Titel: Versuche über das Schneiden von Geschützstahl.
Autor: N. N. Sawwin
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 67
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Versuche über das Schneiden von Geschützstahl. Von Professor N. N. Sawwin in Petersburg. (Schluß von S. 24 d. Bd.) SAWWIN: Versuche über das Schneiden von Geschützstahl. Da der Laboratoriumspan dem Fabrikspan geometrisch ähnlich sein muß, und der Maximalquerschnitt des Laboratoriumspanes 8 qmm beträgt, so läßt sich eine Tabelle von Grenzwerten der Tiefe und des Vorschubs für die Laboratoriumsbank aufstellen, wobei, wie Tab. 1 zeigt, dieser Berechnung verschiedene Werte des Querschnittsverhältnisses zwischen Fabrik- und Laboratoriumspan zugrunde gelegt werden. Tabelle 1. Verhältnis der Fabrik-und Laboratorium-spanquerschnittflächen Maximale Dimensionen desLaboratoriumspanes Tiefe in mm Vorschub in mm   4 4,75–6,35 1,68–1,26   5 4,24–5,67 1,89–1,41   6 3,88–5,18 2,06–1,54   7 3,58–4,79 2,23–1,67   8 3,36–4,49 2,38–1,78   9 3,17–4,23 2,52–1,89 10 3,00–4,02 2,67–2,00 Bei Benutzung der Tab. 1 der Grenzdimensionen des Spanes läßt sich unsere Aufgabe auf Ermittlung der kritischen Geschwindigkeiten und Wahl der vorteilhaftesten unter ihnen zurückführen. Zur Bestimmung der kritischen Geschwindigkeiten konnte diese Tabelle nicht voll ausgenutzt werden, da, wie schon oben erwähnt, ein Mechanismus zu kontinuierlicher Aenderung der Geschwindigkeiten fehlte und die Länge der Blöcke beschränkt war. Die Dauer eines jeden Experiments wurde durch die äußeren Umstände begrenzt, entweder durch das natürliche Abstumpfen des Werkzeuges oder durch das Anlangen am Ende des Blockes. Der Endzustand des Werkzeuges wurde als „gut“ bezeichnet, wenn nicht die geringsten Abstumpfungsmerkmale vorlagen, und als „schlecht“, wenn die Arbeit infolge deutlicher Abnutzung desselben eingestellt werden mußte. Das Zahlenmaterial zur Wahl der vorteilhaften Querschnitte und Geschwindigkeiten bietet die Tab. 2. Tabelle 2. Ver-such Spandimensionen Schneide-geschwind-digkeit inm/Min. Volum desin 1 Min. ab-getrenntenSpanesin mm2 Arbeitsdauerin Minute ZustanddesWerk-zeuges Tiefein mm Vor-schubin mm Flächein qmm mög-liche effek-tive   1 4 ¾ 3 36 108 18 18 gut   2 3 1 3 32   96 14 14 gut   3 5 ¾    3¾ 29 109 18 18 gut   4 4 1 4 36 144 14   8 schlecht   5 3    1½    4½ 27 121   9   9 gut   6 5 1 5 21 105 23 23 gut   7 4    1½ 6 22 132 16 16 gut   8 3 2 6 23 138 12 12 gut   9 5    1½    7½ 17 128 18 12 schlecht 10 4 2 8 18 144 14 14 gut Die besten Resultate ergaben die Versuche 5, 7, 8 und 10, sowohl im Zustande des Werkzeuges zu Ende dieser Versuche, als auch in der erzielten Leistung (dem maximalen Spanvolumen); der Versuch 5 scheint übrigens infolge der geringen Arbeitsdauer (9 Minuten) nicht einwandfrei zu sein. Der Versuch 4 gab ebenfalls ein beträchtliches Spanvolumen, mußte jedoch, da das Werkzeug in der achten Minute untauglich wurde, vorzeitig abgebrochen werden; die benutzte Geschwindigkeit war also zu groß, bei geringerer Geschwindigkeit (25 m) fiel die Leistung bis auf 100 mm3. Dasselbe muß auch über Versuch 9 gesagt werden, obgleich übrigens in diesem Falle das Untauglichwerden des Werkzeuges einigermaßen überrascht. Die Versuche 1, 2, 3 und 6 wurden infolge der geringen Leistung als verfehlt angesehen. Somit sind von allen Querschnitten und Geschwindigkeiten die aussichtsvollsten: Versuch 7: Spanquerschnitt 4 × 1½ = 6 qmm bei einer Geschwindigkeit von 22 m/Min., Versuch 8: Spanquerschnitt 3 × 2 = 6 qmm bei einer Geschwindigkeit von 23 m/Min., Versuch 10: Spanquerschnitt 4 × 2 = 8 qmm bei einer Geschwindigkeit von 18 m/Min. Da die beim letzten Versuche erzielte Leistung die Leistungen der anderen Versuche übertraf, und auch die Beobachtungsdauer (14 Minuten) genügend lang ist, so wurden die Versuchsbedingungen dieses Versuches zur Benutzung im Fabrikbetriebe vorgeschlagen; es wurde empfohlen, mit einer Geschwindigkeit von 18 m/Min. (590 rnit einem Vorschub von 3/16'', bei der Schneidetiefe ⅜'' bzw. ¼'' bei einer Schneidetiefe von ½'' zu arbeiten. Es war nun erwünscht, die erhaltenen Resultate an Ort und Stelle auf einer großen Fabrikwerkbank mit der Zentrumshöhe 42'' zu kontrollieren. Halter und Werkzeug wurden nach Abb. 1 (S. 21) angefertigt. Der Neigungswinkel der Schneide zum Vorschub betrug 25 °, die Schneidetiefe ⅜'' und der Vorschub 3/16'' der unausgeglühte Block hatte einen Durchmesser von 900 mm, die Schneidegeschwindigkeiten wurden kontinuierlich von 10 m bis 22 m gesteigert. Bei letzterer Geschwindigkeit wurde das Werkzeug sehr bald, nach 4 bis 5 Min., stumpf. Es wurde von neuem angeschärft und derselbe Block mit einer Geschwindigkeit von 18 m im Laufe von 22 Min. abgedreht, bis das ganze Gebiet abgeschnitten war; der Span begann sofort sich abzurollen, nach ½ bis 1 Min. hatte sich ein vollkommen ruhiges kontinuierliches Fließen des Metalls längs dem Werkzeug eingestellt, Belastungsschwankungen waren nicht zu bemerken und der Span hatte eine gleichmäßige blaue Anlauffarbe (die Versuche wurden ohne Kühlung angestellt). Die Spanwindungen besaßen einen Durchmesser von 200 mm und legten sich so gleichmäßig aneinander, daß eine vollkommen regelmäßig ausgebildete starke Feder entstand. Es bedarf wohl kaum des Hinweises, daß bei gleichzeitiger Arbeit von vier solchen Werkzeugen auf einer Bank die Stundenleistung bei weitem den Rekord von 1 t Späne übertrifft. Bei denselben Spanquerschnitten und Geschwindigkeiten wurden mit gleichem Erfolg Versuche mit Schnelldrehstahlen mehrerer Marken angestellt; es wurden benutzt: Extrasuperrapid der Br. Böhler & Co. gehärtet in Oel und an der Luft ein- resp. zweimal thermisch bearbeitet, Rapid der Br. Böhler & Co. in gewöhnlicher Weise gehärtet, Sirius von T. Firt & Co.. gehärtet in Oel an der Luft. Zum Schluß wären einige Umstände zu erwähnen, die teilweise oder vollständig während der Laboratoriumsversuche geklärt wurden und für die allgemeine Schneidetheorie ein Interesse bieten. Vor allem wäre die Fruchtbarkeit der Anwendung des Aehnlichkeitsgesetzes hervorzuheben. Die im Laboratorium an Geschützstahl angestellten Versuche fanden eine vollkommene Bestätigung im Fabrikbetriebe an Spänen mit beträchtlichem Querschnitt, die in ihrer Form dem Laboratoriumversuchspan ähnlich waren. Weiter wäre an Hand des Diagramms (Abb. 4) zu unterstreichen, daß der geringste Schneidekoeffizient beim Abnehmen dünner Späne gefunden wurde, während doch für gewöhnlich angenommen wird, daß der Schneidekoeffizient mit dem Dünnerwerden des Spanes ansteigt. Hier scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch vorzuliegen. Um Mißverständnissen vorzubeugen, erinnern wir daran, daß bei der Untersuchung des Einflusses der Spandicke oder, was dasselbe ist, der Dicke der abgetrennten Schicht, gewöhnlich Spandicke und Vorschub als kongruente Begriffe betrachtet werden, so z.B. in dem Falle, wenn beim Experiment der Vorschub geändert wird, der Winkel der Schneideneigung zur Vorschubrichtung aber unverändert bleibt. Die Spandicke hängt jedoch nicht nur vom Vorschub ab, sie wird auch unabhängig vom Vorschub durch den genannten Winkel geändert, und es kann direkt durch bloße Aenderung des Winkels x ein dünnerer Span erhalten werden, wie es in der Tat in unserem Fall war: der Vorschub blieb konstant, geändert wurde nur der Winkel x. Aus dem Diagramm 4 läßt sich folgender Schluß ziehen: der Einfluß des Winkels x auf den Schneidekoeffizienten ist dem Einfluß des Vorschubes entgegengesetzt; während die Verringerung des Vorschubs stets mit einem gewissen Anstieg des Schneidekoeffizienten verknüpft ist, kann eine Verringerung des Winkels x zu einer Abnahme dieses Koeffizienten führen. Letzteres tritt ein, sobald der Schneidevorgang durch Aenderungen des Winkels x geregelt ist. Bei Werten des Winkels x von 25 ° und 30 °, wo der Schneidekoeffizient die geringsten Beträge annahm, wurde gerade das ruhigste Spanabtrennen beobachtet; bei anderen, größeren oder kleineren Winkelwerten machten sich unliebsame Störungen bemerkbar. Textabbildung Bd. 328, S. 68 Abb. 4. Ferner wäre hier noch zu erwähnen, daß ein ruhiges Fließen des Spanes längs dem Werkzeug nicht sofort eintritt, sondern nach einiger Zeit, sobald sich der Span auf der Vorderfläche nahe der Schneidekante eine Rinne gebildet hat. Dieses Einarbeiten dauert ¼ bis ½ Minute, oft jedoch auch länger, 2 bis 3 Minuten, und der Span sowie das Werkzeug erwärmen sich hierbei stark. Diese Rinne ist für jeden Span streng begrenzt: wird z.B. bei Einhaltung aller übrigen Bedingungen der Vorschub geändert, so taugt die alte Rinne nicht mehr, und es ist Zeit zum Vorarbeiten einer neuen erforderlich; ebenso ist es auch beim Aendern der übrigen Schneidebedingungen. Alle Versuche, die notwendige Rinne künstlich herzustellen, um sofort den Span in die rechten Bahnen zu lenken, mißrieten. Bei Beobachtung des Einarbeitens des Werkzeugs erhielt ich den Eindruck, daß die sogen. „Rostfestigkeit“ des Schnelldrehwerkzeugs, die angeblich (nach Taylor) durch die zweite thermische Behandlung behoben wird, nicht als wunderbare Eigenschaft dieses Stahles, in rotglühendem Zustande besser zu schneiden, anzusehen ist; die Eigentümlichkeit scheint einfach darin zu liegen, daß der Stahl sich mit dem gegebenen Spane nicht sofort, sondern allmählich einarbeitet, nachdem das Werkzeug schon stark erhitzt ist. Es ist mir nicht gelungen, Gesetzmäßigkeiten über die Bildung der Span Windungen aufzustellen; zeitweilig gewann ich die Anschauung, als sei der Durchmesser dieser Windungen dem Blockdurchmesser und der Schneidegeschwindigkeit direkt und der Spandicke umgekehrt proportional. Die bei vorliegender Untersuchung benutzte vereinfachte Bestimmungsmethode des Druckes aufs Werkzeug (des Schneidekoeffizienten) ergab vollkommen sichere ResultateSie hatte sich übrigens schon früher im Studentenpraktikum im Laufe von 5 Jahren genügend sicher erwiesen.. Eine Zusammenstellung von über 130 Versuchsergebnissen, die hier nicht näher angeführt werden, zeigte vollkommen eindeutig, daß beim Schneiden von zähem Geschützstahl der Schneidekoeffizient nicht von der Schneidetiefe abhängt, daß er sich mit dem Vergrößern des Vorschubs nur wenig verringert und auch bei gesteigerter Geschwindigkeit nur unbedeutend abnimmt. Diese mit einfacher Versuchsordnung erhaltenen Schlüsse bilden aber die an zähem Stahl auf Grund der genauesten dynamometrischen Prüfungen aufgestellten Grundlagen der Schneidetheorie. Zusammenfassung. Beim Schneiden von Geschützstahl vorliegende Unzuträglichkeiten. Wahl der Werkzeugtype. Bestimmung des günstigsten Neigungswinkels der Werkzeugschneide zur Vorschubrichtung, des vorteilhaftesten Spanquerschnitts und der zulässigen Schneidegeschwindigkeit. Uebertragung der Ergebnisse der im kleinen angestellten Laboratoriumsversuche auf Fabrikwerkbänke. Einige Bemerkungen zur Theorie des Schneidens. Berichtigung: Auf S. 21, linke Spalte, Zeile 9 von oben lies: 220 statt 260, 200 statt 220.