Titel: Die Entwicklung der Kettenzüge.
Autor: Kammerer
Fundstelle: Band 323, Jahrgang 1908, S. 481
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Die Entwicklung der Kettenzüge. Von Kammerer, Charlottenburg. Die Entwicklung der Kettenzüge. Die kennzeichnende Eigenschaft eines Kettenzuges (Flaschenzuges) ist seine Tragbarkeit; die Aufgabe des Konstrukteurs besteht also kurzgesagt darin, eine bestimmte Hubleistung mit einem Mindestmaß von Eigengewicht zu erreichen. Im Laufe der Zeit ist eine außerordentlich große Zahl von Lösungen dieser Aufgabe aufgetaucht, von allen diesen haben aber nur drei Konstruktionen allgemeine Verbreitung gefunden. Die erste brauchbare Lösung erstand in dem Differential-Kettenzug des Engländers Weston aus dem Jahre 1861. Die Einfachheit dieser Konstruktion ist unübertrefflich: zwei zusammengegossene Kettenräder lose drehbar auf einem Bolzen sitzend, bilden im Zusammenhang mit einer Losrolle das ganze Triebwerk. Die Lastkette wird gleichzeitig als Handkette benutzt, so daß das Kettenrad für letztere entfällt. Eine Bremse ist nicht erforderlich, weil der Wirkungsgrad unter 0,5 liegt, das Triebwerk also Selbstbremsung besitzt. Das Eigengewicht eines solchen Differential-Kettenzuges von 1000 kg Tragkraft beträgt ohne Kette 15 kg und mit Kette für 5 m Hub 34 kg, der Preis für 5 m Hub 52 M. Der Wirkungsgrad ist gering – unter 0,30 –, die Hubgeschwindigkeit daher sehr klein. Die Lebensdauer ist ebenfalls gering, weil der Kettenweg ein vielfaches des Hubes beträgt, so daß eine starke Abnutzung der Kette und der Kettenräder eintritt. Der Differential-Kettenzug wurde verdrängt durch den Schnecken-Kettenzug mit Lastdruckbremse, der durch Becker im Jahre 1880 eingeführt wurde. Durch die Bremse wurde die Selbsthemmung überflüssig, es konnten daher Triebwerke mit Wirkungsgraden über 0,5 verwendet werden. Die üblichen zweigängigen Schneckengetriebe haben für sich allein einen Wirkungsgrad von etwa 0,65; für das ganze Triebwerk, bestehend aus Losrolle, Kettennuß, Schnecke und Handkettenrad ergibt sich ein Wirkungsgrad von etwa über 0,5, also etwa doppelt so hoch wie bei Differential-Kettenzügen. Dementsprechend ist die Hubgeschwindigkeit doppelt so groß; die Uebersetzung kann daher auf die Hälfte beschränkt werden. Das Eigengewicht eines Schnecken-Kettenzuges von 1000 kg Tragkraft beträgt ohne Kette 22 kg und mit Kette für 5 m Hub 42 kg, der Preis für 5 m Hub 82 M. Das Eigengewicht ist also um rd. 30 v. H. höher als beim Differential-Kettenzug. Die Lebensdauer ist wesentlich größer, da der Kettenweg nur das Doppelte des Hubes beträgt. Es lag nahe, auf dem beschrittenen Weg weiter zu gehen, d.h. die Hubgeschwindigkeit durch weitere Steigerung des Wirkungsgrades zu vergrößern. Der Ersatz des Schneckengetriebes durch Stirnräder war das gegebene Mittel. Tatsächlich tauchten auch Stirnrad-Kettenzüge mit Lastdruckbremse sehr bald nach Einführung der Schnecken-Kettenzüge auf. Sie wurden aber nur für geringe Tragkraft – meist bis zu 500 kg – gebaut, weil darüber hinaus die Stirnräder zu schwerfällig ausfielen. Man verwendete nämlich anfangs ebenso wie bei Standwinden Stahlguß-Stirnräder mit mäßiger Beanspruchung, die über eine Zahnpressung von \frac{P}{b\,\cdot\,t}=25 nicht hinausging. Erst als der Fortschritt auf einem anderen Gebiet – dem Kraftwagenbau – Stirnräder aus hochwertigem Material, nämlich Nickelstahl, zur Verfügung stellte, wurde der Stirnrad-Kettenzug für große Tragkraft möglich. Naturgemäß war eine sorgfältige Durchbildung der Lastdruckbremse hier durchaus notwendig. Textabbildung Bd. 323, S. 481 Fig. 1.Kettenzug von Windhoff. Fig. 1 stellt den von der Firma Hans Windhoff in Berlin auf Grund dieser Ueberlegung konstruierten Stirnrad-Kettenzug dar. Das Ritzel ist mit der Welle aus einem Stück Nickelstahl geschnitten; das Gegenrad ist mit einem aufgezogenen Kranz aus Nickelstahl ausgeführt. Die Zähne sind schräg geschnitten, so daß ein achsialer Druck entsteht, der für die Betätigung der Bremse benutzt wird. Letztere ist als Lamellenbremse mit sorgfältiger Schmierung ausgeführt, um eine reichlich große Reibfläche zu schaffen, so daß die Abnutzung sehr gering wird. Die Lamellenbremse gewährt den Vorteil, daß der Sicherheitsüberschuß durch entsprechende Wahl der Lamellenzahl beliebig eingestellt werden kann. In Fig. 2 ist die Bremse für sich wiedergegeben. Textabbildung Bd. 323, S. 482 Fig. 2.Lastdruckbremse von Windhoff. Das Eigengewicht eines Windhoff-Kettenzuges von 1000 kg Tragkraft beträgt ohne Kette 22 kg und mit Ketten für 5 m Hub 42 kg. Zur Feststellung des Wirkungsgrades dieser Konstruktion wurden vergleichende Versuche ausgeführt. Da einfache Belastungsversuche zu unsicheren Ergebnissen führen, weil man dabei leicht den Reibungskoeffizienten der Ruhe statt den der Bewegung mißt, so wurden die zu prüfenden Kettenzüge durch einen Elektromotor angetrieben und zwar in der Weise, daß das Handkettenrad durch eine hölzerne Riemscheibe ersetzt wurde. Die dem Elektromotor zugeführte Leistung wurde durch Präzisionsstrom- und Spannungsmesser festgestellt; der Wirkungsgrad des Elektromotors wurde durch Bremsversuche gemessen. Die Hubgeschwindigkeit wurde an einem Umdrehungszähler abgelesen. Diese Prüfung bot den Vorteil, daß der Beharrungszustand genau beobachtet und die Leistung sicher gemessen werden konnte; auch konnten Ausführungsfehler in der Genauigkeit der Nuß oder der Kettenteilung sehr leicht festgestellt werden, während dies bei Handbetrieb kaum gelungen wäre. Auf diese Weise wurden drei Kettenzüge untersucht: ein Schneckenzug, ein Stirnradzug mit Stahlgußrad und ein Stirnradzug mit Nickelstahlrad. Sämtliche drei Züge hatten eine Tragkraft von 1000 kg und waren mit Losrolle und mit Rundeisenkette ausgeführt. Das Eigengewicht ohne Ketten betrug bei dem Schneckenzug 22 kg, bei dem Stahlgußradzug 38 kg und bei dem Nickelstahlradzug 22 kg. Der letztere wog also nicht mehr als der Schneckenzug. Die Kettenstärke betrug bei allen Zügen 11 mm, entsprechend einer Zugbeanspruchung von 260 kg/qcm. Die Uebersetzung der Schnecke betrug \frac{2}{22}=\frac{1}{11}, der Stahlgußräder \frac{5}{42}=\frac{1}{8,4} und der Nickelstahlräder \frac{9}{8,8}=\frac{1}{9,8}; die Kettennuß hatte einen Durchmesser von 80 mm mit vier Zähnen bei dem Schneckenzug, bezw. von 75,7 mm mit vier Zähnen bei dem Stahlgußradzug und von 98 mm mit fünf Zähnen bei dem Nickelstahlradzug. Das Stahlguß-Stirnrad war mit unbearbeiteten Zähnen ausgeführt, das eingreifende Stahlritzel hatte geschnittene und gehärtete Zähne. Die Teilung betrug 6 π mm, die Zahnbreite 33 mm, also das 1,75 fache der Teilung. Da die Zähne des großen Rades unbearbeitet sind, so würde eine größere Breite nutzlos sein. Die Zahnpressung erreichte nur den Wert von \frac{P}{b\,t}=24. Bei der geringen Zahl von 5 Zähnen des Ritzels ist immer nur ein Zahn im Eingriff, so daß eine Steigerung der Zahnpressung über 24 hinaus nicht zulässig wäre. Bei dem zweiten Stirnradzug war das große Rad mit einem aufgezogenen Kranz aus Automobil-Nickelstahl mit geschnittenen und gehärteten Zähnen ausgerüstet; das Ritzel bestand aus dem gleichen Material und war ebenfalls gehärtet. Die Teilung war zu 2 π mm, die Zahnbreite zu 25 mm, also dem vierfachen der Teilung ausgeführt. Diese große Breite ist mit Rücksicht auf die genaue Bearbeitung der Zähne durchaus zulässig. Die Zahnpressung steigt auf den hohen Wert von \frac{P}{b\,t}=177. Dieser hohe Wert ist aber durchaus berechtigt, denn einmal stehen wegen der gegenüber dem Stahlgußzug fast doppelt so großen Zähnezahl 9 des Ritzels und wegen der Schrägstellung der Zähne immer wenigstens zwei Zähne im Eingriff, so daß die Zahnpressung tatsächlich nur den Wert von \frac{177}{2}=88 erreicht, der für gehärteten Nickelstahl ohne weiteres zulässig ist. Die Schrägzähne verhalten sich abgesehen von der allmählichen Belastung und Entlastung auch darum günstiger, weil die Belastungslinie des Zahnes nicht eine Parallele zur Achse wie bei den gewöhnlichen Zähnen, sondern eine Schräge zur Achse bildet; infolgedessen fällt die Resultante der Belastungslinie bei den Schrägzähnen viel näher an den Teilkreis als bei gewöhnlichen Zähnen; der Hebelarm des Biegungsmomentes wird daher bei Schrägzähnen niemals gleich der Zahnhöhe, sondern höchstens halb so groß, mithin steigt auch die Biegungsbeanspruchung nur auf den halben Wert. Dieser Nickelstahlzug zeigt somit, wie außerordentlich viel durch geeignete Wahl der Verhältnisse und des Materials gewonnen werden kann. Textabbildung Bd. 323, S. 482 Fig. 3.Wirkungsgrade von Kettenzügen. Nutzlast Q. Die geschilderte Prüfung der drei Kettenzüge lieferte die in Fig. 3 dargestellten Wirkungsgrade. Bei höchster Belastung steigt der Wirkungsgrad des Schneckenzuges auf 0,52, der des Stahlgußzuges auf 0,73 und der des Nickelstahlzuges auf 0,77. Bei halber Belastung fallen die Wirkungsgrade auf 0,42 bezw. 0,65 und 0,75. Bei weiterer Verminderung der Last auf ein Viertel sinken die Wirkungsgrade auf die Werte 0,34 – 0,58 – 0,74. Bei dem Schneckenzug fällt also der Wirkungsgrad sehr rasch mit abnehmender Belastung, während er bei dem Nickelstahlzug auf nahezu gleicher Höhe wie bei Vollast bleibt. Der Stahlgußzug liegt in seinem Verhalten zwischen den beiden anderen. Die Lastdruckbremsen der drei Kettenzüge waren verschiedener Art. Bei dem Schneckenzug wurde eine ebene Bremsfläche von 47 qcm durch den achsialen Druck der Schnecke gepreßt; bei dem Stahlguß-Stirnradzug wirkte ein radialer Druck auf eine zylindrische Bremsfläche von 63 qcm; bei dem Nickelstahl-Stirnradzug wurde der achsiale Druck der Schrägzähne auf 13 ebene Bremsflächen von zusammen 59 qcm übertragen. Die Wirkung dieser Lastdruckbremsen wurde in der Weise festgestellt, daß die zum Senken erforderliche Motorleistung gemessen wurde. Aus Motorleistung und Motorwirkungsgrad ergab sich die Senkleistung in PS und aus dieser und der Senkgeschwindigkeit die zum Senken erforderliche Senkkraft. Je größer letztere im Verhältnis zur Last ist, desto sicherer hält die Bremse, desto größer ist aber auch der zum Senken erforderliche Kraftverbrauch. Würde der Reibungswert der Bremsflächen völlig unveränderlich sein, so müßte die Senkkraft in gleichem Verhältnis mit der Last abnehmen. Textabbildung Bd. 323, S. 483 Fig. 4.Senkkraft von Kettenzügen. In Fig. 4 sind auf den Ordinaten zunächst die angehangenen Lasten und für diese hinaus die Senkkräfte aufgetragen. Für die volle Last beträgt die Senkkraft bei dem Schneckenzug 206 kg, bei dem Stahlgußzug 470 kg und bei dem Nickelstahlzug 160 kg. Aus Fig. 4 ist ersichtlich, wie bei abnehmender Belastung die Senkkraft des Schneckenzuges und des Stahlgußzuges kleiner wird, während sie bei dem Nickelstahlzug nahezu unverändert bleibt. Diese gleichmäßige Wirkung ist darauf zurückzuführen, daß bei Bremsflächen mit guter Schmierung der Reibungswert nahezu in umgekehrtem Verhältnis mit dieser sich ändert. Infolge dieser gleichmäßigen Wirkung durfte die Zahl der Lamellen so weit verringert werden, daß die Senkkraft auf den geringen Wert von 0,2 der Höchstlast beschränkt werden konnte. Aus den vergleichenden Versuchen geht deutlich hervor, daß die Einführung der Nickelstahl-Schrägzahnräder einen großen Fortschritt bedeutet: das Eigengewicht wird ebenso klein wie bei Schneckenzügen, der Wirkungsgrad wird um die Hälfte größer und mit ihm die Hubleistung. Die Schrägzähne erlauben zugleich eine sehr gute Durchbildung der Lastdruckbremse mit großer Bremsfläche, mit entsprechend gleichmäßiger Wirkung und mit geringer Abnutzung. Da die Nickelstahlräder kleine Durchmesser erhalten, so können sie ohne nennenswerte Gewichtserhöhung vollständig eingekapselt und dadurch einerseits vor Staub und Rost geschützt und andererseits gut geschmiert werden, so daß auch der Verschleiß dieser Teile ein sehr geringer wird. Aus dem ursprünglichen rohen Differential-Kettenzug ist durch Einführung hochwertigen Materials und genauer Werkstättenarbeit eine Präzisionsmaschine geworden. Alle bisherigen Veränderungen in der Entwicklung der Kettenzüge bezogen sich immer nur auf das Triebwerk und die Bremse; die kalibrierte Rundeisenkette mit der Kettennuß blieb dagegen von Anfang an bis jetzt unberührt erhalten, obwohl dieses Maschinenelement sehr der Abnutzung unterliegt. Trotzdem die Zugbeanspruchung der Kettenglieder klein gehalten wird – 260 kg/qcm – recken sie sich doch bei den unvermeidlichen Stößen und passen infolgedessen nicht mehr genau in die Kettennuß, so daß Kette und Nuß bald ruckweise arbeiten und rasch verschleißen. Die Kettennuß selbst fällt zwar klein und leicht aus, aber die Kette wird verhältnismäßig schwer. Für Züge mit 10 t Tragkraft bevorzugt man durchweg Gallsche Ketten, die genauer, aber noch schwerer sind. Es liegt nahe, auch hier an die Verwendung hochwertigen Materials zu denken, wie die vorzüglich hergestellten modernen Stahldrahtseile es bieten. Die doppelte Kette von 11 mm Gliedstärke eines Zuges von 1000 kg Tragkraft mit einer Losrolle könnte durch ein Drahtseil von 8 mm Durchm. ersetzt werden, das mit vier Strängen und zwei Losrollen von 150 mm Durchm. den Haken trägt. Ein solches Seil hat eine Bruchlast von 2000 bis 2500 kg, würde also die Last mit acht- bis zehnfacher Sicherheit tragen. Es könnte auf eine Trommel von 150 mm Durchm. in drei Lagen gewickelt werden; das Drehmoment \frac{1000}{2}\,\cdot\,\frac{15}{2}=1900^{\mbox{ cm}}/_{\mbox{kg}} würde nicht größer werden als bei der vierzähnigen Nuß von 80 mm Durchm., die ein Drehmoment von \frac{1000}{2}\,\cdot\,\frac{8}{2}=2000^{\mbox{ cm}}/_{\mbox{kg}} hervorruft Die Trommelbreite würde bei 5 m Hub und drei Lagen noch nicht größer als 125 mm werden, würde also die Breite einer Kettennuß um nicht mehr als 50 mm überschreiten. Da bei 5 m Hub das Gewicht der Kette bereits nahezu ebenso groß ist wie das Eigengewicht des Zuges ohne Kette, so würde die Einführung des Drahtseils das Gesamtgewicht nahezu auf die Hälfte vermindern. Nachdem die Kette sonst fast auf ganzer Linie dem Drahtseil hat weichen müssen, ist die gleiche Entwicklung auch hier zu erwarten.