Titel: Neuere Meßwerkzeuge und Meßverfahren im Maschinenbau.
Autor: Meyer
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 642
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Neuere Meßwerkzeuge und Meßverfahren im Maschinenbau. Von Professor Dipl.-Ing. Meyer in Magdeburg. MEYER: Neuere Meßwerkzeuge und Meßverfahren im Maschinenbau. Inhaltsübersicht. Beschreibung der neueren Genauigkeitsmeßwerkzeuge wie Schiebelehren, Mikrometerschrauben, Normallehren und Grenz- oder Toleranzlehren sowie deren Anwendung bei der Bearbeitung austauschbarer Maschinenteile. –––––––––– Textabbildung Bd. 328, S. 641 Abb. 1.Schublehre mit Nonius Der Maschinenbau hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr dahin entwickelt, daß die Maschinen nicht mehr jedesmal in einzelnen Exemplaren auf Bestellung gebaut, sondern in größeren Mengen für das Verkaufslager fabriziert werden. Die in der Nähmaschinen- und Fahrradindustrie von Anfang an gebräuchliche Massenherstellung erobert sich immer weitere Gebiete des Maschinenbaus. Eine weitgehende Arbeitsteilung und die Verwendung vorzüglicher Werkzeugmaschinen haben dies Arbeitsverfahren außerordentlich wirtschaftlich gestaltet. Die Massenfabrikation von Maschinen beginnt natürlich mit der Massenfabrikation ihrer Einzelteile. Damit nun aus einer größeren Zahl fertiger Einzelteile die ganzen Maschinen schnell und ohne die Einzelteile erst ineinanderpassen zu müssen zusammengebaut werden können, verlangt man von den Einzelteilen eine so große Genauigkeit, daß sie austauschbar sind, d.h. sie dürfen in ihren Abmessungen nur so wenig voneinander abweichen, daß man jeden Maschinenteil ohne weiteres mit irgend einem anderen Teile derselben Art austauschen kann. Alle Teile müssen ohne Nacharbeit zusammenpassen. Hierzu sind außer genau arbeitenden Werkzeugmaschinen vor allen Dingen Meßwerkzeuge nötig, mit denen man ohne Schwierigkeit Abweichungen um geringe Bruchteile von Millimetern nachweisen kann. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, im gewöhnlichen Werkstattbetriebe mit einer Genauigkeit zu messen, wie sie früher nur in der Feinmechanik üblich war. Es mußten hierzu aber erst Meßwerkzeuge geschaffen werden, mit denen auch weniger geübte Arbeiter Messungen mit Hundertstel Millimeter Genauigkeit ausführen können. Textabbildung Bd. 328, S. 641 Abb. 2.Tiefenmaß mit Nonius Textabbildung Bd. 328, S. 641 Abb. 3.Zylinderstichmaß mit Nonius Die früher in den Werkstätten der Maschinenfabriken gebräuchlichen älteren Meßwerkzeuge, hölzerne Gelenkmaßstäbe (Zollstöcke) und Taster, sind hierzu viel zu unempfindlich und darum nur für rohe vorläufige Messungen geeignet. Eins der ältesten Meßwerkzeuge, das ein genaueres Messen gestattet, ist die Schublehre mit Nonius (Abb. 1), deren Einrichtung wohl als bekannt vorausgesetzt werden kann. Solche Schublehren werden mit 1 mm- und ½ mm-Einteilung hergestellt. Der Nonius ist zum Ablesen von 1/10, 1/20 oder 1/50 mm eingerichtet. Mit den Schublehren können sowohl Bolzen- als auch Lochdurchmesser gemessen werden. Auch als Tiefenmaß (Abb. 2) zum Messen von Lochtiefen finden die Schublehren Verwendung. Zum Messen größerer Bohrungen, namentlich von Zylinderdurchmessern, benutzt man Zylinderstichmaße mit Nonius (Abb. 3). Textabbildung Bd. 328, S. 642 Abb. 4.Mikrometerschraube Textabbildung Bd. 328, S. 642 Abb. 5.Zylinderstichmaß mit Mikrometerschraube Textabbildung Bd. 328, S. 642 Abb. 6.Mikrometer-Tiefenlehre Eine größere Genauigkeit als die Schublehren mit Nonius ermöglichen die Mikrometerschrauben, mit denen man bis auf 1/100 mm genau messen kann. Auch die Mikrometerschraube ist schon ein älteres allgemein bekanntes Meßwerkzeug. Es seien deshalb hier nur ihre gebräuchlichsten Ausführungsformen wiedergegeben. Abb. 4 zeigt eine gewöhnliche Mikrometerschraube zum Außenmessen. Abb. 5 ein Zylinderstichmaß mit Mikrometerschraube und Abb. 6 eine Mikrometer-Tiefenlehre. Die Schublehren und Mikrometerschrauben ermöglichen innerhalb gewisser Grenzen das Messen oder Einstellen jedes beliebigen Maßes und zwar bei den Mikrometerschrauben mit einer Genauigkeit von 1/100 mm, es sind jedoch keine für den gewöhnlichen Werkstattgebrauch geeigneten Meßwerkzeuge, die jedem Durchschnittsarbeiter in die Hand gegeben werden dürfen. Sie sind sehr empfindlich und behalten nur bei schonendster Behandlung ihre Genauigkeit in genügendem Maße bei. Dann erfordert ihre Anwendung große Uebung und Sorgfalt, so daß nur erfahrene, zuverlässige und feinfühlige Arbeiter mit ihnen richtig messen können. Es läßt sich nicht vermeiden, daß Werkstücke gleicher Art, die von verschiedenen Arbeitern hergestellt und nachgemessen sind, so große Verschiedenheiten in ihren Abmessungen aufweisen, daß ihre Austauschbarkeit darunter leidet Schublehren und Mikrometerschrauben werden daher auch hauptsächlich in der Werkzeugmacherei bei der Anfertigung und Kontrolle genauer Schneid- und Meßwerkzeuge von besonders geübten Arbeitern verwendet, nur selten aber im allgemeinen Werkstattbetriebe. Für diesen sind unempfindlichere, widerstandsfähige Meßwerkzeuge erforderlich, die von der Geschicklichkeit des Arbeiters unabhängig machen und doch ein bis auf Hundertstel Millimeter genaues Messen ermöglichen. Textabbildung Bd. 328, S. 642 Abb. 7.Normalkaliberdorn und -Ring Diesen Anforderungen genügen die Normallehren. Dies sind unverstellbare Meßwerkzeuge, die nur zum Messen eines einzigen Maßes eingerichtet sind, für dieses Maß aber unter Benutzung genauer Meßmaschinen mit einer Genauigkeit bis ± 0,002 mm angefertigt sind. Das genaue Maß gilt gewöhnlich für eine Temperatur von 0 °, bisweilen auch für eine solche von + 20 ° C. Dies ist dann auf den Meßwerkzeugen besonders angegeben. Die Normallehren bestehen aus Stahl, sind gehärtet und auf genaues Maß geschliffen und bewahren ihrer einfachen kräftigen Form wegen auch beim gewöhnlichen Werkstattgebrauch lange Zeit ihre Genauigkeit. Ihre Anwendung ist sehr einfach und handlich, da ein Feineinstellen oder genaues Ablesen der Maße dabei gänzlich fortfällt. Die verbreitetsten Normallehren sind die Normalkaliberdorne und -Ringe zum Innenmessen von Bohrungen und zum Außenmessen von Zapfen, Wellen und dergleichen (Abb. 7). Zum Messen muß der Kaliberdorn in die zu messende Bohrung eingeführt werden und der Kaliberring über die zu messenden Zapfen geschoben werden. Nun läßt sich aber ein Dorn von bestimmtem Durchmesser nicht in eine Bohrung von ganz genau demselben Durchmesser einführen. Würde dies wirklich gelingen, so würden die sich berührenden Oberflächen des Dornes und der Lochwand sich aufeinander festsaugen, es würde ein sogen. Kaltschweißen eintreten. Textabbildung Bd. 328, S. 643 Abb. 8.Notmallochlehre Textabbildung Bd. 328, S. 643 Abb. 9.Sphärisches Endmaß Textabbildung Bd. 328, S. 643 Abb. 10.Normalrachenlehre Eine mit einem Normalkaliberdorn gemessene Bohrung wird also immer einen um ein ganz geringes Maß größeren Durchmesser haben aus dieser; ein mit dem zugehörigen Normalkaliberring gemessener Zapfen aber immer einen um ein geringes Maß kleineren Durchmesser. Der Zapfen wird sich also sicher in die Bohrung einführen lassen und alle mit denselben Meßwerkzeugen gemessenen Zapfen und Bohrungen werden ohne weiteres zusammen passen, sind also austauschbar. Für größere Lochdurchmesser werden die Normalkaliberbolzen unhandlich und teuer, man verwendet dann besser Normal-Lochlehren (Abb. 8) oder sphärische Endmaße (Abb. 9). Die letzteren sind zylindrische Maßstäbe mit gehärteten, geschliffenen und polierten Endflächen. Die Endflächen bilden Teile einer Kugelfläche, deren Mittelpunkt auf der Mittelachse des Maßstabes liegt, damit man das Meßwerkzeug auch geneigt in die Bohrung einführen kann. Um den Einfluß der Handwärme unschädlich zu machen, steckt man die Endmaße in eine Hartgummihülse. Zum Messen größerer Bolzendurchmesser benutzt man Normal-Rachenlehren (Abb. 10). Auch diese sind durch Holz- oder Hartgummigriffe gegen die Handwärme geschützt. Zum Messen von konischen Bohrungen bzw. von konischen Schäften an Spindeln und Werkzeugen dienen Konuslehrdorne und -Hülsen (Abb. 11). Zu den Normallehren gehören auch die Normal-Meßscheiben (Abb. 12). Dies sind flache Stahlscheiben, die gehärtet und mit einer Genauigkeit von ± 0,002 mm auf den angegebenen Durchmesser geschliffen sind. Zur bequemen Handhabung werden sie in der aus der Abbildung zu ersehenden Weise auf Haltern befestigt. Sie dienen zum genauen Einstellen von Tastern, Schublehren und Mikrometerschrauben sowie zur Kontrolle von Rachenlehren. Textabbildung Bd. 328, S. 643 Abb. 11.Konuslehrdorn und -Hülse Textabbildung Bd. 328, S. 643 Abb. 12.Normalmeßscheiben und Halter (Fortsetzung folgt.)