Titel: Die Gaedesche Molekularluftpumpe.
Autor: Br. Glatzel
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 209
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Die Gaedesche Molekularluftpumpe. Von Br. Glatzel. GLATZEL: Die Gaedesche Molekularluftpumpe Die schnelle Entwicklung, welche die Glühlampenindustrie seit Einführung der Metallfadenlampen besonders in den letzten Jahren erfahren hat, zeitigte unter anderem auch das Bedürfnis nach einer schnellarbeitenden guten Vakuumpumpe. Wenn man bedenkt, daß in den großen Glühlampenfabriken bis zu 100000 Lampen an einem Tage hergestellt und evakuiert werden müssen, so kann man sich schon nach dieser einfachen Zahlenangabe ein ungefähres Bild von den Luftmengen machen, welche hierbei entfernt werden müssen. Rechnet man z.B. im Durchschnitt den Rauminhalt einer Lampe zu 200 ccm, so ergibt sich ein Gesamtvolumen von 20000 l, welches bis auf etwa Röntgenvakuum gebracht werden muß. Da nun die Frage einer mehr oder weniger günstigen zeitlichen Ausnutzung der in einer Fabrik vorhandenen technischen Anlagen von sehr großer Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und damit auch für seine Rentabilität ist, so ergibt sich ohne weiteres, daß alle in einem derartigen Fabrikbetriebe zu verwendenden Luftpumpen, abgesehen von einer praktisch brauchbaren Konstruktion, vor allem auch eine große Leistungsfähigkeit in bezug auf ihre Saugwirkung besitzen müssen. Wie ungeeignet für diesen Zweck die älteren, in physikalischen Instituten noch jetzt vielfach gebrauchten Quecksilberpumpen nach Töpler waren, kann man daraus ersehen, daß nach vergleichenden Versuchen der Physikalisch Technischen Reichsanstalt an Vakuumpumpen verschiedener Systeme, z.B. ein Raum von 6 l mittels einer Töpler-Pumpe erst in etwa 4 ½ Stunden auf einen Druck von 0,000025 mm gebracht wurde, während mit einer modernen rotierenden Qecksilberluftpumpe nach Gaede der noch niedrigere Druck von 0,00001 mm bereits in 25 Minuten erreicht werden konnte. Noch größer ist der Fortschritt hinsichtlich der Saugleistung bei Verwendung der im folgenden beschriebenen Molekularluftpumpe nach Gaede, welche, verglichen mit der zuletzt genannten rotierenden Quecksilberpumpe, eine etwa zehnmal größere Leistungsfähigkeit besitzt. Abgesehen davon ist aber auch der gesamte konstruktive Aufbau dieser Pumpe so außerordentlich einfach und betriebssicher, daß sie voraussichtlich in kurzer Zeit sich ein großes Anwendungsgebiet erobern dürfte. Das Prinzip der Gaedeschen Molekularluftpumpe läßt sich am einfachsten an der Hand der Abb. 1 übersehen. Innerhalb des Gehäuses B rotiert um die Achse a der Zylinder A. In den oberen Teil des Gehäuses B ist eine Nute eingefräst, in welche zwei Bohrungen n und m münden, welche durch Schläuche S unter Zwischenschaltung eines Manometers M miteinander verbunden sind. Läßt man nun den Zylinder A schnell im Sinne des Pfeiles rotieren, so werden Luftteilchen von n nach m mitgerissen und es entsteht bei n eine Luftverdünnung, bei m eine Verdichtung, welche an dem Manometer als Druckdifferenz p o angezeigt wird. Diese Druckdifferenz wird um so größer, je höher die Umdrehungszahl des Zylinders A ist. Arbeitet die Pumpe nicht in Luft, sondern in einem anderen Gase, so ist die Druckdifferenz auch von der inneren Reibung des betreffenden Gases abhängig. Herrscht nun z.B. in der Pumpe Atmosphärendruck von 760 mm, d.h. steht die Oeffnung m mit dem Außenraum in Verbindung, so erhält man bei n einen geringeren Druck, z.B. von 750 mm entsprechend einer bestimmten Tourenzahl von A. Diese Druckdifferenz von 10 mm, welche durch die Umfangsgeschwindigkeit des Zylinders A und die innere Reibung der Luft bestimmt ist, muß nun, wie bereits Maxwell aus seinen Rechnungen folgerte, konstant bleiben, unabhängig davon, in welchem Verdünnungszustande sich die Luft in der Pumpe befindet. Verbinden wir also die Oeffnung m mit einer zweiten Vorpumpe, welche etwa ein Vorvakuum von 20 mm erzeugt, so erhalten wir bei n ein Vakuum von 10 mm. Bei sehr niedrigen Drucken gilt jedoch dieses Gesetz nicht mehr so daß man nicht etwa durch Herabsetzung des Druckes bei m auf 10 mm bei n ein absolutes Vakuum erhalten würde, vielmehr lautet das Maxwellsche Gesetz in diesem Fall, daß nicht die Druckdifferenz zwischen m und n, sondern das Druckverhältnis unabhängig von dem im Gehäuse bzw. bei m herrschenden Vakuum ist. Aber auch unter Berücksichtigung dieser Modifikation bietet das Maxwell sehe Gesetz die Möglichkeit, eine gute Vakuumpumpe zu konstruieren, welche allerdings hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit nur dann voll ausgenutzt werden kann, wenn man bei m ein gutes Vorvakuum erzeugt. Eine nach diesem Prinzip konstruierte Pumpe bedarf also stets zu ihrer Ergänzung einer besonderen Vorpumpe. Bevor wir nun die wichtigsten konstruktiven Einzelheiten der Pumpe besprechen, müssen noch einige theoretische Betrachtungen vorausgeschickt werden, um. den Namen „Molekularluftpumpe“, welchen Gaede seiner neuen Pumpe gab, zu erklären. Nach der kinetischen Gastheorie haben wir uns vorzustellen, daß die in dem Raum zwischen m und n befindlichen Gasmoleküle mit einer bestimmten Geschwindigkeit, welche z.B. für Luft etwa ½ km beträgt, wirr durcheinander fliegen. Herrscht in dem Raum ein niedriger Druck, so werden diese bewegten Moleküle nur verhältnismäßig selten miteinander zusammenstoßen, vielmehr in der weitaus größten Mehrzahl gegen die Wandungen des Raumes also auch den rotierenden Zylinder A stoßen und dann von diesem wieder zurückprallen. Befindet sich der Zylinder in Ruhe, so werden die verschiedenen Moleküle regellos nach allen Richtungen zurückgeschleudert und es werden durchschnittlich nach m ebensoviel Moleküle fliegen wie nach n. Sobald aber der Zylinder in Rotation versetzt wird, erhalten die reflektierten Moleküle außer ihrer Eigengeschwindigkeit noch eine zusätzliche Beschleunigung im Sinne der Rotation des Zylinders A. Bewegt sich z.B. der Zylinderumfang mit einer Geschwindigkeit, welche gleich derjenigen der Moleküle ist, so werden von den auf den Zylinder auftreffenden Molekülen überhaupt keine mehr nach n fliegen, während gleichzeitig die in Richtung nach m reflektierten Moleküle eine größere, maximal die doppelte Molekulargeschwindigkeit erhalten. Infolgedessen wird nach kurzer Zeit bereits bei n ein Verarmungsbereich an Molekülen, d.h. ein Vakuum entstehen. Ist die Umfangsgeschwindigkeit des Zylinders A kleiner als die Molekulargeschwindigkeit, so werden die nach n reflektierten Moleküle nur in ihrer Bewegung verzögert so daß die zwischen m und n sich einstellende Druckdifferenz kleiner sein wird. Gaede prüfte diese Anschauung in der Weise, daß er die Pumpe mit gleicher Geschwindigkeit einmal in Luft, dann in Wasserstoff arbeiten ließ. Da in letzterem die Moleküle eine etwa neunmal größere Geschwindigkeit als in Luft haben, so war für Wasserstoff die bei n auftretende Verdünnung erheblich geringer als in Luft. Textabbildung Bd. 328, S. 210 Abb. 1. Textabbildung Bd. 328, S. 210 Abb. 2. Textabbildung Bd. 328, S. 210 Abb. 3. Das von Gaede benutzte Prinzip zur Herstellung einer Hochvakuumpumpe ist nun auch konstruktiv von ihm sehr geschickt verwertet worden, so daß eine für die Praxis recht brauchbare Pumpe entstand. Die in Abb. 1 im Prinzip dargestellte Konstruktion war nämlich fabrikationsmäßig nicht leicht auszuführen, da sich die zwischen m und n befindliche Ausfräsung mechanisch nur schwer sauber herstellen läßt. Gaede versah daher den Zylinder A, wie in Abb. 2 dargestellt ist, mit einer Reihe von radialen Nuten D, deren Querschnitt an einer Stelle dadurch verringert wurde, daß an dem oberen Teil des Gehäuses B Lamellen C angebracht wurden, welche in die Nuten hineinragten (vergl. auch Abb. 3). Dadurch erreichte er dieselbe Wirkung wie bei der schematischen Konstruktion nach Abb. 1, hatte jedoch für die Fabrikation den Vorteil, daß alle Teile auf einer Drehbank mit großer Präzision hergestellt werden konnten. Auch ermöglichte die Anordnung mehrerer Nuten, daß die Wirkung der Pumpe noch entsprechend der Nutenzahl erhöht wurde. Interessant ist ferner auch die Methode der Abdichtung der beiden Lager der Welle a. Diese sind gegen den Außenraum durch Oelbehälter F abgeschlossen. Um nun zu verhindern, daß dieses Oel in das Pumpengehäuse selbst eindringt, sind in die Welle a Spiralnuten TV eingefräst, welche bei richtiger Drehung der Welle pumpenartig wirken und das Oel in den Behälter F zurückdrücken. Dieser dynamisch erzeugte Gegendruck, welcher gleichzeitig bei gefülltem Oelbehälter F eine vorzügliche Abdichtung der Pumpe gewährleistet, ist natürlich nur wirksam, wenn die Achse a rotiert. Es muß daher stets bei Inbetriebsetzung der Pumpe darauf geachtet werden, daß, bevor man das Gehäuse durch den Auslaß m mit der Vorvakuumpumpe in Verbindung bringt, die Hochvakuumpumpe in Bewegung gesetzt wird, da andernfalls das Oel aus den Behältern F in das Innere der Pumpe gesaugt werden würde. Bei der praktischen Ausführung der Firma Leybold, welche Abb. 4 wiedergibt, ist diese Bedingung dadurch erfüllt, daß der Anlaßwiderstand des Antriebsmotors zwangläufig mit dem in der Vakuumleitung liegenden Hahn gekuppelt ist. Textabbildung Bd. 328, S. 211 Abb. 4. Auf den Hauptvorzug dieser Gaedeschen Molekularluftpumpe, nämlich den einer gegenüber allen bisherigen Pumpen erheblich gesteigerten Saugleistung, ist bereits in der Einleitung hingewiesen worden. Hierzu kommt der weitere große Vorteil, daß innerhalb der Pumpe weder Oel noch Quecksilber verwendet ist, so daß die aus diesen sich entwickelnden Dämpfe gänzlich vermieden sind und infolgedessen sich mit dieser Pumpe ein Vakuum erreichen läßt, wie es bisher bei keinem anderen Pumpensystem erzielt worden ist. So gelang es z.B. Gaede, einen Druck von 0,0000002 mm herzustellen. Gleichwohl besitzt auch diese Pumpe für die praktische Verwendung, z.B. in Glühlampenfabriken, einige Nachteile, auf die wenigstens noch kurz hingewiesen werden soll. In Glühlampenfabriken hat man im allgemeinen mit Rücksicht auf eine größere Oekonomie die Einrichtung der Pumpenanlage so getroffen, daß eine große Vorvakuumpumpe gemeinsam für alle oder doch eine größere Anzahl von Pumpenständen vorhanden ist. Von dieser Vorvakuumanlage gehen die Leitungen nach den einzelnen Plätzen. Es ist nun naturgemäß im allgemeinen nicht möglich, in diesem ziemlich weit verzweigten Leitungsnetz ein sehr hohes Vorvakuum zu halten, eine Bedingung, welche auch bei den bisher benutzten Quecksilberpumpen nicht erfüllt zu sein brauchte, da es z.B. bei Verwendung einer rotierenden Quecksilberpumpe nach Gaede nicht erforderlich war, weniger als etwa 10 mm Vorvakuum zu erzeugen. Bei der Molekularluftpumpe dagegen genügt dies nicht, da man dann weder eine genügende Saugleistung der Pumpe noch ein genügendes Hochvakuum erzeugen kann. Bezeichnet man den Vorvakuumdruck mit p1, den Hochvakuumdruck mit p2, so erhält man z.B. bei n = 4000 Touren i. d. Min. bei den verschiedenen Werten von p1 die in Tab. 1 angeführten Werte von p2. (Die Drucke p sind in Millimeter Quecksilber angegeben.) Günstiger liegen die Verhältnisse, wie Tab. 2 zeigt, bei einer Tourenzahl von n = 8000 i. d. Min. Die Abhängigkeit der Saugleistung von der Höhe des Vakuums, welche ebenfalls recht beträchtlich ist, findet sich in Tab. 3 angegeben. Tabelle 1. p1 p2 2010  1  0,1 30,080,00030,00003 n = 4000 Tabelle 2. p1 p2 2010  1  0,1 0,0050,00050,000020,000002 n = 8000 Man sieht aus diesen Angaben ohne weiteres, daß man die volle Leistungsfähigkeit der Molekularpumpe nur dann ausnutzen kann, wenn man ein Vorvakuum von etwa Tabelle 3. p1 Saugleistungi. d. Sek. 10   580 ccm   1   920   „   0,1 1240   „   0,01 1410   „   0,001 1330   „ 0,01 mm verwendet, was natürlich nur möglich ist, wenn jede Hochvakuumpumpe mit einer besonderen Vorvakuumpumpe versehen ist. Für den praktischen Fabrikbetrieb bedeutet dies aber naturgemäß eine Komplikation, da, abgesehen von den höheren Anschaffungskosten, auch die Kosten der Bedienung und Instandhaltung der gesamten Pumpenanlage nicht unerheblich steigen. Sieht man jedoch von dieser mehr auf praktischem Gebiete liegenden Schwierigkeit ab, so stellt die neue Gaedesche Molekularluftpumpe einen so bedeutenden Fortschritt in der Luftpumpentechnik dar, daß sie zum mindesten für viele wissenschaftliche Untersuchungen bald ein unentbehrliches Hilfsmittel bilden wird.