Titel: Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer.
Autor: W. Treptow
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 375
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Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. Von W. Treptow, Charlottenburg. (Schluss von S. 363 d. Bd.) Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. Textabbildung Bd. 321, S. 375 Fig. 47. Vorderseite einer Nickelstahlplatte mit glasharter Oberfläche. (1901.) Textabbildung Bd. 321, S. 375 Fig. 48. Rückseite der Panzerplatte nach Fig. 47. Ebenfalls zu Anfang der neunziger Jahre hatte der amerikanische Ingenieur Harvey mit Erfolg den Vorschlag gemacht, die Vorderseite des Nickelstahlpanzers durch Zuführung von Kohlenstoff zu zementieren und diese mit Kohlenstoff angereicherte Stahlschicht durch schnelles Abkühlen zu härten. Es war das gewissermassen eine Rückkehr zum Kompoundprinzip, nur mit dem grossen Unterschied, dass festeres Material und dies noch dazu aus einem Stück verwendet wurde. Der Harveypanzer führte sich schnell ein und hielt sich in seinem Ursprungslande bis etwa zum Jahre 1900, ist jetzt aber auch dort, ebenso wie in Frankreich und England, durch die bis jetzt letzte Stufe in der Entwicklung der Panzerfabrikation, das ist der nach Kruppschem Verfahren hergestellten Panzer verdrängt. Der „Leitfaden für den Unterricht im Schiffbau“ (herausgegehen von der Inspektion des Bildungswesens der Marine, Berlin 1902) schildert die Herstellung dieses bisher nicht übertroffenen Panzers kurz wie folgt: Das flüssige Stahlmaterial wird im Siemens-Martin-Ofen mit Nickel versetzt. (Der Prozentsatz des Nickels wird verschieden angegeben. Es kann hier auch nicht auf Einzelheiten eingegangen werden.) Der aus diesem Ofen gegossene Block wird auf 600° abgekühlt und im Oelbade abgeschreckt. Der Block wird dann auf's neue bis zur Weissglut erhitzt, ausgewalzt und zementiert. Dies geschieht dadurch, dass über die Oberfläche ein glühender Gasstrom geleitet wird, aus dem der Stahl Kohlenstoff aufnimmt. Schliesslich wird der Block an der zementierten Oberfläche abgeschreckt, indem aus einem Rohrsystem ein Regen von Wasserstrahlen darauf geleitet wird. Die Hinterseite bleibt weich. Die weitere Bearbeitung der Platten an den Kanten kann nur noch mit Hilfe von Schleifmaschinen geschehen. Sollen Löcher in die Platte gebohrt oder geschnitten werden, so muss die Oberfläche mit Hilfe des elektrischen Stromes enthärtet werden. Textabbildung Bd. 321, S. 376 Fig. 49. Panzergeschoss nach Durchschlagen einer 300 mm starken Panzerplatte. Die ersten Platten dieser Art wurden in den Jahren 1894 und 1895 auf dem Kruppschen Schiessplatz in Meppen erprobt (vergl. „Marine-Rundschau“ 1895, S. 132 und 330). Der an diese Versuche anknüpfende, sehr ausführliche Bericht von Castner in Stahl und Eisen vom 1. und 15. September 1895 und 1. April 1896 ist heute noch als grundlegend für die Ergebnisse mit nach Kruppschem Verfahren hergestellten Panzerplatten anzusehen. Unsere Marine verwendete von da ab, d.h. von der Kaiserklasse einschliesslich ab, nur noch den Kruppschen Panzer. Die Castnerschen Aufsätze wurden auch im Auslande sehr beachtet. Der im Anschluss daran entbrennende Streit über die Vorzüge des Harvey-Panzers einerseits und des Krupp-Panzers andererseits ist durch die oben schon erwähnte, allgemeine Einführung der Kruppschen Platten erst 1900 zugunsten des letzteren entschieden. Seine Wirkung beruhte darauf, dass an seiner glasharten Oberfläche die Spitze des auftreffenden Geschosses zersplitterte, worauf meist auch der gesamte Geschosskörper zertrümmert wurde. Der weiche und zähe Grundkörper des Panzers verhinderte das Zerbrechen und Abplatzen der ganz allmählich in den weichen Teil übergehenden gehärteten Schicht. Eine solche einseitig gehärtete Kruppsche Panzerplatte, die am 13. Juni 1901 in Meppen beschossen wurde, geben die Figuren 47 und 48 mit der Vorder- und Rückseite wieder. Die Platte hat eine Stärke von 250 mm bei 3,62 m Länge und 2,1 m Breite. Die Platte ist aus einem 28 cm-Geschütz mit einem Geschoss von 232 kg Gewicht und einer Auftreffgeschwindigkeit von 583 bis 611 m beschossen. Der zweite und dritte Schuss mit 610 und 611 m Geschwindigkeit haben eine Auftreffenergie von 4414 m/t gehabt. Die Auftreffenergie war also erheblich grösser als bei dem auf die Kompoundplatte (Fig. 41) abgegebenen Schuss No. 2, dabei war die Kompoundplatte 400 mm stark, während die jetzt besprochene Nickelstahlplatte 250 mm dick ist. Die Geschossenergie hätte genügt, um eine Schmiedeisenplatte von 636 mm oder eine Stahlplatte von 432 mm glatt zu durchschlagen. Im vorliegenden Fall ist aber die Grenze der Widerstandsfähigkeit des Panzers noch nicht erreicht, wie die Rückseite zeigt. Die verwendeten Geschosse waren Stahlpanzergranaten, die vollständig zertrümmert wurden. Vom Schuss I nach dem Plattenrande läuft ein Oberflächenriss, der die Haltbarkeit der Platte gegen weitere Treffer in keiner Weise beeinflusst. Die Rückseite zeigt, dass der Riss nicht durchgeht. Auch ist zu erkennen, dass kein Aufbrechen der Platte im Sinne der Fig. 44 zu erwarten wäre, sondern dass ein wirklich vollzogener Durchschlag ein Ausstanzen des betreffenden Plattenstückes bedeuten würde (vergl. Fig. 48 bei Schuss I). Mit diesen Platten war und ist bis jetzt der Höhepunkt in der Widerstandsfähigkeit des Panzers erreicht. Alle Berichte in den Fachzeitschriften stimmen darin überein, dass wesentliche Fortschritte in der Fabrikation der Panzerplatten in den letzten Jahren nicht zu verzeichnen sind. Inwieweit das Verfahren in den Einzelheiten oder in der erzielten Qualität der Platten etwa noch verbessert ist, entzieht sich der Kenntnis. Textabbildung Bd. 321, S. 377 Fig. 50. Panzerkuppel aus gehärtetem Stahlguss (beschossen). Die in Fig. 47 und 48 dargestellte Panzerplatte kann mit vollem Recht als Siegerin über das Geschütz hingestellt werden, denn das verwendete Kaliber (genau 28,3 cm) ist grösser als die Panzerdicke (25 cm), während es genügen würde, wenn der Panzer einem Geschütz widerstanden hätte, dessen Kaliber der Panzerstärke gleich ist. Da ist nun dem Geschütz in der oben unter Geschossen ausführlich behandelten Geschosskappe ein Bundesgenosse entstanden, der erst so recht gestattet hat, die hohen Geschossgeschwindigkeiten, die das moderne, lange Geschützrohr erzielt, wirklich auszunutzen, indem die ebenfalls glasharte Spitze des Geschosses vor dem Zertrümmern geschützt und damit erst das Eindringen des Geschosskörpers in die Platte ermöglicht wird. Uebereinstimmend berichten die „Mittellungen aus dem Gebiete des Seewesens“ 1904, S. 431 ff. und S. 508 (vergl. auch das neueste Januarheft 1906) und schon „Nauticus“ 1903, S. 116 ff., dass das moderne schwere Geschütz mit Hilfe der Kappe dem besten Panzer zur Zeit überlegen ist. Nach diesen Angaben durchschlägt ein bekapptes Stahlgeschoss mit hoher Auftreffgeschwindigkeit (700–850 m) eine Platte vom 1,5–1,8-fachen des Geschosskalibers bei senkrechtem Auftreffen. Das sind Geschwindigkeiten und Leistungen, bei denen auch die besten Stahlgeschosse ohne Kappe beim Auftreffen auf die glasharte Panzerfläche einfach pulverisiert würden. Die Kappe schützt und stützt die Spitze, als wenn auf der harten Platte ein weicher Puffer läge, der die Härtung illusorisch macht. – In Lüttich hatte Krupp die in Fig. 49 abgebildeten Panzergranaten ausgestellt, die unzweifelhaft durchaus unversehrt sind. Sie haben folgende Leistungen hinter sich: Mit 850 mm Auftreffgeschwindigkeit durchschlug die erste mit Kruppscher Kappe am 18. Oktober 1902 eine 300 mm dicke, gehärtete Kruppsche Platte nebst 300 mm Eichenholzhinterlage und 40 mm Blechhaut. Die beiden anderen durchschlugen mit 711,5 und 728 m Auftreffgeschwindigkeit einen Krupp-Panzer von 250 mm und wurden 400 bezw. 840 m hinter dem Ziele aufgefunden! Danach ist die Frage berechtigt, was ist denn durch den modernen Panzer trotzdem erreicht? Das lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen: Nach den „Mitteilungen“ Januar 1906 sind 146 mm Krupp-Panzer gleich 190 mm Harvey-Stahl gleich 305 mm gewöhnlichem Stahl oder Kompoundplatten gleich 395 mm weichem Eisen. Etwas andere, aber übersichtlichere Zahlen gibt Weyer in seinem Taschenbuch 1906. Danach sind 100 mm Krupp gleich 125 mm Harvey gleich 200 Stahl oder Kompound gleich 300 mm Eisen. Darin ist der ungeheure Fortschritt deutlich zu erkennen. Da nun bei gegebenem Deplazement eines Kriegsschiffes nur ein in ziemlich engen Grenzen bestimmter Prozentsatz des Gesamtgewichtes für den Panzer zur Verfügung steht – für ein modernes Linienschiff etwa 30–33 v. H., also bei 15000 t Wasserverdrängung rund 5000 t Panzer – so heisst das, dass mit dem so gegebenen Gewicht eine fast dreimal so grosse Fläche ebenso gut geschützt werden kann, wenn man Krupp-Panzer nimmt, als wenn man weiches Eisen nimmt und selbst gegenüber einfachem Stahlpanzer oder Kompoundplatten kann mit Krupp-Panzer die doppelte Fläche gleich gut geschützt werden. Insbesondere ist hervorzuheben, dass damit eine weit grössere Fläche am Schiff gegen die Verwüstungen der Sprenggranaten durchaus sicher geschützt ist. Man hat, wie schon erwähnt, eine mit brisantem Sprengstoff geladene Granate an eine Panzerplatte flach angehängt und zur Explosion gebracht, ohne dass die Platte dadurch irgendwie erheblich verletzt wurde. Dabei ist bei dieser Lage das Sprengzentrum noch näher an der Platte, als wenn das Geschoss mit der Spitze gegentrifft (vergl. auch die oben angeführten Versuche mit der Isham-Granate). Zu dem oben angegebenen Durchschlagsvermögen der Kappengeschosse ist noch zu bemerken, dass den Versuchen fast stets senkrechter Aufschlag zugrunde lag. Das wird im Gefecht, gerade bei den grossen Entfernungen, auf die man heute schon Wirkung haben will, selten genug der Fall sein. Ferner ist zu beachten, dass nach Durchschlagen des Wasserlinienpanzers ein Geschoss noch Kohlenschutz und Panzerdeck überwinden müsste, um Maschine und Kessel zu treffen. Dazu wird es kaum imstande sein, zumal das Panzerdeck schräg oder gar wagerecht liegt. Die Frage drängt sich auf, warum trotzdem in der Schlacht bei Tsuschima die russischen Panzerschiffe, soweit sie sich nicht ergaben, sämtlich in den Grund gebohrt sind. Ohne darauf näher einzugehen, kann folgendes zusammengefasst werden: Die Schiffe sind augenscheinlich sämtlich, nachdem wenige Tage vor der Schlacht die begleitenden Kohlendampfer fortgeschickt sind, mit Kohle derart überladen gewesen, dass die Wasserlinie, zumal bei dem recht heftigen Seegange, von dem schmalen Hauptgürtelpanzer nicht genügend gedeckt war. Die Osljablja, die schon nach ¾ Stunden in den Wellen verschwand, hatte zudem einen Gürtelpanzer, der die Wasserlinie nur zu vier Fünfteln deckte. Das beides mag in verderblichster Weise zusammengewirkt haben. Die besser geschützten Schiffe der „Borodino“-Klasse haben sich dagegen weit länger gehalten, und sind erst bei Einbruch der Dämmerung, nach Zerstörung ihrer Torpedoabwehrartillerie, von den japanischen Torpedobooten abgetan worden. – Nicht als eine Erhöhung der Widerstandsfähigkeit, wohl aber als willkommener Ersatz des gehärteten Nickelstahls für die Fälle, wo die Formen solche sind, dass sie sich nur schwer oder garnicht durch Walzen herstellen lassen, z.B. wenn verschiedene Dicken an demselben Stück vorkommen, hat sich in neuerer Zeit der gehärtete Nickelstahlguss bewährt, der angenähert dieselben vorzüglichen Eigenschaften hat wie der gewalzte Nickelstahl, wenn er auch nicht ganz so widerstandsfähig ist. Eine Panzerkuppel aus diesem Stahlguss, ein Ausstellungsobjekt von Luttich, stellen die Figuren 50 und 51 mit Schiess- und Sprengversuchen dar. Die Kuppel ist 200 mm stark und kann, wenn eingebaut, von den Flachbahn-Schiffsgeschützen nur unter spitzem Winkel getroffen werden, trotzdem ist sie bei Schuss II mit einem 21 cm-Geschütz unter senkrechtem Aufschlag beschossen. Die beiden anderen Treffer sassen unter 55 und 45°. Alle die Geschosse (Stahlpanzergranaten) wurden zertrümmert. Der Sprengversuch (IV, Fig. 51) bestätigt die mehrfach dargelegten Erfahrungen; er hat in der Kuppel nur 5–8 mm tiefe Eindrücke hervorgebracht. Es wurde dazu eine 25,4 cm-Sprenggranate verwendet, die mit 31 kg Pikrinsäure zur Detonation gebracht wurde, wobei sie flach auf die Kuppel gelegt war. Welche Verbesserungen die Zukunft dem Panzer bringen wird, ob diese ihm den Sieg selbst über das Kappengeschoss wieder erringen können, ob sie auf hüttenmännischem Gebiet, oder in der anderweiten Ausnutzung des Vorhandenen durch schiffbautechnische Neuerungen liegen werden, entzieht sich jeder Voraussage. Textabbildung Bd. 321, S. 378 Fig. 51. Panzerkuppel aus gehärtetem Stahlguss nach dem Sprengversuch mit aufgelegter Sprenggranate. Zum Schluss möchte ich nicht verfehlen, auch noch an dieser Stelle der Firma Fried. Krupp A.-G. in Essen für das in entgegenkommendster Weise zur Verfügung gestellte, reichhaltige Material, insbesondere aber für die Abbildungen und sonstigen Angaben zu den Kapiteln Geschützverschlüsse, Lafettierung und Panzer meinen ganz ergebensten Dank zu sagen.