Titel: Neuerungen aus einigen Gebieten der Starkstromtechnik.
Autor: K. Kahle
Fundstelle: Band 323, Jahrgang 1908, S. 71
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Neuerungen aus einigen Gebieten der Starkstromtechnik. Von Regierungsrat Dr. K. Kahle, Charlottenburg. (Fortsetzung von S. 59 d. Bd.) Neuerungen aus einigen Gebieten der Starkstromtechnik. Wesentlich schwieriger als den Ueberströmen ist den Ueberspannungen beizukommen, die teils von atmosphärischen Entladungen herrühren, teils im Netze selbst entstehen. Die Kenntnis dieser verwickelten Erscheinungen hat sich mit der Zunahme und Ausdehnung der elektrischen Kraftübertragungsanlagen immer mehr vertieft und ist gegenwärtig auf einem Stande angelangt, der aus einigen kürzlich vor dem American Industrie of Electrical Engineers gehaltenen Vorträgen gut zu übersehen ist. Dort hat zunächst SteinmetzProc. American Inst. El. Eng. 1907, S. 303. über diese Erscheinungen, ihre Wirkungen und die erforderlichen Gegenmittel im allgemeinen gesprochen. Er faßt die atmosphärischen Entladungen und die Ueberspannungen zusammen als Erscheinungen abnormer Spannung und Frequenz und unterscheidet: 1. konstante und allmählich ansteigende Ladungen, 2. plötzliche Störungen und fortschreitende Wellen und 3. stehende Wellen oder elektrische Schwingungen. Die Störungen erster Art sind meistens auf atmosphärische Einflüsse zurückzuführen. Sie entstehen in Freileitungen, gegen die der Wind dauernd Regen, Schnee oder Nebel treibt, der seine Ladung an die Leitung abgibt. Auch die Influenz vorüberziehender geladener Wolken kann eine Anhäufung von Elektrizität auf den Freileitungen bewirken. Ferner können erhebliche Ladungen zustande kommen, wenn die Leitungen beispielsweise beim Ueberschreiten eines Gebirges Luftschichten von verschiedener Ladung durchziehen. In allen diesen Fällen lagert sich die den Leitern von außen allmählich mitgeteilte Ladung über die Spannung des Nutzstroms und nimmt derartig hohe Beträge an, daß die Isolation durchschlagen wird. Man verhindert solche Durchschläge, indem man den Leitungen an bestimmten Stellen mit Erde verbundene Elektroden gegenüberstellt, über die sich die Ladung nach der Erde ausgleichen kann. Nur ist dafür zu sorgen, daß der Ausgleich nicht zu plötzlich erfolgt, da sonst leicht schwerere Störungen eintreten können. Findet die Ladung der Leitung nicht, wie bisher angenommen allmählich, sondern plötzlich, z.B. durch einen Blitzschlag statt, so gibt sie Veranlassung zum Entstehen von fortschreitenden Wellen, die sich, wie die Wellen im Teiche beim Hineinwerfen eines Steines, je nach den Umständen nur an einer Stelle oder über den ganzen Umfang des Leitungssystems bemerkbar machen. Es ist dies der zweite der von Steinmetz angenommenen Fälle. Gelangen solche Wellen bis zur Station, wo die Leitung endet, so branden sie dort und machen sich in Funken und Büschelentladungen bemerkbar. Sie werden an der Station reflektirt und erzeugen so in den Leitungen die stehenden Wellen, die oben an dritter Stelle genannt sind. Solche plötzlichen Potentialänderungen finden aber nicht nur bei direktem Blitzschlag, sondern bei weitem häufiger dann statt, wenn sich zufolge einer in der Nähe zwischen den Wolken oder zwischen Wolke und Erde erfolgenden elektrischen Entladung des Potential der in der Nähe der Leitung befindlichen Wolken ändert und dadurch plötzlich eine andere Potentialverteilung in der Leitung hervorruft. In gleicherweise wirkt jede plötzliche Abführung einer langsam auf der Leitung entstandenen Ladung und zum Beisp., wenn die Abführung zur Erde über einen selbst abreißenden Lichtbogen erfolgt, der explosionsartig den Abfluß der Elektrizität zur Erde unterbricht und so eine plötzliche Rückstauung der bewegten Elektrizitätsmengen bewirkt. Auch durch den Betrieb der Anlage können solche plötzlichen Stöße entstehen, die zu fortschreitenden Wellen Veranlassung geben, so durch plötzliche Belastungsänderungen, durch Einschalten unbelasteter Transformatoren und Kabel usw. Die dritte und letzte Art der Störungen, die stehenden Wellen, haben ihren Grund stets in irgend einer der bisher betrachteten Erscheinungen. Jede plötzliche Potentialänderung löst, wie wir sahen, einen Zug fortschreitender Wellen aus, der, wenn er auf irgend ein Hindernis stößt, reflektiert wird und nun zur stehenden Welle wird. Es bilden sich aber nicht regelmäßige Schwingungen aus, es sind vielmehr Schwingungen der verschiedensten Periodenzahl einander überlagert, von denen sich je nach den elektrischen Eigenschaften des Netzes die eine oder andere stärker entwickeln wird. Die Schwingungen höherer Periodenzahl bleiben örtlich begrenzt, machen sich nur in Lichterscheinungen bemerkbar und sind weniger schädlich. Am gefährlichsten sind die Schwingungen, deren Periodenzahl der des Nutzstroms nahe kommt, sie umfassen das ganze System und lassen die ganze darin aufgespeicherte Energie hin- und herwogen. Gerade hierin liegt ihre große Zerstörungskraft, die sich nicht nach dem Betrage der die ursprüngliche Ursache bildenden Störung, sondern nach der Netzenergie bemißt. Durch das Hin- und Herwogen der Netzenergie wird die Spannung erheblich über ihren normalen Wert erhöht, es bilden sich die sogen. „Ueberspannungen“ aus, deren Gefährlichkeit jedem Hochspannungstechniker geläufig ist. Große Verherungen haben solche Ueberspannungen in ausgedehnten Stromverteilungsanlagen angerichtet, wenn sie sich infolge eines an einer Stelle auftretenden Kurzschlusses ausbildeten. Der Kurzschluß läßt alle Energie nach einer Stelle hinströmen, dieser Zufluß wird plötzlich durch das Funktionieren der Sicherungen oder selbsttätigen Ausschalter unterbrochen, und nun ist die gesamte Energie des Systems in Bewegung und gibt zu Durchschlägen an den Maschinen und Kabeln und neuen Kurzschlüssen Veranlassung, so daß das ganze System zusammenbrechen kann. Wie schützt man sich nun gegen diese Erscheinungen abnorm hoher Spannung und Frequenz? Zunächst dadurch, daß man ihr Zustandekommen verhindert, indem man die Luftleiter nicht an exponierten Stellen führt oder sie mit geerdeten Schutzdrähten umgibt und auch dafür Sorge trägt, daß durch den Betrieb selbst keine Störungen eintreten. Sie kommen aber trotz dieser prophylaktischen Mittel zustande, und dann kommt alles darauf an, sie, ehe sie einen gefährlichen Charakter angenommen haben, so zu beseitigen, daß dadurch nicht wieder neue Störungen entstehen. Textabbildung Bd. 323, S. 71 Fig. 39. In Deutschland benutzt man zur Ableitung der durch äußere Ursachen erfolgten Ladungen und der Ueberspannungen in der Regel den bekannten Siemensschen Hörnerblitzableiter (Fig. 39), d.h. eine einerseits mit der zu schützenden Leitung L andererseits mit Erde E verbundenen Funkenstrecke F, deren beide Elektroden mit einem nach außen gekrümmten Hörn H verbunden sind. Hat die Ladung der Leitung einen bestimmten Betrag erreicht oder läuft an der Leitung eine Spannungswelle von bestimmtem Betrage entlang, so wird die Funkenstrecke durchschlagen, es bildet sich ein Lichtbogen, der zufolge thermischer und elektrodynamischer Wirkung an den Hörnern emporwandert und dort zerreißt und so ein Nachfolgen des Linienstroms verhindert. Es besteht jedoch die Gefahr, daß der Abfluß der Elektrizität zu plötzlich unterbrochen wird und eine gefährliche Rückstauung der in Bewegung begriffenen Elektrizität eintritt. Man schaltet daher in Reihe mit der Funkenstrecke einen Widerstand, der den Abfluß allmählicher macht und dadurch die schädlichen Folgen beseitigt, aber gleichzeitig die Wirkung verringert. In Amerika benutzt man an Stelle der einfachen Funkenstrecken mehrfache, die aus einer Reihe von kurzen Metallzylindern zusammen zu setzen sind, so daß die Energie der abfließenden Elektrizität auf mehrere hintereinander geschaltete Funkenstrecken verteilt wird (Fig. 40). Das Stehenbleiben des Lichtbogens wird bekanntlich bei diesen Blitzschutzvorrichtungen, deren Wirkungsweise Rushmore und DuboisProc. Am. Inst. El. Eng. 1907, S. 347. unter Benutzung der neuesten Erfahrungen vor dem American Institute behandelten, durch Wahl eines besonderen Elektrodenmetalls (in der Regel Zink) verhindert, dessen Dämpfe sich schnell abkühlen, so daß der bei einer bestimmten Spannung gebildete Lichtbogen nicht wieder entstehen kann, wenn die Spannung einmal auf Null gesunken ist. Solche Blitzableiter sind natürlich nur für Wechselstromanlagen geeignet, da nur dort die Spannung den Wert Null annehmen kann. Der Elektrodenabstand (etwa ¾ mm) ist so gewählt, daß der Scheitelwert der Netzspannung die Funkenstrecke nicht zu überschlagen vermag. Tritt eine abnorme Spannung auf, so entladet sie sich über die Elektrodenreihe und stellt solange einen Stromweg her, wie die Ueberspannung besteht. Liegen wieder normale Verhältnisse vor, so erlischt der Lichtbogen allmählich, wenn die Netzspannung zum ersten Male durch Null geht. Er kann sich nun nicht wieder bilden, da zufolge des niedrigen Verdampfungspunktes der Elektroden und der schnellen Wärmeabgabe des Dampfes, dessen Leitfähigkeit so weit gesunken ist, daß der nach einer Viertelperiode wieder vorhandene Scheitelwert der Spannung zum Zustandekommen eines Funkenstroms nicht mehr ausreicht. Textabbildung Bd. 323, S. 71 Fig. 40. Dies Eintreten der Entladung an einer solchen Reihe von Elektroden hängt nicht nur von der Spannung, sondern auch von der Periodenzahl der abzuführenden Ueberspannungen ab und zwar werden die in Reihe liegenden Funkenstrecken um so leichter durchschlagen, je höher die Periodenzahl ist. Wir sahen aber oben, daß sich je nach den Umständen Ueberspannungen verschiedener Periodenzahl ausbilden. Um daher Ueberspannungen beliebiger Periodenzahl bei der höchstzulässigen Spannung abzuführen, wendet man mehrere parallel geschalteter Reihen mit allmählich steigender Zahl der Funkenstrecken an und schaltet den einzelnen Reihen Widerstände aus Kohlenstäben vor, die um so größer sind, je kleiner die Zahl der Funkenstrecken ist (Fig. 41). Da bekanntlich die elektrischen Schwingungen mit zunehmender Periodenzahl eher eine Funkenstrecke überspringen, als über einen parallel dazu liegenden Widerstand durchlaufen, so wird dadurch erreicht, daß die Ueberspannungen hoher Erregung über die nur Funkenstrecken enthaltenden Reihen verlaufen und mit abnehmender Erregung sich Wege wählen, die immer mehr Widerstand und weniger Funkenstrecken enthalten. Textabbildung Bd. 323, S. 71 Fig. 41. Wie bereits hervorgehoben, eignet sich diese Art von Blitz- und Ueberspannungssicherungen nur für Wechselstrom, da bei Gleichstrom der Nutzstrom dauernd über die durch die Ueberspannung leitend gemachten Funkenstrecken folgt und deren Elektroden verbrennt. Für Gleichstrom war man bisher auf den Siemensschen Hörnerblitzableiter oder auf die sogen. Wasserstrahlerder angewiesen, bei denen die zu schützende Leitung dauernd über einen feinen Wasserstrahl von hohem Widerstand mit Erde verbunden ist, so daß ohne wesentliche Schwächung des Nutzstromes die Ueberspannungen dauernd zur Erde abfließen können. An Stelle dieser Wasserwiderstände werden auch andere hohe Widerstände benutzt. In allerletzter Zeit hat man in Amerika eine neue Lösung dieser Aufgabe in dem elektrolytischen Blitzableiter gefunden, über den CreightonProc. Am. Inst. El. Eng. 1907, S. 383. vor dem American Institute berichtete. Man benutzt hierzu die sogen. elektrolytische Ventilzelle, die bekanntlich aus einer Aluminiumanode und einer beliebigen indifferenten Kathode in einem Elektrolyten, z.B. verdünnte Alaunlösung besteht. Derartige Zellen lassen bei geeigneter Auswahl der Elektrolyten einen Gleichstrom bis zu 100 Volt und mehr zufolge der sich auf der Aluminiumanode bildenden isolirenden Oxydhaut nicht durch, erst bei höheren Spannungen findet ein Durchbrechen der Isolationsschicht statt. Schaltet man nun je nach der Spannung, die die zu schützende Leitung führt, mehrere solcher Zellen zwischen Leitung und Erde, so läßt es sich einrichten, daß der normalen Spannung der Weg nach Erde erschlossen, der Ueberspannung aber unter Durchschlagung der isolierenden Oxydhaut offen ist. Nach Creighton lassen sich die Zellen so zusammensetzen, daß der Stromweg nach Ueberschreitung der kritischen Spannung nur 1/10000 des Widerstandes besitzt, den er unterhalb dieser Spannung aufweist. Das Prinzip dieser Schutzvorrichtung ähnelt dem der Siemensschen Ueberspannungsicherung, bei der zwei Metallelektroden durch ein dünnes Glimmerblättchen getrennt sind, das bei Eintreten einer Ueberspannung durchschlagen wird. Textabbildung Bd. 323, S. 72 Fig. 42. Ueberholt scheint dieser elektrolytische Blitzableiter nach dem Vortrage von Creighton durch den Blitzableiter mit Flüssigkeitselektrode zu sein. Hier befinden sich, wie Fig. 42 schematisch zeigt, dicht über der Oberfläche einer leitenden, ihrer Zusammensetzung nach nicht angegebenen Flüssigkeit F zwei Metallelektroden E, von denen die eine an die zu schützende Leitung, die andere an Erde gelegt ist. Man erhält also zwei in Reihe liegende Funkenstrecken, die sich aber wesentlich anders verhalten, wie die oben betrachteten, aus Metallelektroden gebildeten Funkenstrecken. Creighton vergleicht eine aus vier im Abstand von ¾ mm befindlichen Metallelektroden gebildeten Blitzableiter mit zwei in Reihe geschalteten Blitzableitern mit Flüssigkeitselektrode, der ebenfalls in einem Abstand von ¾ mm Metallelektroden gegenüberstehen. Die Ueberschlagsspannung liegt für beide Vorrichtungen zwischen 5000 und 6000 Volt. Aber wesentlich verschieden sind die Spannungen, unter denen in beiden Fällen der der Entladung folgende Linienstrom bestehen kann. Ist die Flüssigkeit Kathode – und dies ist sie stets unabhängig von der Stromrichtung gegenüber einer der beiden Metallelektroden – so sind für jede Zelle etwa 1500 Volt erforderlich, um einen Lichtbogen zwischen Flüssigkeit nach der anodischen Metallelektrode zu unterhalten. Sind jedoch nur Metallelektroden vorhanden, wie in dem zuerst betrachteten Falle, so genügen schon 16 Volt, um den Lichtbogen aufrecht zu erhalten. Das Verhältnis zwischen Ueberschlagsspannung und Lichtbogenspannung beträgt also unter den oben angegebenen Verhältnissen für den Blitzableiter mit Flüssigkeitselektrode 1,8 und für den Blitzableiter mit Metallelektrode 80. Hieraus erhellt die große Ueberlegenheit des Blitzableiters mit Flüssigkeitselektrode hinsichtlich der Nachfolgen des Linienstroms, der bereits erlischt, wenn die Spannung auf die Hälfte der kritischen Spannung gesunken ist, während hierzu beim Blitzableiter mit Metallelektroden ein Zurückgehen der Spannung auf den 80. Teil ihres kritischen Wertes erforderlich ist. Eine andere Anwendungsweise des Blitzableiters mit Flüssigkeitselektrode ergibt sich, wenn die Metallelektroden in die Flüssigkeit eintauchen. Erfolgt eine Entladung von beträchtlicher Energie durch eine solche Stelle, so wird infolge der hohen Stromdichte an den Elektroden die Flüssigkeit dort fortgeschleudert, so daß sich, wie im vorigen Falle, Lichtbogen zwischen den Metallelektroden und der Flüssigkeit bilden. In dieser Ausführungsform ist dem Blitzableiter eine Funkenstreke vorzuschalten, die den dauernden Uebergang des Linienstroms verhindert. Die Länge dieser Funkenstrecke richtet sich nach der Spannung, die in der Leitung zugelassen ist, und die Zahl der zugehörigen Flüssigkeitszellen ist so zu bemessen, daß die Summe der Lichtbogenspannungen der einzelnen Zellen höher ist als die Ueberschlagsspannung an der Funkenstrecke. Unter diesen Umständen findet sofort nach Bildung der Lichtbogen eine Unterbrechung des nachfolgenden Linienstromes statt. Die Stärke des Stromes, mit dem der Ausgleich der Ueberspannung sich vollziehen soll, richtet sich nach der Eintauchtiefe der Elektroden. (Fortsetzung folgt.)