Titel: Vergasbarkeit.
Autor: A. Lion
Fundstelle: Band 345, Jahrgang 1930, S. 88
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Vergasbarkeit. Die Siedekurve, das Bild des Kraftgewinnungsvorgangs im Motor. Vergasbarkeit. Die Vergasbarkeit eines Kraftstoffes oder seine Leichtflüchtigkeit ist eine seiner kennzeichnenden Eigenschaften, mit der seine motorische Verwendbarkeit eng zusammenhält. Ein leichtflüchtiger Kraftstoff springt im Motor in der Regel leicht an und verbrennt vollkommen. Die frühere Ansicht, daß die Flüchtigkeit eines Kraftstoffes unmittelbar mit seinem spezifischen Gewicht zusammenhängt, ist längst als veraltet und falsch abgetan. Sie gilt höchstens für Benzine gleicher Herkunft, aber schon nicht mehr für solche aus verschiedenen Ursprungsländern und nach verschiedenen Verfahren gewonnene, und erst recht nicht beim Vergleich der Benzine mit anderen Kraftstoffen, wie Benzol und Spiritus und deren Gemischen mit, Benzin. Ueberhaupt legt man dem spezifischen Gewicht eines Kraftstoffes heute nur noch eine untergeordnete Bedeutung bei und wird es sogar vermutlich bei der früher oder später einmal erfolgenden Normung der Kraftstoffe nicht berücksichtigen. Damit der Motor leicht anspringt, ist es notwendig, daß die Vergasung des Brennstoffes bereits bei nicht zu hoher Temperatur beginnt. Im allgemeinen genügt es, wenn diese Temperatur etwa zwischen 60 und 70° C liegt. Es gibt einfache Apparaturen, (Engler-Ubelohde für Benzin, Kraemer-Spilker für Benzol), mit deren Hilfe man den Vergasungscharakter eines Brennstoffs leicht festlegen kann, also die Temperatur, bei der die Vergasung beginnt, und die prozentualen Anteile, die bei stufenweiser Steigerung der Temperaturen allmählich vergasen. Man erhält dann eine Kurve für die Flüchtigkeit des Kraftstoffes, die sog. Siedekurve, die Beginn, Ende und das Wesen der Vergasung ausdrückt. Die Kurve kann steil oder flach verlaufen, kann allmählich ansteigen oder vielleicht zuerst sehr stark, dann allmählicher, und zuletzt wieder sehr stark usw. Höhenlage und Charakter dieser Siedekurve sind ein vorzüglicher Ausdruck für das Wesen eines motorischen Brennstoffes. Daß die Kurve bei niedriger Temperatur beginnen soll, ist schon gesagt worden; sie soll aber auch nicht bei zu hohen Temperaturen enden; das würde besagen, daß der Kraftstoff hochsiedende Bestandteile enthält, die unter normalen motorischen Bedingungen nicht vergasen, also nicht ausgenutzt werden können, sondern unter Umständen das Schmieröl verdünnen und somit den Motor schädigen. Der ganze Verlauf der Vergasung soll bei nicht allzuhohen Temperaturen vor sich gehen. Man bezeichnet im allgemeinen eine Siedekurve als gut, wenn sie in ihrem Verlauf um mindestens 50° und höchstens um 150° C ansteigt, und wenn sie keine „Sprünge“ macht. Eine derartige Siedekurve zeigt die Charakteristika einer vollständigen und „weich“ verlaufenden, also, was die Ausnutzung des Kraftstoffes und die Beanspruchung des Motors betrifft, wirtschaftlichen Verbrennung. Aus der Siedekurve ist ferner leicht die mittlere Siedetemperatur des geprüften Kraftstoffes zu entnehmen, die man als „Kennziffer“ bezeichnet. Die Kennziffer sagt zwar nichts aus über Beginn und Ende der Kurve oder den Charakter ihres Verlaufes, aber sie gibt mit einer einzigen Ziffer die mittlere Höhenlage der Kurve an, und damit die Flüchtigkeit des Brennstoffes, und darin liegt ihre Bedeutung. Aus den Kennziffern der Bestandteile einer Kraftstoff-Mischung ist ferner leicht die des Gemisches zu errechnen, wenn das Mischungsverhältnis bekannt ist. Allerdings ist die „Kennziffer-Rechnung“ bei Spiritus-Gemischen nicht verwendbar, da durch die Zugabe von Alkohol eine Siedepunkt-Beeinflussung nach unten eintritt. Für die motorische Güte eines Kraftstoffes spricht meist eine niedrige Kennziffer. In der Vorkriegszeit hatten gute Benzine eine Kennziffer, die zwischen 70 und 90 lag, heute liegt die Kennziffer der Motor-Benzine wesentlich höher, und 110 bis 120 stellt schon einen guten Wert dar. Die Kennziffer von Benzol liegt etwa bei 100, ist also wesentlich günstiger, doch ist in vielen Fällen Benzol ein zu teurer Brennstoff für den praktischen Fahrbetrieb, bei dem dessen günstige motorische Eigenschaften nicht immer voll ausgenutzt werden können. Ein Gemisch aus gleichen Teilen Benzin und Benzol hat eine noch recht gute Kennziffer von etwa 108, die schon dafür spricht, daß ein derartiges Gemisch für motorische Zwecke gut geeignet ist. Die Praxis beweist das auch, und der Verbrauch an Benzin-Gemischen steigt ja stetig, besonders in Deutschland. Immerhin soll man nicht selbst Gemische herstellen, weil eine vollkommene Mischung in den Tanks der Kraftfahrzeuge niemals möglich ist, und man im allgemeinen zuerst nach der Füllung hauptsächlich mit dem spezifisch schwereren Benzol fährt, später aber bestimmt mit einem zu „mageren“ Gemisch. Die handelsüblichen Benzin-Benzol-Gemische (Aral usw.) sind maschinell, also gründlich durchmischt. Eine nachträgliche Entmischung findet, trotz der Verschiedenheit der spezifischen Gewichte beider Komponenten, niemals statt. Die Vergasung beginnt bei etwa 65 bis 70° C, also frühzeitig genug, um eine günstig verlaufende Verflüchtigung einzuleiten, der Motor springt gut an. Bei 100° sind etwa 55% des Gemisches vergast, wie die Siedekurve zeigt, wodurch ein gutes Anfahrvermögen des Wagens und eine ausreichende Elastizität des Motors gewährleistet ist. Bei 150° ist ein solches Gemisch restlos vergast; es gehen also keine hochsiedenden Bestandteile ins Schmieröl, das so 2 bis 3 mal so lange verwendungsfähig bleibt, wie bei öl-verdünnenden Kraftstoffen mit petroleumartigen Anteilen. Die Siedekurve steigt in ihrem Verlauf also nur um etwa 90° C an, was nicht zu viel und nicht zu wenig ist. Gerade der Verlauf der Siedekurve dieses Kraftstoff-Gemisches beweist, und ebenso natürlich dessen praktische Verwendung, daß es durchaus nicht immer notwendig ist, den hochwertigsten Kraftstoff (etwa Reinbenzol) im Kraftwagenmotor zu verbrennen, sondern daß, abgesehen natürlich von sportlichen und anderen Sonderfällen und besonders hochverdichtenden Motoren, ein gutes Gemisch von Kraftstoffen als Kompromiß-Lösung durchaus ausreichend ist und allen Anforderungen des praktischen Fahrbetriebes durchaus entspricht. Dipl.-Ing. A. Lion, Berlin.