Titel: Rechts-Schau.
Autor: W. D.
Fundstelle: Band 335, Jahrgang 1920, S. 36
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Rechts-Schau. Rechts-Schau. Gefahrübergang beim Versendungskauf. Die Bestimmungen über den Gefahrübergang beim Versendungskauf gelten auch, wenn der Verkäufer die Versendung selbst oder durch seine eigenen Leute ausführt, die Gefahr geht dann in dem Augenblick über, in dem mit der Versendung der Ware tatsächlich begonnen wird. BGB. § 447. Aus den Gründen: Es wird mit Recht darauf hingewiesen, daß die Vorschrift des § 447 auf dem Grundgedanken beruht, daß es unbillig sein würde, dem Verkäufer, der auf Verlangen des Käufers und in dessen Interesse die Versendung der verkauften Waren nach auswärts, nach einem anderen Ort als den für ihn als Erfüllungsort in Betracht kommenden besorgt und damit eine ihm als Verkäufer an sich nicht obliegenden Leistung übernimmt, länger die Gefahr des zufälligen Unterganges tragen zu lassen als in den Fällen der unmittelbaren Uebergabe der Sache an den Käufer. Wird auch der Transport durch die Eisenbahn bewirkt, so ist doch schon das Hinschaffen der Waren zum Bahnhof keine dem Verkäufer an sich obliegende Verpflichtung, sondern nur ein Teil des zur Hinschaffung der Waren an den Bestimmungsort notwendigen Transportes der Waren. Wie in dem Falle, daß der Transport hintereinander von mehreren selbständigen Unternehmern ausgeführt wird, muß auch in dem Falte, daß der Verkäufer nur einen Teil des Transportes durch seine Leute ausführen läßt, als Zeitpunkt des Gefahrüberganges angesehen werden, in dem überhaupt mit dem Transport der zur Versendung fertig gestellten Waren tatsächlich begonnen worden ist. (Urt. des Reichsgerichts v. 19. Sept. 1919. Aus J. W. 1919, S. 992.) W. D. Verhältnis der dem Käufer obliegenden Untersuchungspflicht zur Mängelanzeigepflicht. Für Art und Umfang der Untersuchung kommt in Betracht, was nach der zur Zeit der Lieferung an den Käufer herrschenden Verkehrsauffassung als dem Zweck entsprechend anzusehen ist. HGB. § 377. Die Kl. fordert Ersatz des Schadens, der ihr dadurch entstanden sei, daß eine von ihr erbaute Brücke infolge mangelhafter Beschaffenheit des zu dem Bau verwendeten, von der Bekl. gelieferten Portlandzements eingestürzt sei, Die Klage ist in beiden Rechtszügen abgewiesen, weil der Kl. die rechtzeitige Untersuchung und Mängelrüge unterlassen habe. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des Urteils. Aus den Gründen: Das BG. nimmt auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen B., des Leiters einer Portlandzementfabrik, an, daß die Kl. verpflichtet gewesen sei, sich vor der Verarbeitung des gelieferten Zements durch eine siebentägige Prüfung auf Druckfestigkeit mittels der sogenannten Geigenprobe davon zu überzeugen, ob der Zement den zustellenden Anforderungen entspreche, und daß sie deshalb durch Unterlassung dieser Untersuchung das Recht zur Geltendmachung des behaupteten Mangels der Ware nach § 377 HOB. verwirkt habe. Diese Annahme entbehrt der ausreichenden Begründung. Die Untersuchung der Ware liegt dem Käufer nach § 377 HGB. nicht als eine gesetzliche Pflicht gegenüber dem Verkäufer ob. Nicht die Unterlassung der Untersuchung, sondern die der rechtzeitigen Anzeige der Mängel hat die in § 377 Abs. 2 bestimmte rechtliche Folge. Die Bedeutung der Untersuchung liegt vielmehr darin, daß die für eine ordnungsmäßige Untersuchung erforderliche Frist maßgebend für die Prüfung der Rechtzeitigkeit der Mängelanzeige ist, und daß anderseits die Unterlassung einer nach ordnungsmäßigem Geschäftsgange tunlichen Untersuchung den Käufer der Gefahr aussetzt, daß seine bei nachträglichem Hervortreten von Mängeln erstattete Anzeige als verspätet zurückgewiesen wird, weil die Mängel bei ordnungsmäßiger Untersuchung bereits früher hätten angezeigt werden können. Aus dieser rechtlichen Bedeutung der Untersuchung folgt daß sie, um die Ansprüche des Käufers zu wahren, regelmäßig in einer solchen Art und in solchem Umfang vorgenommen werden muß, wie es erforderlich ist, um das Vorhandensein von Mängeln festzustellen. Es sind jedoch keine Anforderungen an sie zu stellen, die eine unbillige Zumutung an den Käufer enthalten, ihn z.B. mit übermäßigen Kosten belasten oder ihn in unbilliger Weise in der Verfügung über die Ware verhindern würden. Im einzelnen sind Art und Umfang der Untersuchung nach der objektiven Sachlage, unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsanschauungen zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist dabei die in dem Geschäftszweige bestehende Uebung, die zwar nicht schlechthin darüber entscheidet, was nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang als erforderlich und tunlich anzusehen ist, aber doch, wie das RG. im Urteil vom 22. Juni 1909 II 168/09 ausgesprochen hat, in der Regel einen geeigneten Maßstab für die Bemessung der hinsichtlich der Untersuchung an Art und Umfang zu stellenden Anforderungen bildet. Das BG. nimmt nun zwar an, daß die siebentägige Geigenprobe dem ordnungsmäßigem Geschäftsgange entspreche, mit ihr auch nichts Unbilliges dem Käufer zugemutet werde. Allein diese Annahme wird weder durch die Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen B. noch durch die sonstigen Feststellungen des BG. gerechtfertigt. Der Sachverständige hat sich darüber, worauf es wesentlich ankommt, ob die Geigenprobe nach der zur Zeit der Zementlieferungen an die Kl. herrschenden Verkehrsauffassung als eine dem Zwecke entsprechende und nach § 377 HGB. gebotene Untersuchungsart angesehen wurde, überhaupt nicht ausgesprochen. Daß er in seinem Gutachten gelegentlich auf Praxis und Erfahrung Bezug nimmt, kann diesen Mangel seines Gutachtens nicht ersetzen. Die Lieferungsbedingungen des Vereins Deutseher Portlandzement-Fabrikanten sprechen nur von der, im vorliegenden Falle nicht in Betracht kommenden Prüfung des Zements auf Abbinden und Volumenbeständigkeit mittels der auf einfache Weise auszuführenden Kuchen -probe. Die Normen dieses Vereins aber erwähnen wohl eine siebentägige Prüfung des Zements auf Zugfestigkeit, erklären jedoch hinsichtlich der Druckfestigkeit die 28tägige sogenannte Würfelprobe für allein entscheidend. Sonach steht nicht einmal fest, welche rechtliche Bedeutung auch nur der eine Teil der Interessenten, die Fabrikanten und Verkäufer, der Geigenprobe beilegen. Würden diese der Geigenprobe zur erheblichen Zeit eine Bedeutung für die Anzeigepflicht des § 377 HGB. überhaupt nicht beigemessen haben, so könnte die Vornahme dieser Probe füglich auch nicht von der Kl. verlangt werden. Eine andere Beurteilung könnte Platz greifen, wenn die Auffassung dieser Interessenkreise dahin ging, daß zwar die Vornahme der siebentägigen Prüfung nicht schlechthin genüge, aber doch deshalb geboten sei, weil auch sie schon mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit die Entdeckung eines Mangels der Druckfestigkeit ermögliche und in diesem Falle eine längere Untersuchung unnötig mache. Keinesfalls aber kann, wo ein Gegensatz der Interessen des Verkäufers und des Käufers, wie hier, besteht, die einseitige Auffassung nur des einen Interessentenkreises darüber entscheiden, ob eine Untersuchung nach ordnungsmäßigem Geschäftsgange tunlich ist. Nur die Auffassung des gesamten Verkehrs, insbesondere also sämtlicher beteiligter Kreise, kann maßgebend sein. Es kann daher auch die Vernehmung eines Sachverständigen nur aus dem einen Kreise der Beteiligten nicht genügen. Zumal die Frage, ob die Art der Untersuchung nicht dem Käufer unbilliges zumutet, kann nicht wohl entschieden werden ohne beim Mangel eines völlig unbeteiligten Sachverständigen auch ein Gutachten aus dem Kreise der Käufer, hier also derjenigen einzuholen, die den Zement verwenden, und die Schwierigkeiten, die für die Bauausführung durch die Anstellung länger dauernder Prüfungen des gelieferten Zements erwachsen können, zu beurteilen vermögen. Das BG. hat aber auch, wie die Revision zutreffend ausführt, zu Unrecht angenommen, daß die Kl. gar nicht behauptet habe, daß die Geigenprobe nicht dem ordnungsmäßigen Geschäftsgange entspreche. Die Kl. hatte nicht nur behauptet, daß „im Einzelfalle“ von dieser Prüfung Abstand genommen sei, sondern daß diese Art der Prüfung auf Baustellen überhaupt nicht üblich, vielmehr ein Experiment sei, das nur in Materialprüfungsämtern oder ähnlichen Instituten vorgenommen werde. Diese Behauptung war auch nach dem oben über die Bedeutung einer in dem Geschäftszweige herrschenden Uebung Gesagten erheblich. (Urt. des Reichsgerichts v. 8. Juli 1919. Aus J. W. 1919, S. 995.) W. D.