Titel: Der Spannungszustand einfach geschlungener Drahtseile.
Autor: Friedrich Berg
Fundstelle: Band 322, Jahrgang 1907, S. 290
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Der Spannungszustand einfach geschlungener Drahtseile. Von Dipl.-Ing. Friedrich Berg, Ueberbau bei Darmstadt. Der Spannungszustand einfach geschlungener Drahtseile. I. Zweck und Ziel der Arbeit. Unterwirft man ein Drahtseil statischen Zugbelastungen, d. s. solche, bei denen dynamische Vorgänge nicht auftreten, so zeigt sich, daß die Längenänderungen den Belastungen nicht proportional sind. Ein Drahtseil befolgt also nicht das Hooke'sche Proportionalitätsgesetz. Auch dann, wenn an jedem der beiden Seilenden außer der achsialen Last noch je ein Kräftepaar wirkt, welches eine Aufdrehung des Seiles ganz oder teilweise verhindern soll, treten ähnliche Erscheinungen auf. Während aber bei anderen elastisch ungleich widerstehenden Körpern, wie bei Gußeisen oder Steinen, im allgemeinen die Verlängerungen oder die Dehnungen stärker wachsen wie die Kräfte oder die Spannungen, zeigen Drahtseile die Eigenart, daß bei wachsenden Belastungen die Elastizität abnimmt. Textabbildung Bd. 322, S. 289 Fig. 1. In einer Abhandlung „Beiträge zur Theorie der Drahtseile“Zeitschrift des österr. Ing.- und Arch.-Vereins 1904, Heft 30 und 31. hat Benndorf zunächst den Elastizitätsmodul der Spiraldrahtseile oder der Litzen auf rechnerischem Wege zu bestimmen gesucht. Dabei hat er für diese Seilart stillschweigend Voraussetzungen gemacht, welche ich durch nachfolgendes Bild (Fig. 1) wiedergeben möchte: Man schlinge um einen starren oder elastischen, festgehaltenen Zylinder einen vollen Gang eines schraubenartigen, fadenförmigen, vollkommen biegsamen Körpers, der also die Eigenschaft besitzt, in sämtlichen Querschnitten, senkrecht zur Schraubenlinie genommen, nur Normalkräften Widerstand zu leisten, und unterwerfe den Faden an den Enden A und B den in der Fig. 1 angedeuteten Kräften H und V. Bei Gleichgewicht des fadenförmigen Körpers werden an jedem Querschnitt nur Normalkräfte auftreten, so daß die gesamte innere Kraft jeweils in die Schraubentangente fällt. Oder wenn man den biegsamen Faden durch einen drahtartigen Körper ersetzt, so sollen die äußeren Kräfte H und V der Fig. 1 so bemessen sein, daß ihre Mittelkraft ebenfalls in die Tangente der Schraubenlinie bei A und B fällt. In beiden Fällen werden an den Berührungspunkten mit dem Zylinder radial nach außen gerichtete Pressungen hervorgerufen, die den Faden oder den Draht im Gleichgewicht halten. Diese Betrachtung führt dann bei Spiralseilen für den Fall, daß deren Aufdrehung durch eine geeignete Führung der Last verhindert wird, auf die einfache Beziehung \frac{\Delta\,l}{l}=\frac{\Delta\,l}{L}\cdot \mbox{cos}^2\,w, worin w der Flechtwinkel, L die Seillänge und l die dieser Seillänge entsprechende Drahtlänge ist. Aus dieser Beziehung wird dann gefolgert, daß der Elastizitätsmodul eines Spiralseiles sich bestimmen lasse, indem man den Elastizitätsmodul des Drahtes mit einem konstanten, nur durch die Konstruktion bedingten Faktor multipliziert. Benndorf's Theorie ergibt also einen konstanten Elastizitätsmodul für das Spiralseil. Dies steht aber im Widerspruch mit der Erfahrung. Auch Hrabák hat in seinem Buche „Die Drahtseile“ Berlin 1902, den Elastizitätsmodul auf analytischem Wege zu bestimmen gesucht. Er kommt jedoch infolge irrtümlicher Auffassung zu fehlerhaften SchlußergebnissenVergl. A. Werner, Zeitschr. d. österr. Ing.- und Architektenvereins 1902 und 1903.. Es sei an dieser Stelle noch erwähnt, daß ein umfangreiches Versuchsmaterial, welches wichtige Aufschlüsse über den Elastizitätsmodul zu geben vermag, von DivisšBerg- und Hüttenmännisches Jahrbuch, Wien 1904, S. 1. zusammengestellt worden ist. Leider fehlen aber Angaben über Spiralseile. Die vorliegende Arbeit verfolgt den Zweck, ohne die einschränkenden Annahmen Benndorf's unter möglichster Beachtung der tatsächlichen Verhältnisse, diejenigen Beziehungen zwischen dem inneren und äußeren Kräftezustande des Seiles zu ermitteln, die für das Spiraldrahtseil in Frage kommen. Es zeigt sich später, daß dieses Problem statisch unbestimmt ist, also die endgültige Lösung nach den Gesetzen der Statik unter Heranziehung der Regeln der Elastizitätslehre anzustreben ist. Das Ziel aller theoretischen Untersuchungen am Drahtseile wird immer sein, das eigentümliche, elastische Verhalten der Seile rechnerisch begründen und die Veränderlichkeit des Elastizitätsmoduls in seiner Abhängigkeit von den äußeren Kräften und den Seilmaterialien darstellen zu können. Die vorliegende Arbeit tut nur den ersten Schritt auf diesem Wege: Sie leitet aus bestimmten Voraussetzungen den inneren Kräfte- und Spannungszustand für die Drähte einfach geschlungener Seile ab. Der nächste anschließende Schritt müßte dann sein: Ermittlung der Formänderungen der Drähte aus dem so festgestellten Spannungszustande. Den Abschluß würde bilden: die Vereinigung der Formänderungen des Drahtes und der Seele zur Gesamtlängung des Seiles, mit deren Ermittlung auch zugleich der Elastizitätsmodul des ganzen Seiles gegeben wäre. II. Voraussetzungen der Untersuchung. 1. Die Untersuchung soll sich auf die einfachste Seilart, d.h. auf das einmal geschlungene Drahtseil, auch Spiralseil genannt, mit Hanfseele, beschränken. An dieser Stelle möchte ich noch bemerken, daß auch die Aufstellung der Theorie der zweimal geschlungenen Seile von mir bereits zu einem gewissen Abschluß gebracht worden ist. Die Mitteilung dieser Ergebnisse möchte ich mir für eine spätere Veröffentlichung vorbehalten. 2. Die Untersuchung hat Geltung für neue, aber bereits gut gestreckteVergl. Diviš, Berg- und Hüttenmänn. Jahrbuch, Wien 1904, S. 6., und auch für gebrauchte Seile. 3. Die Untersuchung wird durchgeführt für eine Stelle des Drahtseiles, die in so großer Entfernung vom Angriffspunkte der ruhig wirkenden Last liegt, daß der örtliche Einfluß des Angriffs der äußeren Kräfte vernachlässigt werden kann; oder: Es werden nur solche Querschnitte der Betrachtung unterworfen, die in jeder Beziehung, sowohl im belasteten, wie auch im unbelasteten Zustande des Seiles, gleich beansprucht sind, wie es bei den mittleren Teilen langer Seile vorkommt. Bei Messungen hat man daher genau darauf zu achten, daß die beiden Seilenden auf ein hinreichend langes Stück auszuschalten sind. 4. Jedes einzelne Drahtelement befolge trotz der starken Zug- und Biegungsbeanspruchungen, die es bei der Herstellung des Seiles erfährt, das Hooke'sche Proportionalitätsgesetz. 5. Die Achse eines Drahtes im Seile soll vor und während der Belastung je eine Schraubenlinie bilden. 6. Die neben den Normalkräften zwischen den einzelnen Drähten und den Hanflagen etwa auftretenden tangentialen Schub- oder Reibungskräfte sollen zur Vereinfachung dieser Untersuchung nicht in die Rechnung einbezogen werden. Diese tangentialen Kräfte am Umfange der Drähte können meines Erachtens bei einfach geschlungenen Drahtseilen mit Hanfeinlagen nicht erheblich sein. Denn die Hanfseele wird beim Dehnen des Seiles mitgenommen und ein Bestreben nach anderen relativen Lagenänderungen zwischen Seele und Draht kann in allen denjenigen Fällen kaum zustande kommen, wo eine Aufdrehung des ganzen Seiles verhindert wird; und diese Bedingung ist meistens erfüllt. Es ließe sich übrigens die analytische Darstellung auch auf den durch die Mitführung dieser tangential am Drahte wirkenden Kräfte erweiterten Fall ohne grundsätzliche Schwierigkeit ausdehnen. Allerdings dürfte der Wert der hieraus zu ziehenden etwaigen neuen Schlußfolgerungen ganz außer Verhältnis zu dem Aufwand an Mühe stehen. III. Geometrische Anordnung der Drähte im Seile. Bei der üblichen Herstellung gewöhnlicher Drahtseile in der Flechtmaschine sind für die Untersuchungen dieser Arbeit folgende Bewegungsvorgänge zu beachten: Die Drähte sind auf Spulen aufgewickelt, und diese Spulen werden in den sogenannten Stern der Maschine eingesetzt. Der Stern ist ein drehbares Gestell und trägt die an geeigneten Stellen verteilten Spulen in größerer oder geringerer Anzahl. Die Spulen besitzen eine dreifache Drehbewegung: Sie drehen sich mit dem Stern, beispielsweise in der Richtung des Uhrzeigers, um die Seilachse; sie drehen sich weiter um die Spulenachse, welche winkelrecht steht zur Seilachse, und endlich drehen sich die Spulen relativ zum Stern um eine Achse parallel zur Seilachse, und zwar hier entgegengesetzt dem Uhrzeiger. Die Drehbewegung der Spulen um ihre eigene Achse veranlaßt ein Abwickeln der Drähte und gestattet die Längsbewegung der Drahtelemente in Richtung der Seilachse. Gleichzeitig werden die Drähte durch die Drehbewegung der Spulen mit dem Stern um die Seilachse gelegt. Diese beiden Bewegungsvorgänge erfolgen proportional miteinander, so daß die Achsen der Drähte Schraubenlinien bilden, und die Drähte selbst als Schraubenfedern angesprochen werden können. Es ist bekannt, daß die Drähte mit großer Kraftaufwendung in der Seilmaschine um die Seele herumgelegt werden und daß ein fertig geflochtenes Seil an seinen Enden „abgebunden“ werden muß, um sein Aufspleißen zu verhindern. Das beweist, daß die Drähte eine gewisse anfängliche Spannung besitzen, ohne daß irgend welche äußere Kräfte auf das Seil einwirken; diese Spannungen rühren von der Herstellungsweise des Seiles her: Durch das ständige Herumlegen um die Seele wird der Draht zugleich verdreht. Diese Torsion wird aber wieder aufgehoben durch die dritte Drehbewegung in einer der Sterndrehung entgegengesetzten Richtung, so daß die Drähte eine nennenswerte Torsion aus diesem Grunde nicht aufweisen. Nähere Angaben hierüber sind im Abschnitt VII enthalten. Man unterscheidet ein-, zwei- und dreimal geflochtene Seile, je nachdem die Drähte einer ein-, zwei- oder dreimaligen Flechtung in der Seilmaschine unterliegen; die Achsen der Drähte bilden dann Schraubenlinien erster, zweiter oder dritter Ordnung. Meine Untersuchungen erstreckten sich auf die ein- und zweimal geschlungenen runddrähtigen Aufzugs- und Förderseile mit Hanf- oder Drahteinlagen. An dieser Stelle sollen jedoch nach Voraussetzung 1 ausschließlich die einmal geschlungenen Seile mit Hanfeinlage, im Folgenden häufig kurz Spiralseile genannt, behandelt werden. IV. Art der Belastung des Seiles. Die Formänderung des Seiles und der Drähte kann je nach Art der äußeren Kräfte auf verschiedene Weise hervorgerufen werden. Den nachstehenden Betrachtungen wird ausschließlich folgende Anordnung und Belastungsart zugrunde gelegt: An jedem Seilende wirke als äußere Kräftegruppe: 1. eine achsiale Zugkraft \frakfamily{Q}, und 2. ein Kräftepaar \frakfamily{M}, dessen Achse ebenfalls in die Längsachse des Seiles fällt. Eine solche Anordnung kann man sich vielleicht in folgender Weise verwirklicht denken: Auf zwei radial einander gegenüberliegende Drähte, die wie in Fig. 1 um einen Zylinder geschlungen und an dem oberen und unteren Ende an einem Querarm a (s. Fig. 2) in einer der Voraussetzung 3 im Abschnitt II genau angepaßten Weise befestigt sind, soll davon nur der Teilbetrag 2 Q und 2 Md entfallen, wo Q und Md die einem Drahte entsprechenden Belastungsanteile sind. 2 Md ist in Fig. 2 als Achsenstrecke aufgetragen, wobei der Pfeil hier und auch später immer so zu verstehen ist, daß für ein auf die Pfeilspitze blickendes Auge das Kräftepaar im Sinne des Uhrzeigers drehend erscheint. An einem beliebigen wagerechten Schnitt s-s werden alsdann an jedem Draht auftreten: 1. eine innere Kraft R und 2. ein inneres Kräftepaar Mr, die beide im allgemeinen nicht in die betreffende Schraubentangente fallen. Außerdem übt der Zylinder auf beide Drähte gleiche, aber radial entgegengesetzt gerichtete Pressungen aus. Diese inneren Pressungen sollen mit p bezeichnet und in kg auf das cm gemessen werden. An die Stelle des Zylinders tritt in der Praxis eine Hanf- oder Drahteinlage. Die Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchung behalten auch ihre Gültigkeit in dem Falle, wo die Pressungen nicht von einem Zylinder oder einer geeigneten Einlage ausgehen, sondern von Druckfedern herrühren, die radial zwischen den Drähten mit freibeweglichen Endpunkten liegen. Diese Druckfedern sind überall entlang den Drähten angeordnet zu denken und in der Figur durch radiale Pfeile angedeutet. In Wirklichkeit wird auch noch eine vom Zylinder an die Drähte übertragene Schubkraft oder Reibungskraft μ . p wirken; doch ist entsprechend der Voraussetzung 6, μ = 0, oder gleichbedeutend damit, reibungsfreies Gleiten der verschiedenen Teile aneinander angenommen. Auch wenn die Drähte einen gegenseitigen Druck aufeinander ausüben, lassen sich sämtliche äußeren Pressungen auf ein Drahtstück zu einer Gruppe radial gerichteter Resultanten zusammensetzen. Es soll daher unter p die auf ein Drahtstück wirkende resultierende Pressung in kg/cm verstanden werden, die sich aus der Seele-Drahtpressung und der Draht-Drahtpressung zusammensetzt. Textabbildung Bd. 322, S. 291 Fig. 2. In dem Falle, wo lediglich eine achsiale Zuglast \frakfamily{Q} oder, auf zwei Drähte bezogen, 2 Q wirkt, also 2 Md = 0 ist, wie z.B. bei Kranseilen ohne lose Rolle, wird man eine Verlängerung und gleichzeitig eine Verdrehung des ganzen Seiles beobachten. Bei Aufzugs- und Förderseilen dagegen ist die Last geführt, so daß eine Verdrehung des Seiles nicht eintreten kann. Man stellt sich dies am besten so vor, daß ohne Führung eine bestimmte Verdrehung eintritt, und daß, um diese wieder aufzuheben, ein zurückdrehendes Kräftepaar, das durch die Führung erzeugt wird, erforderlich wird. Wir haben also zu beachten, daß zu einer Verlängerung eines Drahtseiles ohne Drehung für je zwei zugeordnete Drähte eine achsiale Zugkraft 2 Q und ein bestimmtes Kräftepaar 2 Md erforderlich sind. Im allgemeinen tritt bei beliebigem 2 Q und 2 Md eine Verlängerung und eine Verdrehung ein. V. Begriff des Elastizitätsmoduls beim Drahtseil. Der Begriff „Elastizitätsmodul“ ist bei isotropen Körpern, die das Hooke'sche Proportionalitätsgesetz befolgen, eindeutig bestimmt. Dies ist nicht der Fall bei elastisch ungleich widerstehenden Stoffen; bei diesen ist in jedem einzelnen Falle anzugeben, was man unter „Elastizitätsmodul“ verstehen will. Es sollen zwei ganz gesonderte Fälle unterschieden werden. Zunächst wird in dieser Arbeit unter Elastizitätsmodul eines prismatischen, isotropen, elastisch ungleich widerstehenden, nur achsial belasteten Stabes folgendes verstanden: Eine Last Q rufe an dem Stabe von der Länge L eine Verlängerung ΔL hervor. Trägt man in einem rechtwinkligen Achsenkreuz als Abszissen die Werte \varepsilon=\frac{\Delta\,L}{L} und als Ordinaten die Werte \sigma=\frakfamily{Q}\,:\,F auf, worin F den ursprünglichen Stabquerschnitt bezeichnet, so erhält man eine Kurve (Fig. 3), deren Ansteigungsverhältnis in dem Punkte P tg\,\alpha=\frac{d\,\sigma}{d\,\varepsilon}=E', den Wert des Elastizitätsmoduls für die entsprechende Belastung liefert. Für Drahtmaterial, das dem Proportionalitätsgesetz gehorcht, geht diese Beziehung von selbst in die Gleichung des Hooke'schen Gesetzes tg\,\alpha=\frac{d\,s}{d\,\varepsilon}=\frac{\sigma}{\varepsilon}=E=\mbox{konst.} über. Der eben festgelegte Begriff des Elastizitätsmoduls E' läßt sich in erweiterter Form auch auf nicht prismatische Körper von ungleich widerstehendem Material, z.B. Drahtseile, anwenden. In diesem zweiten Fall jedoch würde der eben erklärte Begriff von E' noch unendlich vieldeutig sein, da die Verlängerung eines Seiles nach Abschnitt IV nicht nur von \frakfamily{Q}, sondern auch von \frakfamily{M} abhängt. Ein bestimmter Wert des Elastizitätsmoduls, der jetzt mit E'' bezeichnet werden soll, liegt also erst dann vor, wenn außer der achsialen Last \frakfamily{Q} auch das äußere, in die gleiche Achse fallende Moment \frakfamily{M} gegeben ist. Unter dem Einfluß der beiden Belastungen wird sich das Seil um ein bestimmtes ΔL und Δφ längen und verdrehen, so daß zu schreiben ist: \Delta\,L=f\,(\frakfamily{Q},\ \frakfamily{M}), \Delta\,\varphi=f_1\,(\frakfamily{Q},\ \frakfamily{M}), worin Δφ der Winkel ist, um den sich der Seilquerschnitt am Lastende gegen den am festen Ende verdreht. E'' für diesen letzten Fall kann nunmehr ebenfalls unter Beibehaltung der Fig. 3 durch die Gleichung tg\,\alpha=\frac{d\,\sigma}{d\,\varepsilon}=E'' erklärt werden, sofern das Kräftepaar \frakfamily{M} einer bestimmten Bedingung, z.B. \frakfamily{M}=0 bei Kranseilen ohne lose Rolle, oder Δφ = 0 bei Förderseilen unterworfen wird. Die Ordinaten der Fig. 3 sind dabei die Werte \frakfamily{Q}\,:\,F, wo F die Summe der Drahtquerschnitte bezeichnet, senkrecht genommen zu den einzelnen Schraubenlinien (F wird in der Folge als summarischer Drahtquerschnitt bezeichnet). Für ein mittleres Stück (vergl. Voraussetzung 3) eines Drahtseiles ist ε nicht gleich \frac{\delta\,L}{L} zu setzen, sondern \varepsilon=\frac{\Delta\,h}{h}, wo h die Ganghöhe des Seiles ist. Man schaltet so den störenden Einfluß der Seilenden, die wegen der Befestigungsstellen oben und unten gegen die Voraussetzung 3 verstoßen, aus. Textabbildung Bd. 322, S. 291 Fig. 3. Diese Festlegung von E'' geht hinsichtlich der Werte \sigma=\frakfamily{Q}\,:\,F von der durch die Erfahrung bestätigten Annahme aus, daß eine Hanfseele sich nur in sehr geringem Maße an dem eigentlichen Tragen der lotrecht wirkenden Zugkräfte beteiligt. Hat die Seele etwa gleichen Querschnitt wie die Drähte zusammen, so trägt sie erfahrungsmäßig etwa nur 1 : 100 der Gesamtlast; in fast gleichem Verhältnis, nämlich von etwa 10000 durch 1000000 stehen, nebenbei bemerkt, auch die Mittelwerte der Elastizitätsmoduln von Hanf- und Drahtseilen. Man ist nach den bisherigen Erfahrungen wohl berechtigt, als wirksamen oder tragenden Querschnitt den oben bezeichneten summarischen Drahtquerschnitt F=\frac{i\cdot \delta^2\,\pi}{4} zu benutzen, worin i die Drahtzahl, und δ die Drahtdicke bedeutet. VI. Ableitung des Kräftezustandes eines belasteten Seiles aus den Gleichgewichtsbedingungen. Textabbildung Bd. 322, S. 292 Fig. 4. Textabbildung Bd. 322, S. 292 Fig. 5. In Fig. 4 bedeutet ds ein unendlich kleines Drahtelement, das durch zwei benachbarte Normalebenen der von der Drahtachse gebildeten Schraubenlinie aus dem Draht herausgeschnitten ist. Am oberen Ende in A wirkt die im Schwerpunkte des Drahtquerschnittes angreifende innere Kraft R (vergl. Abschnitt IV), deren drei rechtwinklige Komponenten sind: K, in Richtung der Tangente an die Schraubenlinie, S, in Richtung der Binormalen, also senkrecht zur Schmiegungsebene, T, in Richtung des Zylinderradius (oder der Hauptnormalen der Schraubenlinie). Nach Voraussetzung 3 treten dann in dem unendlich benachbarten Querschnitt B, in den entsprechenden Richtungen, aber in entgegengesetztem Sinne, ebenfalls die Kräfte K, S und T auf. Außer der inneren Kraft R wirkt aber in den beiden Querschnitten A und B noch je das innere Kräftepaar Mr, das nach Fig. 5 je in drei Komponenten Mτ, Mβ und Mγ von gleicher Richtung wie K, S und T zerlegt werden soll. Die Kräfte S und T liegen in der Ebene des Drahtquerschnittes, während K senkrecht hierzu steht. S und T sind also Schubkräfte, K Normalkräfte in jedem der beiden Querschnitte. Die Kräftepaare Mβ und Mγ beanspruchen das Drahtelement auf Biegung, Mτ ruft Verdrehung hervor. Die Pressungen pds fallen in die Richtung der Hauptnormalen der Schraubenlinie. Für eine Schraubenlinie und den zugehörigen Schraubenzylinder gelten folgende Beziehungen:Des Ingenieurs Taschenbuch, Hütte, 1899, S. 124. Der Radius der ersten Krümmung ist: \rho_1=\frac{r}{\mbox{sin}^2\,w}, der Radius der zweiten Krümmung: \rho_2=\frac{r}{\mbox{sin}\,w\cdot \mbox{cos}\,w}. Die Bedeutung der Größen r und w für das Drahtelement ist aus Fig. 5 ersichtlich. Es ist O1A = O2B = r der Radius des Schraubenzylinders und w der Flechtwinkel des Spiralseiles. Mit dτ werde, wie üblich, der Krümmungswinkel der Schraubenlinie, d. i. der Winkel, den zwei unendlich benachbarte Tangenten miteinander einschließen, bezeichnet. ist der Torsionswinkel oder die Verdrehung zweier unendlich benachbarter Binormalen der Schraubenlinievergl. Fiedler, die Theorie der Kurven doppelter Krümmung.. Nach diesen Vorbereitungen gewinnt man für den Belastungszustand auf Grund des Gleichgewichtes des Drahtelementes die im folgenden entwickelten Gleichungen: (Schluß folgt.)