Titel: Beitrag zur Theorie und Konstruktion der Wage, mit besonderer Berücksichtigung der n-fach übersetzten Hebelwage.
Autor: Franz Lawaczeck
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 665
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Beitrag zur Theorie und Konstruktion der Wage, mit besonderer Berücksichtigung der n-fach übersetzten Hebelwage. Von Franz Lawaczeck, Dipl.-Ing., Camberg. Beitrag zur Theorie und Konstruktion der Wage, mit besonderer Berücksichtigung usw. 1. Anforderungen, die an eine Wage gestellt werden müssen. Eine Wage ist nach Brauer ein zur Ausführung von Gewichtsvergleichungen bestimmtes mechanisches Instrument. Zur Gewichtsvergleichung kann an und für sich jeder Mechanismus benutzt werden, sofern seine Verhältnisse bekannt sind. Es haben sich zum Wiegen jedoch nur einige wenige eingebürgert, die sich als besonders zweckmässig und praktisch erwiesen haben. Diese Mechanismen müssen vor allem in stabilem Gleichgewicht sein, d.h. sie müssen durch einen kleinen Stoss aus ihrer Gleichgewichtslage herausgebracht, in dieselbe zurückkehren, bezw. Schwingungen um ihre Gleichgewichtslage ausführen. Weiterhin müssen die Mechanismen eine genügende Empfindlichkeit aufweisen; d.h. schon ein kleines Uebergewicht auf eine Seite der Wage gelegt, muss einen genügend deutlichen Ausschlag aus der ursprünglichen Gleichgewichtslage zur Folge haben. Endlich ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wenn die Schwingungsdauer möglichst klein gehalten wird, damit die Dauer einer Wiegung möglichst abgekürzt werde. Die beiden letzten Forderungen an derselben Wage zu erfüllen, scheint schwierig, eine Wage zu bauen entweder mit grosser Empfindlichkeit oder kurzer Schwingungsdauer – dagegen leicht. Es lässt sich die Empfindlichkeit, nicht nur theoretisch, fast ins Ungemessene steigern, wenn man keine Rücksicht auf die Schwingungsdauer zu nehmen hat, umgekehrt kann man bequem schnellschwingende Wagen konstruieren, wenn die Empfindlichkeit gleichgültig ist. Der erste Fall kann eintreten bei Präzisionswagen für wissenschaftliche Zwecke; meist ist aber selbst da das Interesse an einer Schnellwägung ein sehr erhebliches, z.B. wenn Stoffe gewogen werden, deren Gewichte sich etwa durch Feuchtigkeitsaufnahme oder sonstwie ändern können. Der zweite Fall könnte eintreten bei Waggonwagen, falls ganze Eisenbahnzüge rasch gewogen werden sollen. Als Beispiel für den Fall, dass Schwingungsdauer und Empfindlichkeit in gleicher Weise interessieren, mögen die Wagen erwähnt werden, die kostbare Erze und Metalle – Silber, Kupfer – in grossen Massen fortwährend zu verwiegen haben. Für solche Betriebe würden sich empfindliche Schnellwagen, auch wenn sie verhältnismässig sehr teuer wären, rasch dadurch bezahlt machen können, dass die unkontrolliert die Wage passierenden Uebergewichte kleiner würden, was bei stetigem Gebrauch das Jahr über viel ausmachen kann. Eine nur empfindliche aber langsamschwingende Wage dagegen wäre für einen solchen Betrieb unbrauchbar. Untersuchungen über die Empfindlichkeit der gleicharmigen Wage finden sich in fast allen physikalischen Lehrbüchern, auf die Schwingungsdauer wird dabei nie oder nur andeutungsweise Rücksicht genommen.Sehr eingehend sind die allgemeinen Differentialgleichungen für die Bewegung und das Gleichgewicht einer Wage, diskutiert in: Handbuch der physikalischen Massbestimmungen von Dr. B. Weinstein, Bd. II, S. 372. Ueber die Empfindlichkeit an einem beliebigen Hebelsystem hat Schönemann in einem Bericht an die kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu Wien einige interessante Sätze abgeleitet. (Denkschriften der k. A. d. W. Mathematischnaturwissenschaftliche Klasse. 5. Band, II. Lieferung, Jahrgang 1853. „Von der Empfindlichkeit der Brückenwagen, und der einfacher und zusammengesetzter Hebelketten-Systeme“.) Als eine Fortsetzung der Abhandlung Schönemanns bezeichnet Brauer den zweiten Abschnitt seines Buches: „Die Konstruktion der Wage“. Weimar, 1880. B. F. Voigt. Besondere Aufmerksamkeit haben beide Verfasser den Bedingungen geschenkt, die die Empfindlichkeit unabhängig von der Lage der Last auf der Wagschale bezw. der Brücke machen. Untersuchungen über die Abhängigkeit zwischen Schwingungsdauer und Empfindlichkeit liegen, soviel mir bekannt, nur betreffs der gleicharmigen Wage vor.Dittmar, Zeitschrift für Instrumentenkunde, 1881. S. 313 ff. Ebenfalls Thiessen, Zeitschrift für Instrumentenkunde, 1882, S. 358 ff. Brauer zeigtVergl. Brauer, a. a. O. S. 113 u. ff. 1880., dass für eine und dieselbe gleicharmige Wage das Produkt aus dem Quadrat der Schwingungsdauer und der Empfindlichkeit gleich einer Konstanten ist, die nur von den Dimensionen der Wage und von der Belastung abhängig ist, dass mithin bei gegebener Empfindlichkeit und gleicher Belastung eine Veränderung der Schwingungsdauer nur durch Aenderung dieser Konstanten erreichbar ist. Trotz der praktischen Wichtigkeit und des theoretischen Interesses, das eine Erweiterung der für die gleicharmige Wage geltenden Ergebnisse auf zusammengesetzte Hebelwagen hat, liegen Arbeiten nach dieser Richtung nicht vor; wenigstens sind mir ausser den Versuchen SchencksEs sei mir an dieser Stelle gestattet, Herrn Kommerzienrat Schenck, Darmstadt, für die liebenswürdige Ueberlassung seiner anregenden Versuchsresultate meinen verbindlichsten Dank auszusprechen., schnellschwingende Wagen bei hoher Empfindlichkeit mit Hilfe von Hebelübersetzungen zu erreichen, keine bekannt geworden. In folgendem soll nun, um Anhaltspunkte für die Konstruktion zu gewinnen, die Empfindlichkeit sowie Schwingungsdauer eines zusammengesetzten Hebelsystems ermittelt werden. Es soll dann für ein solches System die Abhängigkeit zwischen Empfindlichkeit und Schwingungsdauer gezeigt und schliesslich erörtert werden, wie diese beiden Eigenschaften durch Aenderung der Uebersetzung und Massenverteilung beeinflusst werden können. Dabei wird sich eine dem Nutzeffekt bei Kraftmaschinen analoge Gütezahl ergeben, welche gestattet, ein Urteil über die jeweilig vorliegende Wagenkonstruktion zu fällen. Bei diesen Untersuchungen soll der Einfluss der Reibung sowohl wie der Einfluss der Durchbiegung der Hebel infolge ihrer Belastung unberücksichtigt bleiben. Die Empfindlichkeit einer zusammengesetzten Wage wird aus den Empfindlichkeitsgesetzen für die einfache Wage, die aus einem Hebel besteht, abzuleiten sein, weshalb zunächst die Empfindlichkeitseigenschaften eines einzelnen Hebels betrachtet werden sollen. 2. Definition der Empfindlichkeit. Vorher aber müssen wir festsetzen, was wir unter Empfindlichkeit verstehen wollen. Empfindlichkeit ist die Fähigkeit einer Wage, kleine Gewichtsdifferenzen nachzuweisen. Für das Mass der Empfindlichkeit wird somit einmal der absolute Wert der Gewichtsdifferenz, die auch durch eine kleine einseitige Zulage hergestellt werden kann, massgebend sein, sodann aber kommt auch die Deutlichkeit in Betracht, mit der die Differenz wahrgenommen wird. Nachgewiesen wird die Differenz durch den Ausschlag der Wage. Als Mass der Deutlichkeit dieses Ausschlages wird die Grösse desselben gelten müssen. Der Ausschlag aber kann der Grösse nach auf zweierlei Weise angegeben werden: erstens durch den Winkel, den die infolge einer kleinen einseitigen Gewichtszulage sich neu bildende Gleichgewichtslage mit der vorher vorhandenen bildet, zweitens durch die Grösse der Verschiebung, die irgend ein mit der Drehachse festverbundener in bestimmter Entfernung von dieser angebrachter Punkt erfährt, um von der ursprünglich vorhandenen in die neue durch das Zulagegewicht bestimmte Gleichgewichtslage überzugehen. Um zu erkennen, welche von beiden Möglichkeiten die zweckmässigere ist, nehmen wir einmal an, es stünden zwei Wagen zum Vergleich, deren demselben Zulagegewicht entsprechende Ausschlagwinkel gleich seien, deren eine aber einen doppelt so grossen Zeiger trüge als die andere. Unter Zugrundelegen des Winkels als Ausschlagmass, müssen wir sagen, beide Wagen hätten gleiche Empfindlichkeit; legten wir indessen die Verschiebung der Zeigerspitzen als Mass an, so ergäbe sich der einen Empfindlichkeit gerade doppelt so gross wie die der anderen. Da nun offenbar derselbe Beobachter mit der einen Wage noch Gewichtsdifferenzen bestimmen kann, die er auf der anderen nicht mehr zu erkennnen vermag, wird man sinngemäss trotz gleicher Winkelausschläge der Wage mit dem längeren Zeiger eine grössere Empfindlichkeit zubilligen müssen. Die Grösse des Winkels gibt demnach kein einwandfreies Mass für die Deutlichkeit eines Ausschlages; wir wollen deshalb dafür die Verschiebung eines mit dem Wagebalken festverbundenen Punktes, der für die Beobachtung besonders geeignet gemacht ist, das ist die Zeigerspitze, annehmen. So wären demnach zwei Wagen als gleichempfindlich dann anzusehen, wenn sie dieselbe Gewichtsdifferenz durch gleichgrossen Weg der Zeigerspitze zu erkennen gäben. Nach dieser Definition müsste aber z.B. eine grosse Gleiswage, die bei einer Belastung mit 30000 kg bei einer Zulage von 1 kg eine Zeigerverschiebung von vielleicht 10 mm erfährt als gleichempfindlich mit einer durch 10 kg einseitig belasteten Präzisionswage dann gelten, wenn diese ebenfalls bei einer Zulage von 1 kg eine Zeigerverschiebung von 10 mm erleidet. Beide Wagen wären als gleichempfindlich anzusehen, trotzdem die eine ein äusserst befriedigendes Wägeresultat, die andere ein gänzlich unbrauchbares Resultat gibt, da der Fehler bei Abwägung der 30000 kg ein verhältnismässig sehr geringer, bei den 10 kg Belastung aber ein sehr grosser sein wird. Von der verhältnismässigej Genauigkeit, mit der ein Gewicht durch eine Wage bestimmt wird, hängt aber die Brauchbarkeit des Instrumentes ab. Und der Wunsch, in der Empfindlichkeitsangabe gleichzeitig auch ein Mass für diese Brauchbarkeit zu besitzen, die an und für sich nichts mit Empfindlichkeit zu tun hat, hat dazu geführt, den oben definierten Begriff der Empfindlichkeit zu erweitern. Wir nehmen den von der Eichungsbehörde im Gegensatz zu den Empfindlichkeitsdefinitionen für andere Messinstrumente als Wagen geschaffenen, erweiterten Begriff an, wenn wir sagen: Zwei Wagen sind dann gleichempfindlich, wenn ihre Zeigerspitzen infolge einseitiger Gewichtszulagen, deren Verhältnis zu ihrer einseitigen Belastung bei beiden Wagen dasselbe ist, eine gleichgrosse Verschiebung erleiden, bezw. bei optischen Hilfsmitteln, zu erleiden scheinen. Bezeichnet man die einseitigen Belastungen der beiden Wagen mit L bezw. L1, die entsprechenden Zulagegewichte mit ΔL bezw. ΔL1, setzt die Verhältnisse \frac{L}{\Delta\,L}=E,\ \frac{L}{\Delta\,L_1}=E_1, so sollen also zwei Wagen dann als gleichempfindlich gelten, wenn bei gleichgrossem Weg der Zeigerspitzen infolge der Zulagen ΔL bezw. ΔL1, E = E1 ist. E, E1 sind dabei Zahlen, die Empfindlichkeitsziffern heissen sollen, und deren Grösse bei dem Vergleichen der Empfindlichkeiten mehrerer Wagen willkürlich festgesetzt werden kann. Sind bei gleichem Zeigerausschlag E und E1 verschieden, so verhalten sich die Empfindlichkeiten wie die Empfindlichkeitsziffern, oder, legt man bei zwei verschieden empfindlichen Wagen auf die eine einseitig eine Zulage \Delta\,L=\frac{L}{E}, auf die andere \Delta\,L_1=\frac{L_1}{E}, so werden die Zeigerausschläge verschieden sein, und wie diese Ausschläge bei gleichen Empfindlichkeitsziffern, so werden sich die Empfindlichkeiten verhalten. Die Empfindlichkeitsziffern müssen bei Wagen, welche geeicht werden sollen, einen von der Eichbehörde je nach Gattung der Wage festgesetzten Wert bei „genügend deutlichem“ Ausschlage erreichen. Sofern dieser genügend deutliche Ausschlag als der absoluten Grösse nach feststehend betrachtet werden darf – in Wirklichkeit ist je nach den Fähigkeiten des Beobachters diese Grösse schwankend – können die eichbehördlichen Empfindlichkeitsziffern mit Empfindlichkeit selbst identisch angesehen werden, womit dann diejenige Wage die Empfindlichkeit „Eins“ hätte, bei der ein Zulagegewicht, das der Last selber gleich ist, nötig wäre, um den genügend deutlichen Ausschlag zu erzielen. Etwas schärfer könnten wir die Einheit der Empfindlichkeit als die einem der Last gleichen Zulagegewicht bei einem Ausschlage von 1 mm, gemessen an der Zeigerspitze, entsprechende Empfindlichkeitsziffer definieren. Welche Einheit wir auch immer zu Grunde legen, ist für unsere folgenden Betrachtungen belanglos, festzuhalten ist aber, dass, gleichgültig welche Einheit angenommen ist, die Empfindlichkeit immer erst durch einander zugehörige Werte der Empfindlichkeitsziffer und des Ausschlages festgelegt ist. Um bei unseren weiteren Untersuchungen die Zeigerlänge entbehren zu können, wollen wir an Stelle des Zeigerweges als Mass des Ausschlages die Senkung nehmen, die die Endschneide, welche mit dem Uebergewicht belastet ist, erfährt. Da bei gleichartigen Wagen das Verhältnis zwischen Hebellänge und Zeigerlänge nahezu ein konstantes ist (bei zusammengesetzten Hebelwagen ist das Ende des Oberbalkens meist durch eine Zunge als Zeiger ausgebildet, bei gleicharmigen einfachen Präzisionswagen ist die Zeigerlänge meist gleich der doppelten Hebellänge des Wagebalkens), so ist gegebenen Falles durch die Senkung der Endschneide die Empfindlichkeit leicht zu bestimmen. Solange man verschiedene Empfindlichkeiten derselben Wage betrachtet, kann man natürlich auch die Empfindlichkeitswinkel – so sollen die dem Zulagegewicht \Delta\,L=\frac{L}{E} bei bestimmtem E entsprechenden Ausschlagwinkel genannt werden – selbst zum Vergleiche benutzen, da sie sich ja von den massgebenden Senkungen der Schneide nur um dieselbe Konstante unterscheiden. Nach diesen Festsetzungen können wir zur Aufstellung des Empfindlichkeitsgesetzes einer einfachen Wage übergehen. 3. Die Empfindlichkeitseigenschaften eines einzelnen Hebels bei parallelen und beliebig gerichteten Kräften. Eine einfache Wage besteht im wesentlichen aus einem einzelnen Hebel, der nur von unter sich parallelen Kräften ergriffen ist. Fig. 1 stellt einen Winkelhebel ACB vor, der um eine feste wagerechte Achse bei C drehbar befestigt ist. Diesen Winkelhebel kann man als Wage benutzen, d.h. man kann durch Auflegen eines bekannten Gewichtes etwa in A ein in B aufgelegtes unbekanntes ermitteln, wenn man ausser dem Gewicht des Hebels dessen Schwerpunktslage und ferner die jeder Lage des Hebels entsprechenden Hebelarme der in A und B angreifenden Gewichte kennt. Einfacher gestaltet sich die Wägung, wenn man das bekannte Gewicht so abgleicht, dass der Hebel in einer Lage einspielt, in der der Schwerpunkt senkrecht unter der Drehachse sich befindet. Für diesen Spezialfall ist die Kenntnis des Hebelgewichtes, sowie dessen Schwerpunktsabstandes e1 zur Gewichtsermittlung nicht nötig. Wir wollen diese Lage, d. i. dieselbe Laga, die ein um eine wagerechte Achse drehbarer Hebel einnimmt, wenn er sich selbst überlassen ist, mit „Nullage“ bezeichnen. Unter dem Einflüsse der Schneidenbelastungen in A und B möge der Hebel der Fig. 1 in der Nullage einspielen. Textabbildung Bd. 321, S. 666 Fig. 1. Sofern L die in A wirkende Last, E das Gewicht der Wagschale in A, L1 und E1 die Gewichte der Last und Wagschale in B bezeichnen, gilt mit den Benennungen der Fig. 1 für die Nullage die Gleichung: (L + F)l1 cos β1 = (L1 + F1)l2 cos β2, woraus das unbekannte Gewicht sich ergibt zu: L_1+F_1=(L+F)\,\frac{l_1\,\cos\,\beta_1}{l_2\,\cos\,\beta_2}=(L+F)\,\frac{a}{b}. Die Resultierende der Gewichte bei A und B hat die Grösse R=(L+F)\,\left(1+\frac{a}{b}\right); ihr Angriffspunkt liegt in dem Schnittpunkt der Senkrechten durch C und der Verbindungslinie AB, bei D. Die Entfernung CD, von dem Wagenbauer „Schneidenüberhöhung“ genannt, spielt, wie wir sehen werden, hinsichtlich der Empfindlichkeit eine ebenso wichtige Rolle wie der Schwerpunksabstand CE; die Entfernung CD möge analog dem Schwerpunksabstand CE = e1 mit e2 bezeichnet werden. Um die Empfindlichkeit des Hebels der Fig. 1 zu ermitteln, füge man auf der einen Seite etwa bei A ein kleines Uebergewicht ΔL hinzu; dann wird, falls stabiles Gleichgewicht vorhanden war, ein nur kleiner Ausschlag des Wagebalkens um den Winkel Δϕ stattfinden, der mit Hilfe des Momentensatzes leicht berechnet werden kann. Nach Fig. 2 ist: \Delta\,L\cdot l_1\,\cos\,(\beta_1+\Delta\,\varphi)=\Delta\,L\cdot l_1\,(\cos\,\beta_1\,\cos\,\Delta\,\varphi-\sin\,\beta_1\,\sin\,\Delta\,\varphi)=\left[W\,e_1+(L+F)\,\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2\right]\,\sin\,\Delta\,\varphi 1) In der Regel sind nun bei Wagen die Winkelwerte β sehr klein, weil man als Nullage bei kleinem e2 die wagerechte Stellung der Schneidenverbindungslinie AB anstrebt. Beschränkt man sich auch bei dem Ausschlag auf hinreichend kleine Werte von Δϕ, so lässt sich das Produkt der zwei kleinen Grössen sin β1. sin Δϕ gegenüber dem Werte cos β1 cos Δϕ, der nahezu gleich 1 ist, vernachlässigen. Damit geht Gleichung 1 über in: tg\,\Delta\,\varphi=\frac{\Delta\,L\cdot a}{W\,e_1+(L+F)\,\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2} . . 2) Diese Gleichung gestattet, die Empfindlichkeit des Hebels für jede Belastung zu ermitteln. Indessen fällt auf, dass diese Gleichung für alle gleichbelastete Hebel, deren Drehpunkt in C, deren Endschneiden auf einer Senkrechten durch A bezw. B liegen, gleiche Ausschläge bei gleichem Zulagegewicht ergibt, solange alle diese verschiedenen Hebel gleiches e2 haben. Dieses nur angenähert richtige Resultat ist die Folge unserer Vernachlässigung. Tatsächlich wird für zwei Hebel, die im übrigen obige Bedingung erfüllen, aber verschiedene β Werte aufweisen, bei gleicher Belastung L + F ein verschiedenes Zulagegewicht bei A aufgelegt werden müssen, um denselben Ausschlag zu erzielen. Hat der eine Hebel den Winkel β'1, der andere auf derselben Seite den Winkel β''1, so wird das durch das Uebergewicht auszugleichende Moment, das für beide Hebel bei gleichem Ausschlage von gleicher Grösse ist, sein: Textabbildung Bd. 321, S. 667 Fig. 2. ΔL1l'1 cos (β'1 + Δϕ) = ΔL2l''1 cos (β''1 + Δϕ) folglich wird, wegen l'1 cos β'1 = l''1 cos β''1, \frac{\Delta\,L_1}{\Delta\,L_2}=\frac{1-tg\,\beta''_1\,tg\,\Delta\,\varphi}{1-tg\,\beta'_1\,tg\,\Delta\,\varphi}, wonach die Grösse der Annäherung obiger Gleichung 2, die für β'1 = β''1 = 0 genau richtig ist, ermittelt werden kann. Setzt man in Gleichung 2, um in Δϕ den Empfindlichkeitswinkel zu erhalten, \Delta\,L=\frac{L+F}{E}, wo E eine Empfindlichkeitsziffer bedeutet, so wird: tg\,\Delta\,\varphi=\frac{(L+F)\,a}{W\,e_1+(L+F)\,\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2}\cdot \frac{1}{E}=\frac{1}{E}\cdot \frac{a}{\frac{W\,e_1}{L+F}+\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2} . . 2a) In dieser Gleichung bedeutet tg Δϕ jetzt direkt das Mass der Empfindlichkeit, sofern E bei den verschiedenen Belastungen konstant gehalten wird. Trägt man nun tg Δϕ aus die Ordinate, (L + F) auf die Abscisse eines rechtwinkligen Koordinatensystems auf, so erhält man nebenstehende gleichseitigeDass durch Gleichung 2a eine gleichseitige Hyperbel dargestellt wird, wenn L + F = x und tg Δϕ = y als Variabele eines rechtwinkligen Koordinatensystems angesehen werden, ergibt sich, wenn man die Gleichung auf den Asymptotenschnittpunkt als Koordinatenanfangspunkt bezieht. Die Gleichungen der Asymptoten ergeben sich zunächst zux_1=-\frac{W\,e_1}{\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2} und y_1=\frac{\frac{a}{E}}{\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2}.Bezeichnen x', y' die auf diese Asymptoten bezogenen Koordinaten, so erhält man nach Einführung vony' = yy1 und x' = x – x1Gleichung 2a in der Formx'\cdot y'=-\frac{W\,e_1}{\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2}\cdot \frac{\frac{a}{E}}{\left(1+\frac{a}{b}\right)\,e_2}=\mbox{const},die die gleichseitige Hyperbel erkennen lässt. Hyperbel OA; für den Spezialfall e2 = 0 geht diese Hyperbel in eine Gerade über, die mit der Tangente im Koordinatenanfangspunkt an die Hyperbel zusammenfällt. Da bei gleicher Belastung demnach die Empfindlichkeit um so grösser wird, je kleiner e2 gewählt wird, ist men bestrebt, dieses e2 möglichst gleich Null zu machen; ja in Ausnahmefällen geht man sogar zu negativem e2 über, um der Durchbiegung des Wagebalkens entgegenzuwirken. Sieht man von dem Einfluss der Durchbiegung ab, so bewirkt Negatives e2 für die graphische Darstellung eine Verschiebung der Asymptoten, so dass nunmehr, wie die Hyperbel OB der Fig. 3 zeigt, zwar eine rasche Steigerung der Empfindlichkeit bei grösserer Belastung eintritt, aber die Wage bei einer grösseren Belastung aufhört, brauchbar zu sein, indem die Empfindlichkeitskurve unstetig wird und von + ∞ nach – ∞ bei endlicher Belastung springt. Diese Unstetigkeit tritt ein, wenn der Nenner der Gleichung 2 zu Null wird, d.h. wenn der Angriffspunkt der Resultierenden \left[W+(L+F)\,\left(1+\frac{a}{b}\right)\right] mit dem Drehpunkt des Hebels zusammenfällt; sie tritt also auf in dem Moment, in dem das Gleichgewicht des Hebels indifferent wird. Dabei muss jedoch bemerkt werden, dass Gleichung 2 unter ausdrücklicher Annahme verhältnismässig kleiner Ausschläge abgeleitet ist, dass die Hyperbel OB demnach den tatsächlichen Sachverhalt um so weniger ausdrücken wird, je näher die Belastung der dem Asymptotenabschnitte OZ entsprechenden rückt. Textabbildung Bd. 321, S. 667 Fig. 3. Sowohl positives l2 wie negatives haben demnach Nachteile im Gefolge. Da ausserdem e2 = 0 bewirkt, dass die Tangenten des Empfindlichkeitswinkels direkt proportional der Belastung wachsen, der Gesamtausschlag also direkt proportional dem Uebergewicht sein wird, gestattet e2 = 0 auch noch die Annehmlichkeit, direkt aus der Grösse des Ausschlages die Gewichtsdifferenz abzulesen, wenn die Grösse des Ausschlags für die Gewichtseinheit bekannt ist. So hat sich denn im Wagenbau die Regel herausgebildet, e2 stets gleich Null zu machen, d.h. die drei Schneiden eines Hebels in dieselbe Ebene zu legen. Setzt man schliesslich in Gleichung 2e1 = 0, so wird der Empfindlichkeitswinkel unabhängig von der Belastung, die Hyperbel in Fig. 3, OA geht in eine zur Abscisse parallele Grade (die frühere Asymptote x1x1) über. Damit sind die Empfindlichkeitseigenschaften eines von parallelen Kräften ergriffenen Hebels, also einer einfachen Wage erschöpft. Wir haben gesehen, dass diese Eigenschaften durch die Grössen e1 und e2, den Schwerpunktsabstand und die Schneidenüberhöhung, charakterisiert sind. Bei einer zusammengesetzten Hebelwage haben wir es nun mit einer Reihe von Hebeln zu tun, von denen je zwei durch ein Verbindungsglied zwangläufig verbunden sind. Diese Verbindungsglieder sind Zug- oder Druckstangen. Ihre Richtung ist im allgemeinen eine von der senkrechten abweichende, so dass die je an einem Hebel wirkenden Kräfte unter einander nicht parallel sind. Es lassen sich deshalb die obigen Gesetze nicht ohne weiteres auf ein zusammengesetztes Hebelsystem anwenden. Wir müssen dazu vielmehr zunächst den Einfluss nicht paralleler Kräfte auf die Empfindlichkeit feststellen. Textabbildung Bd. 321, S. 668 Fig. 4. Zu diesem Zweck wollen wir einen Winkelhebel (Fig. 4) betrachten, dessen e1 = 0 sei, und der von zwei in beliebiger Richtung wirkenden Kräften erfasst im Gleichgewicht sich befinde, wobei die Kräfte der Grösse und Richtung nach für eine beliebige Drehung des Hebels unveränderlich gedacht werden sollen. Es sei also: Aa cos α = Bb cos β . . . . . . . . . . 3) Denkt man sich nun eine Drehung um den Winkel Δϕ vorgenommen, so, dass die Kräfte A und B ihre Richtung und Grösse beibehalten, so wird zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts nach der Drehung ein Moment Mx zugesetzt werden müssen, welches gleich kleiner oder grösser als Null sein kann. Sofern Mx als positiv dann betrachtet wird, wenn es im Sinne der vorgenommenen Drehung wirkt, so wird positives Mx das Kennzeichen stabilen Gleichgewichtes sein, da nach Aufhören des Momentes Mx das System in seine ursprüngliche Lage zurückkehren muss. Mx = 0 sagte, dass in jeder Drehlage ohne weiteres Gleichgewicht herrscht, dass also indifferentes vorliegt. Negatives Mx ergäbe labiles Gleichgewicht zu erkennen. Es ist nun: Mx = Bb cos (β – Δϕ) – Aa cos (α + Δϕ) oder mit Berücksichtigung von Gleichung 3 M_x=B\,b\,\frac{\sin\,(\alpha+\beta)}{\cos\,\alpha}\,\sin\,\Delta\,\varphi. . . 3a) In dieser Gleichung kommt der Winkel ACB nicht vor, folglich ist dieser für das Kriterium, welches Gleichgewicht vorliegt, belanglos. Denken wir uns also diesen Winkel beliebig verändert, aber so, dass die Winkel α und β erhalten bleiben, so müssen alle diese neuen Hebel bezüglich ihrer Gleichgewichtseigenschaften identisch sein. Denkt man sich bei stabilem Gleichgewicht – nur für stabiles Gleichgewicht hat es Sinn von Empfindlichkeit zu reden – dieses Mx hervorgerufen durch eine dem früheren Zulagegewicht entsprechende Kraftvergrösserung, so erkennt man, dass auch alle diese neuen Hebel bezüglich ihrer Empfindlichkeitseigenschaften identisch sein müssen, da Mx für dasselbe Δϕ bei allen denselben Wert hat. Wir drehen demgemäss etwa den einen Schenkel AC so weit, dass die Kraftrichtung A mit der von B parallel und gleichsinnig geworden ist (s. Fig. 5). Da wir jetzt die Resultierende A + B, analog der Fig. 1 in D dem Schnittpunkt der Verbindungsgraden A1B und der durch C gelegten Kraftrichtung, angreifend denken können, so erkennen wir, dass es immer möglich sein muss, einen von beliebig gerichteten Kräften ergriffenen, im Gleichgewicht befindlichen Hebel zu ersetzen durch einen von unter sich parallelen Kräften ergriffenen, ohne dass dadurch die Gleichgewichts- und Empfindlichkeitseigenschaften sich ändern. Dabei wird die gegenseitige Neigung der Kräfte ersetzt durch eine gleichwertige Schneidenüberhöhung e2. Dementsprechend wollen wir späterhin dieses Verfahren kurz durch „Neigungsersatz“ bezeichnen. Textabbildung Bd. 321, S. 668 Fig. 5. Die den Neigungen α und β der Kräfte A bezw. B gleichwertige Schneidenüberhöhung e2 ergibt sich aus der Fig. 5, wenn man das Lot von B auf die Kraftrichtung A fällt und die eingeschriebenen Werte beachtet, zu e2= b sin β – x, wobei x=\frac{b\,\sin\,\beta-a\,\sin\,\alpha}{a\,\cos\,\alpha+b\,\cos\,\beta}\,b\,\cos\,\beta; mithin e_2=\frac{a\,b\,\sin\,(\alpha+\beta)}{a\,\cos\,\alpha+b\,\cos\,\beta} . . . . 4) Wird für den vorliegenden Hebel der Fig. 4 bezw. 5 e1 von Null verschieden gewählt, so wird seine Empfindlichkeitsgleichung nach Einführung des Neigungsersatzes die Form der Gleichung 2 und 2a annehmen, sofern das Einspielen im Gleichgewicht in der Nullage erfolgt, also dann, wenn der Schwerpunkt des Hebels in der durch den Drehpunkt gelegten Senkrechten liegt Die Gleichungen 2 und 2a drücken auch jetzt den tatsächlichen Sachverhalt um so genauer aus, je kleiner die Winkel α und β sind, je kleiner also die ihnen entsprechende Schneidenüberhöhung e2 ist. Uebrigens gibt Gleichung 4 ein bequemes Kriterium für die Art des Gleichgewichts, in dem sich ein Winkelhebel unter Einwirkung beliebig gerichteter Kräfte befindet. Es wird nämlich e2 ⋚ 0, und damit Mx ⋛ 0, wenn α + β ⋚ 0, so dass also          <α + β = 0         > labilemindifferentemstabilem Gleichgewicht entspricht. Für einen einarmigen Hebel gelten dieselben Betrachtungen unverändert, da ein einarmiger Hebel ja nur der Spezialfall eines Winkelhebels ist, bei dem der Zentriwinkel zu Null geworden ist. (Fortsetzung folgt.)