Titel: Die Temperaturschwankungen auf der gesamten Erdoberfläche.
Autor: Hermann Haedicke
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 141
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Die Temperaturschwankungen auf der gesamten Erdoberfläche. Von Hermann Haedicke, Siegen. Die Temperatuvschwankungen auf der gesamten Erdoberfläche. Dr. van Ryckevorsels neueste Untersuchungen der Tenperaturschwankungen auf der gesamten Erdoberfläche haben ganz eigentümliche Erscheinungen zutage gefördert, welche vielleicht geeignet sind, zu weiteren Erkenntnissen über den Zusammenhang der Naturkräfte zu führen. – Die Temperaturschwankungen der Erde folgen naturgemäss zunächst dem Verlauf des Jahres und zeigen auf der nördlichen Erdhälfte recht einheitlich im Januar-Februar ein Minimum und im Juli-August ein Maximum. Der genannte Gelehrte, – Rotterdam – welcher sich bereits durch ausserordentlich umfangreiche magnetische Beobachtungen in wissenschaftlichen Kreisen bestens bekannt gemacht hat, weist nun in seinem soeben erschienenen neuesten Werke: Konstant auftretende sekundäre Maxima und Minima in dem jährlichen Verlauf der meteorologischen ErscheinungenRotterdam, W. J. van Hengel, 1905. nach, dass es abgesehen von den ganz unregelmässigen Schwankungen der Temperatur eine Reihe solcher gibt, die gesetzmässig sind und sich auf dem ganzen Erdball, unabhängig von Norden und Süden, mit geringen Verschiebungen regelmässig wiederfinden. Trägt man nämlich die täglichen mittleren Temperaturen als Ordinaten, die Zeiten als Abszissen auf, so erhält man für den Verlauf eines Jahres eine sinusähnliche Linie, die ein Maximum im Sommer und ein Minimum im Winter hat. Die für dieselben Zeiten für die südliche Erdhälfte erhaltene Kurve hat einen sehr ähnlichen Verlauf, wechselt aber das Zeichen: ein Maximum ins Norden entspricht einem Minimum im Süden. Textabbildung Bd. 321, S. 141 Fig. 1. Temperaturkurve für Paris, 130 Jahre. Diese Linien sind aber nicht glatt, sondern, wie in der Fig. 1 zu erkennen, sehr ungleichförmig. Die Zacken erscheinen regellos. Die Temperatur unterliegt eben nicht allein der Stellung der Sonne, sondern ist noch von einer Anzahl anderer zum Teil noch unbekannter Einflüsse abhängig. Die Maxima und Minima, gegen 40 im Laufe des Jahres, lassen auch keine Periode erkennen, treten aber auf beiden Hemisphären mit geringen Verschiebungen gleichzeitig auf. Endlich aber – und das aufgefunden zu haben, ist das besondere Verdienst van Ryckevorsels – lassen sich noch zwei periodische Schwankungen nachweisen, welche, nördlich und südlich vom Aequator, genau zur selben Zeit mit demselben Zeichen erscheinen. Sie zeigen (Fig. 2) zwei Maxima im Anfang März und September und zwei Minima in den ersten Tagen des Juni und des Dezember. Textabbildung Bd. 321, S. 142 Fig. 2. Die Perioden in den Temperaturschwankungen, konstant für diagene Erde. Der vollen Verwendung dieser Kurve etwa für Vorausbestimmungen steht nun leider der Umstand im Wege, dass die zufälligen Temperaturschwankungen die durch die so erhaltene Normalkurve angegebenen gesetzmässigen überragen bezw. überdecken, so dass z.B. das von der Letzteren angegebene Steigen vermöge der zufälligen Einflüsse von einem Sinken der Temperatur beantwortet werden kann. Immerhin bleibt die Tendenz der Temperatur bestehen, sich nach der Normalkurve zu richten. Wenn also unsere heutigen sorgfältigen Witterungsbeobachtungen auf irgend eine Temperaturänderung für die nächste Zeit schliessen lassen, so darf nunmehr die Normalkurve herangezogen werden, welche gewissermassen als Korrekturanzeiger verwendet werden kann. Dies Herausschälen der Normalkurve aus den Beobachtungen trotz der sie oft wesentlich überdeckenden zufälligen, d.h. noch nicht als gesetzmässig erkannten Temperaturschwankungen ist ermöglicht worden durch die Heranziehung der, wie oben bemerkt, zum Teil über ein Jahrhundert sich erstreckenden Beobachtungen, durch deren Mittelung die Zufälligkeiten sich gegenseitig eliminieren. Es ist dies gerade so, wie die Bildung der Schneedecke: die rein zufällig fallenden Flocken treffen zuerst beliebige Stellen des Bodens. Aber die andauernde Wiederholung gleicht die Zufälligkeiten aus und schliesslich ist der ganze Boden gleichmässig mit Schnee bedeckt: Jeder Punkt hat das richtige Mass erhalten. – Je länger also eine Beobachtung von Zufälligkeiten währt, desto mehr löschen diese sich bei der Summierung gegenseitig aus und kommen endlich zum Verschwinden. Mit einer wohl nirgends übertroffenen Ausdauer und peinlichen Gewissenhaftigkeit hat van Ryckevorsel allein für die nördliche Erdhälfte die Beobachtungen von gegen 100 Stationen, welche sich über die Dauer von je 10 bis 170 Jahre erstrecken, und von denen 10 über 100 Jahre, im Mittel 79 Jahre umfassen, zusammengestellt, sorgfältig ausgeglichen und danach Kurven gezeichnet, welche für jede Station den mittleren Verlauf der Temperaturschwankungen darstellen. Diese unmittelbar vergleichbar unter einander aufgezeichneten Kurven zeigen nun in ihrem Verlauf Zacken – jene Maxima und Minima –, welche dem Auge zuerst ganz unregelmässig erschienen und dennoch bei sorgfältiger Vergleichung eine derartige Gesetzmässigkeit aufweisen, dass es gelingen konnte, eine Normalkurve zu zeichnen, welche die charakteristischen Aenderungen der Temperatur im Verlauf eines Jahres für die ganze Beobachtungszeit – stellenweis also etwa 1½ Jahrhundert! – nachweisen. Da im ganzen die Beobachtungen von nahezu 4000 Jahren, wovon 255 Jahre auf die südliche Erdhälfte fallen – der Verfasser hat die meisten dieser Stationen persönlich besucht – zusammengezogen worden sind, so ist eine „zufällige“ Uebereinstimmung durchaus ausgeschlossen, und es muss der Schluss gezogen werden, dass es uns noch unbekannte Ursachen gibt, welche für die ganze Erde massgebend sind und die sogar die innerhalb der Monate sich zeigenden Temperaturschwankungen einheitlich beeinflussen. Der Verfasser hat dann noch andere meteorologische Erscheinungen, wie den Barometerstand, die Niederschläge, Gewitter, die magnetische Deklination, die magnetischen Intensitäten, das Nordlicht, die Sonnenflecken usw., stellenweis wieder über Hunderte von Jahren sich erstreckend, zu ähnlichen Tabellen zusammengestellt, leider aber bisher noch nicht die Kurven gezeichnet, so dass auch noch nicht zu erkennen ist, ob diese Erscheinungen einem ähnliehen, vielleicht einheitlichen Gesetz unterworfen sind, so dass man imstande sein würde, einen Schluss über die Ursachen der ganz auffälligen und ebenso unvermuteten Gesetzmässigkeit zu ziehen. Die von. van Ryckevorsel festgestellte, die ganze Erde umfassende Gleichmässigkeit in den Temperaturschwankungen war, wie in dem Werk bemerkt, u.a. bereits von Dr. G. Hellmann und Ed. Rocke angedeutet worden. Sehr überzeugend ferner wirkt der Vergleich der von van Ryckevorsel gezeichneten Normalkurve mit den von Quételet im Jahre 1867 als Resultat einer dreissigjährigen Beobachtung für die Station Brüssel angegebenen mittleren Schwankungen, welche zuweilen auf den Tag, sonst meist mit nur ganz geringen Abweichungen, zutreffen. Ebenso interessant und bedeutsam ist der Vergleich der Normalkurve mit den ältesten vorhandenen Beobachtungen überhaupt, denen aus den Jahren 1655 bis 1670 zu Florenz, welche nach der Skala der Medicäischen Thermometer aufgezeichnet und von Prof. Meucci, dem früheren Direktor des „Observatorio del Museo“ in Florenz, auf Celsius-Grade reduziert worden sind. Die Beobachtungsreihe ist zu kurz, um eine vollkommene Uebereinstimmung mit dem Mittel der Beobachtung von so vielen Jahren zeigen zu können. Aber die Maxima und Minima sind bis auf wenige Ausnahmen so deutlich übereinstimmend ausgeprägt, dass der Schluss gerechtfertigt ist, dass sich die Temperatur im siebzehnten Jahrhundert gerade so verhalten hat, wie im achtzehnten und neunzehnten. Textabbildung Bd. 321, S. 142 Fig. 3. Temperatur-Normalkurve für Niederland, Paris, Basel. Unsere Fig. 3 zeigt die für Niederland, Paris und Basel ermittelte Normalkurve. Die bei der Zusammenstellung der vielen Zahlen beobachtete ausserordentliche Vorsicht des Dr. van Ryckevorsel gestattete ihm nicht, irgend eine praktische Verwendung seiner Kurve auch nur in Vorschlag zu bringen. Aber der Gedanke liegt nahe: Wenn die 1867 in Brüssel beobachteteten Maxima und Minima der Temperaturschwankungen mit der Ryckevorselschen Normalkurve ganz wesentliche Uebereinstimmungen zeigen, die sich sogar bis zum Jahre 1655 zurück verfolgen lassen, so muss sie auch heute in die Erscheinung treten. Man wird also berechtigt sein, z.B. vorauszusagen: Der Monat November zeigt in der Gegend des 8. und des 20. ein Temperaturminimum und in der Nähe seines Endes ein Temperaturmaximum, ähnlich wie der Monat Dezember ein solches in seiner Mitte erwarten lässt. Dabei ist es allerdings gleichgültig, ob sich solche Maxima aus hohen Kältegraden oder aus verhältnismässig an sich schon hohen Wärmegraden herausbilden werden, wie wir letztere jetzt erleben. Und endlich muss immer wieder hervorgehoben werden, dass die Normalkurve aus 110 bis 170 Jahre umfassenden Reihen zusammengesetzt ist und deren Verschiedenheiten in sich aufgenommen hat, so dass jederzeit Abweichungen zu erwarten sind, die innerhalb jener Beobachtungen liegen. Immerhin kann es z.B. für den Landwirt von Vorteil sein, zu wissen, dass zu einer gewissen Zeit ein Temperaturniedergang oder aber ein Anstieg zu erwarten ist oder wenigstens in der Wahrscheinlichkeit liegt.