Titel: Ueber die Verwendung der Lichtempfindlichkeit des Selens für die Photometrie und die Bildtelegraphie.
Autor: Artur Korn
Fundstelle: Band 335, Jahrgang 1920, S. 86
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Ueber die Verwendung der Lichtempfindlichkeit des Selens für die Photometrie und die Bildtelegraphie. Von Prof. Dr. Artur Korn, Berlin-Charlottenburg. KORN: Ueber die Verwendung der Lichtempfindlichkeit des Selens für die Photometrie usw. Das in seinen Eigenschaften dem Schwefel nahestehende chemische Element Selen hat die besondere Eigentümlichkeit, daß seine elektrische Leitfähigkeit in weiten Grenzen durch das Licht verändert werden kann. Geeignet konstruierte Selen-Widerstände (Selenzellen) lassen, wenn sie unbelichtet in den Stromkreis einer Batterie eingeschaltet werden, nur ganz winzig kleine Ströme passieren, während die Ströme bei Belichtung der Zelle so anwachsen, daß sie z.B. ein elektro-mechanisches Relais betätigen und dadurch beliebig starke Energien auslösen können. Bei Einschaltung eines Strommessers in den Stromkreis ergibt sich, daß der Strom um so größer ist, je heller die Belichtung ist; es findet aber keine Proportionalität statt, vielmehr ist die Abhängigkeit von der Belichtung eine sehr komplizierte. Dies würde nun zunächst der Benutzung der Selenzellen zu photometrischen Zwecken, die schon Werner Siemens in den siebziger Jahren angestrebt hat (bald nach Entdeckung der Lichtempfindlichkeit des Selens durch May und Smith im Jahre 1873), keine wesentlichen Schwierigkeiten bereitet haben, denn man hätte ja auf empirischem Wege für jede Selenzelle eine Eichung festlegen können, eine Tabelle, aus welcher man mit Hilfe einer Strommessung ohne weiteres die Intensität der Belichtung der Zelle ablesen würde. Dagegen sind zwei viel unangenehmere Schwierigkeiten vorhanden: Erstens verändern die Selenzellen ihre Eigenschaften im Laufe der Zeit, viele Zellen haben kurz nach ihrer Herstellung ganz andere Empfindlichkeiten, als einige Monate oder gar Jahre später; Temperatur, Feuchtigkeit haben einen sehr erheblichen Einfluß; und zweitens zeigen die Selenzellen Trägheitserscheinungen, indem eine Zelle bei einer plötzlichen Belichtung nicht sogleich den einer sehr lange andauernden Belichtung derselben Intensität entsprechenden geringeren Widerstand annimmt, sondern hierfür eine gewisse Zeit benötigt und die analoge Erscheinung bei einer plötzlichen Verdunkelung zeigt. Die erste Schwierigkeit ist nicht so belangreich; man kann die Eichung für eine bestimmte mittlere Temperatur vornehmen, welche man für spätere Messungen beizubehalten hat; die Zellen können in trockenen Räumen aufbewahrt werden (eine Einschließung in einen luftverdünnten Raum, die gelegentlich vorgeschlagen wurde, ist nicht erforderlich); dann behalten Selenzellen geeigneter, sorgsamer Konstruktion (am besten mit Platindrähten als Elektroden), falls sie nicht durch besonders große elektrische Spannungen beansprucht werden, ihre photoelektrischen Eigenschaften Jahre hindurch mit genügender Konstanz bei. Die erste Schwierigkeit kann also durch geeignete Konstruktion und sorgsame Behandlung überwunden werden. Die Ueberwindung der zweiten Schwierigkeit, der Trägheitserscheinungen der Selenzellen, erfordert besondere Kunstgriffe. Am einfachsten ist es, vor einer Messung der Selenzelle eine möglichst lange Ruhe im unbelichteten Zustande zu gewähren. Setzt man dann die Zelle einer bestimmten, konstanten Belichtung genügend lange aus, so wird man eine Stromstärke erhalten, welche ein zuverlässiges Maß der Belichtung abgeben kann, und man kann auf diesem Wege durch Eichung der Zelle zu einem brauchbaren Photometer gelangen. Wir müssen aber hierbei, wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, zwei Unannehmlichkeiten mit in den Kauf nehmen: Eine ausreichende Ruhepause für die Zelle vor jeder Messung und den Umstand, daß die Belichtung längere Zeit konstant zur Verfügung steht. Für viele photometrische Zweckt sind indessen diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllbar, man wird oft vor die Aufgabe gestellt, photometrische Messungen in rascher Aufeinanderfolge auszuführen, im besonderen ist dies für die Bildtelegraphie mit Selen im Geber notwendig, wenn Elemente einer Photographie in rascher Folge in bezug auf ihre Helligkeit mit Hilfe einer Selenzelle gemessen werden sollen. Ohne neue, besondere Kunstgriffe würden hier die Messungen mit Hilfe der Selenzelle zu gänzlich falschen Resultaten führen. Das geeignetste Mittel, solche Trägheitsfehler auf ein geringes Maß herabzudrücken und dadurch nach Möglichkeit unschädlich zu machen, besteht darin, eine zweite Selenzelle) zur Kompensation der Trägheitsfehler zu benutzen (Kompensationsmethode)Man vgl. A. Korn, Untersuchungen über die Herabsetzung der Trägheit von Selenzellen mit Hilfe der Kompensationsmethode. Physikalische Zeitschrift 10, 793 bis 795, 1909. Die oben folgende Theorie ergänzt die früheren Mitteilungen in wesentlichen Punkten.. Zum Verständnis dieser Methode muß man das folgende aus der Erfahrung gewonnene Trägheitsgesetz der Selenzellen kennen: Bei einer bestimmten Belichtung J gehe durch die Zelle ein Strom i zur Zeit t = 0, und in diesem Momente werde die Belichtung plötzlich um einen Betrag ΔJ vermehrt; bezeichnen wir dann mit i + Δi den Strom zu irgend einer späteren Zeit t, dann ist \Delta\,i=\alpha\,\Delta\,J\,.\,e^{-\frac{\beta}{\sqrt[3]{t^2}}}+\epsilon\,(t) . . . (1) wo die Größen α und β von der Zeit t unabhängig sind und ε (t) mit seiner Ableitung nach der Zeit ε' (t) zu vernachlässigen ist, mit Ausnahme für ganz außerordentlich kleine Zeiten t, für welche zwar ε (t) auch zu vernachlässigen ist. ε' (t) aber nicht zu vernachlässigende, sogar sehr großeEin Beispiel einer solchen Funktion ist z.B.e(t)=E\,e^{-\beta\sqrt{t}},wenn E eine außerordentlich kleine Konstante darstellt. Werte annehmen kann. Dieses Gesetz habe ich induktiv mit Hilfe einer großen Zahl von experimentell gefundenen Trägheitskurven für Selenzellen mit Platinelektroden abgeleitet. Nach dem genannten Gesetze wächst der Strom in der Zeit von t = 0 bis t = ∞ von dem Werte i bis zu dem Werte i + αΔJ asymptotisch; man kann daher die Größe α ceteris paribus als die Empfindlichkeit der Zelle bezeichnen; da sich die e-Funktion um so langsamer der 1 nähert, je größer β ist, kann man β als Trägheit der Zelle bezeichnen; der Differentialquotient \Delta\,i'=\\frac{2}{3}\ \frac{\alpha\,\beta}{\sqrt[3]{t^5}}\,\Delta\,J\,.\,e^{-\frac{\beta}{\sqrt[3]{t^2}}}+\epsilon'\,(t) . . . (2) mißt die Geschwindigkeit des Ansteigens des Stroms. Es ist zu beachten, daß α und β zwar in der Formel (1) von der Zeit t unabhängig sind, aber je nach dem Werte des Anfangswertes J, je nach dem Belichtungszuwachse ΔJ, ferner auch je nach der Wahl der elektromotorischen Kraft verschiedene Werte haben können; alle diese Abhängigkeiten können induktiv festgestellt werden, kommen aber für die der Kompensationsmethode zugrunde liegenden Ueberlegungen nicht in betracht. Die Kompensationsmethode beruht auf der Verwendung der Differenzwirkung zweier Zellen, welche der gleichen Belichtung und der gleichen Belichtungszunahme ausgesetzt werden. Es sei \Delta\,i_1=\alpha_1\Delta\,J\,.\,e^{-\frac{\beta_1}{\sqrt[3]{t^2}}}+\epsilon_1\,(t) . . . (3a) der bei der Belichtungsänderung ΔJ auftretende Stromzuwachs, bei Einschaltung der einen Zelle, \Delta\,i_2=\alpha_2\Delta\,J\,.\,e^{-\frac{\beta_2}{\sqrt[3]{t^2}}}+\epsilon_2\,(t) . . . (3b) der bei derselben Belichtungsänderung auftretende Stromzuwachs, bei Einschaltung einer zweiten Zelle, dann ist die Differenz, welche sich bei einer Brückenschaltung der beiden Zellen als Stromzuwachs ergibt: \Delta\,i\,\equiv\,\Delta\,i_1-\Delta\,i_2=\Delta\,J\left\{\alpha_1\,e^{-\frac{\beta_1}{\sqrt[3]{t^2}}}-\alpha_2\,e^{-\frac{\beta_2}{\sqrt[3]{t^2}}}\right\}+\varepsilon_1(t)-\epsilon_2(t) (4) und ihr Differentialquotient nach der Zeit \Delta\,i'=\frac{2}{3}\Delta\,J\,\left\{\alpha_1\,\beta_1\,e^{-\frac{\beta_1}{\sqrt[3]{t^2}}}-\alpha_2\,beta_2\,e^{-\frac{\beta_2}{\sqrt[3]{t^2}}}\right\}\,\frac{1}{\sqrt[3]{t^5}}+\varepsilon_1\,'(t)-\epsilon_2\,'(t) (5) Zur Verhinderung von Trägheitswirkungen müßte diese Größe gleich Null, jedenfalls für praktische Zwecke möglichst klein gemacht werden. Die Gleichung Δi' = 0 kann zwar nicht für t = 0 und für außerordentlich kleine Zeiten erreicht werden; erfüllen aber die Konstanten der Zellen die Gleichung α1β1α2 β2 = 0 (6) so wird die Gleichung schon in sehr großer Annäherung erfüllt sein, sobald t nicht mehr eine außerordentlich kleine Zeit ist, denn man wird dann in großer Annäherung e^{-\frac{\beta_1}{\sqrt[3]{t^2}}}=l. e^{-\frac{\beta_2}{\sqrt[3]{t^2}}}=l. setzen können, mit Rücksicht darauf, daß β1 und β2 im allgemeinen sehr große Zahlen sind. Die Gleichung α1β1 = α2 β2 . . . . . . (7) wollen wir die Kompensationsbedingung für die beiden Zellen nennen. Um in der Differenzwirkung zur Messung geeignete Ströme zu erhalten, muß die Differenz-Empfindlichkeit α1 = α2 in dem Meß-Bereiche der zu verwendenden Meßinstrumente liegen. Nennen wir die Zelle 1 die Fühlerzelle, 2 die Kompensationszelle, so wird man sagen können, die Empfindlichkeit der Kompensationszelle soll wesentlich kleiner sein, als die Empfindlichkeit der Fühlerzelle und nach der Gleichung (J) muß β2, die Trägheit der Kompensationszelle, wesentlich größer als βl, die Trägheit der Fühlerzelle, sein. Bei der Konstruktion der Selenzellen hat man es in der Hand, die Trägheit der Zellen, je nach der Dicke der aufgetragenen Selenschichten, verschieden zu machen; man kann daher Zellen mit verschiedenen Trägheitskonstanten herstellen und dann mit Hilfe vorheriger Messungen zwei Zellen zu einem Paare zusammenstellen, welche für mittlere Belichtungen gute Kompensation zeigen. Solche Zellenpaare eignen sich dann zu Photometern und zu der Verwendung in der Bildtelegraphie.