuge unter der Krumme- und Sesenheimerstrasse hindurch zum Sophie-Charlottenplatz; weiter wird in gerader Linie nach Kreuzung der Nordringstrecke der Berliner Ringbahn, der Königin Elisabeth- und der Soorstrasse die Endstation auf Platz B und Strasse 7a in Westend erreicht. Von dieser Hauptstrecke zweigt nun von Station Krummestrasse eine Nebenstrecke ab, die durch die Sesenheimerstrasse zum Wilhelmplatz in Charlottenburg führt. Die Hauptstrecke vermittelt den eigentlichen Durchgangsverkehr von Berlin über Charlottenburg nach Westend. Sie hat, vom Knie aus, folgende Haltestellen: Krummestrasse, Sophie-Charlottenplatz, Station Ringbahn und den Endpunkt Platz B. Die ganze Strecke Knie–Platz B mit der Abzweigung ist etwa 4,5 km lang; die einzelnen Haltestellen haben einen mittleren Abstand von 900 m. Die Nebenstrecke Krummestrasse–Wilhelmplatz hat keine weitere Haltestelle. Es soll hier später ein sogen. Pendelverkehr zwischen der Haltestelle Krummestrasse und dem Endpunkt Wilhelmplatz eingerichtet werden. Textabbildung Bd. 321, S. 130 Fig. 2. Tunnel, Querschnitt. In bezug auf den Ausbau der auf ihrer ganzen Länge als Untergrundbahn ausgeführten neuen Strecke hat man sich selbstverständlich in ausgedehntestem Masse die beim Bau der älteren bestehenden Strecken gesammelten Erfahrungen zunutze gemacht. Textabbildung Bd. 321, S. 130 Fig. 3. Längsschnitt der Untergrundbahn. Die Einzelheiten der Bauausführung lehnen sich daher auch eng an die der Strecke Nollendorfplatz–Knie (Charlottenburg) an. Die Steigungen sind meist geringer, als bei den schon bestehenden Strecken. Vom Knie ab verläuft die Bahn zuerst wagerecht und steigt etwas bis zur Krummestrasse, um nach einer kurzen wagerechten Strecke bis zum Endpunkt Platz B beständig anzusteigen. Die Nebenstrecke Krummestrasse–Wilhelmplatz verläuft wagerecht. Die Tunnelstrecke (Fig. 2) liegt 0,7 bis zu 1 m unter dem Strassenniveau. Die Höhe des Tunnels ist 3,3 m, die Breite für eine Durchfahrt 3,12 m. Die Tunnelwände sind aus Beton (Mischung 1 : 7) und haben eine Wandstärke von 1 m bis zu 1,2 m. Wegen des Grundwassers, unter dessen Spiegel die Tunnelsohle häufig liegt, wurde diese mit einer Betonsohle von ungefähr 1 m mit dreifacher Teerpappendichtung versehen. Diese Betonsohle war natürlich entbehrlich da, wo die Tunnelsohle oberhalb des Grundwasserspiegels lag. Die Tunneldecke wird von Betonkappen gebildet, die sich zwischen Querträgern ausbreiten. Letztere stützen sich auf Längsträger, die auf Säulen ruhen (Fig. 3). Das Einstampfen der Betonkappen geschieht in bekannter Weise durch Lehrgerüste. Zur Isolierung der Tunneldecke gegen Feuchtigkeit von oben wurde eine zweifache Teerpappenschicht verwendet, über welche noch eine Beton- oder Mauersteinschicht gelegt wurde. Die Ausführung der ganzen Strecke geschah ebenso, wie bei den alten Strecken, in offener Baugrube. Die Seiten wände wurden durch Doppel-⊤-Träger mit zwischengesetzten Bohlen und Querstreben abgesteift. Besondere Schwierigkeiten stellten sich nicht in den Weg. Der Baugrund war meistens günstig. Soweit harter Ton vorhanden war, konnte die Tunnelsohle darauf unmittelbar errichtet werden. Nur hinter dem Sophie-Charlottenplatz bestand der Grund aus Moor und darunter Diatomeenerde. Man trieb deshalb Pfähle bis zum festen Baugrund ein, verband sie zu einem Pfahlrost und baute dann auf diesem künstlichen Grunde den Tunnel in der beschriebenen Weise auf. In Entfernungen von 200 m sind Einsteigeschächte angebracht, die bei Unglücksfällen ein Verlassen der Bahn ermöglichen. Zum Ableiten von Regenwasser dienen gemauerte Kanäle, die unterhalb der Gleise verlegt sind. Die Bahn weist zwei besonders interessante Stellen auf. In erster Linie ist dies die elektrische Unterstation hinter der Abzweigung der Haltestelle Krummestrasse. Die Anlage einer solchen Unterstation war deshalb notwendig, weil das Hauptkraftwerk der Hoch- und Untergrundbahn in der Trebbinerstrasse von den neuen Erweiterungsstrecken zu weit entfernt liegt, um eine Versorgung der neuen Anlagen mit Gleichstrom von 750 Volt lohnend zu machen. Das Hauptwerk Trebbinerstrasse versorgt deshalb die unterirdisch angelegte Unterstation Krummestrasse mit hochgespanntem Drehstrom von 10000 Volt bei 40 Perioden, welcher dann auf Gleichstrom von 750 Volt umgeformt wird. Zu diesem Zwecke besteht auf der Unterstation zunächst ein Hochspannungsschaltraum, in welchem sich die Hochspannungstransformatoren sowie die Schalttafeln mit Oelschaltern für letztere und für die Speisekabel befinden. Sodann ist ein Umformerraum vorgesehen, in welchem fünf Drehstrom-Gleichstromumformer aufgestellt sind. Zu jedem Umformer gehört ein Drehstrom-Oeltransformator für 800 KVA mit einem Uebersetzungsverhältnis von 10000 : 500 Volt; mittels der erwähnten Umformer findet dann eine weitere Umwandlung in Gleichstrom von 780 Volt statt. Der dritte Raum ist der Maschinenraum, in welchem die Hauptschalttafel untergebracht ist, von welcher die Hochspannungsapparate durch Fernsteuerung und die Umformer, sowie die Schaltapparate der Bufferbatterien und die Blockeinrichtung bedient werden; sodann befindet sich hier eine Schalttafel für die Verteilungsleitungen, für die Beleuchtungs- und die Signaleinrichtungen, und endlich eine dritte für zwei kleinere Transformatoren von je 185 KVA und 500 Volt sekundär. Letztere sind zum Betrieb von Pumpen und Ventilatoren aufgestellt. Ein vierter Raum dieser Unterstation enthält die Bufferbatterien (geliefert von der Akkumulatorenfabrik A.-G., Hagen-Berlin), und zwar eine für die Kraftleitung von 370 Zellen mit einer Kapazität von 900 Amperestunden bei einstündiger Entladung, eine für die Lichtleitung und eine für die Blockeinrichtung, jede bestehend aus 70 Zellen mit einer Kapazität von 165 Amperestunden. Jede Bufferbatterie hat zwei Zusatzmaschinen. Die Maschinen- und Batterieräume haben Oberlichtfenster, dagegen der Hochspannungsraum künstliche Beleuchtung. Die Lüftung erfolgt mittels Ventilatoren durch einen zur Erdoberfläche geführten weiten Luftschacht. Textabbildung Bd. 321, S. 131 Fig. 4. Tunnel für Haltestellen, Querschnitt. Der zweite interessante Punkt der neuen Strecke betrifft die Ueberführung der Ringbahn. Hier ist eine Brücke von zwei Etagen angelegt, deren obere für den Strassenverkehr und deren untere für den Untergrundbahnverkehr dient. Kurz vor dieser Ueberführung erweitert sich der Tunnel der Untergrundbahn und beide Gleise überschreiten nun, getrennt durch einen ungefähr 1,5 m breiten Gang, der zur Streckenkontrolle dient, die Gleise des Nordrings, um sich hinter der Brücke wieder in einem gemeinsamen Tunnel zu vereinigen. Die Anlage der Bahnsteige ist im allgemeinen die gleiche wie bei den schon bestehenden Stationen (siehe (Fig. 4). Die Gleise liegen in der Mitte der Haltestelle und seitlich eines jeden Gleises je ein Bahnsteig. Jede Haltestelle hat im allgemeinen nur die den beiden Fahrtrichtungen entsprechenden zwei Gleise; jedoch haben die Endpunkte Wilhelmplatz und Platz B zwecks Aufstellung von Reservezügen und Vermeidung von Stockungen im Verkehr mehr als zwei Bahnsteige, der letztere ausserdem noch einen umfangreichen Bahnhof unterhalb der Strasse 7a. Ferner hat die Haltestelle Krummestrasse als Abzweigstelle vier Gleise, nämlich zwei für den Durchgangsverkehr nach Westend und zwei für den Abzweigverkehr nach dem Wilhelmplatz. Je zwei Gleise derselben Fahrtrichtung haben, wie Fig. 5 zeigt, einen gemeinsamen Bahnsteig. Bei dieser Anordnung kann ein Umsteigeverkehr von einer Linie auf eine andere ohne grossen Zeitverlust vor sich gehen, da gewöhnlich derselbe Bahnsteig zu benutzen ist. Nur zwecks Umsteigens von einem Zuge Westend–Berlin auf einen Zug Krummestrasse–Wilhelmplatz oder umgekehrt ist ein Wechsel des Bahnsteiges nötig, der aber durch eine beide Bahnsteige verbindende Ueberführung so bequem wie möglich gemacht wird. Wie man aus der Fig. 5 ersieht, kreuzt das von Berlin nach Westend führende Gleis I die beiden nach dem Wilhelmplatz führenden beiden Gleise II und III. Die Betriebssicherheit wäre nun arg gefährdet, wenn die Kreuzung bei den drei Schienensträngen im selben Niveau erfolgen würde. Es wurde deshalb das Gleis I unter die beiden Gleise II und III hindurchgeführt, wobei das erstere gesenkt, die beiden letzteren gehoben werden mussten. Die dabei vorkommenden Steigungen sind etwas geringer als die Rampensteigung am Nollendorfplatz (1 : 32). Die Tunnels wurden dabei als Tonnengewölbe ausgeführt. Die Sohle des unteren, das Gleis I enthaltenden Tunnels liegt in ihrem tiefsten Punkt 14 m unter dem Strassenterrain. Die Haltestellen Krummestrasse und Wilhelmplatz sind ebenso wie die Strecke Knie–Krummestrasse–Wilhelmplatz nahezu fertiggestellt, abgesehen von der elektrischen Ausrüstung, so dass der Betrieb aller Voraussicht nach im Juni dieses Jahres aufgenommen werden kann. Auf der übrigen Strecke Krummestrasse–Platz B (Westend) dagegen sind zum Teil die Ausschachtungsarbeiten noch nicht beendet. Die Kosten der neuen Strecke sind gegenüber denen der älteren verhältnismässig gering. Die Gesamtkosten der 4,5 km langen Linie betragen etwa 10,5 Millionen Mark, also f. d. Kilometer annähernd 2,4 Millionen Mark. Als Gegenstück dazu seien die Kosten der demnächst auszuführenden Strecke Potsdamer Platz–Spittelmarkt angeführt, die für die 2 km lange Strecke 18 Millionen, also f. d. Kilometer 9 Millionen Mark betragen. Textabbildung Bd. 321, S. 131 Fig. 5. Haltestelle Krummestrasse. Die Berliner Hoch- und Untergrundbahn hat mit Einrechnung der neuen Strecken eine Gesamtlänge von über 15 km. A. Br.