Titel: Der elektrische Betrieb der Paris–Orléans-Eisenbahn und die französische Elektrizitätswirtschaft.
Autor: Wernekke
Fundstelle: Band 342, Jahrgang 1927, S. 6
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Der elektrische Betrieb der Paris–Orléans-Eisenbahn und die französische Elektrizitätswirtschaft. Der elektrische Betrieb der Paris–Orléans-Eisenbahn. Der Gedanke, der den Plänen der französischen Eisenbahnen zur Einführung elektrischer Zugförderung zugrunde liegt, ist einmal der, Kohlen zu sparen, andrerseits wird aber damit bezweckt, ein Verteilungsnetz für elektrische Energie zu schaffen, durch das auch Betriebe außerhalb der Eisenbahn mit der nötigen Kraft versorgt werden können. Die Paris–Orléans-Eisenbahn z.B. verbraucht auf ihrem 7500 km langen Netz alljährlich 1,7 Mill. Tonnen Kohle; indem sie davon die Strecken Paris–Brive, Brive–Clermont und St. Sulpice–Gannat mit zusammen 916 km Streckenlänge auf elektrischen Betrieb umstellt, will sie von dieser Menge 450000 t sparen. Sie erreicht dies durch Ausnutzung der Kraftquellen, die das Plateau central in seinen Wasserläufen und deren Gefälle enthält, bringt ihr dortiges Kraftwerk Eguzon aber gleichzeitig mit dem Pariser Kraftwerk Gennevilliers in Verbindung. Dieses gehört der Union d'Electricité, die mit der Orléans-Bahn zusammen die Union Hydroélectrique zum Bau des Werks von Eguzon gegründet hat. In Gennevilliers werden mit Dampfkraft in fünf Einheiten je 40000 Kilowatt erzeugt. Eguzon liefert allerdings nur 50000 Kilowatt, aber gerade im Winter, wo der Strombedarf am größten ist, fließt dort das Wasser am lebhaftesten, und so kann das Werk von Eguzon die Kraftlieferung von Gennevilliers in willkommener Weise ergänzen. Wenn andrerseits im Sommer der Wasservorrat zurückgeht, ist der mit Dampfkraft erzeugte Strom der Union d'Electricité eine wertvolle Unterstützung für die Orléans-Bahn. Der Strom, den die Eisenbahn verbraucht, wird auf diese Art allerdings auch noch mit Hilfe von Kohle erzeugt, aber da ein Elektrizitätswerk bei gleicher Leistung weniger Kohle verbraucht als eine Dampflokomotive, wird sehr erheblich an Kohle gespart. Frankreich verbraucht schätzungsweise etwa 70 Mill. Tonnen Kohle im Jahr, wovon es etwa ein Viertel aus dem Auslande beziehen muß. Auf die Eisenbahnen entfallen etwa 10 Mill. Tonnen, und wenn elektrische Zugförderung allgemein eingeführt würde, könnte die Menge der eingeführten Kohle auf die Hälfte herabgemindert werden. Um aber auf diesem Wege noch einen Schritt weiterzugehen, müssen auch die großen Städte, wie Paris, Lyon, Bordeaux, Toulouse, die zur Krafterzeugung mehr Kohle verbrauchen als die Eisenbahnen, mit durch Wasserkraft gewonnenem elektrischen Strom versorgt werden. In Paris wurden, um nur ein Beispiel anzuführen, im Jahre 1924 1,2 Mill. Tonnen Kohle in Elektrizitätswerken verbrannt; ein Drittel dieser Menge reicht aus, um elektrischen Betrieb auf der 528 km langen Strecke Paris–Brive durchzuführen. Unter diesen Verhältnissen kann die Wirtschaftlichkeit des elektrischen Eisenbahnbetriebes sehr gefördert werden, wenn er mit der Kraftversorgung von Paris in Verbindung gebracht wird. Zur Uebertragung der elektrischen Energie von Eguzon an der Creuse nach Paris dient eine Fernleitung, die zunächst mit 150000 Volt betrieben wird, aber so gebaut ist, daß sie mit geringen Abänderungen auf 220000 Volt umgestellt werden kann. Seit dem 6. Oktober wird die Strecke Paris–Orléans elektrisch betrieben; damit ist der erste Abschnitt auf diesem Gebiet abgeschlossen. Mit einem Teilbetrieb, nämlich auf der Strecke Paris- Etampes und der davon abzweigenden Strecke Brétigny–Dourdan ist im August begonnen worden. Die Länge dieser beiden Strecken beträgt 96 km. Im ersten Monat verkehrten hier 283 Züge elektrisch, die 3300000 Kilowattstunden verbrauchten. Im September folgte dann die Ausdehnung des elektrischen Betriebes der Güterzüge auf die 125 km lange Strecke bis les Aubrais bei Orléans, und am 6. Oktober wurden zum erstenmal zehn Personenzüge, darunter sechs Schnellzüge, zwischen Paris und les Aubrais elektrisch befördert. Seitdem werden täglich etwa 10500 Zugkilometer mit elektrischem Antrieb geleistet. Die Vorbereitungen zur Fortsetzung dieses Betriebs bis Vierzon, das 204 km von Paris entfernt ist, waren damals so weit gediehen, daß man erwarten konnte, Mitte November werde die elektrische Zugförderung bis Vierzon aufgenommen werden können. Diese Strecke hat unter denen der Orléans-Bahn den stärksten Verkehr, und der Uebergang zur Elektrizität als Zugkraft hat also hier die größte Bedeutung für den Kohlenverbrauch. Die elektrischen Einrichtungen sind so getroffen, daß sie einem Jahresverkehr von 40 Mill. Tonnenkilometer auf der Strecke Paris–Orléans, 20 Mill. Tonnenkilometer auf der Strecke Orléans–Vierzon und 12 Mill. Tonnenkilometer auf der Strecke Brétigny–Dourdan gerecht werden können. Zur Ausnutzung im Zugbetrieb wird der hochgespannte Wechselstrom in Gleichstrom von 1500 Volt umgewandelt. Im Vorortverkehr werden aus Triebwagen und Anhängern zusammengesetzte Züge gefahren, im übrigen werden die Züge von elektrischen Lokomotiven gezogen. Die Triebwagen haben zwei Motoren von 250 PS; sie wiegen 65 t und bilden mit einem Anhänger von 34 t Gewicht eine Einheit; bis drei Einheiten, von denen zunächst zwölf vorhanden sind, werden zu einem Zug zusammengestellt. Personen- und Güterzüge mit weniger als 70 km Stundengeschwindigkeit werden von Lokomotiven mit vier angetriebenen Achsen befördert, die dauernd 300 bis 375 PS, eine Stunde lang 430 PS leisten können. Von den 200 Lokomotiven dieser Art, die bestellt sind, sind mehr als 50 bereits geliefert und stehen entweder im Probebetrieb oder dienen bereits dem regelmäßigen Verkehr. Für Schnellzüge mit höherer Geschwindigkeit als 70 km in der Stunde werden Lokomotiven besonderer Bauart verwendet, die etwas mehr als das doppelte der erstgenannten Lokomotiven leisten, aber nicht so schwer sind. Von fünf Versuchslokomotiven mit 2 × 2 und 4 angetriebenen Achsen mit 2700 bis 3500 PS Dauerleistung sind drei geliefert; sie werden zurzeit erprobt. Die Südbahn ist mit 400 km elektrisch betriebener Strecke der Orléans-Bahn mit ihren 151 km zwar überlegen. Sie verbraucht aber monatlich nur 3 Mill. Kilowattstunden, die Orléans-Bahn dagegen jetzt schon 3,3 Mill. und wird diese Menge im Jahre 1927 auf das Doppelte steigern. Die Mittelmeer-Bahn hat auf 23 km Länge einen Probebetrieb eingerichtet, und bei der Staatsbahn werden 47 km elektrisch betrieben. Wie schon aus den eben gemachten Angaben hervorgeht, ist der elektrische Betrieb der Orléans-Bahn nur ein Teil von dem, was die französischen Eisenbahnen auf diesem Gebiet bisher geleistet haben und noch beabsichtigen, und dies wiederum ist nur ein Teil auf dem Gebiete der französischen Elektrizitätswirtschaft. Frankreich besitzt in seinen gebirgigen Teilen noch reichliche, unausgenutzte Wasserkräfte, und es ist in bezug auf deren Nutzbarmachung insofern in besonders günstiger Lage, als es sowohl Hochgebirge wie Mittelgebirge hat. Der Wasservorrat beider gleicht sich nämlich aus. Wenn im rauhen Winter die Wasserläufe im Hochgebirge versagen, regnet es im Mittelgebirge, und wenn hier im Sommer der Wasservorrat zurückgeht, liefert das Hochgebirge aus seinen schmelzenden Gletschern und Schneefeldern reichliche Wassermengen. Die französische Elektrotechnik und Elektrizitätswirtschaft findet hier noch ein ausgiebiges Betätigungsfeld. Freilich fehlt es zurzeit infolge der wirtschaftlichen Lage an Mitteln, um dieses Feld zu beackern. Es sind zwar seit 1916 eine Anzahl neue Wasserkraftanlagen geschaffen und bestehende ausgebaut worden, aber die neuen Planungen auf diesem Gebiet, etwa diejenigen, die seit 1924 aufgestellt worden sind, müssen unausgeführt bleiben, ihre Verwirklichung ist auf unbestimmte Zeit vertagt. In den Jahren 1922 bis 1924 hat die Stromlieferung der französischen Wasserkraftwerke von 658560 auf 1263260 Kilowatt zugenommen; Im Jahre 1925 betrug aber die Zunahme nur 50000 Kilowatt, und 1926 wird kaum diese Zahl erreicht werden. Dabei ist der Bedarf nicht etwa gedeckt, so daß ein weiterer Ausbau der Elektrizitätsversorgung überflüssig wäre, sondern der Bedarf steigt noch dauernd. Neuerdings wird wieder mehr Strom aus Wärmekraftwerken geliefert, bei denen die Baukosten niedriger sind als für den Ausbau von Wasserkräften. Dafür sind allerdings die Betriebskosten höher, aber es ist leichter, diese, die sich auf längere Zeit verteilen, aufzubringen als die einmaligen hohen Anlagekosten, wenn auch diesen Ersparnisse in der Zukunft gegenüber stehen. Der Wunsch, Kohlen zu sparen, muß daher zurückgestellt werden, aber man sieht aus diesen Vorgängen einmal, daß man, um zu sparen, häufig erst hohe Ausgaben auf sich nehmen muß. Geh. Reg.-Rat Wernekke.