Titel: Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer.
Autor: W. Treptow
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 276
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Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. Von W. Treptow, Charlottenburg. (Fortsetzung von S. 249 d. Bd.) Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. Die Leistungsfähigkeit der Geschütze ist in den letzten Jahren in ganz ungeahnter Weise gestiegen. Das liegt vor allen Dingen an der richtigen Ausnutzung der modernen Treibmittel. Was diese selbst anbelangt, sei auf den späteren Abschnitt „Munition“ verwiesen. Hier sei nur ihre Einwirkung auf die Ausbildung der Rohre, die vor allem in einer ganz ausserordentlichen Verlängerung besteht, an Hand des Diagramms (Fig. 7) besprochen. Ein schnell aufflammendes Pulver gibt sehr hohen, aber mit Fortschreiten der Bewegung des Geschosses stark fallenden Druck. Die Wirkung auf das Geschoss und auf die Rohrwandungen ist sehr heftig stossweise. Das Rohr wird also sehr ungünstig beansprucht und trotz der geringen Länge l1 nicht genügend ausgenutzt. (Linie 1 in Fig. 7.) Wird dagegen ein (relativ) langsam brennendes Treibmittel benutzt, so ist die Beanspruchung des Rohres niedriger; auch nachdem das Geschoss sich in Bewegung gesetzt hat, werden soviel Gasmengen entwickelt, dass der Gasdruck bedeutend langsamer fällt (Linie 2). Es ist einleuchtend, dass ein Rohr von der Länge l1 die Triebkraft der Gase, die durch Linie 2 dargestellt ist, nicht genügend ausnutzen würde, aber selbst bei dieser nicht passenden Länge wäre die Arbeit der Gase, dargestellt durch die Fläche, welche die Linie 2 mit der wagerechten und der senkrechten Längenbegrenzung einschliesst, mindestens ebenso gross wie das Arbeitsdiagramm der Kurve 1. Textabbildung Bd. 321, S. 276 Fig. 7. Drucklinien der Pulvergase. Naturgemäss drängt die Betrachtung der Drucklinie 2 zur Verlängerung des Rohres, z.B. auf die Länge l2. Damit ist bei wesentlich günstigerer Beanspruchung des Rohrmaterials infolge besserer Druckverteilung die Arbeit, die im zweiten Fall auf das Geschoss übertragen wird, ganz erheblich grösser als im ersten Fall. So ist es denn natürlich, wenn die Rohrlängen bis zur Grenze der Möglichkeit anwachsen, da die modernen Treibmittel an sich die Ausnutzung jeder denkbaren Länge gestatten würden, so dass die Länge nur durch Gründe der Handlichkeit begrenzt wird, wozu allerdings noch Rücksichten auf das Gewicht und auf die Durchbiegung zu langer Rohre kommen. Im übrigen kann bei richtiger Wahl des Treibmittels die Anfangsgeschwindigkeit, die dem Geschoss erteilt wird, als Funktion der Länge des Geschützrohres hingestellt werden. Die Bedeutung aber der hohen Anfangsgeschwindigkeit braucht nur angedeutet zu werden, um sich der Wurfparabel und der Formel für die „lebendige Kraft“ zu entsinnen. Aber die Geschwindigkeit ist ja nicht allein massgebend. Vor allem bedingt die starke Einwirkung des Luftwiderstandes ein nicht zu leichtes Geschoss, das bei angenähert gleicher Rohranstrengung eine grössere Anfangsgeschwindigkeit erhalten könnte, da die heutigen sehr grossen Kampfentfernungen auch noch Wirkung auf Schussweiten verlangen, die man früher für ausgeschlossen erachtet hätte. Dies ist aber nur mit genügend schweren Geschossen bei richtig gewählter Anfangsgeschwindigkeit erreichbar. Wie wichtig das sachgemässe Abwägen der beiden Faktoren ist, wird wohl am einfachsten durch einen Hinblick auf die Zeit der achtziger Jahre erläutert, wo man alles durch die Masse erreichen wollte und demnach das Kaliber bis zu Ungeheuerlichkeiten wie 41,3 cm in England und gar 43 und 45 cm in Italien steigerte, so dass ein einziges Rohr 106 ja 110 t und das Geschoss bis 900 kg wog! Für die besprochene Entwicklung der Geschütze bezüglich der Mündungsgeschwindigkeit, der Länge des Rohres und der Mündungsarbeit möge folgendes angeführt werden (vergl. Wille, Waffenlehre, 1901 und die ausführlichen Tabellen für Schiffsgeschütze in den letzten Jahrgängen von Weyers „Taschenbuch der Kriegsflotten“): Die Länge der schweren Geschütze betrug um 1880 22–25 Kaliber, also für ein 30 cm-Geschütz 6,60–7,50 m. Diese Länge stieg bis 1890 auf etwa 30–35 Kaliber, das sind 9–10,5 m. Heute beträgt die Länge solcher Geschütze in der Regel 40, oft 45 Kaliber, d.h. 12 bis 13,5 m. Für leichte Geschütze (5,2 cm-Schnellfeuergeschütz) sind nach der „Marine-Rundschau“ Januar 1906 neuerdings sogar 55 Kaliber Länge in Aussicht genommen! Wille gibt für die Entwicklung des Kruppschen 24 cm-Geschützes die Zahlen der Tabelle S. 277. Textabbildung Bd. 321, S. 276 Fig. 8. Trefferbild, (aus einem 30,5 cm-Geschutz auf 2500 m erschossen). Mit der Leistungsfähigkeit des einzelnen Schusses ging das Bedürfnis nach Erhöhung der Feuerschnelligkeit – gestatteten doch die 100 t-Riesengeschütze nur alle 4–5 Minuten einen Scluss, während die heutigen schweren Geschütze in der Minute ein bis zwei Schuss abgeben können – und naturgemäss auch nach Treffsicherheit Hand in Hand. Für die jetzige Treffsicherheit dürfte ein Bild (Fig. 8) genügen, das am 6. November 1900 auf dem Kruppschen Schiessplatz Meppen mit einem 30,5 cm-Küstengeschülz auf die Entfernung von 2500 m gegen Jahr RohrlängeKaliber Gewichtd. Rohres Geschoss-geschwindigkeit Mündungs-arbeit t m mt. 1868 20 14,65 350 978 1878 25 18 600 2540 1884 30 19 549(schweres Geschoss) 3303 1890 40 31 700 5370 1899 50 28–31(leichte u. schwereRohre) 1012–900(leichte u. schwereGeschosse) 8490–8880 eine senkrechte Scheibe erschossen ist. Die mittlere Höhenabweichung beträgt nur 28,9 cm, die mittlere Seitenabweichung 12,3 cm. 2. Die Verschlüsse. Textabbildung Bd. 321, S. 277 Fig. 9. Keilverschluss. Die Feuergeschwindigkeit, oder richtiger gesagt die Bereitstellung des Geschützes zum Schuss (Ladeschnelligkeit) – denn die Abfeuerung muss stets momentan wirken – ist abhängig von dem geregelten Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Faktoren. Dazu gehören die Richtvorrichtungen, die dem Geschütz oder dem ganzen Turm die Seitenrichtung und dem Rohre die Höhenrichtung geben, ferner die Transportvorrichtungen für die Munition aus dem Aufbewahrungsraum bis in das Geschütz (Aufzug, Ladeschale, Ansetzer usw.) und vor allem der Verschluss. Letzterer um so mehr, als er gerade für die schweren Geschütze stets von Hand bedient wird, während die übrigen Vorrichtungen maschinell angetrieben werden; auch ist von dem genauen Funktionieren des Verschlusses die Sicherheit der Bedienungsmannschaft in erster Linie abhängig. Unsere Geschütze haben durchweg den Keilverschluss. Andere Staaten (England, Frankreich, Nordamerika) bevorzugen den Schraubenverschluss. Ueber das Für und Wider beider Arten von Verschlüssen ist viel gestritten worden. Ich möchte nur auf „Nauticus“ 1903 und auf Wille, Waffenlehre, hinweisen. Letzterer bringt nicht nur eine eingehende Beschreibung aller ausgeführten Verschlüsse, sondern auch einen Vergleich der verschiedenen Arten mit ihren Vorteilen und Nachteilen. Kurz zusammengefasst lässt sich Keil und Schraube vielleicht wie folgt gegenüberstellen: Der Keilverschluss hat den Vorteil der grösseren Sicherheit bei der Bedienung. Man kann sagen, er funktioniert so absolut sicher, wie eine technische Einrichtung überhaupt funktionieren kann. Das kann auch von den Gegnern des Keilverschlusses schlechterdings nicht bestritten werden, da kaum jemals ein Unglücksfall bei der Bedienung eines Geschützes vorgekommen ist, der direkt oder indirekt auf den Keilverschluss zurückzuführen wäre. Beim Schraubenverschluss dagegen liesse sich eine lange Liste derartiger Unfälle aufführen, die unmittelbar auf die durch keine Verbesserung zu beseitigende Natur des Schraubenverschlusses zurückzuführen sind. Der zweite Vorteil des Keilverschlusses liegt in der einfachen geradlinigen Hin- und Herbewegung, die er ausführt und in der daraus folgenden Einfachheit und Unzerstörbarkeit seiner Konstruktion. Es kann an dem Hauptteil, dem Keil selbst (Fig. 9), kaum eine Verletzung auftreten, die sein Weiterfunktionieren verhindert. Die Schraube dagegen ist in ihrem Gewinde durch grobe Stösse leicht zu verletzen, auch ist das Gewinde gegen Verunreinigungen (Splitter, Staub, auch Pulvergase) recht empfindlich. Als Nachteil des Keiles ist anzuführen, dass das Bodenstück des Geschützes länger und schwerer wird als bei der Schraube. Bei gleicher Rohrlänge ist also die nutzbare Länge, der gezogene Teil kürzer oder mit anderen Worten, um gleiche Seelenlänge zu erhalten, muss das Rohr als Ganzes länger werden. Das ist auch insofern ein Nachteil, als die zu panzernde Fläche dadurch etwas vergrössert wird. Aber selbst das schwere Bodenstück hat noch einen Vorteil, das ist das grosse Hintergewicht, wodurch der lange, frei herausragende Rohrteil gut ausbalanciert wird und die Elevationsgrenzen erweitert werden. Textabbildung Bd. 321, S. 277 Fig. 10. Einzelteile des Kruppschen Leitwellkeilverschlusses. Der Kruppsche Keilverschluss ist in Fig. 9 als Ganzes und in Fig. 10 in seinen Einzelteilen dargestellt. Der wagerechte Keil A wird durch eine mit Kurbel oder Handgriffen versehene Schraube, die sogenannte „Leitwelle“ (G, H, M Fig. 10), in einer Bewegung entriegelt und geöffnet, d.h. aus dem Keilloch herausgezogen. Das Schliessen und Verriegeln. sowie das Spannen des Schlosses erfolgt wiederum mit einer Bewegung der Kurbel. Die Leitwelle, die in eine am Rohr angeordnete Leitwellmutter eingreift und zugleich als Transportschraube wirkt, dient auch mit einem auf ihr sitzenden Bund zur Entrieglung und Verrieglung beim Oeffnen und Schliessen. Der Keil braucht also nicht mehr herausgezogen zu werden, was ihn früher allerdings etwas schwerfällig machte. Die in Fig. 10 aqsser den beiden Hauptteilen, Keil und Leitwelle, erkennbaren Teile sind der Schlagbolzen B, in welchem die Schlagbolzenfeder C bei zusammengesetztem Schloss liegt, das Spannstück D, der Sicherungsbolzen F, der am Schloss die gesicherte, oder die Feuerstellung anzeigt, die Abzugswelle B mit dem Abzug E1 und der Auswerfer K, der nach dem Abfeuern und Oeffnen des Verschlusses die Metallkartusche selbsttätig auswirft. Um eine zufällige Drehung der Handhebel der Leitwelle zu verhindern, greift der eine Handgriff M in eine Aussparung am Rohrkörper mit einer Sperrklinke ein, die sich beim Eingreifen der Handhebel selbsttätig auslöst. Der Verschlusskeil läuft auf Rollen, er wiegt beim 21 cm-Geschütz 425 kg, beim 24 cm 650 kg, bewegt sich aber durch die Rollenführung und mit Hilfe der Leitwelle so leicht, dass ein Mann diese schweren Verschlüsse in der Minute zehnmal öffnen und schliessen kann. Die Bewegung des Keiles geht am Anfang der Oeffnungsbewegung, um den Kraftaufwand beim Lösen des Keiles (und umgekehrt beim Schluss) auf das Mindestmass herabzuziehen, langsam von statten, weil er zunächst durch eine Schraubenfläche von geringer Steigung (am Verrieglungsbund) bewegt wird, dann erst kommt das steile Gewinde der Leitwelle mit rascher Bewegung des Keiles zur Wirkung. Textabbildung Bd. 321, S. 278 Fig. 11 u. 12. Schubkurbel-Keilverschluss von Ehrhardt; Fig. 11. Offen; Fig. 12. Geschlossen. Die gleiche Wirkung der geringen Geschwindigkeit bei der Schliess- und Oeffnungsbewegung, die eine gute Kraftübertragung auf den Keil beim Einpressen in das Keilloch und beim Lösen ermöglicht, wird bei dem Keilverschluss nach Fig. 11 und 12 (von Heinrich Ehrhardt in Düsseldorf) durch einen Schubhebel erreicht. Auch bei diesem Keilverschluss erfolgt das Oeffnen und Schliessen durch eine einzige Bewegung des Handhebels b, der unter Vermittlung eines Kurvenbogens c mit einem am Keil sitzenden Zapfen d derart zusammenarbeitet, dass der Angriffspunkt der Oeffnungskraft am Anfang der Bewegung (Fig. 12) dem Drehpunkt des Handhebels am nächsten steht (vergl. Fig. 11). Am Ende der Schliessbewegung tritt die Zunge f in die Aussparung G am Bodenstück, und verriegelt den Keil selbsttätig, da sie zugleich vor den Keilansatz K getreten ist. Zu Fig. 11 und 12 ist noch zu bemerken, dass der Schnitt vorne durch die Seelenachse, hinten aber höher durch die Verrieglungszone gelegt ist. Dadurch ist der Ladeausschnitt, durch den Geschoss und Kartusche von hinten eingeführt werden, nur punktiert angedeutet. Beim Schraubenverschluss muss, im Gegensatz zu der geradlinigen Bewegung des Keiles, die Schraube zunächst gedreht (gelöst), dann etwas zurückgezogen und schliesslich seitwärts geschwenkt werden (s. Fig. 13). Zu diesem Zweck ist der Schraubenblock in einer „Tür“ (s. Fig. 15, Einzelteile rechts) drehbar gelagert. Wenn nun auch alle neueren Schraubenverschlüsse, der in England eingeführte von Vickers Sons & Maxim, der in Frankreich bei den schweren Schiffs- und Küstengeschützen eingeführte Verschluss der Fabrik von St. Chamond, so auch der in Fig. 1315 dargestellte von Krupp, derart mit einem Handhebel versehen sind (s. Fig. 14), dass, nach Auslösen einer Sperrklinke beim Erfassen des Handgriffes, die genannten drei Bewegungen durch eine kontinuierliche Bewegung des Handhebels erfolgen, so wird doch gerade dadurch der Schraubenverschluss für die schweren Geschütze doch sehr kompliziert. Der Verschluss von Vickers hat etwa 50 Einzelteile, während der Keilverschluss (Fig. 10) 11 Teile hat. Dazu kommt, dass die Tür mitsamt dem Schraubenblock beim Schwenken in den Weg der Munition hineinschlägt; dadurch wird der Ansetzer oder gar die Hand des ladenden Kanoniers gefährdet, wenn der Verschluss zu früh zugeschlagen wird. Die gefährlichste Phase aber ist das Zuschlagen selbst; dabei haben sich schon mehrfach Unglücksfälle ereignet. Wenn beispielsweise die Kartusche nicht völlig eingeschoben ist, schlägt der Schraubenblock direkt auf sie auf. Irgend ein Fremdkörper, z.B., was schon vorgekommen ist, die beim letzten Schuss abgebrochene Schlagbolzenspitze, kann sich dann zwischen das Zündhütchen und den Verschlussblock so einstellen, dass die Explosion der Kartusche – selbstverständlich nach rückwärts, da ja vorne das Geschoss sitzt – im Augenblick des Zuschlages erfolgt, also bevor die Schraube noch gefasst hat oder verriegelt ist. Wird der Handhebel ferner beim Schliessen nicht völlig: bis zu Ende bewegt, so ist auch die Schraube noch nicht völlig geschlossen und nicht verriegelt; wird nun abgezogen, so wird der gesamte Verschluss nach hinten herausgeschossen. In der Regel ist die Bedienungsmannschaft dann vernichtet. Auf solche und ähnliche Ursachen werden folgende Unfälle zurückgeführt: Textabbildung Bd. 321, S. 278 Fig. 13. Schraubenverschluss offen; Fig. 14. Schraubenverschluss geschlossen. Auf dem russischen Kriegsschiff „Sissoi Velicki“ wurden durch solchen Unglücksfall am 15. März 1897 bei Kreta 33 Mann getötet oder schwer verwundet. Der ganze Geschützturm wurde zerstört, die Panzerhaube zertrümmert und fortgeschleudert. – An Bord des nord-amerikanischen Schlachtschiffes „Massachusetts“ wurden am 17. Januar 1903 aus gleicher Ursache fünf Mann getötet, vier verwundet. – Am 14. April 1902 ereignete sich ein ähnlicher Unfall auf dem englischen Linienschiff „Mars“ (elf Mann tot, sieben verwundet). Die Liste liesse sich – leider! – durch eine ganze Reihe weiterer Angaben aus den genannten, oder aus der französischen oder spanischen Marine verlängern. Alle Geschütze hatten Schraubenverschlüsse. Mit absoluter Sicherheit lässt sich natürlich die Ursache oft nicht feststellen, denn meistens sind alle, die etwas angeben könnten, tot. Kehren wir daraufhin noch einmal kurz zum Keilverschluss zurück, so sehen wir, dass hier der Verschlussteil nicht gegen die Kartusche gegenschlagt, sondern dass er sich vielmehr an ihr glatt entlang schiebt. Steht sie so viel vor, dass sie von der Schraube beim Zuschlagen direkt getroffen werden würde, so wird sie hier von der abgeschrägten Keilfläche sanft in das Rohr hineingeschoben. Dadurch wird beim Keil mit der Benutzung von Metallkartuschen auch die einfachste und beste „Selbstliderung“ (Abdichtung des Verschlusses) erzielt. Das Abziehen des Schlosses beim Keilverschluss kann erst stattfinden, wenn der Keil völlig eingeschoben ist, denn dann erst steht der Schlagbolzen zentrisch mit der Zündglocke der Kartusche. Beim Schraubenverschluss hat man Einrichtungen getroffen, um das Auftreffen der etwa vorstehenden Schlagbolzenspitze, oder das vorzeitige Abziehen, ehe die Schraube verriegelt ist, zu verhindern, beispielsweise, indem man den Schlagbolzen in der Schraube exzentrisch anordnet, so dass er erst im letzten Augenblick der Schlussdrehung vor die Zündglocke tritt. Oder es werden Sicherungen angeordnet, um das Schloss so lange zu sperren, bis der Verschluss völlig geschlossen und verriegelt ist. Durch solche Sicherungen wird der Verschluss aber immer komplizierter. Zum Vergleich zwischen beiden Gattungen von Verschlüssen gab die Weltausstellung in Lüttich im Jahre 1905 eine ebenso seltene wie vorzüghiche Gelegenheit. Da standen dicht neben einander die Krupp sehen Geschütze mit dem Leitwell-Keilverschluss, der ja auch 1902 in Düsseldorf gezeigt wurde, und die französischen Geschütze der „Compagnie des Forges & Aciéries de la Marine & d'Homécourt“ in St. Chamond mit dem Schraubenverschluss. Ich glaube, jeder, der Gelegenheit hatte, beide nacheinander zu studieren – und selbst zu bedienen – gewann wohl ebenso die Ueberzeugung von der Kompliziertheit des Schraubenverschlusses wie von der Einfachheit des Keilverschlusses. Ein weiterer Nachteil des Schraubenverschlusses ist noch der, dass die schwere Tür sich nur mit Mühe zumachen lässt, sobald das Rohr eleviert ist, weil an Stelle des Schwenkens in wagerechter Ebene dann eine Hebung der Tür (mitsamt dem Schraubenblock) nötig wird. Der Umstand, dass die Tür mitsamt der Schraube in den „Ladeweg“ hineinschlägt, ist früher schön erwähnt. Ein grosser Nachteil ist auch, dass, wenn die Schraube sich etwa nach dem Schuss festklemmt, was vorkommen kann, sie sich nicht leicht wieder lösen lässt, da nach Sperrung des Handhebels jeder Zugang zu der eigentlichen Schraube verschlossen ist. Klemmt sich der Keil, so kann man immer noch von der Gegenseite an ihn heran und kann von dort mit Schlägen die Oeffnungsbewegung unterstützen. Der Vorteil der Schraube ist, wie schon beim Keil angedeutet, leichteres Bodenstück und auch kürzeres Rohr bei gleicher nutzbarer Seelenlänge. Dieser Vorteil wird noch durch die jetzt allgemein angewendeten Stufenschrauben erheblich gesteigert. Die Konstruktion dieser Art von Schrauben und ebenso die des zugehörigen Muttergewindes ist aus Fig. 13 und 15 deutlich zu ersehen. Die abgebildete Schraube hat ein in zehn oder sechs Feldern abgestuftes Gewinde, bei dem die gleich breiten Felder stufenweise um eine Gewindetiefe höher sind. Zwischen den höchsten und tiefsten Feldern sind zwei vertiefte, einander gegenüberstehende, glatte Felder angeordnet, die das Einschieben des Schraubenblockes nach dem Schwenken gestatten. Die Stufenschraube erfordert nur eine – je nach der Zahl der Felder – ganz geringe Drehung, im vorliegenden Fall 1/12 oder ⅛ einer vollen Kreisdrehung. Die früher übliche Schraube musste in der Regel umgedreht werden. Die Hauptsache aber ist, dass die Stufenschraube – und damit das als Mutter dienende Bodenstück – weil sie mit einem grösseren Teil ihres Umfanges fasst, um so viel kürzer sein kann, als die gewöhnliche Schraube, die stets nur mit der Hälfte ihres Umfanges – die andere Hälfte muss wegen des Einschiebens gewindefrei bleiben – fassen kann. Das gibt für die Stufenschraube eine weitere Ersparnis an Länge und an Gewicht. Textabbildung Bd. 321, S. 279 Fig. 15. Schraubenverschluss, Einzelteile. Ausschlaggebend aber für die Beurteilung beider Verschlüsse dürfte die Forderung einer möglichst hohen „Betriebs“sicherheit sein. Darin und in der Schnelligkeit der Bedienung steht der Keilverschluss obenan. (Fortsetzung folgt.)