Titel: Torsionsschwingungen einer Dieselmotorwelle.
Autor: Otto Mies
Fundstelle: Band 330, Jahrgang 1915, S. 101
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Torsionsschwingungen einer Dieselmotorwelle. Von Otto Mies in Hamburg. MIES: Torsionsschwingungen einer Dieselmotorwelle. Inhaltsübersicht. Es wird berechnet, daß bei der Welle eines Dieselmotors, der über eine gewisse Umdrehungszahl nicht gebracht werden konnte, die Torsionsschwingungen in Resonanz mit einer Periode der Drehkräfte standen. Dabei wird ein allgemein verwendbares Verfahren abgeleitet zur Bestimmung der Eigenschwingungszahlen von Torsionsschwingungen bei Wellen mit beliebig vielen Massen unter Vernachlässigung der dämpfenden Widerstände. ––––– Beobachtungen an einem Dieselmotor, der bei Ueberschreiten einer gewissen Drehzahl unruhig lief, legten die Vermutung nahe, daß Torsionsschwingungen der Welle im Spiele seien. Die Welle besaß vier Kröpfungen, daneben ein Schwungrad und neben diesem eine Dynamomaschine. An den Torsionsschwingungen waren demnach, wenn man von den Eigenmassen der eigentlichen Welle absieht, sechs Massen beteiligt, nämlich die von vier Kröpfungen nebst den zugehörigen Gegengewichten und dem Anteil der Schubstangenmassen, die des Schwungrades und die der Dynamomaschine. Die Trägheitsmomente der beiden letzten Massen um die Wellenachse überwiegen so stark die der anderen, daß man vermuten konnte, daß sie für die Eigenschwingungszahl der Welle bestimmend seien. Trotzdem ließ sich von vornherein schwer übersehen, wie groß der Einfluß der übrigen Massen zu veranschlagen war, weshalb deren Wirkung rechnerisch bestimmt wurde. Dies führte zu einem Verfahren, mit Hilfe dessen der Einfluß beliebig vieler Massen untersucht werden kann. Abb. 1 stellt eine Welle mit einer größeren Anzahl von Massen darr, deren Trägheitsmomente um die Wellenachse von links nach rechts durchlaufend numeriert J1, J2, J3 ... Jn seien. Die Anzahl und Anordnung derLagerstellen kommt nicht in Frage, wenn man von den Reibungsmomenten absieht, die an ihnen auf die Welle übertragen werden, was hier geschehen soll. Ebenso soll der Luftwiderstand nicht berücksichtigt werden, welcher an der Oberfläche der rotierenden Massen angreift. Gerät die Welle irgendwie in freie Torsionsschwingungen, so wird sie durch Torsionsmomente beansprucht, die, sofern man von den Massen der Welle absieht, zwischen zwei benachbarten Einzelmassen ihren Wert nicht ändern, jedoch bei Ueberschreiten einer Masse vom Trägheitsmoment Ji und dem augenblicklichen Drehwinkel φi gegen die Senkrechte (Abb. 1) sich um den Betrag J_{\mbox{i}}\,\frac{d^2\,\varphi_{\mbox{i}}}{d\,t^2}=J_{\mbox{i}}\,\varphi_{\mbox{i}}'' ändern. Das zwischen der (i + 1)-ten und (i + 1)-ten Masse liegende Wellenstück wird durch das Torsionsmoment Mi um den Winkel ψi verdreht, wobei die Beziehung Mi = Ciψi gilt. Nach diesen Festsetzungen schreiben sich die Bewegungsgleichungen der n Massen, die man erhält, indem man jede Einzelmasse durch Schnitte rechts und links von der übrigen Welle getrennt denkt, folgendermaßen: Textabbildung Bd. 330, S. 101 Abb. 1. J1φ1'' + C1ψ1 = 0, – J2φ2'' – C1ψ1 + C2ψ2 – 0, . . . . . . – Jnφn'' – Cn – 1 ψn–1 = 0 . . . (1) Dividiert man jede dieser Gleichungen durch das in ihr vorkommende Trägheitsmoment J und zieht jede folgende von der vorhergehenden ab, so folgt mit den Bezeichnungen \frac{C_1}{J_1}=k_{11};\ \frac{C_1}{J_2}=k_{12};\ \frac{C_2}{J_2}=k_{22};\ \frac{C_2}{J_3}=k_{23}; . . . . (2) und den Beziehungen φ2'' + φ1'' = ψ1''; φ3'' – φ2'' = ψ2'' . . . . . (2a) das Gleichungssystem ψ1'' + (k11 + k12) ψ1k22 = 0,ψ2'' – k12ψ1 + (k22 + k23) ψ2k33 ψ3 = 0,ψ3'' – k23ψ2 + (k33 + k34) ψ3k44ψ4 = 0,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Form dieser Gleichungen, sowie die Lösungen, die für zwei und drei Massen bekanntP. Roth, Schwingungen von Kurbelwellen, Zeitschrift d. Ver. deutsch. Ing. 1904, S. 564. sind, legen die Vermutung nahe, daß die entstehende Schwingungsbewegung aus harmonischen Schwingungen zusammengesetzt ist, so daß versucht werden soll, ob das Gleichungssystem ψ1 = C1 sin (αt + δ1), ψ2 = C2 sin (αt + δ2), . . . . (4) ein partikuläres Integral von (3) ist. Aus (4) folgt zunächst ψ1'' = – α2ψ1; ψ2'' = – α2 ψ2; ψ3'' = –α2ψ3; . . . ., und indem man diese Ausdrücke in (3) einsetzt (k11 + k12α2) ψ1k22ψ2 = 0(k22 + k23α2) ψ2k12ψ1k33ψ3 = 0,(k33 + k34α2) ψ3k23ψ2k44ψ4 = 0,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .(kn–1, n+1 + kn–1, nα2)ψn–1kn2, n–1 ψn–2 = 0 (5) (5) stellt ein System homogener linearer Gleichungen für die n – 1 Größen ψ dar. Diese lassen sich also nur in ihren gegenseitigen Verhältnissen bestimmen, und das nur dann, wenn die Nennerdeterminante verschwindet, d.h. wenn \large\left|\begin{matrix}k_{11}+k_{12}-\alpha^2&-k_{22}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0&0\\-k_{12}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &k_{22}+k_{23}-\alpha^2&-k_{33}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0&0\\0\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &-k_{23}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &k_{33}+k_{34}-\alpha^2&-k_{44}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0&0\\0\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &0\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &-k_{34}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ &k_{44}+k_{45}-\alpha^2&-k_{55}&0 \end{matrix}\right|=0 . . (6) Hinsichtlich der Integrationskonstanten, d.h. der Amplituden C und der Phasenverschiebungen δ folgt aus (5) ohne weiteres, daß δ1 = δ2 = δ3 – . . . . . = δn–1 C2= γ2C1; C3 = γ3C1; C4 = γ4C1; . . . Cn–1 = γn–1C1, wo die Werte γ Konstanten sind, die sich aus den Konstanten der Welle und der auf ihr befestigten Massen bestimmen. Das durch (4) dargestellte partikuläre Integral enthält also zwei willkürliche Integrationskonstanten. Das vollständige Integral, das sich durch Addition aus den n – 1 partikulären Integralen ergibt, die man durch Einsetzen der aus (6) gefundenen Werte a erhält, besitzt dann 2 (n – 1) willkürliche Integrationskonstanten, wie essein muß. Die Bewegung ist daher vollständig durch die Gleichung \left{{\Psi_1=\Sigma\,C_k\,\gamma_{k\,i}\,\mbox{sin}\,(\alpha_k\,t+\delta_k)\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ }\atop{[i=1,2,\ .\ .\ .\ n-1;\ k=1,2,\ .\ .\ .\ n-1]}}\right\}\ (7) dargestellt. (6) stellt eine Gleichung vom (n – 1) ten Grade für die n – 1 Werte α2 dar, deren Lösung durch irgend eines der bekannten rechnerischen oder graphischen Verfahren stets möglich ist. Soviele Werte α2 existieren, soviele Resonanzen sind zu befürchten, wenn erzwungene Schwingungen entstehen. Meist wird nur der kleinste Wert von a interessieren, für den sich in den meisten Fällen durch eine Ueberschlagsrechnung leicht ein Näherungswert bestimmen läßt. Dann rechnet man die in (6) enthaltene Determinante mit einigen Werten für α zahlenmäßig aus, die in der Nähe des gefundenen Näherungswertes liegen, was wegen der vielen Nullstellen der Determinante auch bei vielen Massen nicht viel Arbeit macht, und trägt die Werte der Determinante in Abhängigkeit von α2 in ein Koordinatensystem ein. Eine durch die gefundenen Punkte gelegte Kurve gibt dann einen genügend genauen Wert von α. In Wirklichkeit wird der größte Ausschlag wegen der Dämpfung der Schwingungen bei kleineren α erfolgen, und schon ehe derselbe erreicht ist, werden die Ausschläge unzulässig groß sein. Die kleinste Periode der freien Schwingungen muß also erheblich größer sein, als die der erzwungenen, wenn stärkere Schwingungen vermieden werden sollen. Nimmt man bei dem vorliegenden Beispiel an, daß die Schwingungen nur vom Schwungrad und der Dynamomaschine herrühren, welche als 5. und 6. Masse betrachtet werden sollen, während die vier Kröpfungen die Massen 1 bis 4 seien, so findet sich aus (6) für a die Gleichung k55 + k56α2 = 0, oder \alpha^2=k_{55}+k_{56}=\frac{C_5}{J_5}+\frac{C_5}{J_6}. Für das Schwungrad findet sich J5 = 500000 kg/cm-Sek.2, für die Dynamomaschine J6 = 36000 kg/cm-Sek.2, während sich die; Konstante C5 des zwischen Schwungrad und Dynamomaschine gelegenen Wellenstücks zu 1,68 • 108 kg/cm berechnet. Es wird daher α2 = 5006 und α = ± 70,8, was einer minutlichen Periodenzahl von \frac{70,8\,.\,30}{\pi}=677 entspricht. Um zu kontrollieren, in wieweit dies a von den vier Kurbelmassen beeinflußt wird, werde die Determinante in (6) mit α2 = 5006 berechnet. Es finden sich die Koeffizienten k11 = 4,57 • 105; k22 = 5,38 • 105; k33 = 7,87 • 105; k44 = 3,51 • 105; k12 = 7,87 • 105; k23 = 5,38 • 105; k34 = 4,57 . 105; k45 = 7,18 • 105; und die Determinante D = – 0,0132; dagegen für α2 = 4800 wird D = – 3,58 und für a2 = 5200 wird D = 2,965. Es ist damit nachgewiesen, daß durch die Kröpfungsmassen a nur ganz unwesentlich beeinflußt wird. Die erzwungenen Torsionsschwingungen der Welle entstehen durch die von der Schubstange auf die Welle übertragenen periodisch veränderlichen Momente. Ihre Schwingungszahlen sind sämtlich ganzzahlige Vielfache der Umdrehungszahl n der Maschine. Nach der harmonischen Analyse des Tangentialdruckdiagrammsist Resonanz nur für die Momente 2. oder 4. Ordnung zu befürchten, deren Größe gegenüber die übrigen Momente nicht in Frage kommen. Man müßte also nach der Rechnung erwarten, daß etwas unterhalb der Drehzahl n=\frac{677}{2}=339 oder n=\frac{677}{4}=169 sich erhebliche Schwingungen zeigen. In der Tat konnte die Maschine infolge der Schwingungen nicht über 162 minutliche Umdrehungen gebracht werden.