Titel: Die Dampfturbinen der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft.
Autor: H. Dominik
Fundstelle: Band 322, Jahrgang 1907, S. 121
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Die Dampfturbinen der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft. Die Dampfturbinen der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft. In dem neuen von Professor Messel errichteten Verwaltungsgebäude der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft wiederholte Direktor Lasche am Sonnabend, den 9. Februar, seinen Vortrag über die Dampfturbinen der A. E. G., welchen er bereits am Dienstag in Gegenwart des Kaisers einmal gehalten hatte. Der Vortrag, welcher durch gutgelungene zum Teil farbige Lichtbilder erläutert wurde, brachte in der Hauptsache die folgenden Ausführungen. Vor ungefähr vier Jahren begann die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, sich mit dem Bau von Turbinen zu befassen, und zwar zunächst nach den Vorschlägen der Professoren Riedler und Stumpf, welche eine Tangentialturbine empfahlen. Während man noch an der praktischen Durchführung und der konstruktiven Ausbildung der Riedler-Stumpf-Turbine arbeitete, trat die bekannte Interessengemeinschaft zwischen der A. E. G., und dem Konzern der General Electric Company ein, durch welche der A. E. G. die amerikanische Curtis-Turbine zugänglich wurde. Die Curtis-Turbine bot so schwerwiegende Vorteile, daß die A. E. G. beschloß, dieselbe in ihre Turbinenfabrikation mit hineinzuziehen, aber für deutsche Verhältnisse umzuarbeiten. Die amerikanische Curtis-Turbine war eine stehende Turbine. Ebenso wie die Amerikaner für ihre Kraftwerke allgemein stehende Kolbendampfmaschinen vor den liegenden bevorzugen, hatten sie auch für die Turbine die stehende Ausführung gewählt. Der deutsche Geschmack ist aber entschieden mehr für liegende Ausführungen. Stehende Kolbendampfmaschinen kommen bei uns nur zur Anwendung, wenn beschränkte Raumverhältnisse dies gebieterisch erfordern. Bei der Turbine fällt aber dieser Grund fort. Die stehende Turbine erfordert reichlich eben so viel Raum, wie die liegende. Sie wäre daher auf deutschem Boden stets ein Fremdling geblieben, und hätte schwer Einführung gefunden. Man beschloß daher unter Zusammenlegung der Anregungen von Riedler-Stumpf sowie von Curtis eine neue deutsche Turbine zu konstruieren. Dieser Entschluß war bedeutungsvoll. Man verzichtete dabei auf die zahlreichen Detailerfahrungen, welche die amerikanische Gesellschaft bereits beim Bau stehender Turbinen gesammelt hatte. Hatte doch die General Electric Company, als die Interessengemeinschaft eintrat, bereits acht stehende Turbinen von je 12000 PS, 20 Turbinen von je 5000 PS und eine sehr große Anzahl kleinerer Aggregate im Betrieb. Unter Verzichtleistung auf die dabei gewonnenen Erfahrungen wurde dagegen das Curtis-Prinzip unverändert übernommen. Die Curtis-Turbine ist eine axiale Freistrahlturbine. Der Arbeitsgang in ihr vollzieht sich in folgender Weise. Heißdampf von etwa 330° C und einer Spannung von etwa 14 at tritt in einzelne Düsen. Hier setzt sich ein erheblicher Teil seiner potentiellen Energie in kinetische um. Der Dampfstrahl erhält eine Geschwindigkeit von etwa 900–1000 m i. d. Sekunde, während seine Temperatur bis zum Düsenmund auf 150° fällt, sein Druck von etwa 14 at Spannung in der Frischdampfleitung auf etwa 3–4 at, dem Druck in der ersten Turbinenkammer, der Hochdruckkammer fällt. Der Dampf im Dampfstrahl hat also dieselbe Spannung und Temperatur, wie der die Hochdruckkammer erfüllende Abdampf. Es findet in der ersten Turbinenkammer weder eine nennenswerte weitere Expansion, noch eine Temperaturerniedrigung statt. Der Dampf verläßt die Kammer unter denselben Temperatur- und Druckverhältnissen, unter welchem er sie betrat. Nur ein Unterschied ist vorhanden. Der Dampf trat mit rund 1000 m i. d. Sekunde in die Kammer, und er verläßt sie mit der praktischen Geschwindigkeit Null. Die gesamte kinetische Energie, welche er durch eine Expansion von 14 auf 4 at und durch eine Temperaturerniedrigung von 330 auf 150° erhielt, ist an die Schaufelkränze der Turbine abgegeben worden. Die hier geschilderte Einrichtung stellt die erste Druckstufe die Hochdruckstufe der Curtis-Turbine dar. Konstruktiv unmittelbar an diese angeschlossen ist die Niederdruckkammer. Der Abdampf der ersten Stufe wird durch ein Umlaufrohr zu den Düsen der zweiten Stufe geführt. Hier expandiert er weiter bis auf 80 v. H. des Vakuums, während seine Temperatur von 150 auf etwa 30° fällt. Der Erfolg dieser Expansion ist wiederum das Auftreten kinetischer Energie, die Bildung strömender Dampf strahlen, welche jedoch in der Niederdruckkammer anders arbeiten, wie die Strahlen in der Hochdruckkammer. Die Hochdruckkammer der normalen Curtis-Turbine enthält nun mehrere Geschwindigkeitsstufen. Wollte man dem Dampf seine Geschwindigkeit von etwa 1000 m mit dem Schaufelkranz eines Laufrades abnehmen, so würde man unzulässig hohe Umfangsgeschwindigkeiten von etwa 600 m i. d. Sekunde erhalten. Daher tritt die altbekannte Anordnung von mehreren Leit- und Triebschaufelkränzen hintereinander ein. Der Dampfstrahl passiert die Triebschaufeln des ersten Laufrades, durchströmt dann die Leitschaufeln des feststehenden Leitrades, welche ihm wieder die alte Richtung geben, durchströmt die Schaufeln des nächsten Laufrades und so fort. An jedes Laufrad gibt er dabei einen Teil seiner Arbeit ab und verlangsamt seine Bewegung. Der zusammenhängende, in sich geschlossene Dampfschlauch, als welchem wir uns den Strahl vorstellen können, müßte sich daher in sich selbst stauchen, etwa wie eine Kolonne Soldaten, deren hinterste Glieder Laufschritt machen, während die vordersten beinahe stillstehen. Während nun, um dies zu vermeiden, bei anderen Turbinen, z.B. Parsons, der Durchmesser der Laufkränze ständig steigt, sind hier sämtliche Laufräder von gleichem Durchmesser. Dafür aber ist die Curtis-Turbine ja eine Freistrahlturbine. Der Dampf expandiert nicht, wie bei der Parson-Turbine z.B. von Schaufelrad zu Schaufelrad weiter, sondern er bildet einen in sich geschlossenen Strahl, der lediglich durch seine Stoßkraft wirkt. Daher braucht das erste Laufrad keineswegs voll beaufschlagt zu werden. Je nach Bedarf und Belastung wird man den dritten, fünften oder sogar nur den zehnten Teil des ersten Rades beaufschlagen. Dafür aber haben die den einzelnen Düsen entströmenden Strahlen nun Gelegenheit, sich in den folgenden Kränzen zu verbreitern. Der zweite Laufkranz wird zu zwei Dritteln, und der letzte völlig beaufschlagt sein. Die Formgebung der Schaufeln ist dabei, abgesehen von der Berücksichtigung der Dampf- und Umfangsgeschwindigkeiten, so zu treffen, daß diese Verbreiterung des Dampfstrahles ohne schädliche Zersplitterung und Wirbelbildung eintritt. Da hier also der Strahl in sich festen Zusammenhang besitzt, braucht man nicht besonderen Wert auf die Abdichtung der einzelnen Laufräder zu legen. Man kann zwischen ihnen und dem Gehäuse einen verhältnismäßig großen Spielraum lassen, ohne daß es nennenswerte Arbeitsverluste zur Folge hat. Dieser Umstand ist bedeutungsvoll, weil gerade auf der Hochdruckseite bedeutende Temperaturschwankungen und dementsprechend Veränderungen des Maschinenkörpers betriebsmäßig vorausgesehen werden müssen, welche bei einer all zu genauen Dichtung der Schaufelkränze verhängnisvoll werden können. Hierin liegt ein besonderer Vorzug der deutschen Curtis-Turbine hinsichtlich des Wirkungsgrades wie der Betriebssicherheit. Auf der Niederdruckseite kommen nur noch geringe Temperaturschwankungen in Frage. Außerdem kann man hier bei größerem Radumfang selbst bei einigen Millimetern Spielraum zwischen den Laufkränzen und der Gehäusewandung immer noch sehr niedrige prozentuale Verluste voraussetzen. Daher erfolgt die Ausführung der Niederdruckkammer bei der deutschen Curtis-Turbine im Gegensatz zur Hochdruckkammer nicht in reinen Geschwindigkeitsstufen, sondern in reinen Druckstufen. Der Dampf tritt also aus den Düsen nur wenig expandiert und mit wenig verringerter Temperatur und entsprechend geringer Geschwindigkeit in das erste Laufrad. Während er hier Arbeit abgibt, also seine Geschwindigkeit einbüßen sollte, expandiert er jedoch unter Verminderung von Druck und Temperatur weiter und tritt mit beinahe unverringerter Geschwindigkeit, durch das nächste Leitrad in das nächste Schaufelrad. Hier bilden also Lauf- und Leiträder nicht mehr Geschwindigkeitsstufen, sondern Druckstufen. Dabei ist jedoch von einer Teilung der Niederdruckkammer in einzelne Unterkammern etwa nach dem Vorbilde von Zoelly abgesehen worden. Versuche mit einer Studienturbine, bei welcher die Niederdruckkammer in zehn solcher Kammern geteilt wurde, haben gezeigt, daß der Wirkungsgrad dadurch keineswegs verbessert wurde, daß eine solche Kammerteilung nichts anderes als eine unötige Komplikation bedeutet. Was nun den Wirkungsgrad angeht, so wurde bei der Aufnahme des Turbinenbaues seitens der A. E. G. eine Kurve angelegt, in welcher ständig die besten Ergebnisse von Kolbendampfmaschinen in bezug auf den Dampfverbrauch eingetragen wurden. Die Industrie hatte ursprünglich von den Dampfturbinen nichts anderes erwartet, als eine Verringerung des Raumbedarfes, und war sogar bereit, hierfür einen etwas ungünstigeren Wirkungsgrad in Kauf zu nehmen. Das Bestreben der Turbinenbauer war jedoch darauf gerichtet, den Dampfverbrauch der Kolbendampfmaschine zu erreichen, und womöglich noch zu unterschreiten. Das ist in der Tat glänzend gelungen. Die modernen großen Einheiten haben es bis zu einer Kohlenersparnis von 20 v. H. gegenüber den Kolbendampfmaschinen gebracht. Besonders günstig wirkt hierbei der Umstand, daß die Turbine hoch überhitzten Dampf bis zu 350 und mehr Grad gut und gerne verträgt, während die Kolbendampfmaschine bereits bei 300° anfängt empfindlich zu werden, und alsdann eine so sorgfältige Wartung der Schmierung verlangt, daß eine Vermehrung des Bedienungspersonals notwendig wird, welche etwaige Ersparnisse wieder wett macht. Nach der Besprechung der Wirtschaftlichkeit wandte sich der Vortragende den Raumverhältnissen zu. Hier bedeutet die Turbine gegenüber der liegenden Dampfmaschine eine außergewöhnlich hohe Ersparnis an Bodenfläche. Recht anschaulich wurde dies bei Vorführung der Pläne der neuen Kraftzentrale Moabit. Dort waren ursprünglich liegende Dampfmaschinen von je 5000 PS aufgestellt, deren jede ein Feld des Maschinenhauses einnimmt. Die Berliner Elektrizitätswerke sind nun genötigt, nachdem sie kürzlich einen neuen Vertrag mit der Stadt Berlin abgeschlossen und die vor einigen Monaten ausgesprochene Stromsperre aufgehoben haben, so schnell wie möglich 40000 PS neu zu installieren. Davon sollen 18000 PS nach Moabit kommen. Zu dem Zweck wird dort eine 3000 PS-Kolbenmaschine fortgenommen. In dem frei werdenden Raum lassen sich nun mit Leichtigkeit Turbodynamos von 21000 PS unterbringen. An dieser Installation wird z. Z. gearbeitet. Müssen doch die erwähnten 40000 PS innerhalb eines halben Jahres nach ihrer Genehmigung in den Betrieb kommen. An sich eine Rekordleistung deutscher Technik. Man darf wohl mit dem Vortragenden einig sein, daß die Dampfturbine der Kraftwerke z. Z. aus dem Entwicklungsstadium heraus und zur hohen Vollendung gediehen ist. Anders steht es mit der Turbine als Schiffsmaschine. Hier treten zwei neue Forderungen auf. Einmal die Reversierbarkeit für den Rückwärtsgang des Schiffes und ferner der Unterschied besonders in der Kriegsmarine zwischen forzierter Fahrt und Marschfahrt. Das Thema hat auch den Konstrukteuren anderer Turbinen viel Kopfzerbrechen verursacht und ist auf verschiedene Weise in Angriff genommen worden. Für die Reversierung ist bei den deutschen Turbinen eine besondere Rückwärtsmaschine vorgesehen worden. Bei dieser kommt es weniger auf den hohen Wirkungsgrad an. Es wurde nur verlangt, daß die Rückwärtsturbinen mit dem zur Verfügung stehenden Dampf 60 v. H. der Vorwärtsleistung ergeben. Ferner war hohe Betriebssicherheit nötig. Fällt doch hier jedes Anwärmen fort. Kommt doch die Rückwärtsturbine momentan unter vollen Dampfdruck und volle Temperatur, während umgekehrt die Vorwärtsturbine die hohe Temperatur plötzlich mit der des Vakuums vertauscht. Sehr viel schwieriger ist aber die Forderung nach Marschfahrt und forcierter Fahrt unter gleich günstigem Wirkungsgrade zu lösen. Die verschiedenen Konstrukteure haben sehr verschiedene Wege eingeschlagen. Bei der deutschen Turbine hat man sich in der Weise geholfen, daß man eine normalbeaufschlagte Turbine für die Marschfahrt vorsah, und durch besondere Ueberleitungsrohre, welche Frischdampf in die zweiten und dritten Schaufelkränze werfen können, die genügende Leistungssteigerung für die forzierte Fahrt bei gutem Wirkungsgrad erzielte. Es liegen z. Z. günstige Versuchsergebnisse über den Turbinendampfer „Kaiser“ der Hamburg-Amerika Linie vor. Der Dampfer hat im praktischen Dienst der Hamburg-Amerika Linie ein ganzes Jahr hindurch gut gearbeitet, und bei allen Messungen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und Manövrierfähigkeit gute Zahlen geliefert. Trotzdem ist es der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft geraume Zeit hindurch nicht möglich gewesen, den Schiffsturbinenbau weiter zu führen, weil zunächst ein enger Zusammenschluß zwischen den Turbinen, Propellern und der Formgebung des Schiffes erfolgen muß. Wie es dadurch, daß man Landturbinen und Dynamos sachgemäß aneinander anpaßte, gelungen ist, die Landturbine zu hoher Vollkommenheit zu bringen, so wird es auch notwendig sein, den Bau der Schiffsturbine mit dem der anderen wesentlichen Elemente des Schiffsbaues in eine Hand zu legen. H. Dominik.