Titel: Kleinere Mitteilungen.
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, Miszellen, S. 500
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Kleinere Mitteilungen. Kleinere Mitteilungen. Zum ersten Flugversuch des Zeppelin'schem Luftfahrzeugs. Graf Zeppelin veröffentlichte in Nr. 342 des Schwäbischen Merkur vom 26. Juli d. J. die nachstehende, den ersten Flugversuchmit seinem Luftfahrzeug (siehe S. 465 d. Bd.) betreffende Erklärung: Das gedachte Ziel ist allein entscheidend dafür, ob und mit welchem Aufwand von Arbeit und Geld das Streben nach seiner Erreichung gerechtfertigt ist. Erst nach Bejahung dieser Fragen lohnt es sich der Mühe, das ersonnene Mittel einer Prüfung zu unterziehen. Mein Ziel wird noch vielfach verkannt. Man unterstellt mir Absichten, die ich niemals gehabt habe. Ich will nicht ein Vehikel schaffen, das das Rad oder das Ruderschiff ersetzen oder der Eisenbahn und den Dampf booten Entlastung bringen soll, und es liegt mir fern, mit dem Fesselballon in Wettbewerb bei der Aufklärung innerhalb seines Sehkreises zu treten. Das alles sind Aufgaben, die vielleicht einmal mit Flugapparaten und Flugmaschinen erfüllt werden, für die aber die gewaltigen Ballonfahrzeuge nicht taugen. Ich erstrebe ein Fahrzeug zu schaffen, das im stände ist, gerade dorthin zu gehen, wohin mit keinem anderen Transportmittel oder wenigstens nicht ebensoschnell oder ebensosicher zu gelangen ist, und wohin zu kommen doch vom höchsten Wert wäre: z.B. nach noch unbefahrenen Küsten oder Binnenländern zu ihrer Erforschung oder zum Zweck der Postverbindung; nach Meeren, wo Schiffe aufzusuchen sind, in geradester Linie über Land und Wasser hinweg; von einer Flottenstation oder von einer Armee zur anderen, behufs Verbringung von Personen, Befehlen oder dergl.; weiterhin zur Beobachtung feindlicher Geschwader oder über feindliches Land zur Erkundung strategischer Vorgänge, wie Armierung von Festungen, Ansammlung und Bewegung von Armeen oder dergl. (also nicht taktischer Vorgänge in der Nähe kämpfender Truppen) und Meldung nicht erst bei Rückkehr, sondern schon durch Taubenpost und Signale, von Kiautschou nach Peking u.s.w. Der Weg für solche Fahrzeuge kann nur durch die Luft gehen. Es können keine Luftfahrzeuge sein, die der Maschinenkraft bedürfen, um schwebend zu bleiben, denn diese müssen herunter, wenn die Maschine versagt. Es gibt keine Maschinen, die nie, wenigstens vorübergehend, versagen. Ein Heruntergehen, wäre es auch das ruhigste Herabschweben, auf das weite Meer, auf ein Gelände, wo Gebäude, Bäume, Steilhänge das Fahrzeug zum Kippen bringen, auf feindliches Gebiet wird in den meisten Fällen verhängnisvoll werden. So können die Aufgaben, die ich für meine Fahrzeuge gedacht habe, überhaupt nur durch Ballonschiffe mit mindestens zwei voneinander unabhängigen Triebwerken gelöst werden, die betriebsfähig bleiben, bis eine zu stoppende Maschine wieder in Gang kommt, und noch schwebend, wenn einmal beide Maschinen gleichzeitig aussetzen sollten. Meine Fahrzeuge müssen mindestens mehrere Tage fahren können ohne neue Proviant-, Betriebsmaterial- und Gasaufnahme. Sie müssen schnell genug sein, um an einer für den nützlichen Gebrauch ausreichenden Zahl von Tagen auch in der Richtung gegen den Wind verwendbar zu sein. Ihre Festigkeit muss für die Beanspruchungen beim Betrieb, Auflassung und Landen unter normalen Verhältnissen genügen. Auch gegen Entzündungsgefahr muss ausreichende Sicherheit vorhanden sein. Das unter Festhaltung dieser Anforderungen erbaute Fahrzeug hat zwar bei seinem ersten Aufstieg am 2. Juli d. J. seine Geschwindigkeit wegen des Bruchs der Laufgewichtskurbel, der zu beständigem Wechsel im Vor- und Rückwärtslauf und zu baldigem Abstieg nötigte, nicht zeigen können, wohl aber dargethan, dass es den übrigen Anforderungen in hinlänglichem Masse entspricht. Nach Vornahme der als wünschenswert erschienenen Abänderung der Aufhängung des Laufgewichts und Verlegung des hinteren Ruderpaares von den Seiten des Tragkörpers an dessen Unterfläche werden weitere Aufstiege voraussichtlich auch eine genügende Geschwindigkeit erweisen. Dass ein so gewaltiges Ballonfahrzeug das überhaupt könne, wird vielfach bezweifelt, weil die Gesetze der Bewegung im Luftraum wenig bekannt sind. Man glaubt noch meist, der Wind übe einen Druck auf den frei schwebenden Körper, und zwar desto stärker, je grösser die zur Windrichtung quer liegende Fläche des letzteren sei. Dem ist nicht so: Wind gibt es nur mit Bezug auf Dinge, die an der Erde haften, wenn sich der Luftraum mit einer anderen Geschwindigkeit als jene bewegt. Wir empfinden Westwind, wenn der Luftraum über uns der Erddrehung vorauseilt, Ostwind, wenn er zurückbleibt. Das von jeder Erdenfessel befreite Luftschiff nimmt die Bewegung der umgebenden Luft an und empfindet daher vollkommene Windstille, auch wenn, es dem Erdenpilger vom Sturm davongerissen erscheint. In dieser seiner Windstille geht und steuert sich ein Luftfahrzeug mit gleicher Leichtigkeit nach allen Seiten. Wenn seine Schrauben ihm wie bei dem meinigen den Antrieb in Richtung der Längsachse geben, so begegnet nur seine Stirnseite einem dem Druck der Schrauben stets entsprechenden Widerstand. Fährt nun das Fahrzeug in einem für den Erdenpilger z.B. als Westwind sich bewegenden Luftraum gegen Osten, so wird jenem die Fahrgeschwindigkeit gleich der des Windes und derjenigen des Fahrzeugs selbst zusammengenommen erscheinen. Ist das Fahrzeug nach Nord gerichtet, so liegt seine Fahrtrichtung mit Bezug auf die Erde zwischen Nord und Ost – näher bei Ost, je grösser die Wind- und je geringer die Fahrzeuggeschwindigkeit ist. Fährt das Luftschiff gen Westen, so erscheint seine Geschwindigkeit um diejenige des Westwindes verlangsamt, und ist letztere grösser als jene, so weicht es mit Bezug auf die Erde mit derSchnelligkeit des Geschwindigkeitsunterschieds gegen Osten zurück. Nach einem zwischen West und Nord gelegenen Erdenpunkt vermag es nur bei dem Westwind überlegener Eigengeschwindigkeit, unter entsprechendem Ueberhalten, nach West zu gelangen. Ein Aufkreuzen gegen den Wind wie für Segelschiffe gibt es selbstverständlich nicht. Dagegen besteht ebenso selbstverständlich die Möglichkeit, durch schwaches Auf- und Abwärtsfahren bei horizontal bleibenden Angriffsflächen für die Luft eingetretene grössere Schwere bezw. grössere Leichtigkeit als die umgebende Luft zu überwinden. Man sieht, die Luftschiffahrt ist zur Abhängigkeit von den ihr doch unschädlichen Luftströmungen für die Erreichung ihrer Ziele verdammt, und die Pünktlichkeit der Eisenbahnen wird ihr ewig versagt bleiben. Ihre Weiterentwickelung ist eine Frage der Erkenntnis, dass die für sie gedachten Aufgaben berechtigt genug sind, um trotz des unvermeidlichen Uebels damit vorzugehen, wie die in ähnlicher Abhängigkeit befindliche Segelschiffahrt sich durch Jahrtausende erhalten hat, wie jeder Fluss befahren wird, dessen Strom noch durch Dampfer überwunden werden kann. Ob mein Fahrzeug eine für den praktischen Gebrauch ausreichende Geschwindigkeit besitzt, werden die ferneren Versuche erweisen. Durch Anwendung grösserer Schrauben, wie viele meinen, wäre bessere Fahrt nicht zu erreichen, denn mit ihrer jetzigen Grösse, Gestalt und Drehungszahl haben sie bei Versuchen an einem Luftschraubenwasserboot die beste Nutzwirkung von den im Luftschiff angewandten Motoren ergeben. Wohl aber liesse sich grössere Geschwindigkeit durch stärkere Motoren erzielen, welche jetzt bei gleichem Gewicht zu haben sind, und durch kleineren Querschnitt des Fahrzeugs, den das allmählich bekannt werdende Magnalium oder eine diesem ähnliche Legierung des Aluminium voraussichtlich gestatten würde. Die vielgetadelte Grösse des Fahrzeugs zwang sich aus den zu stellenden Anforderungen und bei den zur Zeit des Entwerfens als bereits erprobt vorhandenen technischen Mitteln von selbst auf. Die grossen Ausmasse haben aber auch ihre nicht zu unterschätzenden dynamischen und aeronautischen Vorzüge: die Schwankungen des langen Fahrzeugs um die kurze, wagrechte Achse vollziehen sich so langsam, dass der Führer alle Zeit hat, sie vollkommen zu beherrschen, und dank der Grösse des horizontalen Querschnitts senkt sich das Fahrzeug nach Entlassung von einigem Gas so sachte herab, dass die Landungen auch bei stärkerem Winde sich mit Ruhe werden ausführen lassen. Nicht minder wieder wird das schräge Auf- und Abwärtsfahren durch den grossen Horizontalquerschnitt erleichtert. Endlich kommt in Betracht, dass der Stirnwiderstand in geringerem Verhältnis als das Wachsen des vertikalen Querschnitts zunimmtSiehe hierüber meine Ausführung in Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure 1895, S. 568 und 412, sowie in Zeitschrift für Luftschiffahrt und Physik der Atmosphäre 1896, S. 172 ff., 274 ff.. Die Landungen sollten immer in Richtung gegen den Wind in schräger Fahrt abwärts, die zuletzt in wagrechte übergeht und möglichst dem Wind gleiche Geschwindigkeit annimmt, stattfinden. Wenn diese Luftfahrzeuge auch im stände sein müssen, erforderlichenfalls auf jeder Wasserfläche zu ankern oder auf jedem freien Platz sich festzulegen, so werden sie doch für gewöhnlich ihrer vorbereitenden Landungsstellen und Unterkunftsräume ganz ebenso bedürfen, wie die grossen Seeschiffe der sicheren Häfen. Man hat meine Fahrzeuge häufig für schwerfällig gehalten, weil sie nicht von der Stelle zu bringen sind, wenn ihre Gasfüllung entwichen ist. Schiffe sind das auch nicht, nachdem sie voll Wasser gelaufen. Man wird in jene ebenso Gas bringen müssen, wie diese auspumpen, um sie flott zu machen. Der Transport zerlegter Luftschiffe ist leicht. Gegenüber den Aufgaben, die meine Fahrzeuge zu lösen haben werden, kommen die Kosten kaum in Betracht. Letztere sind übrigens dazu noch verhältnismässig gering. Die hierüber in der Presse verbreiteten Zahlen umfassen doch die gesamten Kosten, nicht nur für das Fahrzeug allein, sondern für die Werftanlagen, die gewaltige Bauhalle mit ihrer Verankerung, die Gasflaschen und deren Pontons mit ihrem Schuppen, eine Anzahl von Motor- und anderen Booten u.s.w. Wie hoch würde wohl ein Torpedoboot zu stehen kommen, wenn man ihm allein die Werft, den sicheren Hafen u.s.w. aufrechnen wollte? Die berüchtigt gewordenen 10000 Mark für eine Gasfüllung entstehen in der Hauptsache auch nur durch den weiten Transport des Gases von Griesheim nach Manzell. Die vorstehenden Ausführungen dürften die Ueberzeugung begründen, dass mein Luftfahrzeug, selbst wenn es demnächst wider Erwarten noch keine ganz befriedigende Schnelligkeit erweisen sollte, doch sicher gezeigt hat, wie es möglich ist, Fahrzeuge zu bauen, die die grossen für sie gedachten Aufgaben zu erfüllen vermögen.