Titel: Automobilachsen.
Autor: Lutz, Aachen
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 531
Download: XML
Automobilachsen. Von Professor Lutz, Aachen. Automobilachsen. Bei der überwältigenden Mehrzahl von Kraftwagen werden die Hinterachsen zum Antrieb, die Vorderachsen nur zur Lenkung benutzt. Das hat allerdings den Nachteil, dass der von der Hinterachse geschobene Wagen auf schlüpfrigem Boden leichter in das Schleudern gerät, jedoch nimmt man diesen Uebelstand in Kauf, da der Vorderradantrieb, welcher Abhilfe böte, auch nicht einwandfrei ist. Der nahe liegende Gedanke, die Vorderräder zum Antrieb, die Hinterräder dagegen zur Lenkung zu verwenden, scheitert allein schon an der Unmöglichkeit, den an einer Bordschwelle stehenden Wagen von dieser abzubringen, denn dabei würden die gelenkten Hinterräder gegen die Schwelle anfahren. Es bliebe demnach nur die Möglichkeit, die Vorderräder zu lenken und zugleich anzutreiben. Das gibt für Elektromobilen besonders brauchbare Anordnungen, denn dort vollzieht sich die Arbeitsübertragung in biegsamen Drähten; man hängt die Elektromotoren entweder an der Vorderachse federnd auf oder verlegt sie in die Radnabe (Lohner-Porsche)Vergl. „Der Motorwagen“ 1905, S. 169.. Benzin wagen erschweren dagegen infolge der mechanischen Kraftfortpflanzung den Vorderantrieb so, dass er bisher noch keine erhebliche Verbreitung gefunden hat. Er soll daher im folgenden auch nicht berücksichtigt werden. Achsquerschnitte und -Materialien. Die ursprüngliche, von gewöhnlichen Strassenfuhrwerken übernommene Achsform war die der Massivachse mit rundem oder häufiger mit dem noch leichter herstellbaren rechteckigen Querschnitt, dessen Kanten meist etwas gebrochen wurden. Diese für die Biegungsbeanspruchung ungünstige, also unnötiges Gewicht aufweisende Querschnittsverteilung kommt auch heute noch bei kleinen und billigen Personenwagen sowie bei Omnibus- und Lastgefährten zur Anwendung, denn dort überwiegt die Rücksichtnahme auf Preis die auf Gewichtsersparnis. Mit zunehmender Beanspruchung ist man allerdings vom ursprünglichen Schmiedeisen zum Stahl übergegangen. Einen Fortschritt stellte die Einführung von Rohrachsen (Fig. 1) aus nahtlosem Stahlrohr (Festigkeit etwa 50 kg/qmm, Dehnung 25–30 v. H.) dar, denn diese gewähren bei eleganterem Aussehen eine gewisse Gewichtsersparnis und ermöglichen auch kleineren Firmen die selbständige Herstellung der gesamten Achse. Trotz alledem ist in dem Bau von Rohrachsen neuerdings ein unverkennbarer Rückgang eingetreten, welcher – abgesehen von der im Automobilbau nicht zu umgehenden Rücksichtnahme auf die Mode – wohl auf die Scheu vor der Anwendung des Lötverfahrens (Stellen L der Fig. 1) zurückzuführen ist. Zur Herstellung einer auch für dauernde und schwingende Beanspruchung brauchbaren Lötung gehören Fabrikationserfahrungen, welche normale Maschinenfabriken nicht immer besitzen, während zum Automobilbau übergegangene frühere Fahrradfabriken gern die Lötung benutzen. Es ist mir von zuverlässiger Seite versichert worden, dass beispielsweise die Adler-Fahrradwerke an vielen Hundert Achsen niemals die Lockerung einer Lötung beobachtet haben. Dass diese Werke, ebenso wie auch Renaalt, Clément und Dion-Bouton, noch heute Rohrachsen benutzen, spricht am besten für zufriedenstellende Erfahrungen. Textabbildung Bd. 321, S. 532 Fig. 1. Rohrachsen; Vorderachse; Hinterachse. Die Mehrzahl der modernen Personenwagen ist mit Doppel--Achsen ausgerüstet, welche allerdings teurer als Rohrachsen sind, und deren Rohschmiedeteile von Spezialfirmen, wie Krupp, Poldmhütte usw. geliefert werden. Im Interesse der Widerstandsfähigkeit gegen die Fahrtschwingungen und der Gewichtsverminderung werden vorzügliche Materialien dazu verarbeitet, beispielsweise Nickelstahl von 75 bis 80 kg/qmm Festigkeit und 14 bis 18 v. H. Dehnung. Die Berechnung von Achsabmessungen kann nur eine unsichere sein, da neben dem Material und der Grösse der ruhenden Last die Fahrtstösse und Dauerbeanspruchung von einschneidender Wirkung sind. Personenwagen werden infolge ihrer Fahrtgeschwindigkeit eine höhere Ueberlastung erwarten lassen, als Lastfuhrwerke. Wenn demnach auch die Erfahrung hier in erster Linie massgebend ist, so gibt doch auch eine Nachrechnung der Querschnittsbeanspruchungen für die ruhende Belastung, wie sie in Tab. 1 vorgenommen worden ist, ein leidliches Bild von den zugelassenen Festigkeitskoeffizienten. Zu erwähnen ist jedoch noch, dass die Achsen nicht nur Biegungen in einer Vertikalebene, sondern auch solchen in einer Horizontalebene infolge der Wegestösse ausgesetzt sind, und dass ihnen fernerhin auch eine Verdrehung zugemutet wird, sofern nicht die Achsschenkelmitte in gleicher Höhe mit dem Schwerpunkt des Achsquerschnittes liegt. Die Nachrechnung der in Tab. 1 zusammengestellten Achsen ergab, dass bei Doppel-⊤-Achsen das Widerstandsmoment des Querschnittes gegen Horizontalkräfte etwa ⅓ bis ½ desjenigen gegen Vertikalkräfte im Mittel beträgt. Textabbildung Bd. 321, S. 532 Fig. 2. Zur Auflagerung der Federn müssen die Achsen mit Federtellern versehen sein, welche auf Rohrachsen aufgelötet werden (Fig. 11). Es empfiehlt sich hierbei das Achsendstück und den Federteller aus einem Stück herzustellen und so auf das Rohr zu ziehen, um leichtere Ausrichtung und vorteilhaftere Kraftwirkung zu erzielen. An geschmiedeten Achsen werden die Federteller entweder ausgelappt, oder man schweisst sie auf. In Fällen, wo die Durchschlaghöhe der Feder garing war, hat Verfasser auch mit Erfolg die in Fig. 2 dargestellte Anordnung benutzt, also die Feder unten an die Achse gehängt und so die Federhöhe für den Durchschlag frei gegeben. Achslager. Textabbildung Bd. 321, S. 532 Fig. 3. Vorderachsgleitlager für 6–8 PS-Personenwagen. Nürnberger Motorfahrzeugefabrik „Union“. Textabbildung Bd. 321, S. 532 Fig. 4. Lastwagengleitlager für 2000 kg Belastung. Eggebrecht & Schumann, Berlin-Pankow. Als Achslager wurden früher allgemein und werden auch jetzt noch für kleine Personenwagen sowie für schwere Nutzgefährte Gleitlager benutzt, deren Bau der für sonstige Strassenfuhrwerke erprobten Konstruktion entspricht. Fig. 3 stellt ein für ein kleines Personenfuhrwerk bestimmtes Gleitlager dar. Auf dem Achszapfen läuft eine Bronzelagerbüchse, deren Löcher der Ansammlung von Schmiermaterial dienen. Zur Verhinderung einer Achsialverschiebung der Radnabe auf dem Zapfen, trägt letzterer an seinem Ende eine samt ihrer Unterlagscheibe gegen Drehunggesicherte Mutter, während das Bronzestück A, welches sich infolge einer Abflachung des betreffenden Zapfenteiles gleichfalls nicht zu drehen vermag, die nach links zu auf die Nabe wirkenden Horizontalkräfte aufnimmt. Nach der anderen Richtung sichert der Hartlederring B die Lage, da hier mangels Schmierung metallischer Anlauf unmöglich ist. Die Radspeichen werden zwischen den mit der Nabe vergossenen Flansch C und den verschiebbaren Flansch D gepresst, Die Schmierung ist intermittierend und geschieht durch Auffüllung der Nabe mit konsistentem Fett. – Die sonst gleichartige Lastwagennabe nach Fig. 4 ist dadurch bemerkenswert, dass durch Abnahme der Verschlusskapsel K die Schraubenmutter völlig frei gelegt wird, sich also ein Steckschlüssel für dieselbe erübrigp, und dass durch die Passcheiben P der feste Anzug dieser Mutter möglich wird. Es ist also bei Aufbringung der Nabe nicht nötig, das für die Achsverschiebung der Nabe zugelassene, geringe Spiel durch sorgsame Einstellung der Mutter vorsichtig zu regeln. Durch Einführung von Kugellagern, welche sich zur Zeit in allen besseren Personenwagen befinden, ist der bekannte Vorzug solcher Lager, also geringere Reibung, Unempfindlichkeit gegen Schmierungsmängel und Wegfall der Abnutzung, dem Automobilbau zugute gekommen. Zur Zeit werden Kugellager nach Fig. 5 seltener benutzt, Tabelle 1. Textabbildung Bd. 321, S. 533 Lfd. No.; Firma; Art des Wagens; Ungefährte Geschwindigkeit km i. d. Std.; Querschnittsform; Zugelassenes Biegungsmoment; Wiederstandsmoment; Zugelassene Beanspruchung; Bemerkungen; Nürnberger Motorfahrzeuge-Fabrik „Union“ i. Nürnberg; Berliner Motorwagen-Fabrik, Reinickendorf; Adler-Fahrradwerke vorm. H. Kleyer, Frankfurt a. M.; Berliner Wagenachsen-Fabrik, Berlin-Pankow; Neue Automobil-Gesellsch., Berlin; Hüttis & Hardebeck, Aachen; Rheinische Gasmotoren-Fabrik A.-G. vorm. Benz & Cie., Mannheim; Neue Automobilgesellschaft, Berlin; H. Büssing, Braunschweig; Aerztewagen; Zweisitzer; Tourenwagen; Droschke; Omnibus; Lastwagen; kleiner Wagen; grösserer Tourenwagen; Rechteck; Doppel U Profil; Rohr; Doppel T Profil; massiv rund; Festigkeit des Materials; Dehnung; Querschnitt nicht zu ermitteln als solche nach Fig. 6, denn auch letztere gewähren die genügende Sicherheit gegen Achsialverschiebungen der Nabe. Um für den Fall eines Kugelbruches und dadurch eintretender Exzentrizität der Laufringe die Nabe auf dem Achszapfen zu stützen, baute die Firma A. Horch & Co. in ähnlicher Weise, wie Fig. 7 veranschaulicht, eine Laufbüchse B ein, welche das Kugellager in ein Gleitlager verwandelt. Textabbildung Bd. 321, S. 534 Fig. 5. Nabe für kleine Wagen. Berliner Motorwagenfabrik, Reinickendorf. Textabbildung Bd. 321, S. 534 Fig. 6. Vorderachsnabe für 14–18-PS-Tourenwagen Eggebrecht & Schumann, Berlin-Pankow. Textabbildung Bd. 321, S. 534 Fig. 7. Vorderachse eines Tourenwagens, Achsbelastung ∞ 720 kg; Gleitlager (G – L); Kugellager (K – L). Dass man schliesslich auch schon Versuche mit Rollenlagern gemacht hat, sei hier nur kurz erwähnt; Tabelle 2. Textabbildung Bd. 321, S. 534 (Die laufenden Nummern entsprechen jenen der Tab. 1.); Lfd. No.; Art des Lagers; Abmessungen; Durchmesser des Achsstummels; Zugelassenes Biegungsmoment; Widerstandsmoment; Zugelassene Beanspruchung; Flächendruck bei Gleitlagern; Ruhende Belastung, für welche die Kugellager bestimmt sind; kleines; grosses; Bemerkungen; Vorderachsen; Hinterachsen; Ausführung anormal, weil Nabe nur beim Spielen des Differentials umlauft einige Bedeutung haben solche bisher nur in Amerika erlangt. Die gleiche Vorsicht, mit welcher man beim Dimensionieren der für die Betriebssicherheit so wichtigen Achsen vorgehen muss, ist naturgemäss auch bei der Wahl der Achsschenkelabmessungen anzuwenden. Der Bruch eines Zapfens führt notwendigerweise Unheil herbei, daher wird sich ein recht zähes Material für diese Zapfen empfehlen, welches sich eher verbiegt, als bricht. Das gilt ganz besonders für Gleitlager, denn ihr Zapfen muss gehärtet werden und verliert dabei an Nachgiebigkeit. Krupp bringt beispielsweise einen Spezial-Nickelstahl in den Handel, welcher – gehärtet und ungehärtet – folgende Prüfungsergebnisse zeigt: Bruchgrenze etwa 80 bezw. 160 kg/qmm Dehnung 14     6 v. H. Derartiger Stahl ist im vorliegenden Falle recht geeignet. Bezüglich der Wahl des Zapfendurchmessers gilt das gleiche, was vorhin schon über die des Achsquerschnittes gesagt wurde: Erfahrungen über das verwendete Material, die den Wagen erwartenden Beanspruchungen usw. sind wesentlich. Einen Anhalt mag auch hier eine Nachrechnung guter Konstruktionen, in welchen – soweit bekannt – Nickelstahl für die Achsschenkel benutzt ist, auf ruhende Belastung bieten. (Tab. 2.) Für die Wahl der Kugellager kann nur die Angabe der Spezialfabriken bestimmend sein. (Fortsetzung folgt.)