Titel: Die deutsche Sprache im Dienste der Technik.
Autor: Karl Ammon
Fundstelle: Band 337, Jahrgang 1922, S. 41
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Die deutsche Sprache im Dienste der Technik. Von Karl Ammon. AMMON, Die deutsche Sprache im Dienste der Technik. Die gesprochene und die geschriebene Sprache ist uns neben der Zeichnung das vornehmste Mittel, unsere technischen Fortschritte darzustellen, sie so anderen zu vermitteln, um diese zu weiterem Fortschreiten anzuregen, Rechtsverhältnisse festzulegen – wie in Patentschriften – und zu vielen anderen Zwecken. Zwei Forderungen sind es dabei, die in erster Linie aufgestellt werden müssen, nämlich die, daß auch in der Technik möglichst gutes und damit klares Deutsch geschrieben wird, was leider recht oft nicht geschieht, dann aber die, daß die Sprache – wie jedes zu einem Zweck dienende Mittel – weitergebildet wird, damit sie für ihre hohen Aufgaben brauchbar bleibt. Die erste Forderung ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sie soll deshalb heute übergangen werden; vielleicht aber gestattet die Schriftleitung später einmal einige Bemerkungen über die gröbsten Fehler, die sich teils forterben, teils neu in unsere technische Sprache einschleichen und schließlich leider Bürgerrecht erwerben. Die zweite Forderung ist nicht so zu verstehen, als solle unserer Sprache Gewalt angetan werden. Es ist z.B. sicher kein Gewinn, wenn man fast in jedem Schriftstück technischen Inhalts vom „teilweisen Ersatz“, von der „absatzweisen Arbeit“ liest, nur weil der Verfasser nicht weise genug ist, um zu wissen, daß die Worte mit den Endsilben „-weise“ keine Eigenschaftswörter sind, oder weil er sie künstlich dazu stempeln will. Unter der erforderlichen Weiterbildung unserer Sprache verstehe ich vielmehr die Schaffung geeigneter deutscher Ausdrücke für neue, von der Technik geschaffene Gegenstände, Erscheinungen und Vorgänge. Im Finden solcher Ausdrücke ist unsere sonst so erfindungsreiche Technik nicht immer gerade besonders glücklich gewesen, obwohl ihr die lebendige, insbesondere die gesprochene Sprache Vorbilder im Uebermaß liefert. Wenn nämlich irgendwo oder irgendwann ein neuer Gegenstand auftaucht, der noch keinen Namen hat, so sucht man gewöhnlich nach einem Wort, das diesen Gegenstand möglichst genau in allen seinen Eigenschaften umschreibt, mit dem Erfolg, daß ein Wortungeheuer von nicht unter 5 Silben entsteht. Demgegenüber muß man sich vor Augen halten, daß die Gegenstände des täglichen Lebens meist durch einsilbige Wörter bezeichnet werden, wie z.B. Tisch, Bett, Stuhl, Bank, Licht, Hut, Rock, Schuh; ebenso z.B. die Körperteile: Kopf, Mund, Ohr, Hals, Brust, Bauch, Bein, Fuß. Nur wenige sind zweisilbig, haben aber dann meist eine unbetonte Endsilbe, so daß sie nicht als doppelt so lang empfunden werden, wie ein einsilbiges Wort, sondern nur als ganz unwesentlich länger. Die Wörter mit zwei betonten Silben bezeichnen meist schon Abarten der aufgeführten Bezeichnungen, wie z.B. Schreibtisch, Nachttisch, Teetisch, Waschtisch, Nachtlicht, Schlappohr, Plattfuß, Gehrock, Hausschuh. Wir haben nun auch in der Technik einzelne solcher schöner Wörter, wie Gleichstrom, Drehstrom, Drehfeld, Drehstahl, Saugkopf – aber sie sind zu zählen. Meist behelfen wir uns in der Technik zur Bezeichnung von Abarten mit vorgesetzten Eigenschaftswörtern, indem wir z.B. von einem polarisierten Relais (7 Silben!) sprechen. Wollen wir dann eine Eigenschaft dieses Relais angeben, etwa von ihm aussagen, es sei groß, so brauchen wir schon zwei Eigenschaftswörter, müssen also schreiben: ein großes polarisiertes Relais; wie einfach nimmt sich dagegen ein großer Schreibtisch aus! Ein weiteres Uebel ist dabei, das viele Leute zwischen das „große“ und das „polarisierte“ auch noch ein Komma machen, als wollten sie Eigenschaften eines gewöhnlichen Relais aufzählen, während sie doch nur eine einzige Eigenschaft eines – einen Begriff bildenden – polarisierten Relais angeben wollen. So spricht und schreibt man auch immer noch von zerhacktem Gleichstrom, der gar kein Gleichstrom ist, statt daß man einfach Hackstrom sagt; in der lebendigen Sprache nennt man zerhacktes Fleisch ja auch ganz einfach Hackfleisch. Liest man von einer Saugluftförderanlage oder von Holzbearbeitungsmaschine, so sind das eigentlich keine Bezeichnungen für wenn auch verwickelte und reichgegliederte Gegenstände, sondern schon beinahe Beschreibungen einer halben Fabrik. Ebenso ist es beim Vielfachklinkenfeld: Dieses Wortungetümchen erzählt mit peinlicher Gewissenhaftigkeit von vielen zu einem großen Felde vereinigten Klinken und berichtet dann weiter, daß sie auch noch vielfach untereinander verbunden sind – oder soll das wenigstens berichten. Was mit dieser Silbensammlung gemeint ist, versteht schließlich doch nur der, der weiß, was ein Vielfachklinkenfeld ist. Für ihn, vielleicht sogar für den Laien, hätten aber auch einfachere Mittel genügt, nämlich die Zusammensetzung des Wortes „Klinke“ mit einer Endsilbe, die die Vielheit gleicher Gegenstände bei engem Zusammensein ausdrückt, nämlich der Endsilbe „–icht“: Nennen wir doch das enge Zusammenstehen vieler Rohre ein Röhricht. Ebenso sprechen wir vom Dickicht, Kehricht usw. Warum sollen wir also nicht ganz einfach „Klinkicht“ sagen und die Kenntnis, daß es mit der Verbindung der Klinken noch eine besondere Bewandtnis hat, ruhig dem Sachverständigen überlassen? Wir geben ja auch nicht jedesmal beim Stuhl an, daß er vier Beine, eine Sitzfläche und sogar noch eine Lehne hat, und man ahnt es doch! Nicht darauf kommt es an, alle Eigenschaften durch die Bezeichnung auszudrücken, denn das gelingt meist doch nicht, sondern eine kurze aber bezeichnende herauszugreifen. Man nennt z.B. einen Wandfernsprechapparat „Wandgehäuse“; das ist deshalb verfehlt, weil es gar nicht auf das Gehäuse ankommt, sondern auf das, was darin und daran ist. Solcher bezeichnender Endsilben gibt es noch unzählige, sodaß es gar nicht nötig ist, Bezeichnungen für Gegenstände unbedingt aus zwei Hauptwörtern zusammenzusetzen, von denen das zweite in der Technik recht oft „Maschine“ oder „Apparat“ heißt. Wir haben doch die Endsilbe „–sel“, die auf einen Zweck hindeutet, Rätsel = etwas zum Raten, Sessel = etwas zum Sitzen, Füllsel = etwas zum Füllen, ein Füllmittel usw. Dieses einfache „–sel“ könnte uns manchen Apparat und manche Maschine sparen! Auch die Endsilbe „–ei“ ist oft recht brauchbar und ersetzt uns als Dreherei, Spinnerei sogar ganze Werkstätten oder Fabrikanlagen. Die Erfinder neuer Bezeichnungen beschränken sich aber leider meist auf das Anhängen der ohnedies häufigen Endsilbe „–er“, machen dadurch die Sprache eintönig und sind schuld daran, daß man häufig den Mann und den Apparat oder die Maschine nicht von einander unterscheiden kann. So hat man den Hughesapparat und den ihn bedienenden Telegraphisten „Fernschreiber“ genannt. Zweckmäßig ist das nicht! Damit sollen aber nicht alle Wörter auf „–er“ verworfen werden; Ständer und Läufer sind durchaus schöne Bezeichnungen. Es wäre im übrigen auch möglich, bestimmten Endsilben eine Bedeutung beizulegen, die sie an sich nicht haben. Wenn man einen Kontakt Schließung nennt, so wäre es nicht schwer zu erraten, was ein Ruhling, ein Schnarrling, ein Trennung oder gar ein Wackeling oder Wackling ist. Noch übler als die Bildung von Wortungeheuern ist es aber, wenn man einfach Fremdwörter kritiklos übernimmt und sie womöglich auch noch falsch anwendet. So hat ein Differentialgetriebe mit einem Differential gar nichts zu tun, und es gibt auch kein Integralgetriebe. Es handelt sich vielmehr beim Differentialgetriebe um eine ganz gemeine Differenz, aber Differential ist erstens länger und klingt vor allen Dingen ungemein viel gelahrter. Darum sagt man Differentialgetriebe, Differentialwicklung, Differentialrelais usw. Nicht einmal für das in der Elektrotechnik unentbehrliche Relais haben wir ein gutes deutsches Wort, ebensowenig für den steigende Bedeutung gewinnenden Kondensator – ich meine den elektrischen: das muß man besonders dazu sagen, denn was nennt man in der Technik nicht alles Kondensator! Ich würde ihn Fessel nennen, weil er eine gewisse Elektrizitätsmenge fesselt, weil er in anderen Schaltungen den Strom am Fließen hindert, ihn also auch gewissermaßen fesselt, hauptsächlich aber auch wegen des Gleichklangs mit der „Drossel“, wie man nun glücklicherweie mehr und mehr statt Drosselspule sagt. Aber noch aus einem anderen Grunde: Bei der Auswahl neuer technischer Bezeichnungen sollte man auch darauf sehen, daß man daraus Zeitwörter bilden kann, so daß man verwickelte Vorgänge möglichst durch ein Zeitwort ausdrücken kann. Wenn wir einen Leiter an ein Metallstück leitend anschließen, ihn herunterführen, ein Loch in die Erde graben, und zwar möglichst bis ins Grundwasser, eine Metallplatte in das Loch legen, den heruntergeführten Leiter leitend an diese Platte anschließen, das Loch wieder zufüllen und die Erde feststampfen, so haben wir für diese recht verzwickte Handlung das ganz einfache Wort: erden. Der Mann, der dieses Wort geschaffen hat, verdiente nicht nur einen Preis vom Deutschen Sprachverein, sondern auch einen für bewiesenen Mut, denn die meisten guten deutschen Wörter werden nur deshalb nicht angewendet, wenn sie gefunden sind, weil irgend ein Witzbold darüber lachen könnte; davor aber scheuen sich sogar Leute, die viele Schrecken des Weltkrieges als Helden ertragen haben. Erst wenn Hannemann mit den größeren Stiebeln das Wort auch gebraucht hat, kann man es allenfalls wagen. So hat in der Zeitschrift für Fernmeldetechnik kürzlich in einem Aufsatz des Herausgebers, Herrn Professors Dr. Franke, ein Wort gestanden, das sich hoffentlich durchsetzt: Es heißt „reihen“. Es waren da verschiedene Gegenstände ganz einfach „gereiht“, statt daß sie, wie man bisher sagte, hintereinander geschaltet (8 Silben!) oder in Reihe geschaltet waren. So könnte man für Hintereinanderschaltung (ein herrliches Wort!) einfach Reihung sagen. Eine parallel geschaltete Spule wäre eine gezweigte Spule, parallel schalten hieße zweigen und die Parallelschaltung Zweigung. Wie einfach! Herr Professor Franke hat bei dieser Gelegenheit übrigens auch gezeigt, wie man solche Wörter einführen kann: Er hat die alte Bezeichnung hinzugefügt. Das ist für die Uebergangszeit ein sehr zweckmäßiges Verfahren, das so lange angewendet werden muß, bis sich solche Ausdrücke eingebürgert haben. Das werden sie nämlich ebenso sicher, wie sich der Bahnsteig, der Bürgersteig, das Abteil, das Fahrrad und vieles andere Bahn gebrochen haben, trotzdem man zuerst immer etwas nachschieben mußte, um sie über das Gehege der Zähne zu bringen. Früher war eben ein Velociped viel feiner als ein Fahrrad! Heute lachen wir darüber. Man könnte das Entladen eines Kondensators als „entfesseln“ bezeichnen und wüßte dann gleich, daß man den Strom nicht aus einem Sammler (womit man keinen Mann meint, sondern einen Akkumulator), herausgelassen hat, ohne daß man die Fessel selbst erwähnt; man drosselt ja auch einen Strom, ohne ehrenvolle Erwähnung der Drosselspule. Man könnte sogar von einem gefesselten Wecker sprechen. Ein Fesselkabel wäre einfach ein Kabel von hoher Kapazität, für die wir auch kein deutsches Wort haben. Man könnte sogar die Dielektrizitätskonstante los werden, die ich immer nur die Stotterkonstante nenne (versuchen Sie nur dieses Ungeheuer – aber bitte mit dem Geschlechtswort „die“ davor! – auszusprechen!), und hätte dann einen ganz leicht aussprechbaren Fesselwert oder auch eine dem Stoff eigene Fesselkraft. Drossel und Fessel eignen sich auch zu Zusammensetzungen, wie Ringdrossel, Sprechdrossel, Faltfessel (Kondensator aus gefaltetem Papier), während die Zusammenfassung dreier Begriffe, wie Ringdrosselspule, unschön und wegen der Betonung auf dem i und dem u auch unzweckmäßig ist. Das Relais könnte man vielleicht „Vorschluß“ nennen (um nicht Vorschließer zu sagen), vorausgesetzt natürlich, daß man keine Angst hat, der oben erwähnte Witzling könnte das „1“ weglassen. Wenn man dann einen Strom nicht unmittelbar arbeiten läßt, sondern ihn durch eine um einen Eisenkern gelegte Spule führt, sodaß der Eisenkern magnetisch wird und einen Anker anzieht, der einen Kontakt schließt, über den dann ein anderer Strom fließt und die eigentliche Arbeit verrichtet, so hat man den Strom eben einfach vorgeschlossen. Die Verdeutschung „Schütz“ für Relais, so schön, kurz und erfreulich sie an sich ist, hat eben den Mangel, daß man kein Zeitwort daraus bilden kann, da das Wort „schützen“ eine andere Bedeutung hat, sodaß Mißverständnisse entstehen könnten. Aber nicht nur für verwickelte Handlungen und Begriffe, sondern sogar für die in der Technik alltäglich gebrauchten Gegenstände fehlen uns Worte, so z.B. für den technischen Widerstand: Muß man doch eigentlich sagen: Dieser Widerstand hat einen Widerstand von 100 Ohm. Herr Professor Dr. R. Franke hat in einem der letzten Hefte der Zeitschrift für Fernmeldetechnik für den technischen Widerstand das Wort „Wehr“ gebraucht, also ein ungemein anschauliches Wort; denn man sieht ordentlich den Spannungsabfall, den ein solches Wehr erzeugt. Außerdem ist das Wort kurz und hat nebenbei noch den Vorteil, daß es wie „Widerstand“ mit W anfängt, sodaß die Abkürzung W in Zeichnungen usw. unverändert beibehalten werden kann. In Verbindung damit könnte man das Wort „stauen“ für das Einschalten eines Ohmschen Widerstandes in einen Stromkreis einführen. Wenn dann noch ein Flüssigkeitswiderstand (6 Silben!) einfach zu einem Naßwehr wird, das im Gegensatz zu einem Festwehr steht und z.B. ein Drahtwehr sein kann, dann könnte man allerlei Silben sparen und man hätte für den Gesamtbegriff der festen Widerstände auch einen Namen, der jetzt fehlt. Ich habe mich bemüht, in diesem Aufsatz Richtlinien zu zeigen und diese durch Beispiele zu erläutern, die weiter nichts sein sollen, als eben Beispiele. Vorschläge zu machen, maße ich mir nicht an, das muß berufenen Stellen vorbehalten bleiben. Immerhin können aber Mutige versuchen, den vorgeschlagenen Weg zu beschreiten, dern oft findet ein Beispiel Nachahmung und gute Worte bürgern sich so häufig spielend ein. Das Ziel muß jedenfalls das sein: Die technischen Vorgänge und Einrichtungen werden mit der Zeit immer verwickelter und damit auch die Beschreibungen. Wie man aber in einer Zeichnung nicht alle Einzelheiten wiederzugeben pflegt, sondern oft eine Zusamenstellung bekannter Einrichtungen nur durch ein Viereck oder andere Zeichen angibt, die dem Beschauer ganz deutliche Vorstellungen verwickelter Einrichtungen und Vorgänge vermitteln, so sollte man sich auch in der Sprache der Technik bewußt Ausdrucksmittel schaffen, die mit einfachen und kurzen deutschen Wörtern ganze Vorstellungsreihen wiederzugeben gestatten. Sie müssen gewissermaßen die Fundamente bilden, auf denen sich noch verwickeltere Einrichtungen und Erscheinungen aufbauen lassen, ohne daß man es nötig hat, jedesmal die Bausteine des Fundaments durch ihre Erwähnung und Beschreibung einzeln aufzumauern. Solche Ausdrücke müssen gewissermaßen mit Patina überzogen sein: Sie müssen alt und echt erscheinen und man darf ihnen nicht schon von weitem ansehen, daß sie Kunsterzeugnisse sind.