Titel: Festigkeitsversuche für Eisenbauten.
Autor: Ad. Seydel
Fundstelle: Band 323, Jahrgang 1908, S. 797
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Festigkeitsversuche für Eisenbauten. Festigkeitsversuche für Eisenbauten. Wer als Laie die Fortschritte in der Anwendung von Eisenkonstruktionen bei Brücken- und Hochbauten verfolgt hat, wird sicher annehmen, daß er es hier mit einem lückenlos hochentwickelten Sondergebiet der Technik zu tun hat. Das Wachsen des Könnens auf diesem Gebiete der Technik steht auch außer Zweifel. Es erstreckt sich sowohl auf Entwurf und Berechnung, als auch auf die bauliche Durchbildung, auf die Ausführung in der Werkstatt und den Zusammenbau auf der Baustelle. Insbesondere hat sich im Laufe der Jahre die Ermittlung der reinen Stabkräfte derart übersichtlich und einfach gestaltet, daß die Aufstellung der Festigkeitsberechnungen auch bei verwickelteren Trägergebilden allen Ingenieuren, die sich mit der Berechnung von Eisenkonstruktionen beschäftigt haben, möglich sein sollte. Hand in Hand mit dem besseren Rechnen ging ein besseres Konstruieren. Man strebte nach übersichtlicher, klarer Kräfteübertragung und berücksichtigte mehr und mehr das bedeutsame elastische Verhalten des Baustoffes. Bei diesem tieferen Eindringen in das Wesen einer guten Konstruktion wurde nun offenkundig, daß es im Eisenbau doch so manches gibt, worüber selbst der beste Spezialist nicht so ohne weiteres Rechenschaft ablegen kann. Die Erfahrung und das praktische Gefühl behalten nach wie vor, trotz aller Rechenkünste, einen großen Spielraum im Eisenkonstruktionsfach. Das führt häufig zu unwirtschaftlichen Material- und Arbeitsaufwendungen, andererseits aber auch – bei übertriebener Sparsamkeit – zu einer ungenügenden Sicherheit der Eisenbauwerke. Gerade der erfahrenste und gewissenhafteste Konstrukteur stößt bei schwierigen Arbeiten sehr häufig auf Zweifel, bei deren Hebung ihn Rechnung und Erfahrung im Stich lassen. Viele Fragen nach Wirkung und Verteilung der Kräfte im Inneren der Eisenkonstruktionen können nicht durch reine Ueberlegung, sondern nur durch umfangreiche Versuche entschieden werden, deren Ausführung die Mittel und die Kräfte eines Einzelnen übersteigt. Hierher gehören, unter vielen anderen, die Fragen nach der Kräfteverteilung in Stabanschlüssen und Stoßdeckungen, ferner nach den Verschwächungen durch Nietlöcher und der Stärke der Vergitterung von Druckstäben, usw. Zur Klärung dieser und vieler anderer Fragen bleibt nur der Weg des Versuches offen und dieser Weg ist auch schon oft beschritten worden. Meist handelte es sich dabei aber nur um einzelne, eng begrenzte, brennende Fragen. Für planmäßige Versuche in großem Maßstabe fehlte es bisher den meisten an Zeit und Geld. Die Möglichkeit, Festigkeitsversuche an Eisenkonstruktionen in erschöpfender Weise durchzuführen und ihrer Auswertung auch die notwendige allgemeine Beachtung und Einführung zu sichern, ergab sich durch die im Jahre 1904 erfolgte Bildung des „Vereins Deutscher Brücken- und Eisenbaufabriken“, im Folgenden kurz: „Brückenbau-Verein“ genannt. Nach der Durchführung der bei solchen Verbandsbildungen naturgemäß schwierigen, inneren Organisation, konnte bald an eine Arbeit von durchaus allgemeinem Interesse gedacht werden. Auf Anregung des Herrn Direktor Seifert, welcher mittlerweile zum Vorsitzenden des Brückenbau-Vereins gewählt worden war, wurde mit freudiger Zustimmung aller Mitglieder die Vornahme planmäßiger Versuche mit Eisenkonstruktionen beschlossen und eine namhafte Summe dafür ausgeworfen. Es wurde dann weiter eine Kommission eingesetzt, welche die Versuche in die Wege leiten und überwachen sollte. Ferner wurde beschlossen, für die Versuche das Interesse und die Mitarbeit hoher Behörden und anerkannter Männer der Wissenschaft zu gewinnen, um die Durchführung und Auswertung der Versuchsarbeiten so nutzbringend als möglich zu gestalten. Der Brückenbau-Verein fand in den Ministerien der öffentlichen Arbeiten und des Kultus volles Einverständnis für das Unternehmen und es gelang daher auch, Vertreter aus diesen Ressorts für die Mitarbeit in der Versuchskommission zu gewinnen. Diese Kommission setzt sich nun wie folgt zusammen: 1. Vertreter des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten die Herren, Wirklicher Geheimer Oberbaurat Dr. Ing. Dr. H. Zimmermann, Königlicher Regierungs- und Baurat Schnapp, Königlicher Eisenbahnbau- und Betriebsinspektor O. Schaper. 2. Vertreter des Kultusministeriums: die Herren, Geheimrat Dr. Ing. A. Martern, Professor M. Rudeloff, Direktoren der Königlichen Materialprüfungsanstalt in Großlichterfelde-West, in welcher die Konstruktionsteile untersucht werden sollen. 3. Vertreter des Brückenbau-Vereins: die Herren, Direktor L. Seifert von der Gesellschaft Harkort in Duisburg, Direktor P. Reusch und Direktor R. Bosse von der Gutehoffnungshütte in Sterkrade, Direktor A. Böllinger von der Brückenbauanstalt Gustavsburg, Dipl.-Ing. H. Jucho, Fabrikbesitzer in Dortmund. Mit den Vorbereitungen der Versuche ist Herr Dipl.-Ing. A. Seydel von der Gesellschaft Harkort in Duisburg beauftragt worden. Die erste Aufgabe der Kommission bestand in der Festlegung eines Arbeitsplanes. Hierbei waren frühere Versuche möglichst dahingehend zu berücksichtigen, daß Unnötige Wiederholungen vermieden werden. Ferner sollten die Fragen, welche in einfacher Weise und mit verhältnismäßig geringen Kosten beantwortet werden können, und welche erklärend und vereinfachend auf die weiteren Versuche wirken, zuerst als Vorversuche in Angriff genommen werden. Die in früheren Jahren ausgeführten Versuche, welche für unsere heutigen Konstruktions- und Arbeitsweisen grundlegend sind, haben zum Teil nur noch deshalb eine bedingte Gültigkeit, weil statt des früher allgemein gebräuchlichen Schweißeisens, heute für die Konstruktionsteile, wie auch für die Niete, durchweg das ganz anders geartete Flußeisen verwendet wird. Von älteren Versuchen seien kurz aufgeführt: 1. Die Versuche über die Nietkopfformen, angestellt beim Bau der alten Weichselbrücke bei Dirschau. 2. Versuche der Gesellschaft Harkort in Duisburg über die Bruchfestigkeit großer Brückenquerträger, ausgeführt für die holländischen Staatsbahnen. 3. Versuche über die Festigkeit von Nietverbindungen von Dr. H. Zimmermann. 4. Versuche von Hertz, Weyrauch, Winkler u.a. über Rollen- und Kugellager. 5. Versuche von C. v. Bach über Gleitwiderstand von Nietverbindungen. 6. Versuche von Tetmajer über die Knickfestigkeit gegliederter Druckstäbe. Der von der Kommission aufgestellte Arbeitsplan umfaßt: 1. Versuche mit KonstruktionselementenA. über den Gleitwiderstand von Nietverbindungen bei verschiedenartiger Anordnung der Nietbilder,B. zur Ermittlung der durch die Nietteilung bedingten Querschnittsschwächung. 2. Versuche mit fertigen Bauteilen des Brücken- und Eisenbaues überA. Anschlüsse steifer Stäbe unter Berücksichtigung des exzentrischen Kraftangriffes,B. das Ausknicken von Druckstäben bei verschiedenartiger Anordnung der Vergitterung,C. die Seitensteifigkeit der oberen Gurtung von oben offenen Brücken, sowie von Kranträgern,D. die Seitensteifigkeit der Ecken an Portalrahmen. 3. Versuche über Abbiegen von Winkelschenkeln (z.B. bei Längs- und Querträgeranschlüssen). 4. Versuche über die Zweckmäßigkeit der konstruktiven Ausbildung von Querträgern, sowie von Anschlüssen und Verlaschungen von Knotenpunkten. 5. Versuche über den Einfluß des Winddruckes auf gegliederte Eisenbauwerke, sowie über den Wert und die Haltbarkeit von Farbanstrichen an Eisenbauten. Die Vorversuche erstrecken sich auf die Festlegung 1. des Einflusses der verschiedenen Nietverfahren (Handnietung, Preßluftnietung, sowohl mit Hammer als mit Kniehebelpresse), 2. des Wertes oder Unwertes des kleinen kegelförmigen Ansatzes unter dem Nietkopf, 3. des Einflusses der Oberflächenbeschaffenheit der zusammengenieteten Eisenteile auf den Gleitwiderstand wobei die Berührungsflächena) roh gelassen, nur mit Drahtbürste gereinigt wurden,b) gebeizt und geölt wurden,c) gebeizt, geölt und einmal mit Mennigeanstrich versehen wurden. Diese Versuche sind zum Teil schon abgeschlossen, zum Teil noch im Gange. Für die Versuche im größeren Maßstab sind die Vorbereitungen weit vorgeschritten. Die Anschaffung einer Maschine für 3000 t Druck und Zug ist ins Auge gefaßt. Der Brückenbau-Verein und die von ihm eingesetzte Kommission wird die Versuche auf streng wissenschaftlicher Grundlage durchführen und die gewonnenen Ergebnisse allen Interessenten in den angeseheneren technischen Zeitschriften zugänglich machen. Der Brückenbau-Verein hat sich eine große Aufgabe gestellt, deren Durchführung viel Zeit und Geld kosten wird, die aber auch, wie zu hoffen ist, reiche Früchte tragen wird. Ad. Seydel, Dipl.-Ing.